Stress – Friedrichshafen Technologiezentrum – 10.00 Uhr, am nächsten Morgen, 10.Teil, Kapitel I

Im  Veranstaltungsraum  des  Technologiezentrums  hatte  um  9. 00  Uhr  eine  Informationsveranstaltung  für  interessierte  Firmen,  welche  sich  ansiedeln  sollten,  begonnen.   Der  Wirschaftsförderer  schaute  entgeistert,  als immer  mehr  nicht  angemeldete  Gesichter  den  für  max.   50  Personen  ausgelegten  Raum  stürmten  – alle  halbwegs  kreativen  Köpfe,  welche  Kaminski  telefonisch  mobilisieren  konnte. Kaminski  kam  selbst  erst,  als der Raum  hoffnungslos  überfüllt  war.   „Alle,  die  ich  nicht  eingeladen  habe  bitte  raus,  dies  ist  eine  Sache  der  nationalen  Sicherheit. “

Der  Wirtschaftsförderer  kannte  die  Gerüchte,  dass  Kaminski  neuerdings  Beziehungen  bis  ganz  nach  oben  hatte  und  begann  sich  ausführlich  bei  den  Gästen  zu entschuldigen,  während  er  gleichzeitig  alle  alternativ  zur  Verfügung  stehenden  Räume  im  Kopf  durchging.   „Jetzt“  Kaminskis  Tonfall  war  an  Schärfe  nicht  mehr  zu  überbieten.   Mit  einem  letzten  Rest  Würde  drehte  sich der  Wirtschaftsförderer   zu  den  Interessenten  um:  „Raum  104,  folgen  Sie  mir  bitte. “  

Kaminski,  sparte  sich  jede  Begrüßung.   „Wir  wurden  vom  Bundeskanzler  persönlich  zum  Think  Tank  in  Sachen  Mannesmann  berufen,  Ihre  Chance  oder Ihr  Untergang. “ So  viel  hatte  Kaminski  nie  geredet  und  wie  erwartet  sorgte  er für das größt  mögliche  Chaos.   Nach  vier  Stunden  gingen  sie  auseinander,  ohne  auch  nur  eine  einzige  verwertbare  Idee.

Mannesmann,  das  hatte  was  mit  Informatik  zu  tun.   Also  rief  Kaminski  alle Informatik – Professoren  von  Rang  an  und  bat  sie um  Hilfe.   Er  war  klug  genug nicht  zu erwähnen,  von wem  er die Anweisung  hatte.   Bei  keinem  hatte  er  das  Gefühl  in  der  Kürze  der  Zeit  etwas   erwarten  zu können.   Meist  wurde  ihm  erwidert,  er  solle  eine  Projektskizze  zuschicken,  man würde sehen,  was  sich  machen  ließe.  

Nichts,  gar  nichts  und  zwei  Tage  waren  schon  vorbei.   Aus  lauter  Verzweiflung  wählte  er  die  Nummer  von  Prof.   Zahlenwerk  in  Gelsenkirchen.  Dieser  arrogante  Fatzke  hatte  ihm  jedes  Mal,  wenn sie sich  begegneten,  deutlich  gezeigt,  was  er  von  dem  nicht  studierten  Kaminski  hielt.  

„Prof.   Zahlenwerk,  Lehrstuhl  für  Informatik,  wer  stört?“ 

„Kaminski,  es geht  um  eine  Sache  höchster  Dringlichkeit:  Ein  mir  anvertrauter  Telekomprovider  soll  vor  einer  Übernahme  geschützt  werden.   Nun  suchen  wir  eine  technologische  Idee,  die  diesen  für  deutsche  Anleger  unersetzlich  macht. “

 „So,  so,  Kaminski.   Man  erzählt  sich,  Sie  fühlen  sich  zu  Höherem  berufen“.   Zahlenwerk  war  doch  nicht  verkalkt.   Es  konnte  sich  nur  um  Mannesmann  handeln.   So  wie  dieser entscheidungsscheue  Kaminski  sich  ins  Zeug  legte,  konnte  es  sich  nur  eine  Anweisung  von  ganz  oben  handeln.   Dies  war  eine  einmalige  Chance,  gleich  zwei  Gegner  aus  dem  Weg  zu  räumen.   Diesen  Emporkömmling,  der  den  Platz  einnahm,  der  ja  wohl  nur  ihm  zustand.   Er  hatte  schließlich  maßgeblich  an  den Grundlagen  der  Retrivel  – Systeme  mitgearbeitet  und  wenn  man es  genau  nahm,  war  er  der  Urvater  von Semantic  Web.   Fast  noch  mehr  als  Kaminski  ärgerte  ihn  dieser  Deutschlehrer,  der  sich  Professor  für Linguistik  nannte  und  es  tatsächlich  gewagt  hatte,  ihm  einen  Etat  von  zwei  Millionen  streitig  zu machen.   Nicht  etwa  mit  solider  Grundlagenforschung,  nein,  mit  linguistischem  Firlefanz,  der  noch  nicht  mal  auf  Liebetreus  Mist  gewachsen  war.    

Diesem  Liebetreu  hatte  er  schon  eine  Laus  in  den  Pelz  gesetzt.   Einem  Studenten  hatte  er  die  leichte  Promotion  versprochen,  wenn  dieser  sich  im  Lehrstuhl  für  Linguistik  einschrieb  und  den anderen  Studenten  deutlich  machte,  dass  hier  Gelder  falsch  eingesetzt  wurden.   Falsch  eingesetzt,  was  sagte  er  da.   Für  einen  solchen  Quatsch  konnte  sich  Liebetreu  seine  zwei  Millionen  Subventionen  nur  ergaunert  haben. Zu  Kaminski  sagte  Zahlenwerk  zuvorkommend:  „Hört  sich  ja  wirklich  verzweifelt  an.   Wie  es  aussieht,  kann  ich  helfen.   Ich  habe  letztes  Jahr  auf  meine  Fördergelder  verzichtet,  um  einem  sehr  motivierten  Kollegen  aus  der  Linguistik  weiterzuhelfen.   Soll  ich  ihn  direkt  anrufen?“ 

Bei  soviel  Entgegenkommen  wäre  Kaminski  normalerweise  misstrauisch  geworden,  aber  wo  es  keine  Wahl  gab,  da  dachte  Kaminski  nie  unnötig  nach.   „Nein  ich  nehme  den nächsten  Flieger.   Heute  Mittag  bin  ich  da. “  Das  musste  ja  wirklich  dringend  für  Kaminskis  Kariere  sein.   Zahlenwerk  griff  direkt  zum  Hörer.  

„Hallo  Liebetreu  lassen  sie uns  Frieden  schließen.   Ich  bin  ein  guter  Verlierer.  Ich  habe  hier  Herrn  Kaminski,  ja  den aus  Friedrichshafen.   Wie  es aussieht  hat  der  ein  sehr  interessantes  Angebot  für  sie.   Ja,  er  kommt  heute  Mittag  gegen  15. 00  Uhr“.

Kaminski  war  auf  die Minute  pünktlich. Liebetreu  entsprach  in  keiner  Weise  dem  arroganten  Zahlenwerk.   Er  war  einfühlsam,  hektisch  und  schusselig,  alles  auf  einmal.  

 „Ja  guten  Tag  Herr  Kaminski.   Sie  interessieren  sich  für  die  digitale  Monemanalyse?  Das  was  wir  hier  machen,  ist  wirklich  äußerst  interessant“.   Obwohl  er  die  50  schon  seit  einiger  Zeit  überschritten  haben  musste,  strahlte  er die Begeisterung  eines  jungen  Mannes  aus.   „Ehrlich  gesagt,  ich  verstehe  mich  hier  nur  als Coach  für  das  Projekt.   Die  eigentliche  Arbeit  machen  die  Studenten  und  die  Ideen  liefert  unser  Christian  Wolff.   Was  für ein  Glück,  dass  wir den haben. “

 „Kann  ich  Herrn Wolff mal  kennen  lernen?“ 

 „Kein  Problem,  kommen  Sie  mit.   „Herr  Wolff , darf  ich  ihnen  Herrn  Kaminski  vorstellen,  den  aus  Friedrichshafen. “

Kaminski  drehte  Liebetreu  den Rücken  zu und  wendete  sich  an  Wolff.   Er  brauchte  Fakten  und  keinen  Smalltalk.

„Herr  Wolff,  stellen  sie  sich  vor,  ich  sollte  einen  Telekomprovider  vor  der  feindlichen  Übernahme  retten  und  ich  hätte  hierzu  die  politischen  Möglichkeiten. “ 

„Guten  Tag  Herr  Kaminski,  ich  bin  äußerst  erfreut,  sie  persönlich  kennen  zu  lernen. “  Wolff  gab  sich  alle Mühe,  den  Berliner  Dialekt  zu  unterdrücken.   Hier  war  ein  wichtiger  Mann,  dem  er  unbedingt  zu  Diensten  sein  wollte.   „Man  hört  ja  von Friedrichshafen  nur  Gutes.   Ja  ich  bin  kein  Politiker,  aber  wenn  ich  richtig  verstehe,  geht  es darum,  dass  die involvierten  Politiker  wiedergewählt  werden  wollen. “ 

Kaminski  schaltete  innerlich  schon  ab,  hier  vergeudete  er  nur  seine  Zeit.   Jetzt  redete  er  schon  mit  Assistenten.   Nur  mit  halbem  Ohr  hörte  er noch  hin.  

