Langeweile -irgendwo in Kalifornien – einige Wochen später, Kapitel 47, Teil II

In einem Mietwagen fuhr Frank Miller auf einer endlos geraden Straße. Er hatte einen südländischen Teint. Zu dem makellos sitzenden weißen Anzug trug er einen weißen Hut. Ein rosa Einstecktuch schmückte seine Brusttasche.

Nur durch einen Meilenstein gekennzeichnet, bog eine kleine Straße rechts ab. Miller fuhr diesen Weg nicht zum ersten Mal. Er war sich jedoch sicher, dass es das letzte Mal sein würde.
Er hatte sich im französischsprachigen Bereich Kanadas in der Nähe von Québec ein Domizil für seinen Lebensabend eingerichtet.

In der Ferne tauchte eine Farm auf. Das Tor war ungewöhnlich gut gesichert und mit Kameras ausgestattet.
Nachdem er seinen Kopf aus dem Fenster gestreckt hatte, öffnete sich das Tor automatisch mit lautem Quietschen.
Er durchfuhr eine große Parkanlage. In den letzten Jahren hatte man der Natur freien Lauf gelassen. Aus dem ursprünglich aufwändig angelegten Park war eine interessante Mischung aus Wildwuchs und Gestaltung mit Springbrunnen, Steingärten und Skulpturen entstanden.
Er hielt vor dem großen Haus.
Die Haustür öffnete sich automatisch. Im Inneren erwartete ihn alles, was Ende der 90er Jahre für viel Geld zu haben war. Die Wände schmückten Plasmabildschirme mit wechselnden Bildmotiven. Das Licht ging automatisch an, sobald er einen Raum betrat.
Ein automatischer Staubsauger sauste wie ein Ufo über den Boden. Ein Fremder hätte sich in den verschiedenen Zimmern verlaufen. Miller war kein Fremder mehr. Zu oft war er in den letzten Jahren an diesem Ort gewesen, um das weitere Vorgehen abzustimmen.
Miller betrat ein mindestens 300 qm großes Wohnzimmer.
Das Zimmer wurde von einer gigantischen Sitzlandschaft dominiert und gab den Blick zu einem großen Pool frei.
Als einziger saß in einer Ecke ein langhaariger Hippie.
Außenstehende hätten ihn für einen Einbrecher gehalten. Er hatte ein äußerst ungepflegtes Äußeres. Seine Haltung und die ihn umgebenden Flaschen ließen keinen Zweifel daran, dass er heftig dem Alkohol zugesprochen hatte.
Miller zeigte sich hierdurch in keiner Weise beeindruckt, obwohl ihm diese Szene neu war.
„Tolles Outfit. Perücke?“, fragte Miller, wie von ihm erwartet.
„Nee, angeschweißt. Für so einen Retrolook muss man schon was tun“, gab das Gegenüber mit echten glasigen Augen zurück.
„Ich bin gekommen, um unser Vorhaben abzuschließen“, kam Miller zur Sache. Er wollte seinen Aufenthalt so kurz wie möglich halten.
Vorhaben, das war der offizielle Sprachgebrauch zwischen ihnen gewesen. Beide wussten, dass dieser Begriff in keiner Weise der historischen Tragweite des Geschehenen gerecht wurde.
„Da liegt der Koffer mit dem restlichen Geld“, lallte der Hippie. Nichts deutete darauf hin, dass er einmal einer der einflussreichsten Männer der Computerbranche gewesen war.
Miller nahm den Koffer und wandte sich zum Gehen. Ein Abschiedsgruß wurde von ihm nicht erwartet.
Doch dann blieb er stehen: „Eine Frage hätte ich noch?“
„Was ne?.“
„Warum haben Sie das Vorhaben gestartet? Wenn ich das richtig sehe, haben Sie doch einige Millionen verloren, obwohl wir alle Medikamente verkauft haben.“
„Geld, Geld interessiert mich schon lange nicht mehr. Ich sitze hier und habe alles – und habe nichts.“
Sein Arm wischte einen Bogen über sein ganzes Besitztum.
Nach einer langen Pause sagte er: „Ich habe es getan, weil ich es kann.“ Er trank einen kräftigen Schluck aus seinem Whiskyglas.
„Mir ist so langweilig. Haben Sie keine Idee für ein noch größeres Vorhaben? Irgendetwas mit einer wirklich bleibenden Wirkung?“
Miller ging wortlos. Er wollte nur noch weg.
Draußen schüttelte er den Kopf.
Was für eine Welt.

Krisenstab der US-Regierung im Luftraum der USA – am gleichen Tag, 16.00 Uhr, Kapitel 46, Teil II

Airforce Number One hatte gerade abgehoben.
Randle flog zum ersten Mal in der Präsidentenmaschine. Unter anderen Umständen wäre er sehr stolz gewesen. Doch jetzt hätte er viel dafür gegeben, wenn er nicht Berater des US-Krisenstabs geworden wäre.

„Sie wollen mir also sagen, ich sitze hier und lasse alle Regierungsgeschäfte liegen, weil wir keinen Notstand haben und keine Epidemie?“
„So einfach ist das nicht, Frau Präsidentin. Alle Voraussetzungen für einen Notstand sind gegeben. Die Kommunikation ist fast vollständig zusammengebrochen. Die Krankenhäuser sind überfüllt. Von den ersten Schießereien und Plünderungen wird berichtet. Das Außenministerium kann sich vor Hilfsanfragen anderer Länder nicht retten. Wir haben keinerlei Hinweise, wer hinter diesem Anschlag steckt!“
Der Innenminister war sichtlich ins Schwitzen gekommen.

„Was raten Sie mir?“ Die Präsidentin wendete sich an Fred.
Fred Swinsteen war als erfahrener Krisenpsychologe langjähriges Mitglied des Krisenstabes.
„Es spielt keine Rolle, ob es eine Epidemie gibt oder nicht. Wichtig ist, was in den Köpfen der Menschen vor sich geht. Die ersten Reaktionen zeigen eindeutig, dass massive Präsenz von Soldaten in den Großstädten zu weiteren Eskalationen führen würde. Wo Soldaten gesehen wurden, gingen die Menschen davon aus, dass sie erschossen werden und liefen weg. Als Folge beginnen viele, sich selbst zu bewaffnen.“
„Welcher Meinung ist das Militär?“
General Rensey antwortete entschieden: „Ich kann nur 30 % der Kräfte mobilisieren, welche uns normaler Weise in einem Notstand zur Verfügung stehen würden. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass es sich um eine Krise in über 100 Ländern handelt. Wenn die Chinesen, der Nahe Osten, die Inder – technische Analysen gehen davon aus, dass die Attacke in New Delhi begann – oder die Russen dahinter stecken, dann haben diese Länder die Möglichkeit, uns mit geringstem Widerstand zu übernehmen. Wir müssen unsere Truppen auf die Verteidigung der lebenserhaltenden Infrastruktur konzentrieren. Mehr können wir nicht leisten.“
„Na, die Herren scheinen sich ja ausnahmsweise einig zu sein.“

Um 18.00 Uhr hielt die Präsidentin eine Fernsehansprache an die Nation. Sie rief nicht den Notstand aus. Andererseits widersprach sie mit keinem Wort der Nachricht, dass ein Notstand wegen Vogelgrippe ausgerufen worden sei.
Jeder einzelne Satz der Rede war von der juristischen Regierungsabteilung mehrfach überarbeitet worden.

Nur Gebäude, welche für den Erhalt der Infrastruktur unbedingt nötig waren, wie Kraftwerke, Wasserwerke, militärische Anlagen und Verwaltungsgebäude wurden durch Militär und Polizei gesichert.

