Die jungen Alten – Juni 2007 – Uerdingerstraße, Krefeld, Kapitel 17, Teil II

„Elke, Elke, hast Du eingekauft?“

180 qm umfasste die schöne alte Wohnung auf der Uerdingerstraße in Krefeld.

6 Balkons gab es für die 5 Bewohner der Alten – WG.

Ursula Klabeuer war noch gut bei Stimme und zeigte dies auch jedem, der es hören wollte, genau wie jedem, der es nicht hören wollte.

„Elke, Elke“ schrie sie erneut auf dem Balkon sitzend durch die ganze Wohnung bis ans andere Ende, wo Elke und Otto Maier sich zwei Zimmer teilten.

Elke stand auf und ging den langen Flur entlang bis zur offenen Zimmertür. „Ja, habe ich, Du weißt, wie ich es hasse, wenn Du die ganze Nachbarschaft zusammen schreist.“

Obwohl es zwischen ihr, Ursula, Willi und Sofie nie angesprochen würde, so fühlte Elke genau, man erwartete von ihr mehr Einsatz als Ausgleich dafür, dass ihr Otto noch lebte.

Es war nicht böse gemeint, aber es war die Traurigkeit, selbst allein zu sein und ein wenig Neid, dass beide im hohen Alter ihr Leben noch teilen konnten.

Alle waren froh, dass sie in der Wohngemeinschaft zusammengefunden hatten. Aber irgendwie ging es ihr und Otto ein wenig besser als den anderen.

Elke hatte natürlich noch nicht eingekauft. Für die Lieferung der Lebensmittel morgen früh reichte eine Bestellung bis 15.00 Uhr. Es war gerade mal 13.30 Uhr. Aber sie sparte sich ihre Kraft, für Dinge, die sich lohnten. Streit gehörte nicht dazu. Also warum sollte sie noch Öl aufs Feuer gießen?


Ottos und ihr Zimmer war direkt vorne neben dem Eingangsbereich. Hier verbreiterte sich der Flur zu einem 4×4 Meter großen Raum, groß genug, um das für alle nutzbare Büro aufzunehmen. Elke steckte die Profilseite der Achtcard in das Volksfax und tippte als Kurzwahl die 1.

Das Volksfax ratterte los und spuckte die im Profil hinterlegte 10-seitige Einkaufsliste aus.

Elke setzte sich vor den Kühlschrank und strich mit einem dicken schwarzen Stift alle Artikel an, welche nicht mehr vorhanden waren.

Sie nahm einfach den Ausdruck, der oben mit einem Barecode versehen war und faxte ihn so ausgefüllt an die Kurzwahl zurück.

Fertig war die Bestellung.

Das war doch nun wirklich kein Akt. Warum Ursula immer so einen Aufstand machte.

Anschließend rief sie mit der Schlüsselseite ihre Post ab.

 „Na, haste doch nicht bestellt.“ Ursula lugte durch die Tür. „Wieso? Hör auf zu spionieren, ist nur die Post.“ Manchmal wünschte sie sich fast, mit Otto noch alleine zu wohnen.


Es war jetzt schon drei Monate her, dass der nette Mann vom Seniorenservice das letzte Mal dagewesen war. Er hatte sich mit allen in der Küche zusammengesetzt. Dann hatte er seinen Laptop aufgeklappt. Der ging ganz ohne Kabel. Selbst mit dem Internet baute er kabellos eine Verbindung auf. Allen war klar, Elke würde wie immer die Einkäufe organisieren und Willi würde bezahlen.

Natürlich bekam Willi das Geld  von den anderen zurück, aber erstens konnte er als ehemaliger Buchhalter am besten mit Geld umgehen und zweitens hatte er immer welches auf seinem Girokonto.

Elke hatte alle Dinge, welche die Gemeinschaft brauchte, zusammengeschrieben und der nette junge Mann hatte im Internet diverse Sucheingaben vorgenommen.

Alle Artikel hatte er mit Suchwort und Kategorie im Profil von Elke gespeichert.

War bei der späteren Bestellung mal ein Artikel nicht auf Lager, so wurde automatisch ein anderer vergleichbarer Artikel als Vorschlag auf der Bestellliste angezeigt. Neben dem Vorschlag stand immer ein großes Fragezeichen.