„Was  man bräuchte,  wäre  eine  Killerapplikation,  welche  von  diesem  Provider  entwickelt  würde und  für  Deutschland  unersetzlich  wäre. “  

 „Ja  genau  das. “  Jetzt  war  Kaminski  auf  einmall  hell  wach.  

„Nun,  einfach  ist  das  nicht,  aber  ich  habe  hier  gerade  verschiedene  Patente  recherchiert  und  Applikationen  aufgelistet,  welche  in  Kombination  mit  der  digitalen  Monemanalyse  wesentliche  Vorteile  für  den  Telekommunikationsmarkt  bieten  würden. “ 

Kaminski  diskutierte  mit  Christian  Wolff  eine  ganze  Nacht  und  er begann  die  Welt  in  einer  sprachlichen  Ordnungsstruktur  zu  sehen.   Wolff  überzeugte  ihn.   Wenn  man nur  einmal  für alle Bereiche des Lebens eine  Ordnung  einführte,  konnten  die  digitalen  Prozesse  für  alle  Beteiligten  wesentlich  vereinfacht  werden.   Was  ihn  störte  war  der  sperrige  Name  „Digitale  Monemanalyse“.   Das  konnte  man nicht  verkaufen.   Bevor  er  ging,  hatte  er  sich  mit  Wolff  auf  Finder  – Technologie  geeinigt. 

Auf  dem  Rückflug  überlegte  Kaminski  verzweifelt,  wie  er  aus  dem  eindeutig  umfangreichstem  Konzept,  welches man in  so  kurzer  Zeit  finden  konnte,  einen  Rettungsplan  schmieden  sollte.   Man  müsste  die  Firmenkunden  von  Mannesmann  gewinnen.  Geht  nicht,  viel  zu langwierig.   Man  könnte  eine  eigene  Portaloberfläche  für  Mannesmannkunden  basierend  auf  der  Finder  –Technologie  entwickeln.   Schon  besser,  aber  der  Bundeskanzler  wollte  ja  gerade  das  Image  loswerden,  sich  in  die Privatwirtschaft  zu  sehr  einzumischen.   Die  Behörden,  das  war  es.   Hier  war  ohne  Frage  das  größte  Rationalisierungspotenzial  und  die  größte  Unordnung.   Er  war  als  Provider  in  den  einen  oder anderen  Lenkungsausschuss  eingeladen  worden.   Selbst  wenn  sich  kleine  Städte  zu  einem  Landkreis  zusammenschlossen,  gab  es  nicht  enden  wollende  Diskussionen , ob  das Amt  nun  „Amt  für Müllentsorgung“  oder „Amt  für Abfallangelegenheiten“  heißen  sollte.   Nicht  einmal  die Anzahl  oder Grundaufgaben  der  einzelnen  Ämter  innerhalb  der  einzelnen  Städte  waren  gleich.   Für  die große  anstehende  Strukturreform,  da  bedurfte  es  eines  roten  Fadens,  der  durch  alle  Bereiche  der  Behörden  führen  sollte.   Hatten  es  die  Behörden  erst  einmal  vorgemacht,  würde die  Privatwirtschaft  von  alleine  nachziehen,  schon  um  mit  der  öffentlichen  Hand,  welche  ja  immerhin  40%  aller  Binnenmarktaufträge  im  IT  – Bereich  vergab,  kompatibel  zu  bleiben.   Das  war  mehr  als  ein  Mannesmannrettungsplan,  dass  war  ein  5  Jahresplan  für  ganz  Deutschland.  

Innerhalb  von  nur  12  Stunden  wurde  im  Kanzleramt  eine  neue  Sondersitzung  angesetzt.

Der  Kanzler  ging  kein  Risiko  ein.   Er  überzeugte  den  Mannesmann – Vorstand,  dieses  Konzept  als Mannesmann – Vision  zu veröffentlichen.   Nachdem  eine  Kurzumfrage  unter  der  Bevölkerung  keine  wesentlichen  Widerstände  identifizierte,  ging  alles  schnell.   Die  Lobbyisten  hatten  – wie  beabsichtigt – keine  Zeit  gehabt,  sich  eine  eigene  Meinung  zu bilden. Da  laut  ebenfalls  schnell  erstelltem  Gutachten  nur  Mannesmann  die  technischen  Voraussetzungen  für  ein  solch  komplexes  Projekt  hatte,  gab  der  Bundeskanzler  Mannesmann  ein  Pilotprojekt  ohne  weitere  Ausschreibung  in  Auftrag.   Gleichzeitig  kaufte  der  Bund  Aktien  und  übertrug  das  Konzept  des  VW – Gesetzes  auf  Mannesmann.   Mannesmann  wurde  später  der zweit  größte  Partner  im  FINDERS  – Konsortium.   Esser  brach  die Verhandlungen  mit  Vodafone  ab.   Die  Aktienpreise  von  Mannesmann  explodierten  nach  der  ersten  Pressemeldung  aus  dem  Kanzleramt,  dass  die  Agenda  2005  auf  das  finder – Konzept  abgestimmt  würde.   Vodafone  hatte  keine  ausreichende  eigene  Kapitalisierung,  um  den  Aktionären  ein  akzeptables  Angebot  zu  machen.   Die  feindliche  Übernahme  hatte  sich  erledigt,  ohne  dass  auch  nur  ein  Cent  öffentlicher  Mittel  geflossen  waren.  

Die Wende – Bundeskanzleramt Berlin – Dezember 1999, 9.Teil, Kapitel I

Kanzler  M  wirkte  nervös.  

Damals  wurde  er noch  mit  seinem  bürgerlichen  Namen  angesprochen.   Später  undenkbar.   M  stand  in  gleicher  Weise  für  Medienpräsenz  wie  Medienkompetenz.   Als  ein  Journalist  im  Spaß  diesen  Namen  einführte,  fand  der  Bundeskanzler  den  Namen  ausgezeichnet.   Später  sorgte  sein  Pressesprecher  dafür,  dass  alle  nur  noch  von  Kanzler  M  sprachen.   Kaminski  war  neu  in  der Runde.   Warum  hatte  man ihn  nur  zu  dieser  höchst  vertraulichen  Sitzung  hinzugebeten?  Was  erwartete  Kanzler  M  ausgerechnet  von  ihm?  Bloß  nicht  auffallen,  sicher  sollte  nur  ein  möglichst  umfangreiches  Beratergremium  dabei  sein.   Verantwortung  lies  sich  so trefflich  verteilen.   Schließlich  waren  im nachhinein  einzelne  Entscheidungen  nicht  mehr  eindeutig  auf  einzelne  Personen  zurückzuführen. Einmal,  nur  einmal  hatte  Kaminski  eine  Meinung  vertreten.   Es  hatte  ihn  fast  seinen  Hals  gekostet,  wäre  da  nicht  Christian  Wolff  gewesen. 

 Auf  der  Cebit  1999  war  er  wie  alle  Geschäftsführer  der  Ausstellerfirmen  von  der  Messegesellschaft  zum  Galadinner  mit  Bundeskanzler  eingeladen  worden.   Als  „Kreativer  Manager  der  Jahres“  wurde  ihm  die  besondere  Ehre  zuteil,  mit  12  weiteren  Gästen  am  Tisch  des  Bundeskanzlers  zu  sitzen.   Damals  hatte  er  es  genossen,  mitten  unter  den  mächtigsten  Wirtschaftskapitänen  zu  sitzen,  umringt  von  Bodyguards  selbst  wohl jetzt wichtig. Als  er einen  Sekt  mehr  als  sonst  getrunken  hatte,  war  er  in  einer  unglaublichen  Hochstimmung.   Da  sprach  Kanzler  M  ihn  an:  „  Herr  Kaminski,  wir brauchen  mehr  kreative  Leute  wie  sie  in  Deutschland.   Uns  geht  es gut.   Meinen  Sie  in  einer  Krise  sollte  ich  Sie  zu  einem  meiner  Berater  machen?“   „Herr  Kanzler,  ich  baue  gerade  in  Friedrichshafen  ein  Technologiecluster  mit  den  besten  Leuten  weltweit  auf.   Wir  bekommen  alles  hin,  was  man mit  Informationstechnologie  hinbekommen  kann. “   

Mitten  in  der  Nacht  schreckte  Kaminski  aus  einem  unruhigen  Traum  hoch.   Er  hatte  eine  Meinung  vertreten.   Er  hatte  seine  Prinzipien  gebrochen  und  mindestens  25  Worte  zuviel  gesagt.   Nicht  etwa  in  seinem  Stammcafe  in  Friedrichshafen,  nein  als von Bodyguards  umringter  Mann,  dessen  Aussage  Konsequenzen  haben  kann,  gegenüber  dem  Bundeskanzler,  der  selbst  permanent  Entscheidungen  mit  ungeheurer  Reichweite  treffen  musste. Er  war  ruiniert.   Da  kam  er nie  mehr  raus.   „Kaminski,“  sagte  er laut  zu sich  selbst,  „erst  einmal  einen  Schritt  nach  dem anderen.   Du  hast  Nachdurst.   Der  nächste  Schritt,  das ist  Wasser  aus  dem  Kühlschrank  holen  und  dann  sehen  wir  weiter“.   Wenn  Kaminski  sich  selbst  mit  Nachnamen  ansprach,  dann  war  es  wirklich  schlimm.

Nun  also  forderte  Kanzlei  M  seine  Zusage  ein.

 „Herr  Kaminski,  gibt  es eine  Möglichkeit,  die  Übernahme  zu verhindern,  ohne  dass  ich  wie  gerade  erst  bei  Phillip  Holzmann  wieder  wegen  der Einmischung  der  Politik  in  die  Marktwirtschaft  in  die  Schlagzeilen  komme?“     

„Herr  Bundeskanzler,  ich  lasse  mir  etwas  einfallen“.