Die Krisenanalyse – Pentagon – zur gleichen Zeit, Kapitel 45, Teil II

Tony Randle hatte es im Blut, an diesem Tag lief etwas schief.
Es hatte schon morgens begonnen, als er die teure Weinflasche – reserviert für den heutigen Abend mit Sarah – aus Versehen vom Tisch gestoßen hatte.
Natürlich ärgerte ihn der Verlust der teuren Flasche. Er hatte eigentlich auch keine Zeit, die Schweinerei wegzumachen. Der Wein war auf den Teppichboden und unter die Schränke gelaufen.
Das bringt es voll, dachte er, Sarah das erste Mal bei mir zu Hause und bei mir stinkt es wie in einer Kneipe.
Obwohl er nur das Nötigste beseitigt hatte und aus Verzweiflung anschließend die ganze Wohnung mit seinem Deo einsprayte, kam er hoffnungslos zu spät zur Arbeit.

Überrascht sahen ihn seine Mitarbeiter an. Sie waren es einfach nicht gewöhnt, dass ihr Chef zu spät kam.
Noch immer gestresst, setze sich Randle an seinen Arbeitsplatz.
Irgend etwas störte ihn. Schon oft war es sein untrügerischer Instinkt gewesen, der ihn eindeutig von seinen Mitarbeitern abhob.
Er checkte seine E-Mails – nichts. Er sah sich den vom Chef vom Dienst ausgestellten Nachtbericht durch – keine Besonderheiten.
Er versuchte sich zu entspannen und lehnte sich zurück.
Sein Büro erreichte man über einige Stufen aus dem großen Analyseraum für Terrorbekämpfung. Er konnte von seinem Schreibtisch aus alle 50 Arbeitsplätze sehen.
Jeder Mitarbeiter dieser Abteilung sprach mehrere Sprachen und war für die Terroranalyse von bis zu 10 Ländern zuständig.
Jeder Arbeitsplatz hatte 2 Bildschirme. Auf dem rechten wurden im regelmäßigen Wechsel neu indizierte Internetseiten mit auffälligem Kriminalitätsrank angezeigt.
Der zweite Bildschirm zeigte die aktuell vom Mitarbeiter bearbeiteten Informationen an.
Nun wusste Randle, was ihn störte. Die Frequenz des Wechsels der neu indizierten Seiten war an verschiedenen Arbeitsplätzen unterschiedlich.
Eine Verlangsamung des Wechsels war eigentlich technisch nicht möglich. Die Frequenz war auf das menschliche Auffassungsvermögen ausgerichtet und sollte zusätzlich zu den vom Rechner vorgeschlagenen Prioritäten einen Gesamteindruck der Lage vermitteln.
Der einzige Grund, warum sich die Anzeigefrequenz verringern konnte war,..
Doch das war unmöglich. Das hieße ja, es kämen weniger Dokumente rein, als angezeigt werden konnten.
Ehe er sich intensiver mit dem Problem beschäftigen konnte, kam ein wild mit einem Zettel gestikulierender Mitarbeiter auf sein Büro zu.
Der Frischling hatte gerade erst bei der Terrorismusbekämpfung angefangen.
Randle hatte seinen Namen nicht behalten.
Ohne zu klopfen, stürmte er in Randles Büro: „Vogelgrippe, 100 % Sterblichkeit.“
„Na, Na.“ Randle war sauer: „Haben Sie in Ihrer Ausbildung nichts gelernt. Es gibt keinen Krisenfall, der eine solche Aufregung rechtfertigt. Bitte werden sie wieder ruhig, konzentrieren Sie sich und überlegen genau, was Sie mir sagen wollen.“
Ehe der Frischling antworten konnte, klingelte das Telefon. „Randle“ und gleich darauf mit deutlich veränderter Stimme „Ja, Herr Direktor, wir sind informiert“. Herrisch riss er dem Frischling den Zettel aus der Hand.
„Nein, Herr Direktor, es liegen noch keine verifizierten Daten vor, wir arbeiten auf Hochtouren.“
„Nein, Herr Direktor, ich sage doch, es gibt noch keine persönliche Bestätigung von einem unserer Informanten, dass die Vogelgrippe ausgebrochen ist.“
„Sie hatten bereits einen Anruf aus London? Dann handelt es sich also um ein internationales Problem?“
„Bitte haben Sie Verständnis, ich habe einfach zu wenige Informationen, um Ihnen sagen zu können, wann eine halbwegs brauchbare Analyse möglich ist.“
Der Direktor hatte kein Verständnis. Er musste ohne Hintergrundinformationen entscheiden, ob er die Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika belästigen sollte oder nicht.

Randle checkte kurz seine E-Mails. Ja, er hatte auch eine bekommen. Er sprang auf und rannte ins Großraumbüro.
„Alle lassen alles liegen und hören mir zu! Wir stecken anscheinend in der immer befürchteten großen Virenattacke. Man erwartet von uns, so schnell wie möglich Antworten.
Gibt es einen terroristischen Hintergrund? Es gibt erste Anzeichen für einen internationalen Anschlag. Womöglich schon in einer Stunde ruft die Präsidentin persönlich an, dann brauche ich Antworten. Noch Fragen?“
Mike Condor – für den Bereich Naher Osten zuständig – fragte: „Weiß man, ob das Virus über einen Trojaner eingeschleust wurde?“
„Ich rede von Vogelgrippe, passen Sie doch auf“, antwortete Randle absolut wütend auf sich selbst. So ein Anfängerfehler hätte ihm nicht unterlaufen dürfen. Schließlich war das erste, was ein Agent lernte, sich klar auszudrücken. Weitere Fehler durften sie sich einfach nicht leisten.

Randle ging zurück in sein Büro und versuchte ruhig zu werden. Wieder fiel sein Blick auf die Bildschirme seiner Mitarbeiter. An einigen Arbeitsplätzen wechselten die Seiten in der gewohnten Frequenz. Andere Monitore zeigten einen immer langsamer werdenden Wechsel. Manche wechselten gar nicht mehr.
Was bedeutete das? Nur zwei Mitarbeiter waren für den Bereich USA zuständig. Diese Bildschirme zeigten bereits seit mehreren Minuten keinen Wechsel mehr an.
Das konnte nur bedeuten, die Suchmaschinen im Bereich USA indizierten keine Seiten mehr, oder – er wusste nicht was schlimmer war – die einzelnen Seiten wurden von den Suchmaschinen nicht mehr erreicht.
Das Pentagon verfügte über ein redundantes eigenes Netzwerk. Die wesentlichen Backbones der Welt konnten mit Vorrang vor anderen Anfragen adressiert werden. Außerdem gab es ein eigenes Kommunikationsnetzwerk zu den militärischen Kommandostellen.

Randle rief die Gruppenleiter zu sich und teilte die Aufgaben auf:
„Tim, sehen Sie den unterschiedlich schnellen Wechsel der Arbeitsplatzbildschirme? Ich möchte wissen, warum die Frequenz unterschiedlich ist und ob es ein Muster gibt, welches die Unterschiede erklärt.“
Tim verstand erst nicht, sah aus dem Fenster von Randle alle Rechner im Überblick. Dann nickte er.
„Sven, Sie überprüfen, wer den Befehl zum Notstand gegeben hat. Nicht per E-Mail! Ich möchte, dass Sie möglichst persönlich mit dem Verteidigungsminister sprechen. Warum kommt eine solche Anweisung offen über das Internet und nicht über unser VPN.“
„Oliver, Sie analysieren, wie die Lage draußen ist. Wie viele Einlieferungen haben die Krankenhäuser? Wie ist die Sterblichkeit? Ist wirklich eine Übertragung über die Luft möglich?“
„Frank sie analysieren das regionale Ausmaß der Epidemie. Sind alle Regionen der USA betroffen? Welche weiteren Länder sind betroffen?“
Dann zu allen: „Um 13.00 Uhr wieder in meinem Büro und zwar mit umfassenden Ergebnissen.“
Es war bereits 11.30 Uhr. Er wusste, einen umfassenden Bericht würde er bis 13.00 Uhr nicht erwarten können.
Irgend etwas sagte ihm jedoch, dass die Präsidentin ihn nicht länger in Ruhe lassen würde.

