Willi Kaminski stand auf und stellte entnervt fest, dass sie noch immer da war. Dass Frauen nie merkten, wenn beim Onenightstand das Frühstück nicht inbegriffen war. Inzwischen langweilte ihn, dass er alles haben konnte, was er wollte.
Er hatte alles erreicht, was man erreichen konnte, er war CEO des FINDERS – Konsortiums, welches über 50% des deutschen Handelsvolumens begleitete – wie es so schön neudeutsch hieß. Das war nicht immer so gewesen. Er tat alles dafür, dass nie die Sprache auf seine Jugend kam. Aufgewachsen war es als Sohn eines Bergmanns in einem schmuddeligen Vorort von Saarbrücken. Er hatte hart arbeiten müssen, um hierhin zu kommen. Andere waren der Meinung, dass es einige Eigenschaften gab, die ihm geholfen hatten, für die er eigentlich nichts konnte. Dazu gehörte seine Größe von über zwei Metern genauso, wie sein makelloses Äußeres und sein muskulöser Körper. Schon früh hatte er begriffen, dass alles um ihn herum auf Schau aufgebaut war. Bei den Prügeleien in der Nachbarschaft gewann letztendlich immer der, der die wenigste Angst zeigte. Eigentlich hatte Kaminski immer Angst gehabt, Angst dass jemand herausfand, wie wenig er eigentlich selbst darüber wusste, warum er immer Erfolg hatte und heute eine solch wichtige Position einnahm. Desto höher er stieg, umso größer wurde die Angst. Mit seiner Angst steigerte sich in gleichem Maße sein Abstand zu seinen Mitmenschen. Diesen erschien die Distanz als natürliche Reaktion des Einsamen an der Spitze.
Aber das war es nicht. Kaminski hatte sich selbst verloren und spielte nur noch die Rolle, die er immer gespielt hatte, sorgsam bedacht, keinen Fehler zu machen. Diese Rolle war ihm auf den Leib geschnitten.
Solange er keine Entscheidung traf, machte er keinen Fehler. Entscheidungen trafen andere. Waren die Entscheidungen richtig, so waren es die Entscheidungen von Willi Kaminski. Waren die Entscheidungen falsch, so waren es die Entscheidungen anderer.
Diese Angst beherrschte Willi Kaminski so, dass kein weiteres Gefühl Platz hatte, nicht einmal eine Vorliebe, ein Hobby hätte er benennen können, wenn er ehrlich geantwortet hätte. In Presseinterviews war seine Vita natürlich perfekt, gespickt von privaten Geschichtchen, welche er entweder bei anderen aufgeschnappt oder sich von einem seiner PR – Berater hatte erfinden lassen. Willi Kaminski hatte das Talent, zur richtigen Zeit am richtigen Ort die richtigen Leute kennenzulernen. Auch dafür konnte er eigentlich nichts. Es war so und er ging davon aus, dass es auch in Zukunft immer so sein würde.
Er schaute aus dem Fenster des 6. Stocks. Der Ausblick reichte bis zur gegenüberliegenden Seite der Bodensees. Es sollte ein schöner klarer Sommertag werden. Sie – ihren Vornahmen hatte er vergessen -zog sich umständlich an, wohl immer noch in der Hoffnung, zum Frühstück eingeladen zu werden. Das Telefon klingelte.
„Ja“ Kaminski hatte auch gelernt, dass Leute die wenig sagen, wenig falsch machen können und man ihnen gleichzeitig unterstellt, dass sie viel denken, bevor sie etwas sagen.
„Ja, ik bin`s Willi, der Christoph, ik hab da ne Idee. “ Es gab wenige, die sich mit Kaminski duzten. Keiner sonst würde sich erlauben, am Sonntag Morgen einfach wegen einer neuen Idee anzurufen. Normalerweise hätte Kaminski mit einem „Es geht gerade nicht“ das Gespräch beendet. Aber Kaminski war sehr wohl bewusst, was er Christoph Wolff alles verdankte – genaugenommen wäre er heute ohne Christoph nicht CEO von FINDERS. Außerdem hatte es überhaupt keinen Sinn vor Christoph eine Schau abzuziehen. Christoph Wolff war der geborene Untertan. Sein Verhalten hätte auch bei einem entsprechenden Auftreten Kaminskis nicht untertäniger sein können.
Dies entpuppte sich für Christoph als Vorteil, weil Christoph vielleicht der einzige Mensch war, der Kaminski so kannte, wie er war, ohne eigene Ideen und Gefühl für andere, aber mit dem untrügerischen Instinkt für den richtigen Moment. So hatte Kaminski immer gewusst, ohne darüber nachdenken zu müssen, welche der meist guten Ideen von Christoph auch zum richtigen Zeitpunkt kamen, um am Markt umgesetzt zu werden. Die meisten Ideen von Christoph mussten warten, oft viele Jahre.
Außerdem kannte Kaminski Christophs Lebensgeschichte und wusste, dass Christoph Wolff auch in Zukunft die Last, welche ihm von seinen Vorfahren auferlegt worden war, nicht abstreifen konnte.