„Gut,  Sie  haben  eine  Woche.   Damit  ist  die Sitzung  wohl  beendet. “ 

Das  konnte  er  doch  nicht  machen.   Seine  Staatssekretäre,  die  Wirtschaftsbosse,  all  die  wichtigen  Menschen  in  der  Runde  freuten  sich,  dass  einer  die  Verantwortung  übernahm,  dass  einer  Lösungen  bot.   Er,  Kaminski  war  nun  wirklich  zu  einem  sehr  wichtigen  Mann  geworden  – für  eine  Woche.   Der  anschließende  Fall  würde sehr  tief  sein,  denn  in  Wirklichkeit  hatte  Kaminski  nichts  anzubieten,  hatte  keinen  Plan  und  konnte  nur  hoffen,  dass  das Glück,  welches  ihn  bis  hier  hingebracht  hatte,  ihn  nicht  gerade  jetzt  verließ.  

Der Zusammenbruch – Gelsenkirchen, Linguistisches Institut – Juli 2000, 8.Teil, Kapitel I

Es  war  alles  innerhalb  von  wenigen  Tagen  gegangen  und  jetzt  saß  Liebetreu  vor  dem  Scherbenhaufen.   Das  ganze  letzte  Jahr  hatte  ihn  das  U – Boot  nur  noch  genervt,  immer  haarscharf  davor,  Liebetreu  einen  Grund  zu  liefern,  ihn  aus  dem  Seminar  zu  werfen.   Liebetreu  brachte  seinen  Namen  nicht  mehr  über  die Lippen,  für  ihn  war  er  nur  noch  U1.   Ein  zweites  U – Boot  hätte  er  auch  nicht  überlebt.  

Liebetreu  hatte  dieser  grenzenlosen  Bosheit  nichts  entgegenzusetzen.   U1  war  unverschämt,  unfähig  und  eingebildet  zu  gleich.   Es  war  offensichtlich,  dass  er  kein  Interesse  an  der Linguistik  hatte  und  schon  gar  nicht  an  der  digitalen  Monemanalyse.

Sein  Interesse  galt  ausschließlich  dem Aufruhr.   Er  wusste  es  geschickt  anzustellen,  den  Neid  der Studenten  zu  schüren.   Mal  war  es ein  neues  Auto,  welches  Liebetreu  angeblich  hatte,  mal  waren  es die Milliarden,  welche  er  angeblich  bereits  mit  der  Monemanalyse  verdient  hatte.   Wieder  ein  anderes  Mal  waren  es die Studenten,  welche  durch  sinnlose  Sklavenarbeit  für  den  Professor  ausgebeutet  wurden.   Die  Ironie  der Geschichte:  wer  bei  Liebetreu  studiert  hatte,  der  –  so  stellte  sich  später  heraus  –  hatte  einen  Topjob  im  FINDERS  Konsortium  sicher.  

Als  dann  auch  noch  Christian  Wolff  von Kaminski  mit  einem  unerhörten  Gehalt  abgeworben  wurde,  da  brach  innerhalb  von  nur  4  Tagen  alles  zusammen.   Einige  Studenten  gingen  angeführt  und  aufgestachelt  von  U1  zur  Staatsanwaltschaft  und  zeigten  an,  dass  Liebetreu  ihnen  einen  Informatik  adäquaten  Abschluss  versprochen  hatte  und  nun  die  gesamte  linguistische  Datenbank  verschwunden  sei  und  sie  mit  ihrem  bisherigen  Studium  in  Zukunft  nichts  anfangen  könnten.  

Auch  war  ihnen  von  U1  genau  eingetrichtert  worden,  welche  Argumente  bei  der  Staatsanwaltschaft  greifen  würden.   So  war  das  abgebrochenen  Jurastudium  doch  noch  für  etwas  nutze.   U1  hatte  die  Prüfungen  nach  dem  zweimaligen  Wiederholen  nicht  erneut  ablegen  dürfen  und  wurde  zwangsexmatrikuliert.   Jetzt  würde er  bald  promovierter  Informatiker  sein.    

Bewegte Zeiten – zwischen Friedrichshafen und Berlin – Dezember 2002, 7.Teil, Kapitel I

Kaminski  saß  mal  wieder  in  dem kleinen  Privatjet  zwischen  Friedrichshafen  und  Berlin.   Er  musste  unbedingt  durchrechnen  lassen,  ob  sich  nicht  langsam  eine  eigene  Maschine  für  das  FINDERS  Konsortium  rechnete.   Aber  für  solche  Kleinigkeiten  hatte  niemand  wirklich  Zeit.   Sicher  konnte  mannoch  einen  Controller  einstellen,  doch  wer  kontrollierte  den? Kurz  dachte  er  an  die  vergangenen  3  Jahre.    

Erst  1999  war  die  FINDERS  GmbH  gegründet  worden.   Ziel  war  es,  ein  Technologiecluster  aufzubauen,  um  innovative  Firmen  nach  Friedrichshafen  zu holen,  2000  schaffte  man dann  die  Verhinderung  der  Übernahme  von Mannesmann  durch  Vodafone  und  den Aufbau  des  FINDERS  Konsortiums.   Seit  dem 11.   September  2001  war  er  wohl  zum  wichtigsten  Wirtschaftsführer  Deutschlands  aufgestiegen.   Sicher,  eines  der  größten  Probleme  war  es gewesen,  den  bürokratischen  Sturköpfen  die  WIN – WIN  Situation  beizubringen.   Er  hatte  sich  ein  Team  von  50  Volkswirten,  Mathematikern  und  Beratern  eingekauft,  die  Unmengen  von  Papier  produzierten,  um  jeder  der  parlamentarischen  Anfragen  gerecht  zu werden,  jedem  Lobyisten  seinen  Vorteil  darzustellen.   Trotzdem  ging  alles  rasend  schnell.   Nie  zuvor  war  eine  solch  gewaltige  strukturelle  Änderung  so  schnell  eingeführt  worden.   Und  so  sah  das Ergebnis  aus.   Das  Postmonopol  für  Briefsendungen  lief  bis  Ende  2003  aus.   Die  Post  selbst  bot  nur  noch  in  Spezialbereichen  Briefe  an,  z. B.   für  die  schnelle  Zustellung  von  Großformaten  wie  Bauplänen  wurde  ein  spezieller  Service  eingerichtet.   

Die  Post  hielt  mit  50%  den  größten  Anteil  am  FINDERS  Konsortium.   Achtfachcardgeräte  erhielten  vom  Konsortium  eine  Subvention  von 8  Mrd.   Euro.   Das  FINDER  Konsortium  refinanzierte  sich  einerseits  durch  eine  Lizenzgebühr,  welche  bei  dem regionalen  Händler  abhängig  von  der  Qualität  der Produktergebnisse  eingenommen  wurde.   Dieses  Verfahren  erwies  sich  als  wesentlich  fairer  als  das  pay  per  click  Modell  der Suchmaschinen,  da  nur  für  den  User  sinnvolle  Ergebnisse,  nicht  jedoch  unsinnige  Klicks  auf  Zwischenergebnisse  von  den  Produktanbietern  bezahlt  werden  mussten.   Experten  hatten  errechnet,  dass  allein  dadurch,  dass  Unternehmen  nicht  mehr  Faxe,  Briefe  und  E – Mails  gleichzeitig  bearbeiten  mussten,  eine  jährliche  Ersparnis  von  20  Mrd.   EUR  erreicht  werden konnten.     

Da  das  Briefporto  wegfiel,  konnte  weiterhin  für  jedes  R – Fax  eine  Sendegebühr  von  0,50  Cent  erhoben  werden. Jeder  Deutsche  über  14  Jahre  wurde  verpflichtet,  sich  sein  eigenes  Achtcardgerät  zu  kaufen.   Das  Volksfaxgerät  –  wie  es  später  genannt  wurde  –  gab  es  schon  für  1,  Euro  bei  jedem  Telefonladen.   Wer  sich  keinen  Telefonanschluss  leisten  konnte,  bekam  die Grundgebühr  erlassen,  um  R – Faxe  erhalten  zu  können.   Schnell  stürzten  sich  die  Gerätehersteller  auf  den  neuen  Markt.   Es  gab  Handys  mit  Achtcard,  die  über  Funk  auf  Faxen  ausdrucken  konnten  und  vieles  mehr.   Der  Personalabbau  gestaltete  sich  wesentlich  undramatischer  als  erwartet.   Die  Post  erhielt  die  Aufgabe,  die  Semantikredaktion  aufzubauen  und  die  Kategorienagenturen  zu  überwachen.   Sowohl  im  Dienstleistungsbereich,  als  auch  im  Handelsbereich  wurde  die  komplette  Digitalisierung  der  Kommunikation  zum  Jobmotor.   Durch  die  Ausschöpfung  der  ungeheuren  Rationalisierungspotenziale  wurden  Produkte  und  Dienstleistungen  in  Deutschland  günstig  und  international  wettbewerbsfähig.   Sicherlich,  viele  Postbeamten  machten  keine  Karriere.   Doch  es  entstanden  auch  viele  einfache  Jobs  im  Dienstleistungsbereich. Die  Behördenabläufe  wurden  wesentlich  beschleunigt  und  vereinfacht.     