Um 13.00 Uhr hatten alle ihr Bestes getan. Fest stand:
· Alle englischsprachigen Länder waren betroffen,
· die skandinavischen Länder, die Länder, in denen französisch und deutsch gesprochen wird, nicht.

„Das klingt nach einem Ausschalten der Konkurrenz durch FINDERS“, Tim war ohne anzuklopfen eingetreten.
„Sagen Sie so etwas auf keinen Fall laut. Was denken Sie, was eine solche Aussage an internationalen Verwicklungen auslösen würde? So was hat schon Kriege ausgelöst!“
· Der Befehl für den Notstand kam weder vom Direktor des Heimatschutzes, noch vom Innenminister. Das war schnell geklärt. Fast alle Mitarbeiter, welche im Internet mit E-Mail-Adresse eingetragen waren oder in einem öffentlichen Firmenverzeichnis, hatten die gleiche E-Mail erhalten.
· Die Lageberichte aus den einzelnen Städten in den USA glichen sich. Das Chaos war auf den Straßen ausgebrochen. Zahlreiche Unfälle hatten ein Durchkommen auf den meisten Straßen unmöglich gemacht.
Die meisten Radiosender hatten sich kurz bei Kollegen rückversichert. Als diese die Meldung bestätigten und anschließend die Telefonleitungen zusammenbrachen, wurde in fast allen Radiosendern die E-Mail über den Ausnahmezustand vorgelesen.
· Die meisten Menschen hatten ihr Auto einfach mitten auf der Straße stehen gelassen und waren zu dem nächsten für sie erreichbaren Computer gerannt. Tatsächlich schien Human International als Einziger bestens informiert zu sein und an allen wichtigen Flughäfen mit speziell gesicherten Fahrzeugen Medikamente zu verkaufen. Zumindest von 5 Flughäfen lag eine Bestätigung vor, dass hier Medikamente verkauft wurden.
· Die Krankenhäuser meldeten alle extrem viele Neuzugänge.

„Oliver, haben Sie herausgefunden, wie viele an Vogelkrippe erkrankt sind?“
„Wollen Sie wirklich, dass ich gezielt nach Vogelgrippefällen frage? Dann bricht doch schnell eine Panik aus. So etwas ist Aufgabe der Weltgesundheitsorganisation.“
Dieser Oliver konnte einen zur Weißglut treiben mit seinen Vorschriften. Allerdings war Randle nicht lebensmüde, diese Entscheidung auf seine Kappe zu nehmen. Oliver würde im Zweifel mit seinem Vermerk über seinen Widerspruch Karriere machen und Randle könnte zukünftig in Alaska Parkbänke beaufsichtigen.
„Also gut, halten sie den Dienstweg ein. Klären Sie die Zuständigkeiten. Aber mit höchster Priorität!“
Inzwischen zeichnete sich eine Katastrophe globalen Ausmaßes ab. Über 50 Länder hatten schon das auswärtige Amt um Hilfe gebeten.
Es gab einfach kein einheitliches Bild. Er konnte unmöglich diese Ereignisse weitergeben. Immerhin würden auf Grundlage seiner Analyse weitreichende Entscheidungen gefällt.

Das Telefon klingelte: „Herr Randle, ich verbinde zur Präsidentin.“
Nicht einmal 2 Minuten später war die Präsidentin am Apparat: „Einen kurzen Lagebericht bitte.“
Randle fasste die Ereignisse kurz zusammen und argumentierte vorsichtig: „Ich kann noch keine endgültige Aussage treffen. Es ergibt sich ein absolut widersprüchliches Bild. Frau Präsidentin, ich kann noch nicht einmal sagen, wann wir den Überblick haben. Wir haben keinerlei Informationen über die üblichen Quellen wie Gesundheitsamt, Weltgesundheitsorganisation, Seuchenbekämpfung, etc. vorliegen. Nur jede Menge Anfragen zur Echtheit des E-Mails! Wenn Sie innerhalb kürzester Zeit zum Ausmaß der Vogelgrippe etwas wissen wollen, müssen wir mit den Krankenhäusern offen über eine Epidemie sprechen.“
„Und damit eine Panik auslösen?“
„Genau das ist das Risiko.“
„So weit ich derzeit die Lage einschätzen kann, ist diese Panik doch längst ausgebrochen.“
„Ja, aber wir bestätigen durch die Anfrage indirekt die Meldungen über den Ausbruch der Vogelgrippe.“
„Ich melde mich wieder.“

Randle fand, das Gespräch war gar nicht so schlecht gelaufen. Schließlich hatte er sich nach den Anweisungen der Katastrophenpläne verhalten.
Bei fast allen bekannten Katastrophen waren die Schäden an Menschen und Material durch Panikreaktionen weitaus größer, als durch die eigentliche Katastrophe.

Außerdem, keine Entscheidung war in diesem Fall für seine Karriere definitiv besser als eine falsche Entscheidung.

Der Auslöser – New Delhi – gleichzeitig, Kapitel 44, Teil II

In der verzweigten Altstadt von New Delhi gab es einen ganz besonderen Keller. Vor 50 Jahren hatte sich ein betuchter Inder in seinem Haus einen Atom-Schutzraum einrichten lassen.

Smith wurde das Objekt von den Erben des Inders über einen Makler angeboten. Während sich das Haus in einem absolut baufälligen Zustand befand, war der Schutzraum mit zwei Stromgeneratoren und Dieseltanks in ausreichender Größe, um die Generatoren mehrere Monate betreiben zu können, für Smiths Zwecke perfekt geeignet. Besonders gut fand Smith, dass der Kellerraum sich nur wenige hundert Meter vom indischen Hauptinternetknotenpunkt entfernt befand und eine Direktanbindung möglich war.
2008 kaufte er das Haus.
Insgesamt fand er über 1000 Plätze in englischsprachigen Ländern, um entweder eigene Server aufstellen zu können, oder Serverplatz zu mieten, meist mit unmittelbarer Anbindung an einen Internetknotenpunkt.

Niemand störte sich an einer solchen Anzahl von Servern. Human International Ltd. galt als gemeinnütziges Projekt und stellte inzwischen über 500.000 Premiumnutzern (insbesondere Ärzten und Gesundheitsorganisationen) aus aller Welt umfangreiche Statistiken zu der weltweiten Entwicklung von Krankheiten zur Verfügung.
Im Gegenzug stellten die Premiumnutzer nicht selbst genutzte Rechenleistung auf ihren Rechnern Human International zur Verfügung. So konnte Human International Ltd. auf eine aus 500.000 zusammengestellten Einzelrechnern basierende ungeheure Rechenleistung zurückgreifen.
Dieses Verfahren war nicht neu. Er war bereits in den 90er Jahren z.B. von seti für die Suche von extraterrestrischem Leben eingesetzt worden.
Niemals hätte sich der medizinische Redakteur auf Dhunikolhu vorstellen können, welche Reaktion er durch den Abruf der Notstandsinformation auslöste.
Im Hauptrechner in New Delhi wartete ein im Mailserver eingerichteter kleiner digitaler Agent auf den ersten Abruf der Epidemiemeldung. Bei einer Gruppe von nur 200 Personen auf einer so kleinen Insel reichte ein Abruf aus, um alle zu informieren.