Wolff stammte aus einem alten ostpreußischen Geschlecht von Gutsbesitzern und Juristen. Wohlgemerkt Juristen, keinen Rechtsanwälten. Auf diesen feinen Unterschied legten die Wolffs erheblichen Wert. Sie waren stolz darauf, immer wesentlichen Einfluss auf die Gesetzgebung genommen zu haben. Der Familien Stammbaum ging in direkter Linie auf den Christian Wolff zurück. Mit der Namensgebung hatte man in Christian, Christoph Wolff entsprechende Erwartungen gesetzt. Den Rufnamen benutzte er heute nicht mehr.
Christian Freiherr von Wolff (in der Encyclopédie „Chrétien Wolf“) (* 24. Januar 1679 in Breslau; † 9. April 1754 in Halle) war ein bedeutender deutscher Universalgelehrter, Jurist und Mathematiker und einer der wichtigsten Philosophen zwischen Leibniz und Kant. Er zählt zu den bedeutendsten Vertretern des Naturrechts und gilt als eigentlicher Begründer der Begriffsjurisprudenz des 19. Jahrhunderts. Die deutsche Philosophie verdankt ihm ihre terminologische Grundlegung; viele von ihm definierte Begriffe wie „Bedeutung“, „Aufmerksamkeit“ oder „an sich„ wurden später in die Alltagssprache übernommen. Wolff hatte auch maßgeblichen Einfluss auf die preußische Gesetzgebung.
Quelle Wikipedia
Durch den zweiten Weltkrieg war seine Familie gezwungen, aus Ostpreußen zu flüchten. In Ostberlin kam die Familie bei Verwandten unter. Natürlich kannte Kaminski nicht die genauen Details, aber Christoph hatte sich einmal im Suff seine ganze Vergangenheit von der Seele geredet. Sein Vater war einfach nicht mit der veränderten Situation klar gekommen. Das Tafelsilber, einige wertvolle Gemälde und den Familienschmuck hatte er über den Krieg retten können. Nach dem Krieg versuchte er, in der DDR einen seiner alten Stellung entsprechenden Status mit allen Mitteln – sprich Bestechungen – wiederherzustellen. Er muss wohl an den ein oder anderen Falschen gekommen sein. Schließlich stand er vor Gericht und wurde wegen zahlreichen Delikten wie Unterwanderung der Staates, Bestechung etc. zu Gefängnis verurteilt. Noch nachdem er das Urteil vernommen hatte, behandelte er den Richter von oben herab und verwies auf zahlreiche allerdings in der DDR nicht mehr gültigen Gesetzestexte.
Erst im Gefängnis muss er wohl die Unabänderlichkeit seiner Situation erkannt haben. Die Kleidung ordentlich über den Stuhl gefaltet, erhängte er sich noch in der ersten Woche mit seinem Gürtel. Einen Abschiedsbrief hielt er nicht für nötig. Christophs Mutter hielt noch einige Wochen durch. Sie wurde nach der Verurteilung ihres Mannes in einer Landwirtschafts – LPG zur Arbeit verpflichtet. Man vergaß dabei nicht, die LPG ausführlich über ihre Vergangenheit zu unterrichten. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, das neue Gesinde anzuweisen, flüchtete sie sich in den Wahnsinn und wurde innerhalb von kürzester Zeit in eine geschlossene Anstalt eingewiesen. Nach der Wende hat Christoph sie wohl noch einmal als für ihn völlig fremde Frau wiedergesehen. Christoph selbst wuchs in sozialistischen Heimen auf, wobei man ihm als ehemals Privilegiertem alle für eine Karriere nur erdenklichen Steine in den Weg legte.
Regelmäßig wurde er zur Staatssicherheit zitiert. Diese begutachtete jedes Jahr neu, ob am Sohn ähnliche Tendenzen wie beim Vater festzustellen seien. Nur seiner außergewöhnlichen Intelligenz hat er es zu verdanken, dass er es zur nicht studierten Hilfskraft eines Leipziger Linguistikprofessors brachte. Hier lernte Kaminski ihn zufällig 1999 kennen. Also antwortete Kaminski geduldig: „Erzähl“.
„Wir können die Finder für viele der anderen europäischen Sprachen auch benutzen, wir müssen nur den Pointer anders setzen. “
Kaminski gab sich erst gar nicht die Mühe, Christoph zu verstehen. Es reichte, dass Christoph eine Idee hatte, den Zeitplan der Agenda 2010 zur Übertragung des finder – Konzepts in den englischen, französischen, italienischen, spanischen, portugiesischen und niederländischen Sprachraum einzuhalten. Wer konnte schon verstehen, was in Christopf vorging. Was interessierte, war das Endergebnis und das war bei Christoph immer in Ordnung.
Darum fragte er nur: “Das ist ausgezeichnet Christoph. Du überraschst mich immer wieder. Brauchen wir ein neues Patent?“
„Nein, nach meiner Meinung deckt das Patent aus 1999 alle Ideen ab.“
„Möchtest du vorbeikommen oder reicht es, wenn wir Montag drüber reden“.
„Montag reicht“.
„O. k. , ich ruft dich Montag am Morgen an. Danke dass du mich direkt informiert hast. Genieß ein wenig dein Wochenende. “
Ihre Handlung: Erfinden Sie doch andere Details aus der Vergangenheit von Woff. Hier könnten Sie einen weiteren Kreativen einführen, der Ihre eigenen Ideen entwickelt und später von Wolff Kaminski vorgestellt wird.