Laut stampfte der alte Diesel. Das Wetter wurde schlechter und wir fuhren jedes Wochenende die Rhône ein Stück weiter hinunter zum Mittelmeer. Wenn man mit unter 10 Knoten Geschwindigkeit auf einem Fluss fährt, dann hat man das Gefühl, sich in einer anderen Zeit zu befinden. Die großen Städte waren vom Fluss aus meist nicht zu sehen. Zum Einkaufen von Brot und was wir sonst an frischen Sachen brauchten, waren wir auf die Läden am Fluss angewiesen. Unser Smart war gut vertäut auf dem Vorderdeck untergebracht. Über eine Stunde dauerte es, ihn an Land zu hieven. Bei kurzen Aufenthalten nahmen wir deshalb immer die Fahrräder. Die großen Einkaufszentren hatten längst fast jede dörfliche Handelsinfrastruktur zerstört. Wir lernten die Dörfer aus dem Blickwinkel der alten Menschen kennen, welche auf den Einkauf in der unmittelbaren Umgebung angewiesen waren. Meist waren die Kinder den Arbeitsplätzen in die Städte gefolgt. Die Alten blieben trotzdem.
Dieses Wochenende hatten wir Isabella Talik, unseren Trendscout aus New York, ihren Freund Levis und Shaona Magu auf unser Boot eingeladen. Isabella hatte ich auf einer Schuhmesse kennen gelernt. Sie war sehr intensiv mit einem Designer in eine Diskussion verstrickt gewesen. Ihre Argumente und ihre offene Art hatten mir so gut gefallen, dass ich sie spontan für die offene Stelle in New York engagierte. Ich hatte bereits zahlreiche Bewerbungsgespräche hinter mir, meist mit jener Art affektierter Geschöpfe, die meinen, Geschmack hat derjenige, der besonders viele sinnentleerte Worte benutzten kann. Gerade für das verrückte Pflaster New York, da brauchte ich jemand mit Bodenhaftung und genau so konnte man Isabella beschreiben. Ich half Brigitte beim Beziehen der Betten und ertappte mich mal wieder dabei, wie ich heimlich darüber haderte, dass wir Fuhrleute meist ohne Reinigungspersonal auskommen mussten. Das Telefon schellte. Brigitte reagierte schneller als ich, mit dem Ergebnis, dass ich bei der unliebsamen Arbeit nun auch noch alleine blieb.
Pünktlich nachdem ich alle Betten fertig bezogen hatte, kam sie zurück und strahlte über beide Wangen. „Max war das. Er scheint gut mit seiner Diplomarbeit voranzukommen. Er hat sich wieder frisch angehört. Und Grüße von Maya. Die hat ihn wohl in letzter Zeit häufiger besucht. Schön, dass sich die Kinder so gut verstehen.
“ Ich hatte wahrgenommen, dass das Muttertier, welches meine Frau nun mal war, sich in letzter Zeit um Max Sorgen gemacht hatte. Ich fand es damals ganz normal, dass er ein etwas ausschweifendes Studentenleben hatte und keine Zeit uns anzurufen. Erst Jahre später erfuhr ich, wie schlimm es damals um Max stand.
Die Gäste kamen überpünktlich. Von Anfang an schienen sich alle bestens zu verstehen. Beim Abendessen sprachen wir dann zwangsläufig über die Arbeit. Isabella hatte mit Shaona schon beruflich mehrere Male telefoniert. Sie war gespannt, jemanden aus der Semantikredaktion kennen zu lernen.
„Herr Frederichs“ begann sie, als wir alle in der Messe unseres Kohlefrachters in gemütlicher Runde saßen. „Also, wenn ihr einverstanden seid, duzen wir uns, ich heiße Ole“. „O. k. , also Ole, habt ihr noch immer so viele Probleme mit der Schuhfetisch Community?“
„Ich finde, Marga macht ihren Job sehr gut. “ Nun Freizeit hin oder her, aber wenn man auch mit seinem Job verheiratet ist, trennt man nicht so genau. Also holte ich aus: “Inzwischen hat die Schuhcommunity über 100 neue Beiträge am Tag, da muss man schon sehr aufpassen, dass einem nicht der ein oder andere Beitrag durchgeht. Schließlich gibt es immer Exhibitionisten, welche die Foren für ihre Zwecke missbrauchen wollen. In den offiziellen Fetischforen können sie halt keinen mehr schockieren. Außerdem sind die erst ab 16 Jahren freigeschaltet. Es ist ein Seiltanz, welche Beiträge schockieren und welche nicht. Aber schließlich heben wir uns immer noch deutlich in der Qualität unserer Communities von den nicht eingebundenen Suchmaschinen ab.
