Kaminski saß mal wieder in dem kleinen Privatjet zwischen Friedrichshafen und Berlin. Er musste unbedingt durchrechnen lassen, ob sich nicht langsam eine eigene Maschine für das FINDERS Konsortium rechnete. Aber für solche Kleinigkeiten hatte niemand wirklich Zeit. Sicher konnte mannoch einen Controller einstellen, doch wer kontrollierte den? Kurz dachte er an die vergangenen 3 Jahre.
Erst 1999 war die FINDERS GmbH gegründet worden. Ziel war es, ein Technologiecluster aufzubauen, um innovative Firmen nach Friedrichshafen zu holen, 2000 schaffte man dann die Verhinderung der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone und den Aufbau des FINDERS Konsortiums. Seit dem 11. September 2001 war er wohl zum wichtigsten Wirtschaftsführer Deutschlands aufgestiegen. Sicher, eines der größten Probleme war es gewesen, den bürokratischen Sturköpfen die WIN – WIN Situation beizubringen. Er hatte sich ein Team von 50 Volkswirten, Mathematikern und Beratern eingekauft, die Unmengen von Papier produzierten, um jeder der parlamentarischen Anfragen gerecht zu werden, jedem Lobyisten seinen Vorteil darzustellen. Trotzdem ging alles rasend schnell. Nie zuvor war eine solch gewaltige strukturelle Änderung so schnell eingeführt worden. Und so sah das Ergebnis aus. Das Postmonopol für Briefsendungen lief bis Ende 2003 aus. Die Post selbst bot nur noch in Spezialbereichen Briefe an, z. B. für die schnelle Zustellung von Großformaten wie Bauplänen wurde ein spezieller Service eingerichtet.
Die Post hielt mit 50% den größten Anteil am FINDERS Konsortium. Achtfachcardgeräte erhielten vom Konsortium eine Subvention von 8 Mrd. Euro. Das FINDER Konsortium refinanzierte sich einerseits durch eine Lizenzgebühr, welche bei dem regionalen Händler abhängig von der Qualität der Produktergebnisse eingenommen wurde. Dieses Verfahren erwies sich als wesentlich fairer als das pay per click Modell der Suchmaschinen, da nur für den User sinnvolle Ergebnisse, nicht jedoch unsinnige Klicks auf Zwischenergebnisse von den Produktanbietern bezahlt werden mussten. Experten hatten errechnet, dass allein dadurch, dass Unternehmen nicht mehr Faxe, Briefe und E – Mails gleichzeitig bearbeiten mussten, eine jährliche Ersparnis von 20 Mrd. EUR erreicht werden konnten.
Da das Briefporto wegfiel, konnte weiterhin für jedes R – Fax eine Sendegebühr von 0,50 Cent erhoben werden. Jeder Deutsche über 14 Jahre wurde verpflichtet, sich sein eigenes Achtcardgerät zu kaufen. Das Volksfaxgerät – wie es später genannt wurde – gab es schon für 1, Euro bei jedem Telefonladen. Wer sich keinen Telefonanschluss leisten konnte, bekam die Grundgebühr erlassen, um R – Faxe erhalten zu können. Schnell stürzten sich die Gerätehersteller auf den neuen Markt. Es gab Handys mit Achtcard, die über Funk auf Faxen ausdrucken konnten und vieles mehr. Der Personalabbau gestaltete sich wesentlich undramatischer als erwartet. Die Post erhielt die Aufgabe, die Semantikredaktion aufzubauen und die Kategorienagenturen zu überwachen. Sowohl im Dienstleistungsbereich, als auch im Handelsbereich wurde die komplette Digitalisierung der Kommunikation zum Jobmotor. Durch die Ausschöpfung der ungeheuren Rationalisierungspotenziale wurden Produkte und Dienstleistungen in Deutschland günstig und international wettbewerbsfähig. Sicherlich, viele Postbeamten machten keine Karriere. Doch es entstanden auch viele einfache Jobs im Dienstleistungsbereich. Die Behördenabläufe wurden wesentlich beschleunigt und vereinfacht.