Morgen  hatte  Kaminski  erneut  eine  Mammutaufgabe  zu  bewältigen.   Es  ging  darum,  die gesamte  Paketlogistik  in  Deutschland  umzustellen.   Man  hatte  auf  seiner  Anwesenheit  bei  einer  Anhörung  im  Bundestag  zum  Thema:  „Einführung  der  Mehrfachpakete  in  der Regionallogistik“  bestanden.   Für  Kaminski  war  diese  Pflichtübung  eindeutig  verlorene  Zeit.   Aber  es  war  wichtig,  den privaten  Logistikfirmen  zu  zeigen,  dass  alle  vom  neuen  Mehrfachpaket  profitieren  würden. 

Während  Kaminski  seinen  Gedanken  nachhing,  gab  er  in  seinen  Laptop  nach  und  nach  Namen  der Gesprächspartner  ein.   Prompt  erschien  der  R – Fax  Verkehr  der  letzten  Tage  für  die  jeweilige  Person  auf  dem  Bildschirm.   Nicht,  dass  Kaminski  wirklich  am  Inhalt  interessiert  war.   Es  war  eine  der  wenigen  Spielereien,  die  er  benutzte,  um  sich  selbst  seine  Macht  zu demonstrieren.   Morgen  im Gespräch  würde er  wieder  sachlicher  unparteiischer  Moderator  sein,  stets  um  Kompromisse  bemüht.   Gebraucht  hatte  er  eine  solche  Information  noch  nie.   Vielleicht  hatte  er  im  einen  oder anderen  Interview  zu intensiv  betont,  dass  das  Achtcardverfahren  sicher  sei,  da  nicht  die  personenbezogenen  Daten  auf  dem  Chip  gespeichert  waren.   Jedenfalls  seit  dem  das  Gerücht  umging,  er  hätte  die  Möglichkeit,  diese  Daten  einzusehen,  gab  es  keinen  ernsthaften  Gegner  mehr  in  seinen  Verhandlungen.   Manchmal  spielte  er  gelangweilt  an  seinem  Laptop  herum,  zufällig  immer  dann,  wenn  eine  Diskussion  festgefahren  war.    

Kaminski  verlor  sich  wieder  in  seinen  Erinnerungen. Zuletzt  hatten  sogar  die  Datenschützer  das System  vorangetrieben.   Anders  als  im  normalen  Internet,  musste  sich  jeder  Sender  eines  R  – Faxes  durch  Einlegen  der  Schlüsselseite  des  Achtfachchips  selbst  identifizieren.   Die  acht  Chips  verbanden  sich  jeweils  mit  einem  anderen  Rechenzentrum.     

Es  gab  ein  Rechenzentrum  für  die  Authentifizierung,  4  Rechenzentren  für  das  Bezahlen  abhängig  von  der  Bankverbindung  des  Users,  ein  Rechenzentrum  für  persönliche  Shoppingprofile,  ein  Rechenzentrum  für  die  Erstellung  von  Tickets  und  ein  Rechenzentrum  für  Krankheitsbilder  und  Notrufe  . Jede  Chipcard  erzeugte  einen  eindeutigen  Tagesstempel  anhand  dessen  der  nötige  Abgleich  zwischen  den  Servern  möglich  war,  z. B.   beim  Bestellen  und  Bezahlen  die  Zuordnung  zur  gleichen  Transaktion.   Der  11.   September  war  für  das  FINDERS  Konsortium  ein  Glücksfall  gewesen  so  zynisch  das  auch  klingen  mag.   In  den  USA  reagierte  man derart  panisch,  dass  in  Deutschland  die Datenschützer  Oberhand  bekamen.   Eine  neue  Gesetzesvorlage  wurde  verabschiedet,  dass  bei  begründetem  Terrorverdacht  lediglich  die  E  – Mails  auf  Rechnern  von  Tatverdächtigen  untersucht  werden  durften,  nicht  jedoch  die  sonstigen  Daten.   Nur  200  Personen  in  Deutschland  hatten  eine  sogenannte  Superusercard,  mit  der  zu  einer  einzelnen  Achtcard  Transaktion  auch  die  zugehörigen  Daten  von  den  anderen  Rechenzentren  über  ein  spezielles  Trustzentrum  abgerufen  werden  konnten.   Da  die  einzelnen  Chips  der  Achtcard  jeden  Tag  die  Identitätsnummer  mit  einem  anderen  Schüssel  versahen,  war  der  Aufwand  für die Fälschung  einer  Achtcard  extrem  hoch  geworden.    

Kaminski  war  einer  der  Berechtigten.   Neben  seinem  Schlüsselchip  wurden  bei  ihm  auch  zahlreiche  biometrische  Daten  abgefragt,  bevor  sein  Laptop  startete.   Sobald  sich  der  Laptop  außerhalb  des  Bluetooth  Radius  seines  als  Uhr  getarnten  Pulsmessers  befand,  wurde  automatisch  eine  neue  Eingabe  der  biometrischen  Daten  zur  Reaktivierung  erforderlich.  

Das  Flugzeug  setzte  zur  Landung  an.   Es  war  23. 00  Uhr.   Bis  er  in  Kreuzberg  war,  würde  eine  weitere  Stunde  vergehen.   Er  hatte  sich  leger  angezogen.   Er  genoss  es,  wenn  die  jungen  Dinger  in  den  bevorzugten  Singlebars  noch  immer  auf  ihn  standen.   Sich  Informationen  über  die  eine  oder andere  zu  verschaffen,  war  ihm  noch  nie  in  den  Sinn  gekommen.   Vielleicht  war  das  der  Grund,  warum  er  sich  nie  den  Namen  eines  Onenightstands  merken  konnte.  

Und  mehr  wurde  es nie.  

   

Am Ende und am Anfang – Pagera, Mallorca – März 2003, 6.Teil, Kapitel I

Professor  Liebetreu  saß  auf  der  Terrasse  seines  kleinen  Häuschens.   Endlich  Ruhe,  nichts  und  niemanden  mehr  sehen.   Nichts  mehr  denken  und  vor  allem  nicht  mehr  erinnern  –  für  die  Pension.

Letzte  Woche  noch,  da  saß  Liebetreu  im  Landgericht  einer  deutschen  Kreisstadt.   Den  Namen  durfte  er nicht  einmal  denken. Es  war  haarscharf  gewesen,  dann  hätte  er  seine  Pension  verloren.   Wofür? 

Es  war  genauso  dumm  wie  gutmütig  gewesen.   Er  hatte  wirklich  geglaubt,  dass  es  so  etwas  wie  Fairness  im  Geschäftsleben  gibt.   1998  hatte  er  Christian  Wolff  nach  einer  linguistischen  Vorlesung  kennen  gelernt.   Wolff  war  ihm  zunächst  wegen  seiner  äußerst  unterwürfigen  Haltung  unsympathisch  gewesen.

 „  Herr  Professor  Liebetreu,  also  entschuldigen  sie,  also  ich  möchte  wirklich  nicht  stören. “

„Ja,  nun. “ 

„Ich  habe  mich  mit  einer  Sache  beschäftigt,  die mich  nicht  in  Ruhe  lässt.   Sie  haben  doch  in  ihrer  Vorlesung  von  Morphemen  gesprochen.   Meinen  Sie,  dass  man die  kleinste  mögliche  Sinneinheit  auf  den  Computer  übertragen  könnte?“  

Liebetreu  hatte  täglich  mit  dem Computer  zu  tun,  aber  warum  gerade  die Morphemmethode  dem  Computer  weiterhelfen  sollte,  konnte  er  sich  beim  besten  Willen  nicht  vorstellen.   Andererseits  hatte  er  lange  ein  spannenderes  Betätigungsfeld  als  die  Linguistik  gesucht.   Auch  war  das der Bereich,  der  von  der  öffentlichen  Hand  extrem  forciert  wurde.   Wer  den Schlüssel  zur  Wissensgesellschaft  findet,  na,  dem  gehört  die Zukunft. „Herr  Wolff,  kommen  Sie  doch  morgen  nach  der Vorlesung  um  14. 00  Uhr  vorbei.   Da  habe  ich  Zeit. “ 

Es  begann  schon  wieder  hell  zu  werden,  als  sie  auseinander  gingen.  

 „Herr  Wolff,  das müssen  sie sich  patentieren  lassen,  soll  ich  mit  einem  guten  Anwalt  einen  Termin  machen?“ 

„Herr  Professor,  das wäre  wirklich  ausgesprochen  zuvorkommend  von  Ihnen.   Wenn  das  möglich  wäre,  das  wäre  wirklich  phantastisch. “

Der  Patentanwalt,  der  im  Wesentlichen  für  ein  großes  Telekommunikationsunternehmen  arbeitete,  war  beeindruckt.   Nachdem  er  telefonisch  von Liebetreu  erfahren  hatte,  worum  es ging,  hatte  er  den  Termin  kurzerhand  dazwischen  geschoben. „So  was  kommt  mir  nur  selten  auf  den  Tisch.