Dieser Abruf löste eine Vielzahl von Aktionen auf dem Hauptrechner aus:
· Innerhalb von Sekunden wurden alle Kommunikationsverbindungen zu Dhunikolhu gekappt.
· Ein spezielles Regionalisierungsprogramm wurde auf die weltweit verstreuten 1000 Server von Human International Ltd. geladen.
· Die vorhandenen Homepages wurden durch eine für den Ausnahmezustand vorbereitete Version automatisch ersetzt.
· Das auf den einzelnen Servern installierte Regionalisierungsprogramm analysierte jede eingehende IP-Adresse auf ihre Herkunft und stellte dem Anfragenden eine automatisch generierte Seite mit passenden Informationen zu Verfügung. In New York wurde ein Schreiben des Heimatschutzdirektor angezeigt, in London des Secret Intelligence Service. Die Vogelgrippe war hiernach jeweils in der der IP-Adresse zugeordneten Region ausgebrochen.
· In den 500.000 weltweit verstreuten Rechnern wurde automatisch das Statistikprogramm durch ein Spamprogramm ersetzt. Jeder Rechner informierte 500 zu seiner Region gehörige Regierungsstellen, Verwaltungen, Sicherheitskräfte, Krankenhäuser etc. mit gefälschtem Absender der jeweils zuständigen Terrorbekämpfungsstelle über den angeblichen Ausnahmezustand, wobei alle aus digitalen Telefonbüchern übernommene Adressen wie Fax, E-Mail, SMS oder MMS (mit einem vorbereiteten Warnbild) benutzt wurden.
· Gleichzeitig wurde ein weiterer Kommunikationsserver aktiviert, der alle relevanten Behörden-E-Mail-Adressen sogenannten Blacklists als Spammer meldete.
Diesen Blacklists konnte jeder mitteilen, wenn eine bestimmte IP-Adresse Spam versendete. Ob und wie schnell die Blacklist diese Information verarbeiteten, hing von einem hierarchisch aufgebauten Autorisierungssystem ab. Normale User hatten niedrigere kleinere Priorität als Firmen. Bei der offiziellen Internetorganisation eingetragene Provider wurden bevorzugt behandelt.
Die höchste Priorität hatte die Autorisierung des Militärs der Regierungen. Immerhin war das Internet ursprünglich als Kommunikationssystem für das Militär entwickelt worden.
Der Kommunikationsserver benutzte den offiziellen Schlüssel des Militärs der USA. Bei dieser höchsten Priorität überprüften die Blacklists nicht mehr auf Plausibilität.
Der aktivierte Kommunikationsserver gab mit seinem Schlüssel der höchsten Priorität den hundert wichtigsten Blacklists weltweit die Anweisung, E-Mails von Behörden IP-Adressen als unwichtigen Spam einzustufen.
Mit diesen Blacklists glichen sich automatisch weitere Tausende von Blacklists überall in der Welt automatisch ab.
Fast jede Behörden-E-Mail wurde von den hinter den Netzwerkknoten zentral eingebauten Blacklists gefiltert und erst einmal abgelegt, um zuerst E-Mails mit höherer Priorität zu bearbeiten.
So bekamen viele Behörden erst nach Tagen die Information, dass ihre E-Mail den Empfänger nicht erreicht hatten. Andere erhielten noch nicht einmal diese Fehlermeldung, da das Netz inzwischen weitgehend wegen Überlastung zusammengebrochen war.

Der Traumjob – Malediven am gleichen Tag, Kapitel 43, Teil II

Es war wirklich nicht zu verachten, hier zu leben.
Mary war immer reiselustig gewesen. Als sie über die Anzeige der Human International Ltd. stolperte, fühlte sie sich sofort angesprochen.
„Sie sind medizinisch vorgebildet und wollen als Redakteur im weltweit führenden Gesundheitsportal für Epidemien mitwirken?
Wir garantieren ihnen einen exklusiven Arbeitsplatz mitten im Urlaubsparadies der Malediven und ein überdurchschnittliches Gehalt.“

Es machte wirklich Spaß, hier zu arbeiten. Sie betreute Portale in 50 Ländern und war hauptsächlich damit beschäftigt, Nachrichten von freiwilligen Helfern aus aller Welt zu bearbeiten und diese dann auf das Wesentliche reduziert als eigene Nachricht zu veröffentlichen. Natürlich waren sie auch an alle englischsprachigen Nachrichtenagenturen angeschlossen. Oft jedoch waren in letzter Zeit die Informationen ihrer Informanten besser als die der Nachrichtenagenturen.
Das Arbeiten auf Dhunikolhu machte richtig Spaß. Irgendwie befanden sich alle in permanenter Urlaubsstimmung. Inzwischen hatte man aufgegeben, zu fragen, wie Human International sich finanzierte. Man erfüllte die Vorgabe, das meist besuchte Portal zum Thema Epidemien im englischsprachigen Raum zu werden und Geld schien immer genug da zu sein.

An diesem Morgen saß sie mit 8 anderen Mitarbeiter in dem nach allen Seiten offenen Frühstücksraum.
Gerade lachten alle über einen schlechten Witz.
Mary sah auf und traute ihren Augen nicht. Auf dem Meer kam ein mit einem Maschinengewehr bestücktes Schnellboot mit dem Logo von Human International hinter den Stelzenbungalows hervor.
Fast gleichzeitig kam ein junger Arzt, den sie noch nicht kannte, aufgeregt mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck angerannt.
„Wir stehen unter Quarantäne“, rief er schon von Weitem.
„Was ist?“ Die anderen hatten das Schnellboot nicht gesehen und lachten unbeschwert. Dann lasen Sie:

Liebe Mitarbeiter von Human International,

es wurde auf Dhunikolhu ein Affe mit einem gefährlichen Virus gefunden.
In Absprache mit der Weltgesundheitsorganisation und der Maledivischen Regierung nehmen wir dieses Problem selbst in die Hand.

Wir müssen Ihnen mitteilen, dass Sie für 2 Wochen unter Quarantäne stehen. Nach Aussage der von uns befragten Spezialisten ist es wahrscheinlich, dass wir den Affen noch rechtzeitig isoliert haben. Trotzdem ist äußerste Vorsicht geboten. Auf Anweisung der Weltgesundheitsorganisation wurden alle Kommunikationsmöglichkeiten von und zur Insel abgeschaltet.

Bitte versuchen Sie in den zwei Wochen – natürlich von uns bezahlten – zusätzlichen Urlaub zu machen.
Schließlich befinden Sie sich an einem der schönsten Plätze der Welt.
Human International sieht immer die Menschen an erster Stelle, so akzeptieren wir diese Maßnahmen, auch wenn unsere Internetpublikationen durch diesen Vorfall einen erheblichen Schaden erleiden werden.

Mit freundlichen Grüßen

John Smith, Vorstandsvorsitzender

Wahr oder nicht wahr? – Mannheim, Rheinhafen – Am gleichen Tag, Kapitel 42, Teil II

Wie üblich saß ich abends um 17.00 Uhr mit Brigitte zur Übergabe zusammen. Die warme Sommersonne schien durch die Fenster unseres Frachtschiffs.
Brigitte sagte: „Ich bin irgendwie unruhig, ich habe gestern nacht schlecht geträumt.“
Sie ließ ihren noch heißen Kaffee stehen und ging ins Büro um die neuesten R-Faxe zu checken.
„Ole, kommst Du mal?“
Ich kannte ihre Stimme gut und wusste, sie hatte in ihren Nachrichten etwas gefunden, was ihre schlechten Träume bestätigte.
„Isabella hat eine komische Nachricht geschickt.“
„Notstand, Vogelgrippe 100% Sterblichkeit, Übertragung durch die Luft, bitte bestätigen!“
Was sollte das. Isabella war mit uns befreundet, aber solche Scherze traute ich ihr nicht zu. Sie war ein sehr ernsthafter Mensch. Ich setzte mich an den anderen Rechner.
„Versuch Du, Isabella zu erreichen, ich recherchiere, was eigentlich los ist.“

Ich rief meinen Browser auf, die Seite www.finders.de war standardmäßig voreingestellt. Zum Suchbegriff „Vogelgrippe“ kam die Kategorie Epidemien mit 50 Ergebnissen, die 10 mit heutigem Datum nach Regionen geordnet zuerst.

