Sicherlich hatte ein kalter Februar am Müritzsee seinen Charme. Das klare helle Licht fiel durch die kahlen Bäume auf das alleinstehende kleine Häuschen. Auf Stelzen gebaut ragte es mit einer großen Terrasse in den See hinaus. Rechts schloss sich ein kleiner Bootsschuppen an. Bis vor 10 Jahren hatte hier eine Holzjolle mit kleiner Kajüte ihre Heimat.
Als er 75 wurde, hatte Talik aus Vernunftsgründen die Jolle gegen ein stabiles kleines Angelboot mit Außenborder getauscht. Vernunftsgründe bestimmten ab einem gewissen Alter fast alle Entscheidungen, obwohl man eigentlich denken sollte, dass die fehlende Verantwortung für andere einen von Verantwortung befreite. Aber kümmerte man sich nur um sich selbst, so füllte dies das ganze Maß an Kraft aus, welche man noch aufzubringen in der Lage war. Nicht, dass Talik sich beklagen wollte. Bis auf das leichte Hinken des rechten Beines – mit 50 war ihm beim Farbwechsel eine Walze auf den Fuß gefallen – war er körperlich fit. Dies verdankte er seiner Morgengymnastik genauso wie der Lebensweise eines Einsiedlers, in der es auch heute noch auf seine Fähigkeit für sich zu sorgen ankam. Auch wenn er nach einem Leben angefüllt vom lauten Saugen der Papiereinfuhr, vom Dröhnen der Elektromotoren und dem lauten Klacken, wenn Druckzylinder und Gegendruckzylinder das Papier von den Saugnäpfen in ihren Passer übernahmen die Ruhe seines Hauses schätzte, so betrachtete er doch jeden Menschen weniger in seiner Umgebung als herben Schicksalsschlag, der in seinem Alter durch niemand mehr ausgefüllt werden konnte. Sommer 2003 war seine Tochter Isabella – 30 Jahre alt – nach New York gezogen, um hier Trendscout für den Kategorienmanager „Schuhe“ zu werden. Immerhin hatte er bis ins hohe Alter eine Tochter, die mindestens einmal im Monat – im Sommer meist mit einer vergnügten Gruppe von Freunden – seine Frau und ihn überfiel und die Abwechslung zu Rostock genoss.
Talik war sich sicher, Isabella hätte den Job in New York nicht angenommen, wenn sie gewusst hätte, dass Barbara, ihre Mutter und seine geliebte Frau 3 Monate später sterben würde.
Nur mit Mühe konnte Talik sie davon abhalten, ihren Job hinzuschmeißen und zu ihm zu kommen. Talik hätte nie gedacht, wie wichtig einmal ein Fax mit Achtcard für sein Leben sein würde. 2002 hatte er dem modernen Schnick Schnack nicht getraut. Briefe abschaffen und alles per Fax, was sollte das bringen. Nicht einmal einen Briefträger würde man noch zu Gesicht bekommen. Auch war seine Makulopathie inzwischen soweit fortgeschritten, dass Talik nur noch 20 Punkt Schrift lesen konnte und das auch nur unter dem Lesegerät. 2002 hatte er sich für das 1 Euro teure Pflichtmodell entschieden, ein Schwarz – Weiß – Fax mit normal großer 10er Wähltastatur. Nur der Breitcardleseschlitz wies auf die Achtcard Kompatibilität hin. Talik las nie die Bedienungsanleitung, sondern steckte einmal am Tag etwa um die Zeit, zu der früher der Briefträger gekommen war, seine Achtcard in das Fax und das Fax begann zu drucken oder auch nicht.
Manchmal druckte es nur einmal in der Woche ein R – Fax aus. Sein Fax war standardmäßig so eingestellt, dass es nur auf R – Faxe reagierte. Um normale Faxe zu erhalten, hätte er die Einstellung ändern müssen. Aber er wollte keine Werbung. Dies war eindeutig ein Vorteil. Niemand traute sich, ihm unbestellte Werbungen über R – Fax zu schicken.
Ein R – Fax setzte voraus, dass der Sender sich selbst über den Schlüsselchip auf seiner Karte identifizierte. Jeder Rechtsanwalt konnte rechtssicher eine Abmahnung mit Kostennote an einen entsprechenden Spammer schicken. Zusätzlich wurde der Versender in eine Spammnegativliste eingetragen. Unbestellte Werbung über R – Fax, das war wirtschaftlicher Selbstmord. Niemand machte das.
Zum Weihnachtsfest 2003 war Isabella aus New York herüber geflogen und hatte sich in Rostock extra einen Kombi gemietet, um den großen Karton zu transportieren.