“ Meist  geht  es nur  um  eine  kleine  Neuerung  an  einer  bestehenden  Technologie.   Wenn  wir  den  Verfahrenskern  herausarbeiten  können,  müsste  das  patentierbar  sein. “  

Nur  wenige  Wochen  später  bekam  Liebetreu  einen  Termin  im  Landesbildungsministerium.   1999  mitten  im  Internet  Hype  hatten  die  meisten  Ministerien  schon  das  ein  oder andere  Vorzeigeprojekt.   Diesen  Trend  hatte  man im  Bildungsministerium  bisher  verschlafen.   Die  im  Wirtschaftsministerium  würden  Augen  machen,  wenn  man hier  ein  Technologiecluster  bauen  könnte  und  das  gesamte  Internet  zukünftig  steuern  würde.   „Das  fördern  wir  alles.   Stellen  Sie  den  Antrag. “

Den  hatte  Liebetreu  gestellt  und  prompt  2  Millionen  Euro  bekommen.   Und  nun,  nun  war  er  nur  ganz  knapp  an  einer  Verurteilung  wegen  Untreue  vorbeigeschrammt,  weil  die  Richter  der  zweiten  Instanz  sich  zumindest  die  Beweise  angesehen  haben.   Persönlich,  persönlich  hatte  er  nur  Arbeit  damit.   Wenn  ihn  jemand  darauf  ansprechen  würde,  würde er  heute  leugnen,  dass  er  neben  vielen  Arbeitsstunden  auch  noch  persönlich  Geld  dahinein  gesteckt  hatte.   Alle  würden  ihn  für  einen  Trottel  halten.

Die  Rente  hatten  sie  ihm  unter  der  Voraussetzung  gelassen,  dass  er  keinen  Kommentar  zur  ganzen  Sache  abgeben  würde.  „Sie  würden  sonst  immer  einen  Weg  finden“  ließen sie ihn wissen. Wer sie waren, wußte er bis heute nicht so genau. Aber dass sie eine Möglichkeit fanden, ihm mitzuteilen, was sie von ihm erwarteten, ohne je mit ihm zu sprechen, zeigte, wie mächtig sie waren.

Sie  hatten  ihn  klein  gekriegt,  so  klein,  dass  er  in  Pagera  niemandem  erzählte,  dass  er  Professor  war.   Genaugenommen,  wenn  er  nicht  musste,  sprach  er  überhaupt  nicht  mehr  –  trotz  hervorragender  Kenntnisse  der  deutschen  Sprachsyntax.  

 

Der Entscheider – Friedrichshafen – Juni 2005, 5.Teil, Kapitel I

Sie  war  gegangen,  wie  ihn  ein  Blick  durch  sein  Loft  überzeugte.   Kaminski  wollte  alles  immer  schön  übersichtlich  in  seinem  Leben.   Als  er  1995  in  Hamburg  Geschäftsführer  eines  Internetproviders  geworden  war,  da  gab  es  nur  einen  Platz,  der  für  erfolgreiche  Jungunternehmer  angesagt  war,  ein  Loft  im  Hamburger  Hafen,  damals  noch  für umgerechnet  lumpige  2000,–  Euro  je  qm  zu  haben.   Eigentlich  sah  Friedrichshafen  erst  wie  ein  Abstieg  aus.   In  einer  kleinen  Stadt  Geschäftsführer  einer  Firma,  die  niemand  kannte  und  an  der  fast  alle  in  Friedrichshafen  wichtigen  Akteure  wie  z. B.   Dornier  Anteile  hielten,  war  nun  wirklich  nicht  vergleichbar,  mit  dem Geschäftsführer  eines  Großstadtproviders.   

Wenn  man  einen  Job  nicht  haben  will,  stellt  man Bedingungen,  welche  nicht  erfüllbar  sind.   Wenn  sich  der  Grund  der  Absage  herumspricht,  steigert  das  den  eigenen  Markwert.   Kaminski  konnte  also  nur  gewinnen.   Er  forderte  ein  mit  Hamburg  vergleichbares  Loft  und  20%  Anteile  an  der  Firma.   Er  bekam  die Zusage  umgehend.   Ehrlich  gesagt,  so  ungelegen  kam  Kaminski  der Wechsel  nicht.   Die  Umsatzzahlen  waren  meilenweit  von den Sollvorgaben  entfernt.   Wenn  Kaminski  auch  vom  Providergeschäft  wenig  Ahnung  hatte  -schließlich  ging  es ja  nur  um  die üblichen  kaufmännischen  Entscheidungen  –  so entging  ihm  nicht,  dass  1999  bereits  die  Konsolidierung  begann.   Die  Großen  schluckten  die  Kleinen.   Ein  Regionalprovider  konnte  hier  langfristig  nicht  mithalten.   Was  das  Loft  betraf,  so  zauberten  die  Friedrichshafener.   Zwar  war  es nur  ein  50er  Jahre  Bau,  aber  die Wohnung  im 5.   Stock  stand  mit  ihrem  Blick  über  den  Bodensee  der  Hamburger  Wohnung  in  nichts  nach.   Nachdem  einige  Wände  entfernt  worden  waren,  war  die  Wohnung  auch  innen  kaum  vom  Loft  in  Hamburg  zu unterscheiden.   Der  Preis  war  konkurrenzlos  und  war  bei  weitem  niedriger  als  die  4000,  Euro  je  qm,  welche  er  beim  Verkauf  seines  Hamburger  Lofts  erzielte.  

Er  war  sogar  ein  bisschen  froh.   Schließlich  hatte  mal  ein  Kollege,  den er für kompetent  hielt,  zu ihm  gesagt:“  Na,  wenn  man Global  2000  glaubt,  dann  musst  du in  ein  paar  Jahren  ein  Boot  nehmen,  wenn  Du  in  Deine  Wohnung  willst. “   

Kaminski  hatte  sich  nie  für  Umweltprobleme  interessiert.   Die  Beschäftigung  mit  Themen,  welche  nicht  aktuell  anstanden  oder ihn  nicht  unmittelbar  betrafen,  betrachtete  er  als  Zeitverschwendung.

Jedoch  hatte  gerade  die Fähigkeit,  Dinge  nicht  zu  bewerten,  Kaminski  vor  Fehlentscheidungen  bewahrt.   Wenn  man seine  Wohnung  gut  verkaufen  konnte  und  es  die  Möglichkeit  gab,  dass  später  kein  höherer  Verkaufspreis  zu  erzielen  war,  dann  verkaufte  man eben.  

Warum  die  Friedrichshafener  so scharf  auf  ihn  waren?  Nun,  eigentlich  war  eine  geschönte  Pressemitteilung  schuld.   Er  wurde  in  einer  überregionalen  Wirtschaftszeitung  zum  „Kreativen  Manager  des  Jahres“  gewählt.   Die  Auswahl  wurde  einzig  und  allein  auf  Basis  der Analyse  verschiedenster  Interviews  mit  Managern  getroffen,  durchgeführt  von  einem  anderen  Medium  der gleichen  Unternehmensgruppe.   Wie  üblich  hatte  Kaminski  verschiedenste  von  seinen  PR  Beratern  vorbereitete  Anekdoten  und  Statements  eingefügt.

Kaminski  zog  sich  an  und  ging  zum  Frühstück  in  die  Altstadt  in  sein  Stammlokal.   Kaum  hatte  er  bestellt  und  seine  Wirtschaftszeitung  aufgeschlagen,  da  klingelte  sein  Handy.  

„Ja“  Kaminski  schaffte  es durch  den Tonfall,  mit  dem  er  diese  zwei  Worte  aussprach,  Müller  das  Gefühl  zu  geben,  dass  er eindeutig  ein  Anrufer  zuviel  sei.

„Äh,  Müller,  wir  waren  in  ihrer  Wohnung  für  10. 00  Uhr  verabredet.   Wie  sie wissen,  bewerbe  ich  mich  für die Position  des  Leiters  ihrer  Außenvertretung  in  Spanien. “

„Ich  bin  im  Cafe  Zeppelin  bis  11. 30  Uhr.   Diese  Zeit  sollte  für  ein  Kennenlernen  reichen. “

„Gute  Idee  Herr  Kaminski,  Cafe  Zeppelin  sagten  Sie?“  Kaminski  hatte  schon  aufgelegt.   Kaminski  kannte  den Lebenslauf  von  Müller.   Ausgezeichnete  Referenzen,  schnell  nach  oben  gekommen,  aber  wenig  Eigenverantwortung  übernommen,  immer  geschickt  zur  richtigen  Zeit…  Das  könnte  zum  Problem  werden. 

 „Müller,  guten  Tag  Herr  Kaminski.   Es  freut  mich,  Sie  endlich  persönlich  kennen  zu  lernen.   Was  gibt  es  schöneres,  als  für  das  Findens  Konsortium  zu arbeiten“  sagte  ein  gepflegter,  aber  absolut  unauffälliger  Mann.   Das  waren  für  Kaminski  eindeutig  20  Worte  zu  viel.

„Herr  Müller,  warum  wollen Sie  diesen  Job?“

Sichtlich  fassungslos  versuchte  Müller  sich  zu  sammeln.   Sicher,  er  war  es  gewöhnt,  dass  Einstellungsgespräche  nicht  einfach  verliefen.   Aber  diese  Unverschämtheit  –  schließlich  hatte  er  Referenzen.   „Ich  habe  bereits  Erfahrungen  mit  dem Vertrieb  von erklärungsbedürftigen  Produkten  gesammelt.   Wie  Sie  sicherlich  aus  meinen  Unterlagen  bereits  entnommen  haben,  war  ich  sogar  sehr  erfolgreich  verantwortlich  für  den  Vertrieb  einer  Search  Engine  Optimiser  Agentur  tätig. “

 „Herr  Müller,  sehen  Sie  dieses  Jugendstilhaus  auf  der  anderen  Straßenseite?  Stellen  Sie  sich  vor,  ich  würde ihnen  die  Immobilie  für  0,50  Euro  anbieten.   Was  wäre  Ihre  Antwort?“   

 Endgültig  verwirrt  täuschte  Müller  einen  Hustanfall  vor.   Dies  hatte  er  als  letztes  Mittel  für  den  Fall  trainiert,  dass  er  mal  nicht  mehr  weiter  wusste.   Noch  nie  hatte  er  diese  Finte  einsetzen  müssen.   Was  sollte  das?  War  Kaminski  schon  bei  den Gehaltsverhandlungen  angekommen?  Nur  jetzt  nicht  in  die  Falle  tappen.  