Das FINDERS-Konsortium hatte WWW eine neue Bedeutung gegeben.
Alle Unternehmen, Agenturen, Comunitymanager, Semantikmanager welche mit FINDERS zusammenarbeiteten, mussten eine Erklärung unterschreiben, in der sie sich den Grundsätzen „W wie Wer?, W wie Wert? ,W wie Wahr? „ verpflichteten.
Ist der Angezeigte, der, der er vorgibt zu sein?
Welchen Wert hat ein Angebot für den Suchenden?
Sind die Angaben wahr?

Zertifizierung für die Kategorie
„Endkunden kaufen Schuhe“
als Kategorienagentur

Durch die unabhängige WWW-F Zertifizierungsstelle wird ständig die Einhaltung folgender Kriterien geprüft:

· Wer?
Ist der Anbieter der, den der Suchende erwartet?
Möchte der Anbieter gefunden werden?
· Wahr?
Entspricht die Information den Erwartungen des Suchenden?
· Wert?
Wird bewertet, welchen Wert eine Information für den Suchenden hat?

Geprüft 1.1.2010
Zertifizierungsstelle
FINDERS-Konsortium
Friedrichshafen

Hierdurch gelang es FINDERS, trotz des rasanten Vormarschs von Gooday, die Marktanteile von über 50% in den Ländern mit deutscher, französischer Sprache, sowie in den skandinavischen Ländern und Japan zu halten.
Die Ergebnisanzeige von Informationskategorien war anders aufgebaut, als die Anzeige von Produktkategorien. Während bei Produktkategorien Hersteller und Händler gelistet waren, konnten sich je Informationskategorie maximal 50 Redaktionen bei FINDERS akkreditieren. Die Auflagen waren hart, aber es lohnte sich. Jede Meldung musste durch eine Person vor Ort mit Achtcard bestätigt werden, damit diese veröffentlicht werden durfte. In der Ergebnisanzeige gab es keine Werbung.
Trotzdem war eine Akkreditierung äußerst lukrativ, da man bei jedem Wort der redaktionellen Texte durch einen Rechtsklick eine zu diesem Wort passende Produkt-Kategorie angezeigt bekam. Durch die aus den Produktkategorien generierten Umsätze finanzierten sich die Redaktionen.

Ich klickte alle Seiten durch, fand jedoch keine außergewöhnlichen Ergebnisse.
In Deutschland wurde die Tagesliste der Geflügelfarmen angezeigt, welche zum Sperrgebiet erklärt waren (Der Jahreszeit entsprechend waren es nur 5 Farmen in ganz Deutschland).
Durch die sich häufenden Fälle war Massentierhaltung verboten worden. Maximal 1000 Tiere, auf mindestens 10 Gebäude aufgeteilt, durften gehalten werden.
Auch für die anderen Länder waren die Meldungen eher normal. Schließungen von Farmen waren hier keine Meldung mehr wert. Die Sterblichkeit der Menschen lag inzwischen insbesondere in den armen Ländern ähnlich hoch wie bei Aids, da man bei privater Tierhaltung einfach keine absoluten Isolationsbedingungen und permanente Veterinärkontrollen aufrechterhalten konnte.
Besondere internationale Meldungen wie 100 % Sterblichkeit oder Übertragung durch die Luft gab es nicht. Aus den USA gab es nicht eine einzige neue Meldung.
Ich setze mir zur Kategorie Epidemien einen Alarm für neue Meldungen auf mein Handy.
Seltsam, dachte ich, ist Isabella doch durchgedreht? „Hast Du Isabella erreicht?“
Brigitte schüttelte entgeistert den Kopf. Ich habe Handy, Festnetz, R-Fax, Fax, E-Mail mit Lesebestätigung versucht. Nirgends bin ich durchgekommen.
„Okay, dann ist es ernst. Schicke das R-Fax von Isabella mit allen Sendeberichten an den Kategorienmanager für ,Epidemien’!“
Alles andere war für mich jetzt unwichtig. In der Kategorie Epidemien klickte ich jetzt auf Blog.
Tatsächlich fand ich einige ähnlich verstümmelte Meldungen wie von Isabella aus dem Ausland. Die ersten deutschen Kommentare taten diese Meldungen als Spinnerei ab. Ein Kommentator hatte eine passende Ausnahmezustandsmeldung im Internet gefunden und war so geistesgegenwärtig, den gesamten Text in den Kommentar zu kopieren.
Ich klickte die Quelle an und erhielt eine „Diese Website kann nicht angezeigt werden“ auf meinem Browser.
Anschließend begann ich in den USA verschiedene Seiten aufzurufen. Immer wieder kam der gleiche Fehler. Ich rief die Seite der US-Regierung auf, wieder keine Anzeige.
Anschließend rief ich die Seite der französischen Kategorienagentur für Schuhe ohne Probleme auf.
Seltsam, es waren fast 2 Stunden vergangen, warum hat der Kategorienmanager von „Epidemien“ noch nicht geantwortet.
R-Faxe von Kategorienmanagern wurden immer mit Vorrang angezeigt. Es gab ein ungeschriebenes Gesetz zwischen Kategorienmanagern, dass man sich nur anschrieb, wenn es wichtig war, dann aber sofort reagierte. Ich rief den Kollegen innerhalb der nächsten Stunde immer wieder an. Jedes mal kam sofort das Besetztzeichen. Trotzdem war dieses Zeichen für mich beruhigend, denn bei Isabella getätigte Anrufe wurden nicht einmal mehr mit einem Zeichen quittiert.
Da schrie Brigitte erneut aus. „Guck mal.“ Schnell war ich bei ihrem Schreibtisch. Sie hatte ihre R-Faxe angeschaut. „Neueingang 20.000“, stand hier. Von da an mussten sich Brigitte und ich wieder auf unsere eigene Arbeit konzentrieren und Standardmails entwickeln, um den Kunden zu erklären, warum die Hersteller aus dem englischsprachigen Raum nicht mehr online waren.

Wenig später fiepte Brigittes Handy, einmal, dann immer wieder.
Normalerweise hätte Brigitte auch auf das Signal „Neue SMS eingetroffen“, reagiert.
Schließlich war es schon fast eine Besonderheit, wenn sie eine nicht autorisierte SMS erhielt. Wäre die SMS durch die Achtcard autorisiert gewesen, so wäre sie nicht auf dem Handy von Brigitte als SMS angekommen, sondern da wo derzeit die Achtcard von Brigitte eingesteckt war als R-Fax – im PC eben.
Als Semantikmanagerin hätte Shaona eine hohe Priorisierung gehabt.
Brigitte hätte sich trotz der 20.000 weiteren R-Faxen direkt um Shaona gekümmert.

So stand Brigitte nur nach einer Stunde auf, um das ständige Gefiepe abzustellen. 500 SMS waren inzwischen von verschiedensten Absendern eingetroffen.
„Alles Spam, wer soll dem denn glauben?“, murmelte Brigitte und stellte den Klingelton leise.

Kommt die erste Echtzeitsuchmaschine aus den USA?

(von Olaf Berberich)

Aktuell nimmt – für mich unverständlich – die Aufgeregtheit um Real Time Web oder die Internetsuche in Echtzeit zu. Siehe hierzu http://www.handelsblatt.com/unternehmen/it-medien/facebook-intensiviert-schlacht-gegen-google;2443762
Wie schon so oft, wird den Geldgebern mit dem altbewährten Werbegeschäftsmodell ein großer Kuchen schmackhaft gemacht, der dadurch nicht größer wird, dass man ihn mehrfach anbietet.
Für mich verstärkt sich die Tendenz des Wahns, alles was technisch machbar und leicht erklärbar in einen Geschäftsplan geschrieben werden kann auch umsetzen zu müssen, zumindest in den USA. Der Rest der Welt lässt diese Entwicklung dann einfach über sich ergehen.