Talik hatte sich riesig gefreut, dass Isabella kam und sogar einen Christbaum aufgetrieben, selbst geschmückt und vom 3 Sterne Koch aus Waren ein Weihnachtsessen kommen lassen. Als Isabella den Karton auspackte, war Talik erst enttäuscht. Isabella hatte ihm eines des ersten Senioren gerechten Achtcardfaxe mitgebracht. Sie hatte sich bei ihrem Chef Frederichs mächtig ins Zeug gelegt, dass der seine guten Konnektions zum FINDERS – Konsortium nutzte, um das Gerät an der bis Auslieferungsbeginn zum Weihnachtsgeschäft schon langen Warteliste vorbei zubekommen.
Es wäre falsch, Talik als technikfeindlich zu bezeichnen, er war immer stolz darauf, mit den Jungen mithalten zu können. Den ständigen Neuerungen der Digitalisierung stand er jedoch kritisch gegenüber. Er hatte beim letzten Wechsel seines Handys schmerzhaft feststellen müssen, wie lange er brauchte, um mit den noch kleineren Tasten des neuen Handys zurechtzukommen. Die Bedienungsanleitung hätte er sicher früher gelesen. Aber mit noch 5% Sehkraft. Auf einem Lesegerät 100 Seiten zu lesen, das kam für ihn einer Lebensaufgabe gleich. Und jetzt kam ausgerechnet seine Tochter mit einem so neumodischen Schnick Schnack. Aus dem Beruf als Drucker war er mit 60 ausgeschieden. Die Entwicklung vom Buchdruck um Offsetdruck hatte er problemlos bewältigt. Schließlich hatte schon der alte Heidelberger Tiegel mit Saug – und Blasluft gearbeitet. Mit der sich rasant verändernden Druckvorlagenherstellung hatte er nichts zu tun. Aber das permanente Schleppen der Papierstapel, das hatte ihn fertig gemacht. In seiner Freizeit hatte er sich sogar hingesetzt, um ein einfaches Gerät zu entwerfen, wodurch 50% der körperlichen Arbeit weggefallen wäre. Das einseitig bedruckte Papier musste nach jedem Druck manuell gewendet werden und erneut in die Maschine eingestapelt werden. Der von ihm entwickelte Stapelwender war ein Sackkarren ähnliches Gerät, mit welchem man das Papier aus der Druckmaschine herausfahren, wenden und an der anderen Seite wieder hereinfahren konnte -ohne körperliche Anstrengung.
Er erhielt sogar ein Gebrauchsmuster und sprach mit einem Fabrikanten von Gabelstaplern. „Wie oft haben Sie das Gerät schon verkauft“ fragte der routinierte Kaufmann.
„Aber ich brauche doch erst einmal einen Prototyp. Sehen Sie hier, es ist alles genau aufgezeichnet und errechnet“.
„Kommen Sie wieder, wenn Sie Kunden haben. Bei einer entsprechenden Stückzahl ist die Produktion kein Problem. “
Isabella war nicht beleidigt, als Talik „Neumodischer Schnickschnack“ vor sich hinmurmelte. Sie kannte ihren Vater gut. Sie redete nicht mehr über das Achtcardfax und sie genossen beide einen langen Abend in dem Talik nicht genug davon bekam, Einzelheiten aus ihrem neuen Leben in New York zu erfahren. Über Taliks Leben gab es nicht viel Neues zu berichten. Talik hatte eine Hilfe, die zweimal in der Woche saubermachte. Isabella hatte am Mittag darauf bestanden, die Dinge zu tun, welche eine Hilfe nun mal nicht machte, Spinnweben unterm Bett entfernen, Taliks Kleidung auf Flecken und Löcher zu untersuchen, etc. . Dabei hatte sie festgestellt, dass seine Schuhe alle kaputt waren. Am Abend saßen sie gemütlich bei Kerzenlicht zusammensaßen und beobachteten die grünen und roten Positionslichter, der auf dem dunklen Wasser vorbeiziehenden Sportboote.