„Ich  würde das  Angebot  prüfen“.   Seine  Stimme  hob  sich  einen  Tick  zu hoch  am  Ende  des  Satzes,  so  dass  man das  Fragezeichen  heraushörte.  

„Herr  Müller,  ich  habe  keinen  Job  für  Sie,  aber  eine  Lektion  für´s  Leben:  „Reduzierung  des  Kaufpreises  auf  0,25  Euro  und  ich  werde  die  Qualität  des  Objekts  prüfen. “  Dies  ist  die  einzige  Antwort,  die  ein  Spanienverantwortlicher  gibt,  der  den  angepeilten  Marktanteil  von  über  50%  innerhalb  von  5  Jahren  erreicht“.   Während  Kaminski  noch  sprach,  wendete  er  sich  wieder  seiner  Zeitung  zu.   Das  Gespräch  war  beendet.  

Ihr Handlungsstrang: Beschreiben Sie doch ein wenig mehr über das Leben in Friedrichshafen. Können Sie das Ende dieses Kapitels versöhnlich gestalten, z.B. durch ein schönes Erlebnis, welches Müller wieder aufheitert?      

Der Entscheider – Friedrichshafen – Juni 2005, 4.Teil, Kapitel I

Willi  Kaminski  stand  auf  und  stellte  entnervt  fest,  dass  sie  noch  immer  da  war.   Dass  Frauen  nie  merkten,  wenn beim  Onenightstand  das  Frühstück  nicht  inbegriffen  war.   Inzwischen  langweilte  ihn,  dass  er  alles  haben  konnte,  was  er  wollte.  

Er  hatte  alles  erreicht,  was  man erreichen  konnte,  er war  CEO  des  FINDERS  – Konsortiums,  welches  über  50%  des  deutschen  Handelsvolumens  begleitete  –  wie  es  so  schön  neudeutsch  hieß. Das  war  nicht  immer  so  gewesen.   Er  tat  alles  dafür,  dass  nie  die  Sprache  auf  seine  Jugend  kam.   Aufgewachsen  war  es  als  Sohn  eines  Bergmanns  in  einem  schmuddeligen  Vorort  von  Saarbrücken.   Er  hatte  hart  arbeiten  müssen,  um  hierhin  zu  kommen.   Andere  waren  der  Meinung,  dass  es  einige  Eigenschaften  gab,  die  ihm  geholfen  hatten,  für  die  er  eigentlich  nichts  konnte.   Dazu  gehörte  seine  Größe  von über  zwei  Metern  genauso,  wie  sein  makelloses  Äußeres  und  sein  muskulöser  Körper.   Schon  früh  hatte  er  begriffen,  dass  alles  um  ihn  herum  auf  Schau  aufgebaut  war.   Bei  den  Prügeleien  in  der Nachbarschaft  gewann  letztendlich  immer  der,  der  die  wenigste  Angst  zeigte.   Eigentlich  hatte  Kaminski  immer  Angst  gehabt,  Angst  dass  jemand  herausfand,  wie  wenig  er  eigentlich  selbst  darüber  wusste,  warum  er  immer  Erfolg  hatte  und  heute  eine  solch  wichtige  Position  einnahm.   Desto  höher  er  stieg,  umso  größer  wurde  die Angst.   Mit  seiner  Angst  steigerte  sich  in  gleichem  Maße  sein  Abstand  zu  seinen  Mitmenschen.   Diesen  erschien  die  Distanz  als natürliche  Reaktion  des  Einsamen  an  der  Spitze.    

Aber  das  war  es  nicht.   Kaminski  hatte  sich  selbst  verloren  und  spielte  nur  noch  die  Rolle,  die  er  immer  gespielt  hatte,  sorgsam  bedacht,  keinen  Fehler  zu machen.   Diese  Rolle  war  ihm  auf  den  Leib  geschnitten.  

Solange  er keine  Entscheidung  traf,  machte  er keinen  Fehler.   Entscheidungen  trafen  andere.   Waren  die  Entscheidungen  richtig,  so  waren  es  die  Entscheidungen  von Willi  Kaminski.   Waren  die Entscheidungen  falsch,  so waren  es die Entscheidungen  anderer.  

Diese  Angst  beherrschte  Willi  Kaminski  so,  dass  kein  weiteres  Gefühl  Platz  hatte,  nicht  einmal  eine  Vorliebe,  ein  Hobby  hätte  er  benennen  können,  wenn  er  ehrlich  geantwortet  hätte.   In  Presseinterviews  war  seine  Vita  natürlich  perfekt,  gespickt  von privaten  Geschichtchen,  welche  er  entweder  bei  anderen  aufgeschnappt  oder sich  von  einem  seiner  PR  – Berater  hatte  erfinden  lassen.   Willi  Kaminski  hatte  das  Talent,  zur  richtigen  Zeit  am  richtigen  Ort  die  richtigen  Leute  kennenzulernen.   Auch  dafür  konnte  er  eigentlich  nichts.   Es  war  so  und  er  ging  davon  aus,  dass  es  auch  in  Zukunft  immer  so  sein  würde.  

Er  schaute  aus  dem  Fenster  des  6.   Stocks.   Der  Ausblick  reichte  bis  zur  gegenüberliegenden  Seite  der  Bodensees.   Es  sollte  ein  schöner  klarer  Sommertag  werden.   Sie –  ihren  Vornahmen  hatte  er  vergessen  -zog  sich  umständlich  an,  wohl  immer  noch  in  der  Hoffnung,  zum  Frühstück  eingeladen  zu  werden. Das  Telefon  klingelte.  

„Ja“  Kaminski  hatte  auch  gelernt,  dass  Leute  die  wenig  sagen,  wenig  falsch  machen  können und  man ihnen  gleichzeitig  unterstellt,  dass  sie  viel  denken,  bevor  sie  etwas  sagen.  

„Ja,  ik  bin`s  Willi,  der  Christoph,  ik  hab  da  ne  Idee. “  Es  gab  wenige,  die  sich  mit  Kaminski  duzten.   Keiner  sonst  würde sich  erlauben,  am  Sonntag  Morgen  einfach  wegen  einer  neuen  Idee  anzurufen.   Normalerweise  hätte  Kaminski  mit  einem  „Es  geht  gerade  nicht“  das Gespräch  beendet.   Aber  Kaminski  war  sehr  wohl  bewusst,  was  er  Christoph  Wolff  alles  verdankte  – genaugenommen  wäre  er  heute  ohne  Christoph  nicht  CEO  von FINDERS.   Außerdem  hatte  es  überhaupt  keinen  Sinn  vor  Christoph  eine  Schau  abzuziehen.   Christoph  Wolff  war  der geborene  Untertan.   Sein  Verhalten  hätte  auch  bei  einem  entsprechenden  Auftreten  Kaminskis  nicht  untertäniger  sein  können.     

Dies  entpuppte  sich  für Christoph  als  Vorteil,  weil  Christoph  vielleicht  der  einzige  Mensch  war,  der  Kaminski  so kannte,  wie  er war,  ohne  eigene  Ideen  und  Gefühl  für  andere,  aber  mit  dem  untrügerischen  Instinkt  für  den  richtigen  Moment.   So  hatte  Kaminski  immer  gewusst,  ohne  darüber  nachdenken  zu  müssen,  welche  der  meist  guten  Ideen  von  Christoph  auch  zum  richtigen  Zeitpunkt  kamen,  um  am  Markt  umgesetzt  zu  werden.   Die  meisten  Ideen  von  Christoph  mussten  warten,  oft  viele  Jahre.

Außerdem  kannte  Kaminski  Christophs  Lebensgeschichte  und  wusste,  dass  Christoph  Wolff  auch  in  Zukunft  die  Last,  welche  ihm  von  seinen  Vorfahren  auferlegt  worden  war,  nicht  abstreifen  konnte.  

Wolff  stammte  aus  einem  alten  ostpreußischen  Geschlecht  von Gutsbesitzern  und  Juristen.   Wohlgemerkt  Juristen,  keinen  Rechtsanwälten.   Auf  diesen  feinen  Unterschied  legten  die  Wolffs  erheblichen  Wert.   Sie  waren  stolz  darauf,  immer  wesentlichen  Einfluss  auf  die Gesetzgebung  genommen  zu haben.   Der  Familien  Stammbaum  ging  in  direkter  Linie  auf  den Christian  Wolff  zurück.   Mit  der  Namensgebung  hatte  man in  Christian,  Christoph  Wolff  entsprechende  Erwartungen  gesetzt.   Den  Rufnamen  benutzte  er  heute  nicht  mehr.     

Christian Freiherr von Wolff (in der Encyclopédie „Chrétien Wolf“) (* 24. Januar 1679 in Breslau; † 9. April 1754 in Halle) war ein bedeutender deutscher Universalgelehrter, Jurist und Mathematiker und einer der wichtigsten Philosophen zwischen Leibniz und Kant. Er zählt zu den bedeutendsten Vertretern des Naturrechts und gilt als eigentlicher Begründer der Begriffsjurisprudenz des 19. Jahrhunderts. Die deutsche Philosophie verdankt ihm ihre terminologische Grundlegung; viele von ihm definierte Begriffe wie „Bedeutung“, „Aufmerksamkeit“ oder an sich wurden später in die Alltagssprache übernommen. Wolff hatte auch maßgeblichen Einfluss auf die preußische Gesetzgebung.

