Meike Assbach hatte eine makellose Verwaltungskarriere hinter sich gebracht. Als Volkswirtin hatte sie promoviert und zudem einen Abschluss in Informatik. Anschließend hatte sie ein Rechenzentrum geleitet. Bei Daten konnte ihr nicht so leicht jemand etwas vormachen. Nachdem sie die einzige weibliche Landesbeauftragte für Datenschutz gewesen war, war es sicherlich hilfreich, dass die Bunderkanzlerin Wert darauf legte, Schlüsselpositionen mit qualifizierten Frauen zu besetzen. Assbach hatte während ihrer bisher zweijährigen Amtszeit als Bundesbeauftragte für Datenschutz schon viel durchgesetzt. Alle neuen Video– und Audioaufzeichnungsgeräte wurden mit einem Leser für den Schlüsselchip der Achtcard versehen. Aufzeichnungen waren nur möglich, nachdem eine Achtcard eingelegt war und so bei richterlicher Anordnung aufgrund eines konkreten Tatverdachts eindeutig identifiziert werden konnte, wer welche Aufzeichnung wann gemacht hatte.
Dies verteuerte der Geräte kaum, da inzwischen die meisten neuen Geräte gleichzeitig als Handy funktionierten. Durch die hohen Stückzahlen war der Herstellungspreis für den Achtcard – Reader auf unter 2,– Euro gefallen. Unsichtbar wurde in jedes Audio– und Videofile der Tagesstempel mit dem Schlüssel des Aufnehmenden gelegt. Sendefähige Geräte sendeten gleichzeitig den Tagesstempel an ein spezielles Medientrust – Rechenzentrum. Handys sendeten zusätzlich entweder ihre Sendezone, oder wenn sie GMS – fähig waren, ihre Position.
Bei Verdacht konnte jeder Bürger verlangen, dass ihm nachgewiesen wurde, dass keine Aufzeichnung stattgefunden hatte. Hierzu rief das Datenschutzamt vom Medientrust – Rechenzentrum alle am entsprechenden Ort zur entsprechenden Zeit vorgenommenen Aufzeichnungseinträge ab. Bestätigte sich ein Verdacht, war die Auskunft kostenlos, sonst wurde der Aufwand dem Antragsteller berechnet.
Die Inhalte der Aufzeichnungen konnte man natürlich einem solchen Bericht nicht entnehmen.
In Ihrer Doktorarbeit hatte Assbach die speziellen Suchalghorytmen entwickelt, welche der BND noch heute einsetzt, um im Internet Video– und Audiodateien ohne Signatur oder mit falscher Signatur aufzuspüren.
Hierfür wurden spezielle Filterserver an den Knotenpunkten der Hochgeschwindigkeitsleitungen zwischengeschaltet. Wurde also z. B. von einer Al Kaida Homepage ein nicht mit Signatur versehenes Video abgerufen, so blieb dies im Filter hängen. Nur mit einer speziellen richterlichen Genehmigung durften die IP – Adressen der Empfänger gespeichert werden. Natürlich würde niemand so dumm sein, beim Besuch einer solchen Seite seine Achtcard im Leser zu lassen und so eine Signatur als personalisierte Spur zu hinterlassen. Auf vielen Büroservern und Privatrechnern war ein Einstieg ins Internet nur noch über die www. finders. de des FINDERS – Konsortiums möglich, solange man nicht die Standardoptionen des Browsers veränderte.
Da durch die finder – Technologie User – Abfragen verstanden und zu entsprechenden Kategorien gelenkt wurden, gab es bei „Nazi„ z. B. unter der Kategorie „Ad – Hocmeldungen“ die Möglichkeit, aktuelle Meldungen aus den Tageszeitungen abzurufen oder unter „Geschichte“, die Vergangenheit in Wikipedia nachzulesen oder unter der Kategorie „Anwälte“ einen Anwalt zu finden. Das Aufrufen von Naziseiten im Internet war nicht mehr so einfach möglich. Eine Änderung der Einstellungen war zum Jugendschutz nur mit der Schlüsselseite der Achtcard möglich. Diese nahm Verbindung zum Passrechenzentrum auf. Im Passrechenzentrum wurde das aktuelle Datum mit dem Geburtsdatum der Cardbesitzers verglichen und an den Browser übermittelt, ob die Person 18 Jahre alt war. Nur nach Autorisierung durch das Rechenzentrum war eine Änderung möglich. Dieses komplizierte Verfahren funktionierte, ohne dass hier personenbezogene Daten übermittelt werden mussten.
Meike Assbach blätterte in einer langen Liste von Namen aus dem Überprüfungsbereich der Superusercard – Inhaber. Über 200 Besitzer einer Superusercard produzierten eine Menge Papier durch die von Richtern genehmigten Überwachungen. Üblicherweise wurde die Achtcardnummer des jeweiligen Richters miterfasst. Meike Assbach hatte sich für diese Kontrolllisten direkt mit Christian Wolff auseinandergesetzt und darauf bestanden, dass er noch nicht einmal seine Vorgesetzten von dieser Überprüfungsmöglichkeit informierte. Nie hatte sie Kaminski überprüft, schließlich ging sie davon aus, dass er immer wieder den ein oder anderen Test durchführen musste.
Doch heute fiel ihr Blick zufällig auf ihren Namen. Ungeheuerlich, wer hatte es gewagt, ihre R – Faxe und ihren Browserverlauf aufzuzeichnen. Ihr Blick fiel auf den Namen: „Willi Kaminski“. Sie wollte es nicht glauben. Hektisch ging sie an den Computer und musste sich mehrfach neu einloggen, weil sie viel zu gestresst war, um die Erfassung ihrer biometrischen Daten abzuwarten.
Sie selektierte die Daten nach Willi Kaminski. „4335 Datensätze“ wurden angezeigt.
Nun selektierte sie erneut Superuser „Willi Kaminski“, genehmigt „ist leer“. Sie erhielt erneut 4335 Datensätze.
Anschließend selektierte sie „Willi Kaminski“ und bei Objekt „Meike Assbach“. Eine Liste mit 56 Einträgen erschien. Assbach druckte die Liste fassungslos aus. Sie verglich die Termine im Kalender ihres Handys mit denen auf der Liste und stellte fest, jeweils einen Tag nach dem Datum in der Liste hatte sie Kaminski in einer Sitzung getroffen. Assbach zögerte nicht lange, sie rief ihre Sekretärin zu sich. „Alles auf stopp. Ich möchte alle Abteilungsleiter in 15 Minuten bei mir sehen. Und bereiten sie alles für einen Sonderdatenschutzbericht vor. “ So aufgeregt war sie noch nie gewesen.
Dann griff sie zum Telefon. „Ja, es ist unbedingt erforderlich, dass ich den Bundespräsidenten direkt spreche. “
Nicht einmal zwei Minuten später: „Köhler“.
„Guten Tag Herr Bundespräsident, hier Meike Assbach. Es gibt einen ungeheuerlichen Vorfall zur Datenschutzverletzung. Er betrifft, äh, er betrifft Willi Kaminski. “