Natürlich ist Twitter ein interessantes Konzept, welches insbesondere im Iran der Opposition genutzt hat, um auf sich aufmerksam zu machen, allerdings genauso von den Regierungskräften benutzt werden kann, siehe www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,630845,00.html .
Wenn jetzt aber Twitter mit seinen unüberprüften Informationen danach strebt, zentrales Zugangsportal für alle zu werden und mit einer Echtzeitsuche dafür sorgt, dass alle weltweit zur gleichen Sekunde die gleiche Information sehen, dann wird den Manipulatoren im Internet eine neue große Tür aufgemacht.

In meinem Buch „7/11: Insiderstory des Wandels in Deutschland von 1999 – 2015“ schildere ich genau so ein Szenario. Stellen Sie sich vor was passiert, wenn überall gleichzeitig die falsche Information auftaucht: „100% Sterblichkeit bei Schweinegrippe“.

Seriöse Journalisten werden in naher Zukunft möglicherweise nicht mehr wahrgenommen, weil Zeitungen im globalen Werbemarkt nicht mehr existieren können.
Journalisten verlieren auch immer mehr an Bedeutung, wenn niemand mehr überprüft, wer arbeitet professionell und ist an der Wahrheit interessiert und wer manipuliert.
Echtzeit bedeutet, dass nicht die wahre Information gewinnt sondern die schnellste.
Es ist gut, dass es Twitter und andere gibt und der Flugzeugabsturz im Hudson-River fotografiert werden konnte, aber es ist schlecht, wenn in absehbarer Zeit niemand mehr da ist, der – permanent als seriös wahrgenommen – solche Ereignisse bewertet.

Die Reflektion gesellschaftlich nachhaltiger Konzepte bleibt auf der Strecke. Gute über Jahrhunderte gewachsene und optimierte Strukturen werden nicht etwa auf das digitale Zeitalter angepasst – was mit funktionierenden Geschäftsmodellen möglich wäre – sondern durch Innovationswahn und USA-Gläubigkeit einfach vom Tisch gewischt.

Die erste mir bekannte Echtzeitsuchmaschine im Internet wurde am 9. Juni 1999 in Krefeld, Deutschland zum Patent angemeldet. In Echtzeit kann eine Sucheingabe analysiert und die passende Partnerdatenbank eines Trusted Partners – z.B. einer Zeitung aufgerufen werden und hierhin der Suchbegriff übergeben werden. Genau in dem Moment, in dem ein Zeitungsredakteur eine Meldung in seiner Zeitung veröffentlicht, kann diese auch über diese zentrale Sucheingabe gefunden werden – natürlich nur dann, wenn ausreichend Partner im System eingebunden sind.
Über ein Geschäftsmodell, welches den gewachsenen Strukturen Rechnung trägt und nicht den Werbemarkt kannibalisiert, wäre das Überleben vorhandener Contentanbieter, Einzelhändler und Dienstleister zu gewährleisten, wenn diese sich auf ihr Spezialgebiet innerhalb eines Synergienetzwerks konzentrieren würden.
Nur die Sache hat einen Haken, die Entwicklung kommt aus Deutschland. Und hier passieren einem wirklich unglaubliche Dinge. Aber das ist eine ganz andere Geschichte…

Fakt ist, nach nunmehr 10 Jahren sind wir des Einzelkämpferdaseins müde. Die getTIME.net GmbH, deren Geschäftsführer ich bin, wird ihren Fokus ab Herbst auf neue Geschäftsfelder richten, die leichter zu bearbeiten sind, als ein Markt, in dem Nachhaltigkeit und ganzheitliche Konzepte gegenüber der Versprechung von schnellem Geld und Einfluss über möglichst viele Nutzer keine Chance haben.

Vielleicht stimmt es ja doch: Die erste Echtzeitsuchmaschine kommt 2009 aus den USA?!

Chaos -Manhattan, New York – 11. Juli 2011, Kapitel 41, Teil II

Isabella Talik saß in ihrer lichtdurchfluteten Wohnung. Es war ein heißer Sommertag. Die Wohnung war früher eine Fabrikationshalle gewesen. Sie befand sich im 8. Stock mitten in Manhattan. Durch die Fenster drang gedämpft der Straßenlärm herein.
„Eigentlich solltest du in deinem Zustand nicht mehr arbeiten“, sagte Lena und trank ihre Tasse aus.
„Ich bin doch nicht krank, ich bin doch nur ein bisschen schwanger“ antwortete Isabella und streichelte sich über ihren nicht übersehbaren Bauch.
„Wann lässt sich denn der Vater blicken?“
„Der Vater hat einen Namen, wie Du weißt. Levis arbeitet hart für sein Geld als Taxifahrer. Ich hoffe, er kommt gegen Abend.“
„O.k., Du weißt, ich werde nie verstehen, wieso Levis sein Jurastudium nicht fertig gemacht hat. Schätzchen, ich muss jetzt gehen, vielen Dank für den Tee.“
Plötzlich hatte sie es eilig. Irgendwie trug sie ihrer besten Freundin Isabella immer noch nach, dass ihr Isabella Levis ausgespannt hatte. Obwohl, wenn sie zu sich ehrlich war, Ansprüche an Levis hatte sie zu keiner Zeit gehabt.
„Ruf mich an, wenn Du mich brauchst.“ Lena war schon an der Tür, als ihr Handy klingelte. Schlagartig veränderte sich ihre Haltung. Erst straffte sich ihr Körper und sie wurde ganz der Profi, der knapp Fragen stellte, dann sackte sie in einer Weise zusammen, wie Isabella es an ihr noch nie gesehen hatte. Sie strahlte blankes Entsetzen aus. Nach einem kurzen „Danke, ich gehe gleich ins Internet“, legte sie auf.
„Isabella, kann ich mal Deinen Computer benutzen?“
Die Antwort nicht abwartend setzte sie sich an Isabellas Arbeitsplatz und tippte www.via-planet.com in den Internetbrowser. Die http://www.via-planet.com/ war inzwischen in den USA die meistbesuchte Seite, wenn es um Informationen zu international auftretenden Krankheiten ging. Auf dem Gesundheitsportal konnte man seine eigene Stadt hinterlegen und bekam auch tagesaktuelle Grippe- und Allergiemeldungen aus der eigenen Region.
Auf der Homepage erschien folgende Meldung in großen Lettern:

  • Ausnahmezustand wegen Vogelgrippe

    Vor 2 Tagen ist in New York eine besonders bösartige Mutation von H5N1 ausgebrochen.

    Folgende besonderen Eigenschaften weist der Virus auf:
    – 100% Sterblichkeit bei Infektion
    – sofortige Übertragung über die Luft bei Annäherung an infizierte Personen

    Ein wirksamer Impfstoff liegt am Airport Kennedy Parkplatz 12, Stellplatz 324 in einem Ausgabe-LKW der Firma Ryman Ltd. für Sie bereit.