Morgen hatte Kaminski erneut eine Mammutaufgabe zu bewältigen. Es ging darum, die gesamte Paketlogistik in Deutschland umzustellen. Man hatte auf seiner Anwesenheit bei einer Anhörung im Bundestag zum Thema: „Einführung der Mehrfachpakete in der Regionallogistik“ bestanden. Für Kaminski war diese Pflichtübung eindeutig verlorene Zeit. Aber es war wichtig, den privaten Logistikfirmen zu zeigen, dass alle vom neuen Mehrfachpaket profitieren würden.
Während Kaminski seinen Gedanken nachhing, gab er in seinen Laptop nach und nach Namen der Gesprächspartner ein. Prompt erschien der R – Fax Verkehr der letzten Tage für die jeweilige Person auf dem Bildschirm. Nicht, dass Kaminski wirklich am Inhalt interessiert war. Es war eine der wenigen Spielereien, die er benutzte, um sich selbst seine Macht zu demonstrieren. Morgen im Gespräch würde er wieder sachlicher unparteiischer Moderator sein, stets um Kompromisse bemüht. Gebraucht hatte er eine solche Information noch nie. Vielleicht hatte er im einen oder anderen Interview zu intensiv betont, dass das Achtcardverfahren sicher sei, da nicht die personenbezogenen Daten auf dem Chip gespeichert waren. Jedenfalls seit dem das Gerücht umging, er hätte die Möglichkeit, diese Daten einzusehen, gab es keinen ernsthaften Gegner mehr in seinen Verhandlungen. Manchmal spielte er gelangweilt an seinem Laptop herum, zufällig immer dann, wenn eine Diskussion festgefahren war.
Kaminski verlor sich wieder in seinen Erinnerungen. Zuletzt hatten sogar die Datenschützer das System vorangetrieben. Anders als im normalen Internet, musste sich jeder Sender eines R – Faxes durch Einlegen der Schlüsselseite des Achtfachchips selbst identifizieren. Die acht Chips verbanden sich jeweils mit einem anderen Rechenzentrum.
Es gab ein Rechenzentrum für die Authentifizierung, 4 Rechenzentren für das Bezahlen abhängig von der Bankverbindung des Users, ein Rechenzentrum für persönliche Shoppingprofile, ein Rechenzentrum für die Erstellung von Tickets und ein Rechenzentrum für Krankheitsbilder und Notrufe . Jede Chipcard erzeugte einen eindeutigen Tagesstempel anhand dessen der nötige Abgleich zwischen den Servern möglich war, z. B. beim Bestellen und Bezahlen die Zuordnung zur gleichen Transaktion. Der 11. September war für das FINDERS Konsortium ein Glücksfall gewesen so zynisch das auch klingen mag. In den USA reagierte man derart panisch, dass in Deutschland die Datenschützer Oberhand bekamen. Eine neue Gesetzesvorlage wurde verabschiedet, dass bei begründetem Terrorverdacht lediglich die E – Mails auf Rechnern von Tatverdächtigen untersucht werden durften, nicht jedoch die sonstigen Daten. Nur 200 Personen in Deutschland hatten eine sogenannte Superusercard, mit der zu einer einzelnen Achtcard Transaktion auch die zugehörigen Daten von den anderen Rechenzentren über ein spezielles Trustzentrum abgerufen werden konnten. Da die einzelnen Chips der Achtcard jeden Tag die Identitätsnummer mit einem anderen Schüssel versahen, war der Aufwand für die Fälschung einer Achtcard extrem hoch geworden.
Kaminski war einer der Berechtigten. Neben seinem Schlüsselchip wurden bei ihm auch zahlreiche biometrische Daten abgefragt, bevor sein Laptop startete. Sobald sich der Laptop außerhalb des Bluetooth Radius seines als Uhr getarnten Pulsmessers befand, wurde automatisch eine neue Eingabe der biometrischen Daten zur Reaktivierung erforderlich.
Das Flugzeug setzte zur Landung an. Es war 23. 00 Uhr. Bis er in Kreuzberg war, würde eine weitere Stunde vergehen. Er hatte sich leger angezogen. Er genoss es, wenn die jungen Dinger in den bevorzugten Singlebars noch immer auf ihn standen. Sich Informationen über die eine oder andere zu verschaffen, war ihm noch nie in den Sinn gekommen. Vielleicht war das der Grund, warum er sich nie den Namen eines Onenightstands merken konnte.
Und mehr wurde es nie.