Quelle Wikipedia

Durch  den  zweiten  Weltkrieg  war  seine  Familie  gezwungen,  aus  Ostpreußen  zu  flüchten.   In  Ostberlin  kam  die Familie  bei  Verwandten  unter.   Natürlich  kannte  Kaminski  nicht  die genauen  Details,  aber  Christoph  hatte  sich  einmal  im Suff  seine  ganze  Vergangenheit  von  der  Seele  geredet.   Sein  Vater  war  einfach  nicht  mit  der  veränderten  Situation  klar  gekommen.   Das  Tafelsilber,  einige  wertvolle  Gemälde  und  den Familienschmuck  hatte  er  über  den  Krieg  retten  können.   Nach  dem  Krieg  versuchte  er,  in  der  DDR  einen  seiner  alten  Stellung  entsprechenden  Status  mit  allen  Mitteln  – sprich  Bestechungen  – wiederherzustellen.   Er muss wohl an den ein oder anderen  Falschen  gekommen  sein.   Schließlich  stand  er  vor  Gericht  und  wurde  wegen  zahlreichen  Delikten  wie  Unterwanderung  der  Staates,  Bestechung  etc.   zu  Gefängnis  verurteilt.   Noch  nachdem  er  das  Urteil  vernommen  hatte,  behandelte  er  den  Richter  von oben  herab  und  verwies  auf  zahlreiche  allerdings  in  der DDR  nicht  mehr  gültigen  Gesetzestexte.  

Erst  im  Gefängnis  muss  er wohl  die Unabänderlichkeit  seiner  Situation  erkannt  haben.   Die  Kleidung  ordentlich  über  den  Stuhl  gefaltet,  erhängte  er  sich  noch  in  der  ersten  Woche  mit  seinem  Gürtel.   Einen  Abschiedsbrief  hielt  er  nicht  für  nötig.   Christophs  Mutter  hielt  noch  einige  Wochen  durch.   Sie  wurde  nach  der Verurteilung  ihres  Mannes  in  einer  Landwirtschafts – LPG  zur  Arbeit  verpflichtet.   Man  vergaß  dabei  nicht,  die  LPG  ausführlich  über  ihre  Vergangenheit  zu  unterrichten.   Nach  mehreren  vergeblichen  Versuchen,  das  neue  Gesinde  anzuweisen,  flüchtete  sie  sich  in  den  Wahnsinn  und  wurde  innerhalb  von  kürzester  Zeit  in  eine  geschlossene  Anstalt  eingewiesen. Nach  der  Wende  hat  Christoph  sie  wohl  noch  einmal  als für ihn  völlig  fremde  Frau  wiedergesehen.   Christoph  selbst  wuchs  in  sozialistischen  Heimen  auf,  wobei  man ihm  als  ehemals  Privilegiertem  alle  für  eine  Karriere  nur  erdenklichen  Steine  in  den  Weg  legte.    

Regelmäßig  wurde  er  zur  Staatssicherheit  zitiert.   Diese  begutachtete  jedes  Jahr  neu,  ob  am  Sohn  ähnliche  Tendenzen  wie  beim  Vater  festzustellen  seien.   Nur  seiner  außergewöhnlichen  Intelligenz  hat  er es zu verdanken,  dass  er es zur  nicht  studierten  Hilfskraft  eines  Leipziger  Linguistikprofessors  brachte. Hier lernte  Kaminski  ihn  zufällig  1999  kennen.   Also  antwortete  Kaminski  geduldig:  „Erzähl“.  

„Wir  können die Finder  für  viele  der  anderen  europäischen  Sprachen  auch  benutzen,  wir  müssen  nur  den  Pointer  anders  setzen. “

Kaminski  gab  sich  erst  gar  nicht  die  Mühe,  Christoph  zu  verstehen.   Es  reichte,  dass  Christoph  eine  Idee  hatte,  den  Zeitplan  der  Agenda  2010  zur  Übertragung  des  finder – Konzepts  in  den englischen,  französischen,  italienischen,  spanischen,  portugiesischen  und  niederländischen  Sprachraum  einzuhalten.   Wer  konnte  schon  verstehen,  was  in  Christopf  vorging.   Was  interessierte,  war  das  Endergebnis  und  das  war  bei  Christoph  immer  in  Ordnung.

Darum  fragte  er  nur:  “Das  ist  ausgezeichnet  Christoph.   Du  überraschst  mich  immer  wieder.   Brauchen  wir ein  neues  Patent?“

„Nein,  nach  meiner  Meinung  deckt  das  Patent  aus  1999  alle  Ideen  ab.“

 „Möchtest  du  vorbeikommen  oder reicht  es,  wenn  wir  Montag  drüber  reden“.

 „Montag  reicht“.  

„O. k. ,  ich  ruft  dich  Montag  am  Morgen  an.   Danke  dass  du mich  direkt  informiert  hast.   Genieß  ein  wenig  dein  Wochenende. “   

Ihre Handlung: Erfinden Sie doch andere Details aus der Vergangenheit von Woff. Hier könnten Sie einen weiteren Kreativen einführen, der Ihre eigenen Ideen entwickelt und später von Wolff Kaminski vorgestellt wird.

Von der Kohle zum Internet – September 2006, 3.Teil, Kapitel I

Ich  folgte  nun  endlich  –  ein  wenig  beruhigt  –  meinem  immer  stärker  knurrenden  Magen  und  begab  mich  wieder  in  die  Messe,  um  mir  ein  Brot  zu  schmieren.   An  der  Wand  über  dem Küchenblock  begann  eine  Lampe  in  Form  einer  Sonne  hektisch  zu  blinken.   Erst  als  ich  das  Blinken  bemerkte,  fiel  mein  Blick  durch  eines  der  sechs  großen  Fenster  nach  draußen.   Tatsächlich,  der  Nebel  hatte  sich  gelegt,  die  Sonne  hatte  ihre  Arbeit  aufgenommen,  es  schien  ein  schöner  Tag  zu  werden.   Die  symbolische  Sonne  über  dem Kückenblock  signalisierte,  dass  der  Wärmetauscher  wieder  arbeitete.   Automatisch  fiel  mein  Blick  auf  die  Temperaturanzeige.   48  Grad.   „Da  müssen  wir  heute  kein  Warmwasser  zuheizen. “ Nachdem  ich  zwei  weitere  Brote  verspeist  hatte,  räumte  ich  ab  und  machte  den Spül.   Um  Brigitte  nicht  zu  stören,  machte  ich  die Tür  zum  Büro  zu.   Dann  legte  ich  eine  klassische  CD  ein.   Klassik  wirkte  in  der  Regel  beruhigend  auf  mich.   Nicht  jedoch  heute. Zwischen  Büro  und  Messe  hatten  wir  eine  Hauseingangstür  eingebaut,  damit  waren  die  beiden  Räume  schallisoliert  getrennt.   Unser  Schiff  musste  sich  wirklich  hinter  keinem  Haus  verstecken.   Bis  12. 00  Uhr  wollte  ich  noch  das  Buch  „The  Postman“  im  Orginal  lesen.   Dann  würde ich  das  Essen  kochen.   Heute  war  ich  dran.  

Um  12. 30  Uhr  würden  wir  wie  immer  gemeinsam  Mittag  essen,  danach  würde auch  ich  mit  der  Arbeit  beginnen.   Ob  Brigitte  mir  beim  Mittagessen  endlich  ihre  Entscheidung  mitteilen  würde? 

Pünktlich  um  12. 30  Uhr  kam  Brigitte  aus  den  Büro  und  erwartete  warmes  Essen  auf  dem  Tisch.   Es  bedurfte  einiger  Übung,  um  mit  dem Rayburn  480K  umzugehen.   Optisch  sah  der Rayburn  stilecht  wie  ein  alter  Kohleofen  aus.   Im  Inneren  barg  er  als  Kombiofen  jedoch  modernste  Technik.   Mit  Petroleum  getrieben,  reichte  der  15K  Brenner  aus,  um  die  Heizkörper  des  gesamten  Schiffs  im  kältesten  Winter  mit  bis  zu  85  Grad  warmem  Wasser  zu  versorgen.   Gleichzeitig  konnte  man Kochen  und  Backen.   Für  das  wirklich  leckere  Essen  war  Brigitte  zuständig.   Meine  Kunst  reichte  für  sattmachende  Hausmannskost.   Heute  gab  es  getoastete  Brote  belegt  mit  Schinken  und  in  der neuen  Teflonpfanne  gebratene  Spiegeleier.   „Iß,  sonst  wird  es  kalt“.  

Brigitte  begann  zu  essen,  während  ich  meine  eigenen  Eier  fertig  machte.   Ich  hätte  mir  für heute  ein  anderes  Essen  überlegen  sollen.   So  hatte  ich  keine  Gelegenheit,  Brigitte  zu  beobachten  und  auf  ihre  Stimmung  vorbereitet  zu  sein.   Endlich  waren  auch  meine  Eier  fertig  und  ich  setzte  mich  dazu.   Schon  immer  war  ich  in  unserer  Beziehung  derjenige  gewesen,  der  die  Dinge  ansprach.   Aber  solch  eine  wichtige  Entscheidung  würde sie  doch  wohl  nicht  ohne  mich  treffen? 