    Nur Personen sind empfangsberechtigt, welche sich online einen Berechtigungsschein ausgedruckt haben,
    Folgende Maßnahmen sind sofort angeordnet:

    1. Personen, welche heute
    nach Einbruch der Dunkelheit
    – oder ohne Berechtigungsschein
    – oder an einem anderen Platz als an ihrem Übernachtungsplatz (Privat oder Hotel)
    angetroffen werden, können vom Militär ohne Vorwarnung erschossen werden.
    Drucken Sie sich schnellst möglich online ihren Berechtigungsschein für das Gegenmittel aus.
    2. Ab morgen 8.00 Uhr gilt für 14 Tage eine totale Ausgangssperre. Dies ist die einzige Möglichkeit um die Ausbreitung zu verhindern.
    3. Die Ausgangssperre gilt auch für alle Polizei- und Hilfskräfte.
    4. Telefonieren oder Benutzen der Internetleitung für weitere Informationsbeschaffung ist unter strengste Strafe gestellt. Nur so kann ein völliges Zusammenbrechen der Telekommunikations-infrastruktur verhindert werden.
    5. Sobald die Krise vorbei ist, werden Sie informiert.
    6. Es muss noch einmal in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen werden, dass auch für Personen in Not der Schießbefehl gilt. Essensbeschaffung oder Beschaffung von Medizin gelten nicht als Ausnahmen. Soldaten werden Lebensmittel und Trinken austeilen.
    7. Da wir nicht in der Lage sind, alle Soldaten mit der an die Situation angepassten Schutzkleidung auszustatten, wird die Annäherung an Militär, Polizei und Hilfskräfte näher als 50 Meter als aggressiver Akt gewertet, der den Gebrauch der Schusswaffe rechtfertigt.

    Benutzen Sie zur Registrierung nur den für Sie speziell generierten Link: www.heimatschutz.us/ausnahmezustand/978696986585

    Sollte ihnen kein Link angezeigt werden, ist die IP-Adresse ihres Computers nicht registriert. Benutzen sie zur Registrierung einen uns bekannten Computer.

    Bewahren Sie Ruhe.

    Überleben Sie

    Oskar Miller
    (Präsident des Heimatschutzes)

  • „Das kann doch gar nicht sein!“
    Isabella schubste Lena von ihrem Arbeitsplatz und klickte, ehe Lena es verhindern konnte, auf den Link des Heimatschutzes, der neben der Meldung angegeben war.
    Es erschien die offizielle Seite des Heimatschutzes mit genau dem gleichen Text.

    „Isabella, bist du wahnsinnig, kannst Du nicht lesen, wir müssen schnellstens zum Flughafen, Du begehst eine Straftat, wenn du weiterklickst.“
    Doch Isabella ließ sich nicht beirren. Mit ungeheurer Geschwindigkeit tippte sie ein R-Fax an Frederichs. Die Schlüsselseite ihrer Achtcard steckte noch im Schlitz:
    „Notstand, Vogelgrippe, 100 % Sterblichkeit, Übertragung durch die Luft, bitte bestätigen!“
    An der Zeit, die das System brauchte, diese kurzen Zeilen abzuschicken, merkte Isabella, dass das Netz kurz vor dem Zusammenbrechen war. Gleichzeitig registrierte sie, dass der Straßenlärm erheblich zugenommen hatte. Sie hörte wildes Hupen und das Zusammenkrachen von mehr als zwei Autos. Verrückter Weise hatte irgend eine Ecke ihres Verstandes noch Zeit, sich über die Formulierung „Benutzen Sie einen uns bekannten Computer“ zu amüsieren.

    Über 40 Minuten dauerte es, bis sie für Lena, sich und ihren Freund Levis die Bestätigungen ausgedruckt hatte.
    Als sie noch einmal versuchte, die Homepage des FINDERS-Konsortiums aufzurufen, bekam sie nur eine Timeout Meldung.
    „Nun komm endlich.“ Lena zerrte an ihr. „Lass den blöden Internetscheiß.“

    Plötzlich brach Isabella der Schweiß aus.
    „Hast du Wehen?“, fragte Lena besorgt.
    „Ich habe die Berechtigung für Levis ausgedruckt“, schrie Isabella los. “Was, wenn wir Levis nicht finden. Dann bekommt er keine Berechtigung.“
    Einige Sekunden wurde es still, dann sagte Lena mit einer neuen Entschlossenheit: „Dann müssen wir ihn eben finden, jetzt aber los. Wir haben 10.00 Uhr morgens. Mit dem Fahrrad bis zum Airport Kennedy sind 18 Meilen. Dann wieder zurück. Das wird verdammt knapp.“

    Langsam erst wurde auch Isabella annähernd klar, was ihnen bevor stand.

    Der Apotheker – John F. Kennedy Airport – 11. Juli 2011, Kapitel 40, Teil II

    Am 11. Juli war Ryman um 9.00 Uhr wie vorgesehen am Parkplatz. Fast 30 Minuten musste er warten, bis er unbemerkt durch die Luke in den Wertraum einsteigen konnte. Kurz vorher hatte er die Folie von den Ausgabeautomaten gezogen.
    Er nahm eine dicke Metallplatte und hob sie beim ersten Seitenfenster in die vorgesehenen Führungen. Auf der Rückseite der Metallplatte war ein Speichenrad ähnlich wie bei einem Tresor angebracht. Ryman drehte das Speichenrad, bis rings um die Metallplatte Riegel in die Befestigungen der Seitentür eingerastet waren. Er wiederholte den Vorgang für das Beifahrerfenster und die Frontscheibe. Nun saß er sicher wie in einem Tresor.

    Die länglichen Kartons mit jeweils 500 Packungen waren an zwei Seiten perforiert. An der schmalen oberen Seite, ließ sich der gesamte Deckel abziehen. An der Unterseite drückte Ryman die Perforation ein. Es entstand ein Loch, das gerade so groß war, dass eine einzelne Packung hindurchfallen konnte.
    Er steckte auf jeden der 30 Schalter in die entsprechende Vorrichtung einen geöffneten Karton.

    Ryman saß im Wertraum und wartete.
    Gemäß Anweisung sollte er um Punkt 10.00 Uhr über eine Taste die LED-Anzeige anschalten und jedesmal, wenn ein Karton leer war, einen neuen einschieben.
    9.45 Uhr
    Es war absolut still. Endlich hatte Ryman nach all dem Stress der letzten Tage ein wenig Zeit, nachzudenken.
    Was machte er eigentlich hier? Wer um Himmels Willen sollte bei ihm Medikamente abholen?
    Ryman beruhigte sich damit, in dem versuchte, sein Handeln aus dem Blickwinkel eines Juristen zu betrachten. Er stand nicht einmal im Parkverbot. Der Wagen war nicht geklaut. Er kannte kein Gesetz, dass ihm verbot, die Fenster mit Metallplatten zu sichern. Die Ladung hatte er mit offiziellen Papieren durch den Zoll gebracht.

    Plötzlich begann er zu schwitzen. Panisch riss er eine Packung auf und probierte eine Tablette. Er kannte sich mit Drogen nicht aus, aber er schwor sich, in dem Moment, in dem er eine Wirkung verspüren würde, würde er sofort aussteigen.
    Pleite war immer noch besser als Knast. Aber er spürte keine Veränderung.

    Dann hörte er Geräusche. Es waren Menschen. Es waren viele Menschen. Jemand rappelte an der Tür.
    Ryman fiel plötzlich ein, dass er die LED-Anzeige anmachen musste.
    Sofort klackten die Ausgabeschalter. Der erste Geldsack blähte sich durch einen Windzug auf. Im Karton wackelte es. Die erste Medikamentenschachtel fiel aus dem Karton nach.
    Auf einem kleinen LED-Feld, welches er vorher nicht bemerkt hatte, erschien eine „1“.
    Sofort gab es wieder diesen Windzug. Der nächste Schalter arbeitete. Das Display zeigte eine „2“. Plötzlich begannen alle Schalter zu arbeiten.
    Ryman kam nicht weiter zum Nachdenken. Servicebewusstsein lag ihm in Fleisch und Blut. Er ärgerte sich, dass er nicht vorher weitere Kartons geöffnet hatte. Dann hätte er noch schneller ausliefern können.
    Eher im Unterbewusstsein registrierte er die zunehmende Anzahl der Stimmen draußen. Wo kamen nur all die Menschen her?