„Paps, hast Du Dir mal Deine Schuhe angesehen?“
„Was ist damit? Ich habe vor kurzem noch nachgesehen. Die haben keine Löcher. “
„Weißt Du noch, wie Du an meiner Schülerzeitung rumgemeckert hast, schlechter Druck, nicht in der Mitte geheftet und so“
„Ja Isabella, ich wusste gar nicht, dass Du mir das übel genommen hast. Du weißt doch, ich habe meinen Beruf sehr ernst genommen. Ich wollte Dir doch nur was beibringen. “
„Ja schau, jetzt nehme ich meinen Beruf genauso ernst. Ich bin dafür zuständig, in den USA neuste Trend von Schuhmoden herauszufinden und besonders kleine innovative Hersteller für das FINDERS -Netzwerk zu gewinnen. Was meinst Du, wenn ich mal mit Freunden komme und Du hast nur diese alten Treter. Dann halten mich doch alle für eine Stieftochter. “
„Stieftochter, so, so, das gibt´s jetzt auch schon,“ Talik lachte, Isabella hatte gewonnen.
Nachts schlich sich Isabella heimlich aus dem Bett und tauschte das alte Fax geben das neue Achtcardfax aus. Das Fax selbst war wenig auffällig, aber er konnte auch farbige Faxe empfangen und hatte einen unsichtbaren Rechner mit einer OCR Software für den T- Fax Standard integriert. Isabella musste nur den 22’’ Flachbildmonitor auf das Gerät aufstecken und das Achtcardfax an Strom und Telefonleitung anschließen.
Dann ging sie wieder ins Bett.
Nach der langen Nacht frühstückten sie spät. Talik holte seine Achtcard aus seinem Geldbeutel „ich muss gerade mal sehen, ob Post gekommen ist“ und ging ins Nebenzimmer. „Neumodischer Schnickschnack“ maulte er leise und erschreckte sich, alser Isabella hinter sich bemerkte. „Na da hast du mir ja was Schönes geschenkt, das war doch bestimmt auch noch fürchterlich teuer. Du solltest Dein Geld zusammenhalten Kind. “
Er fand den Schlitz für die Achtcard und steckte die Karte mit der Seite, auf der das kleine Schlüsselsymbol abgedruckt war in den Schlitz. Die richtige Seite zu finden, war für ihn kein Problem, da außer dem kleinen Schlüsselsymbol in Brailleschrift eine Markierung für Blinde auf die Karte aufgebracht war. Zwei R – Faxe kamen wie gewohnt aus dem Schlitz. Der 22’’ Bildschirm war dabei hell geworden und zeigte über den gesamten Bildschirm 10 beschriftete Buttons und eine Tastatur. Die Beschriftung war so groß, dass Talik sie problemlos lesen konnte. Nachdem die beiden R – Faxe ausgedruckt waren, gab das Fax einen Talik unbekannten Ton von sich. Anstelle weiterer Ausdrucke erschienen auf dem Monitor 6 Bilder von Schuhen so groß, dass er ein Paar Schuhe erkennen konnte, die bequem zu sein schienen .
Schick interessierte ihn nicht. Schließlich lief er die meiste Zeit mit einem alten Druckerkittel herum. Dazu passten nur bequeme Schuhe.
Talik zeigte auf diese Schuhe und berührte aus versehen den Monitor. Sofort begann das Fax eine Telefonnummer zu wählen. Wenig später hielt Talik einen Ausdruck in Händen mit einem großen Farbbild der ausgewählten Schuhe, einer ausführlichen Beschreibung und einem bezahlbaren Preis. Darunter stand der Satz:
Sehr geehrter Herr Talik, wir würden uns freuen, Sie als Kunden gewinnen zu können. Die Schuhe sind in ihrer Größe 43 innerhalb von 7 Werktagen an Ihre Adresse lieferbar.
Der Bildschirm zeigte jetzt 3 Buttons an: Zurück, Weitere, Bestellen. Talik war baff. Natürlich wusste er, was ein Touchscreen ist, aber dass das so einfach geht und er mit seiner Makulopathie das noch selbst machen konnte. „Toll“. Isabella grinste. „Möchtest du die haben?“. Talik nickte. „Na dann bestell sie“.
Nun wollte Talik sich aber nicht mehr blamieren. Er drückte auf den Button bestellen. Die allgemeinen Geschäftsbedingungen wurden ausgedruckt. Immerhin war die Schriftgröße so, dass er, wenn er wollte diese mit seinem Lesegerät nach einigen Stunden gelesen hätte. Auf dem Bildschirm erschien nun, bitte stecken Sie Ihre Geldkarte ein. Talik nahm die Achtcard aus dem Schlitz und drehte sie so, dass das Geldsymbol zum Schlitz zeigte. Prompt wurde die Rechnung mit der Zahlungsbestätigung ausgedruckt.
