An einem grauen Herbsttag fuhr Nass auf der Landstraße zu seinem nächsten Projekt. Nass war einer von 30 Projektleitern der Unternehmensberatung Benning und Co. , welche im Auftrag der Bundesregierung dieStrukturreform von Bund, Ländern und Kommunen auf Basis der neuen Kategorienstruktur umsetzte. Innerlich fühlte sich Nass müde. Drei Jahre war er nun dabei. Nachdem 2002 die Semantikredaktion die Kategorien für die öffentliche Hand freigegeben hatte, wurde in Bund und Ländern zwei Jahre darum gerungen, alle Abteilungen, Ministerien, etc. den für die Bürger auf Eindeutigkeit überprüften Kategorien zuzuordnen. 2004 dann hatte man die Städte über 50. 000 Einwohner abgearbeitet. Umso kleiner die Städte wurden, desto größer wurden die Probleme.
Vorbei am Schild zu einem Technologiezentrum, dann links vorbei an den alten von Siemens übernommenen Produktionshallen des Mobilfunkherstellers BenQ, sah Nass rechts den alles überragenden Förderturm mit dem Zechengelände vor sich. Die Kumpel, welche die Straße überquerten, ließen keinen Zweifel daran, dass hier noch im Bergbau gearbeitet wurde. Wie eine Zeitreise in die Vergangenheit kam es ihm vor. Er hielt an einer Ampel. Sein Blick fiel auf einen grauen Kasten, der wohl den Einkaufsmittelpunkt der Stadt darstellte. Irgendwie schien hier nach dem Wirtschaftswunder der 60er Jahre die Zeit stehen geblieben zu sein. Seine Gedanken schweiften ab zur Schulung vor wenigen Wochen in der FINDERS Zentrale in Friedrichshafen. Er hatte sie immer noch nicht vergessen. Shaona Magu, was für ein Name. Und was für eine quirlige kleine Person! Sie stammte aus den Malediven und hatte sich bestimmt ähnlich gefühlt, als sie eine Zeitreise aus der Vergangenheit ihrer Insel in die hochtechnologische Gegenwart von FINDERS hinter sich brachte. Energisch hatte sie erklärt: „ Sie werden immer wieder in Ihrer Arbeit feststellen, dass die Behörden versuchen, Besitzstände zu sichern. Die Kategorien sind für das einfache Verständnis des Bürgers definiert. Sie sind eine Verdichtung des sprachlichen Standards. Lassen Sie sich auf keine Diskussionen ein!“
Nur mit halbem Ohr hatte er zugehört. Viel interessanter war es, ihren vollen Mund zu beobachten.
Er war sich sicher, das Paket mit allem Glück der Welt war bereits verschnürt und versendet worden und er könnte nie der Empfänger werden. So eine Frau konnte einfach nicht mehr zu haben sein. Das Hupen des Hintermanns brachte ihn wieder in die Gegenwart zurück. Nachdem er sich einen Parkplatz gesucht hatte, betrat er das Rathaus.
In dem großen Rathaussaal wurde er bereits erwartet. Auch die 10 Mitarbeiter seines Teams waren vollständig anwesend. Es war einige Minuten vor 10. 00 Uhr. Die Koordination der Zusammenarbeit hatte die Stadt an ihren technischen Mitarbeiter Frank Bitter delegiert. Dieser schaltete den Beamer ein und aus, ohne ihm ein Licht zu entlocken. Nass verschwendete keinen Gedanken daran, ob hier mal wieder der Versuch unternommen wurde, die Zusammenarbeit zu sabotieren. Er sprach kurz zu einem seiner Mitarbeiter „Unser Equipment. “
Der Mitarbeiter baute den mitgebrachten Beamer und Laptop mit Mobilfunkkarte auf. So war sichergestellt, dass auch die Internetleitung funktionierte.
Nass erläuterte kurz dem Stadtdirektor und den Abteilungsleitern sein Vorgehen:
„Unsere Beratung verläuft in drei Phasen. Zuerst bekommen alle Mitarbeiter der Stadt – auch die der stadtnahen Institutionen wie Stadtwerke etc. – einen Fragebogen. Jeder Mitarbeiter soll beschreiben, welche Aufgaben er aus seiner Sichtweise gegenüber Bürgern erfüllt. Dieser Fragebogen wurde in Zusammenarbeit mit einer dem statistischen Durchschnitt entsprechenden Gruppe von Bürgern erstellt. Die Antworten sollten so formuliert sein, dass jeder Bürger versteht, was in dem jeweiligen Amt passiert. In der zweiten Phase stimmen wir die Aufgaben mit unseren Kategorien ab. In der dritten Phase haben Sie die Möglichkeit, eine neue Kategorie vorzuschlagen, wenn Sie sich mit Ihrem Arbeitsbereich nicht zuordnen können“. „Na, welche Informationen hier wohl bereits angekommen waren?“ überlegte Nass. Am Anfang hatte jedes Bundesland, jede Stadt versucht, neue Kategorien durchzudrücken. Nachdem bei der zentralen Aufarbeitung der Anfragen immer wieder festgestellt wurde, dass Abteilungen, welche sich nicht einordnen konnten, entweder das Gleiche wie eine andere Abteilung oder unsinnige Arbeiten erledigten, und somit eingespart werden konnten, hatte die Anzahl der Vorschläge schlagartig abgenommen. Zwei Tage waren seine Mitarbeiter damit beschäftigt, bei dem Ausfüllen der Fragebögen zu helfen. Am Abend des zweiten Tages saß Nass mit seinem Team über der Auswertung der Fragebögen.
„Niederrheinische Betonköpp,“ murmelte ein Mitarbeiter. Nass sah ihn scharf an. Es war bei Benning und Co. ein eisernes Gesetz, dass mansich nie negativ über seine Kunden äußerte. „Ich weiß gar nicht, was Sie haben, ich habe mit Schlimmerem gerechnet. Sie dürfen Kamp – Lintfort nicht mit der Organisation z. B. von Köln vergleichen. “
Am nächsten Tag verlief die zweite Phase erstaunlich problemlos. Das System der Aufgaben in Kamp -Lintfort war durchdacht. Vor dem Rathaussaal traf Nass den Wirtschaftsförderer.
„An ihren Strukturen war aber schon eine Unternehmensberatung dran? Das war doch ordentlich teuer. Kann die Stadt sich so was überhaupt leisten?“
Der Wirtschaftsförderer sah ihn wütend und irritiert zugleich an, sagte aber nichts. In der anschließenden Sitzung wurden keine weiteren Kategorien vorgeschlagen. Nass und sein Team waren zufrieden. Sie wurden pauschal bezahlt und waren hier zwei Tage früher fertig als erwartet.
„War das nicht ein Wink des Schicksals, Shaona einfach anzurufen?“ dachte Nass.
Rückblick auf das Jahr 2005
Google hatte begonnen, systematisch selbst Dienste in den Bereichen anzubieten, welche am häufigsten von Nutzern abgefragt wurden. Das häufigste Keyword war über Jahre Routenplaner. Hier kaufte Google verschiedene Firmen und brachte Google Earth und Google Maps auf den Markt.
Das zweithäufigste Keyword war Wetter. Google bot darauf hin zahlreiche Wetterdienste und Möglichkeiten an, das regionale Wetter über sogenannte Gadgets immer im Browser anzuzeigen. Ein weiteres Keyword war Telefonbuch. Google baute systematisch in Google Maps alle Firmenadressen ein.