    Weisungsgemäß hatte er nach 21.00 Uhr mehrere Pausen eingelegt. In der ersten Pause hatte er die Luke aufgeschlossen. Was er nun hörte, gefiel ihm gar nicht. Die Stimmen klangen absolut panisch. Den ganzen Tag waren je Schalter ca. 30 Medikamentenschachteln je Minute ausgegeben worden. Er war fast permanent damit beschäftigt, die Perforierung abzureißen und Kartons auszutauschen. Jedes mal, wenn ein Schalter leer war, wurde kräftig am LKW geklopft. Inzwischen füllte sich der Werteraum mit den leeren Kartons.
    In der zweiten Pause benutze er ein Spezialwerkzeug, um den unter der Luke liegenden Gullydeckel zu öffnen.
    Er dauerte länger als erwartet. Viele Schalter liefen leer. Der Laster wackelte immer heftiger, was Ryman die Arbeit auch nicht erleichterte. Schnell schob er die nächsten Kartons in die Schalter.
    Jedes mal, wenn ein Geldsack voll war, wurde der Sack automatisch plombiert und von hinten klappte der nächste Sack nach vorne. In weiteren Pausen warf er gefüllte Geldsäcke durch das Gullyloch.

    Um 22.00 Uhr zeigte das LED-Display 499.994 an. Er hatte alle Medikamente ausgegeben.
    Sofort ging das Rütteln wieder los. Gerade rechtzeitig erinnerte sich Ryman daran, eine weitere Taste zu drücken. Und tatsächlich, das Rütteln hörte auf.
    Was er nicht sehen konnte war, dass sich nach dem Betätigen der Taste der Anzeigetext veränderte. Anstelle von „Es sind genügend Medikamente dar. Legen Sie eine 100 Dollarnote in den Geldschlitz, sie erhalten sofort das Medikament“, wurde ab sofort angezeigt: „Bitte bewahren sie Ruhe, Nachschub wird in wenigen Minuten angeliefert.“
    Ryman brauchte keine Anweisung, um zu wissen, dass er hier schnellst möglich verschwinden sollte. Gerade hatte er den Gullydeckel über sich zugezogen, da kippte der LKW über ihm um.

    Ryman musste mehrfach im engen stinkenden Schacht hin und herlaufen, bis er alle Säcke durch das neu gebrochene Loch in die Garage gebracht hatte, wo anstelle des Schalter-LKWs ein neutraler Auslieferungswagen von ihm geparkt worden war.
    Er brauchte fast 30 Minuten durch die Menschenmenge, bis er die ca. 150 Meter von der Garage bis zur Lieferanteneinfahrt des Flughafens geschafft hatte.

    Hier wurde immer hart kontrolliert. Er öffnete einen weiteren Umschlag und fand die Frachtpapiere für die Geldsäcke. Richtigerweise war hier ausgefüllt: „Geldeinnahmen aus Medikamentenverkauf“. Als Empfänger war Human International Ltd. Liechtenstein via Hongkong angegeben.
    Zu seiner Überraschung gab es am Frachttor überhaupt keine Kontrolle. Der Schlagbaum lag unten. Das Wachhaus war leer. Das hatte es noch nie gegeben, was war hier los?
    Ryman öffnete die Schranke, fuhr in den Flughafen und vergaß nicht, die Schranke wieder zu schließen.

    Die Frachtmaschine von IPC hatte schon ihre Turbinen gestartet. Kurz nachdem die Geldsäcke verladen waren, startete die Maschine nach Hongkong.

    Ohne darüber nachzudenken, warum er diese ungewöhnliche Entscheidung traf, beschloss Ryman diese Nacht im Büro seines Lagers auf dem Flughafengelände zu verbringen.
    Irgend wo musste doch noch ein alter Schlafsack sein.
    Erst da merkte er, dass seine Kleidung noch immer nassgeschwitzt war.

    Offener Brief an Herrn Dr. Appel, Vorstandsvorsitzenden der Post AG

    Sehr geehrter Herr Dr. Appel,

    in der Presse habe ich über das neue Zukunftsprojekt der Deutschen Post gelesen, den digitalen Brief einzuführen und damit die Kosten zu minimieren.

    Grundsätzlich ist dies der Weg in die richtige Richtung, leider aber viel zu halbherzig. Entschuldigen Sie meine offenen Worte, aber ich verstehe nicht, wieso in Deutschland immer wieder Insellösungen eingeführt werden und niemand mehr fragt, was der Kunde eigentlich an nachhaltigen Konzepten vom jeweiligen Unternehmen erwartet.

    Auch gibt es zahlreiche technische Lösungen zu sicheren E-Mails. Die digitale Signatur wird nun fast ein Jahrzehnt entwickelt. Durchgesetzt haben sich diese Systeme nicht.
    Schon viele große Firmen habe ihren digitalen Einfluss überschätzt und gingen automatisch davon aus, dass sie die Offline – Größe des Unternehmens 1/1 auf den Onlinebereich übertragen können. Karstadt ist hier nur ein aktuelles Beispiel, dass es so einfach nicht geht.

    Stellen Sie sich vor, Sie gehen eines Morgens zu Ihrem Lieblingsgeschäft und hier hängt plötzlich ein Schild an der Tür: „Eintritt nur für Menschen unter 45 Jahren erlaubt“.

    Genau dass haben Sie vor. Die Post ist für alle da. Immerhin fast die Hälfte der Bevölkerung wird auch die nächsten Jahrzehnte skeptisch gegenüber dem Internet bleiben. Wenn Sie jetzt die Hürde für Kunden immer höher schrauben, damit diese Ihre Dienstleistungen nutzen, werden Sie nicht Kosten sparen, sondern Kunden verlieren.

    Zudem erhöhen Sie den Spagat, den Unternehmen heute schon mit Unified Messaging bei Fax, Mail, SMS und Briefen leisten müssen, um ein weiteres System. Anbieter wie der Ulmer Postdienstleister DIREKTexpress bieten digitale Briefe schon an. Jeder benutzt sein eigenes Akkreditierungsverfahren. Im Ergebnis steht für alle Beteiligten ein erheblicher Mehraufwand, welcher Rationalisierungsvorteile der Digitalisierung auffrisst.

    Helfen würde nur ein harter Einschnitt und der Ersatz der Briefe durch eine digitale Alternative für alle.
    Eine solche Alternative haben wir bereits 2000 konzipiert. Seit November 2008 ist das Buch „7/11: Insiderstory des Wandels in Deutschland“ im Buchhandel. Hier kann man unterhaltsam beschrieben nachlesen, wie ein 90-jähriger mit 5% Sehkraft mit der für alle verfügbaren digitalen Alternative zum Brief klarkommt.

    Im Februar 2009 habe ich auch Ihnen dieses Buch zugeschickt. Leider gehören die Post zu den wenigen, die sich nicht mit dem Buch beschäftigt haben. Jedenfalls habe ich keine Antwort auf meine Zusendung erhalten, obwohl die nachhaltige Perspektive für die Post AG den Kern dieses Buches ausmacht.

    Ich befürchte, heute sind nur noch kurzfristig wirkende Sparmaßnahmen in Mode, weil man hier nicht viel falsch machen kann. Gerade in der Wirtschaftskrise sind mutige Schritte zu einer nachhaltigen Zukunft jedoch überlebensnotwendig.
    Nur wenn die Post alle Zielgruppen in die digitale Zukunft mitnimmt, wird die Post mit einer zu heute vergleichbaren Anzahl an Kunden überleben.

    Vielleicht trägt dieser offene Brief ein wenig dazu bei, dass eine Diskussion über die Zukunft der Post in Gang kommt.

    Wir müssen verhindern, dass breite Teile der Bevölkerung in Zukunft benachteiligt werden, indem sie von der Informationsgesellschaft abgeschnitten werden und insbesondere im Alter ihre Mobilität und Selbständigkeit erheblich eingeschränkt wird.
    Denn die Post ist für alle da, egal ob als Brief oder auf digitalem Weg, sie ist ein Stück unserer Lebensqualität.

    Olaf Berberich