Talik war nicht dumm, er wusste, wenn das so einfach war, musste hier eine ungeheure Entwicklung dahinter stecken. Die ersten Offsetdruckmaschinen zogen oft zwei Blätter auf einmal ein. Er freute sich immer, wie er jüngere Kollegen überraschen konnte, wenn er plötzlich losrannte und die Schnelloffsetmaschine stoppte. Einige Sekunden später und er hätte die Maschine waschen müssen, weil das zweite Blatt sich in den Walzen aufgelöst hätte. Später gab es dann die Doppelblattkontrolle und der Einzug von zwei Blättern auf einmal wurde immer seltener. Die Jungen nahmen es als selbstverständlich hin, dass alles lief, er wusste wie viel Arbeit in einer einfachen Anwendung steckte. Und richtig, er waren erhebliche Widerstände zu überwinden gewesen, bis das FINDERS – Konsortium diese Technologie auf den Markt bringen konnte. Hätte manmich, Frederichs als Kategorienmanager gefragt, so hätte ich geantwortet: “Also ich bin wirklich kein Technikspezialist, das besondere an dem R – Fax ist, dass es Internet und ISDN oder DSL nur nutzt, wenn der Empfänger mit einem Computer arbeitet. Sonst reicht ein Achtcard fähiges Fax und eine Telefonleitung, um zu den analogen Faxtönen zusätzliche Signale zu übertragen. “ Zum TFax – Standard hatte es zum Oktoberfest in München ein feuchtfröhliches Treffen vieler Kategorienmanager gegeben. Deshalb hätte ich hierzu auch Auskunft geben können: „Der TFax – Standard wurde speziell für Achtcardgeräte entwickelt. Die Faxe werden vor dem Ausdruck in einem digitalen Speicher abgelegt. Im eingescannten Fax werden bis zu 6 Telefonnummern mit dazugehörigen Bildern erkannt und einzeln abgespeichert. Die Bilder werden auf dem Touchscreen angezeigt und über die hinterlegten Telefonnummern beim Anklicken weitere Informationen abgerufen“. Damit war allerdings noch nicht erklärt, wieso auf dem R – Fax direkt Schuhe und dann auch noch in der Schuhgröße von Talik angezeigt wurden.
Isabella hatte heimlich nachts noch ihren Freund Levis in New York angerufen. Obwohl es in den USA noch keine Achtcardgeräte zu kaufen gab, hatte Isabella mit dem Benutzernamen und Passwort ihres Vaters über das Internet unter www. finders. de ein grundsätzliches Profil mit Angaben über Alter, Sehkraft, etc. einrichten können. Diese Daten wurden auf einem Shoppingserver abgespeichert. Ihr Freund hinterlegte in der Kategorie Schuhe „Größe 43, bequeme Winterschuhe“. Dann suchte er mit dem Passwort von Talik Schuhe. Die Ergebnisse schickte er über sein Achtcardmultifunktionsgerät als R – Fax zu Talik. Das Weichnachtsfest ging viel zu schnell vorbei. Am zweiten Weihnachtsfeiertag saßen beide wehmütig beieinander. Isabella würde nach dem Frühstück aufbrechen. Am Abend ging ihr Flieger zurück nach New York. „Paps, noch was. “ „Salamitaktik, was den noch?“ „Ich mach mir Sorgen, dass du in deinem Alter hier ganz alleine sitzt und was passiert. “ Willst du, dass ich ins Altersheim gehe?“
„Quatsch, aber bitte stecke die Achtcard nicht mehr in deinen Geldbeutel, sondern lass sie mit dem Arztzeichen im Fax, wenn du zuhause bist.
„Was soll das bringen?“ „Seit diesem Jahr ist der Gesundheitsserver eingerichtet. Deinen Krankenkartenchip benutzt Du ja jetzt schon beim Arzt und im Krankenhaus. Das neue Fax ist mit WLAN, also mit einem Funksender ausgestattet. Dafür gibt es noch die neue Uhr. “
Damit nahm sie ein weiteres Geschenk aus ihrer Reisetasche. Sie hatte es Talik am Heiligabend nicht gegeben, weil das nun wirklich zu viel auf einmal gewesen wäre. „Hm, eine Uhr, meine alte geht noch. Die habe ich weggelegt, weil ich das Ziffernblatt nicht mehr erkennen kann. “
„Eine Uhr ist es auch, aber vor allem ist es ein Pulsmesser. Wenn dein Puls aussetzt, wird automatisch ein Fax mit Deinen Krankendaten ans Krankenhaus geschickt, dafür muss immer, wenn Du nicht gerade was anderes am Fax machst, die Seite mit dem Arztsymbol eingesteckt sein. “
- Die Patentanmeldung zum Steuergerät für Ein- und Ausgabesysteme finden Sie in http://www.dpma.de unter der Anmeldenummer DE 100 10 504 A1.