Mal was anderes, Isabella, wir liegen jetzt bei fast 3000 Schuhherstellerseiten weltweit. Ich finde unsere Trendscouts müssen sich noch wesentlich besser absprechen, welche Hersteller wir aufnehmen. Shuelook hat jetzt zum zweiten Mal Schuhe im italienischen Stil in sein Programm mit aufgenommen. “
„Was soll ich denn tun, wir können die Hersteller nicht zu sehr gängeln, sonst kommen die noch auf die Idee und machen Suchmaschinenmarketing. “
„Also, wir sind bei über 50% Marktanteil weit entfernt davon, dass uns die Hersteller zu den Suchmaschinen abspringen. Sicher, seit dem wir immer intensiver die Qualität der Shopergebnisse und die Communitybewertungen in die Reihenfolge der angezeigten Produkte mit einbeziehen, sind die Umsätze erheblich angestiegen. Hersteller mit guten Sites müssen für ihren Einsatz belohnt werden. Aber unsere Suchempfehlungen müssen sich vom breiten Massenmarkt unterscheiden. Bei Anfragen nach italienischen Schuhen, welche auf einer amerikanischen Herstellerseite landen, fühlt sich der User in die Irre geführt. Das verstößt gegen Regel 1 zur Kategorienbildung!“
Brigitte mischte sich ein:“ Das darf nicht passieren. Sonst verlieren wir einen wesentlichen Vorteil gegenüber den freien Suchmaschinen. Wir wissen außerdem nicht, wann Brüssel aktiv wird und eine Expansion in andere EU – Länder nur zulässt, wenn das FINDERS – Konsortium den TFax – Standard auch für andere Anbieter öffnet. “
Isabellas Gesicht war leicht gerötet. Levis drückte beruhigend ihren Arm. Beruflich war sie sehr ehrgeizig und fand die Kritik ungerecht. „Brigitte, du weißt, das Problem kann am besten der Semantikmanager lösen. Warum hat denn das FINDERS – Konsortium den Kategorienfilter entwickelt? Damit „Schuhe Italien“ genau wie „italienische Schuhe“ zu den betreffenden Herstellern verlinkt werden. Was kann Shuelook dafür, wenn Sucheingaben wie „italienische Art“ oder „italienischer Stil“ zu Shuelook führen?“ Shaona mischte sich ein: „Also, uns ist es strikt verboten, auf Einzelbedürfnisse von der Händlerseite einzugehen. Wenn ich solch eine Beeinflussung vornehmen würde, würde ich sofort meinen Job verlieren. Suchergebnisse hinter den Kategorien bekommen wir nie zu sehen. Für uns gilt nur die Regel 1, wie Ole schon sagte !“
Ich konnte nicht zulassen, dass Brigitte meine Prügel abbekam. „Isabella, mach mal halblang. Du weißt genau, dass ich den Semantikmanagern keine Anweisungen geben darf. Das finde ich auch gut so. Schließlich orientieren sich die Semantikmanager alleine an der eindeutigen Unterscheidung von Kategorien aus Kundensicht. Die Semantikmanager führen Schuhe zum Schuhgeschäft, basta. Damit ist sichergestellt, dass nicht wie bei den Suchmaschinen die Schuhsuche beim Parfüm landet, nur weil so eine Werbetussi herausgefunden hat, dass Frauen, die italienische Schuhe kaufen, auch Parfüm mögen. Ein Vergleich mit den Suchmaschinen ist doch Unsinn, schließlich sind wir vorgeschaltet und übergeben die Ergebnisse ja auch –wenn sinnvoll an Spezialsuchmaschinen. “
Plötzlich fielen Brigitte, Shaona und Isabella gemeinsam über mich her.
„Was sollen solche Chauvi Sprüche, Werbetussi, ha?“ Alle lachten und die Stimmung war gerettet.