Elke ging – genervt von Ursula – in ihr Zimmer und schloss die Tür. Sie startete ihren Laptop mit eingesteckter Achtcard.Im Internetbrowser rief Elke den Favoriten für die Schuhcommunity auf.Durch Abgleich mit ihrer Achtcard erkannte der Computer ihre Berechtigung als Administrator.

Elke schaute sich in der Communitydatenbank die neusten Beiträge an. Sie schaltete die einen frei, löschte oder kommentierte andere und lächelte.

Ja, ihre Enkel hatten nicht schlecht gestaunt, als sie einmal Oma an ihrem nagelneuen Laptop sahen.

„Was machst du denn da Oma?“

„Ich muss nur noch die aktuellen Beiträge in der Schuhcommunity durchschauen.“

 „Oma, bist du etwa Communitymanager?“

Seit dem war ihr Ansehen bei den Enkeln um ein vielfaches gestiegen. Im Gegensatz zu Kategorienmanagern und Semantikmanagern war der Job eines Communitymanagers ehrenamtlich. Das hieß jedoch nicht, dass er weniger angesehen war. Elke hatte sogar die Gesamtverantwortung für die Community und die anderen ehrenamtlichen Manager.

Es gab je Community max. 6 Comunitymanager, welche sich abwechselten. Natürlich war die Mehrzahl der Communitymanager Senioren. Aber die Aufgabe musste man durchaus ernst nehmen, wenn man den Status nicht verlieren wollte.

Zu viele negative Userbewertungen führten dazu, dass man von einem von Usern für alle Communitys gewählten Administratoren überprüft wurde.

Zu fachlich angezweifelten Kommentaren wurde aus dem jeweiligen Bereich – bei ihr Schuhe – ein Trendscout hinzugezogen. Der Communityrat hatte eine Vielzahl von Sanktionsmöglichkeiten, von der Auflage einer Nachschulung als Communitymanager bis hin  zum Ausschluss.

Dann  musste sie sich auch noch juristisch ziemlich gut auskennen.

Es gab bestimmte Pflichtveranstaltungen für Communitymanager – z.B. in Wettbewerbsrecht, Ethik – welche immer mit einer kostenlosen Reise ins Ausland verbunden waren. Eine Begleitperson konnte man mitbringen.
Elke war inzwischen eine feste Institution rund um das Thema Schuhe geworden.

Man musste diese Aufgabe lieben, dann füllte sie einen vollkommen aus.

Besonders liebte sie die Auslandsreisen zu den wichtigen Schuhmessen und Otto hielt das schließlich auch jung, auch wenn der oft lieber seine Ruhe gehabt hätte und vor jeder Reise brummelte.
Noch etwas gab es, wo ihr die Jungen nichts vormachen konnten. Auch wenn sie noch immer manchmal errötete: zum Thema Schuhfetisch war sie sozusagen von Berufs wegen eine der bestinformiertesten Personen in ihrem Alter.

Es war nicht ihre Aufgabe zu zensieren.

 Grundsätzlich sah sie nur Beiträge, welche bereits 10 Mal mit einem ähnlicher Kommentar von Communitymitgliedern negativ bewertet wurden. Verstießen Beiträge nicht gegen rechtliche Vorschriften, so wog sie ab, ob ein Löschen für mehr Communitymitglieder Vorteile oder Nachteile bringen würde. Sie hatte die Möglichkeit einen Beitrag zu löschen oder bei mehrfachen heftigen Verstößen eine Achtcard für die Community zu sperren.

Im schlimmsten Fall konnte sie einen Beitrag auch an die Polizei weiterleiten. Dies war ihr nur einmal passiert, als jemand seine pädophilen Taten als Beitrag eingestellt hatte.

Hier hatte dann ein Richter den Datenschutz aufgehoben und die Identität wurde automatisch der Polizei mitgeteilt.

Gestern hatte Ursula gefragt: „Warum kommt denn immer noch der Seniorenservice, wenn du so gut mit dem Computer umgehen kannst?“

„Weil wir das als Altenwohngemeinschaft bezahlt bekommen und es bequem ist“ sagte Elke.

Weil er so einen süßen Hintern hat, dachte Elke.



 

 

 

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