Brigitte  nahm  schweigend  ihr  Essen  zu  sich.   Die  kleine  Pause  hatte  sie  sich  nach  einem  anstrengenden  Morgen  verdient.   Vor  eins  ging  das  Telefon  und  Communitymanagerin  Marga  rief  an,  warum  ihre  Community  trotz  der hohen  Userzahl  und  den  von  „Community  im  Test“  vergebenen  guten  Noten  nicht  von uns  hochgestuft  wurde. 

Meine  Frau  setze  ihr  schulmeisterliches  Lächeln  auf,  welches  sich  auf  ihre  Tonlage  übertrug  und  versprach  die  Rangfolge  auf  Fehler  zu überprüfen.   Natürlich  war  es  unwahrscheinlich,  dass  es  einen  Fehler  im  System  gab.   Selbst  die angestellten  Trendscouts  wollten  einfach  nicht  verstehen,  dass das von FINDERS  entwickelte  Kategorienfiltersystem  nicht  wie  bei  Suchmaschinen  Suchtreffer  abhängig  von der Häufigkeit  aufgerufener  Keywordseiten  honorierte,  sondern  alleine  die  Qualität  der  Kundenanfragen  in  den  Shops  entschied,  welche  Shops,  Shopartikel  und  auch  Communitybeiträge  an  erster  Stelle  angezeigt  wurden.   Schließlich  war  es der Kunde,  von  dem  wir  alle  lebten.  

Die  Lizenz  eines  Kategorienmanagerbüros  sicherte  einem  eine   lebenslange  Existenz.     

Einen  Fehler  durfte  man  jedoch  auf  keinen  Fall  machen:  zu  viele  Kundensuchanfragen  zum  Thema  Schuhe  ins  Leere  laufen  lassen.   Häuften  sich  die  Kundenbeschwerden,  so hatte  das  FINDERS  Konsortium  die Möglichkeit  der  Provisionsminderung  bis  in  letzter  Konsequenz  gar  zum  Entzug  der Lizenz.   Hierfür  war  jedoch  ein  mit  hohen  bürokratischen  Hürden  versehenes  Gerichtsverfahren  nötig.        

  • Die Patentanmeldung zur Achtcard finden Sie in  http://www.dpma.de unter der Anmeldenummer PCT WO 00/077690 A3.

 Die  Pause  war  vorbei  und  auch  ich  musste  meine  R – Faxe  abrufen,  meine  E – Mails  überfliegen,  ob  sich  zwischen  dem  Spam  etwas  Relevantes  verbarg.   Alle  E – Mails  waren  bereits  von  Assistentin  Dagmar  vorsortiert  worden.   Doch  die  Techniken  der  Werbetreibenden  wurden  immer  ausgefeilter,  um  an  Dagmar  ,  z. B.   als angeblicher  wichtiger  Auslandspartner  vorbeizukommen.   

Immerhin  50%  des  gesamten  deutschen  Onlinehandels  aus  dem  Bereich  Schuhe  wurde  inzwischen  von  uns  begleitet.   Ca.   15. 000  freie  Regionalhändler,  300  Communitys  und  3000  Herstellerseiten  waren  in  die  Kategorie  Schuhe  integriert  und  mussten  gemanagt  werden.   Niemand  hatte  damit  gerechnet,  dass   die  Entwicklung  derart  rasch  voranschreiten  würde.   Dabei  war  es  nur  die  konsequente  Entscheidung,  auf  Basis  der bereits  2000  vorliegenden  Zahlen.   Damals  war  schnell  klar,  dass  nur  ein  kleiner  Teil  der  über  40jährigen  als  begeisterter  Computeruser  zu  gewinnen  wäre.   Wenn  auch  viele  politische  Entscheidungen  von Kanzler  M  heute  sehr  kritisch  als  Alleingänge  gesehen  werden,  so  ist  unstrittig,  dass  es  seiner  mutigen  Entscheidung,  allen  Bürgern  einen  Achtfachcardzugang  zur  Verfügung  zu  stellen,  zu  verdanken  ist,  dass  heute  der Haupthandelsumsatz  online  abgewickelt  wird.   Dabei  nutzen  bis  heute  viele  keinen  Computer  für  den  Onlineeinkauf.  

Die  Zeit  bis  17. 00  Uhr  verging  wie  im  Fluge.   Kurze  Telefonate,  Beantwortung  von E – Mails  und  R – Faxen  und  weitergeleiteten  Userbeiträgen,  welche  möglicherweise  für  die  Weiterentwicklung  der  Konzepte  interessant  waren,  strittige  Beiträge  in  Communities  u. s. w.   .   Um  22. 00  Uhr  würde ich  den  zweiten  Teil  meiner  Arbeit  bis  2. 00  Uhr  erledigen.   Zwischen  2. 00  Uhr  und  7. 00  Uhr  bearbeitete  nur  ein  kleines  Team  von  Mitarbeitern  die  Anfragen  der  finder – Redaktion,  Community – und  Servicemanager.  

„Denkst  Du  daran,  dass  wir  noch  im  Leclerc  einkaufen  wollten?“ 

Nun  riss  mir  doch  der  Geduldsfaden.   Natürlich  konnte  Brigitte  das  R – Fax  an  den  Schulrat  noch  bis  1  Minute  vor  24. 00 Uhr absenden.   Behörden  hatten  das  Recht,  den  Empfang  eines  R – Faxes  unter  Vorbehalt  automatisch  zu  bestätigen,  doch  wollte  sie  wirklich  bis  zur  letzten  Minute  warten,  um  mich  mit  den  unveränderbaren  Konsequenzen  zu  konfrontieren?  Das  konnte  nur  bedeuten,  dass  sie  sich  bereits  für  den  Schuldienst  entschieden  hatte  und  gegen  mich!  Karlsruhe  hatte  schließlich  nicht  den passenden  Liegeplatz  für  ein  33m  langes  Frachtschiff.    

Jetzt  wurde  ich  wütend.   Als  Brigitte  mich  nach  dem  Schlüssel  für  den  Smart  fragte,  müffelte  ich  sie  nur  an.  

„Ist  was?“  fragte  sie  offensichtlich  erstaunt.  

„Tu  nicht  so,  du  weißt  genau  was  ist. “ 

„Weiß  ich  nicht,  warum  bis  Du  sauer?  Ist  mit  Dagmar  was  schief  gelaufen?  Die  war  heute  wirklich  sehr  gestresst. “  Sie  merkte  wohl,  dass  ich  immer  wütender  wurde.   „Ich  weiß  es  wirklich  nicht,  was  ist  los?“

„Heute  ist  der  Tag“.  

„Welcher  Tag?“  

„Der  Tag  der  Entscheidung  wegen  dem  Schuldienst“.

Einen  Moment  lang  schaute  sie  mich  ungläubig  an,  dann  prustete  sie  plötzlich  los.   „Ich  hab  denen  doch  schon  vor  Wochen  geschrieben,  dass  ich  nicht  wiederkomme.   Hast  du wirklich  geglaubt,  ich  lass  dich  einfach  so  im  Stich  mit  dem  Kahn  und  allem?“

Normalerweise  hätte  ich  ihr  den  Kahn  sehr  übelgenommen.   So  aber  war  ich  nur  noch  glücklich.   Wir  gaben  uns  einen  sehr  langen  Kuss,  bevor  wir  endlich  in  den  Smart  stiegen.    

Unser Vorschlag zu Ihrem Handlungsstrang: Hatten Sie selbst schon vor 2001 eine Idee, deren Umsetzung alles verändert hätte? Schreiben Sie doch eine kleine Geschichte. Der Zusammenstoß anderer Akteure mit dem Einkaufswaren der Frederichs im Leclerc reicht, um die Handlungstränge zu verbinden!

Von der Kohle zum Internet -September 2006, 2.Teil, Kapitel I

In  der  modernen  offenen  Küche  nahm  ich  mir  einen  Kaffee  aus  der Kaffeemaschine  und  setzte  mich  an  den großen  Esstisch.   Brigitte  hatte  schlechte  Laune.   Sie  hatte  mir  keinen  Teller  hingestellt,  sondern  lediglich  den  Aufschnitt  vom  eigenen  Frühstück  stehen  lassen.   Meist  nahmen  wir  uns  zumindest  die  Zeit,  ein  Brot  gemeinsam  zu essen.   Wenn  Brigitte  mit  dem  falschen  Bein  aufgestanden  war,  dann  waren  das  denkbar  schlechte  Voraussetzungen,  um  eine  Entscheidung  zu fällen.   Doch  ich  würde von  mir  aus  das  Thema  nicht  zur  Sprache  bringen,  auf  keinen  Fall. Ich  erinnerte  mich  noch  gut,  wie  schwer  es damals für  mich  selbst  war,  eine  Entscheidung  zu treffen.   Natürlich  hatte  ich  im  Gegensatz  zu  Brigitte  keine  Alternative  –  Frühverrentung  kam  für mich  auf  keinen  Fall  in  Frage.  

Ich  hatte  mich  die  ganze  Zeit  als  Postbeamter  geistig  erheblich  unterfordert  gefühlt.   Wer  weiß,  wenn  nicht  die  alte  Postbeamtentradition  in  meiner  Familie  bestanden  hätte,  vielleicht  hätte  ich  sogar  studiert.   Lernen  viel  mir  sehr  leicht,  jedoch  interessierte  mich  der  dröge  Schulstoff  nicht  wirklich  und  ich  erbrachte  genau  die  Leistung,  welche  zur  Aufnahme  in  die  Ausbildung  als  Postbediensteter  von  mir  erwartet  wurde.   Es  war  nicht  einfach,  100%  zuverlässige  Mitarbeiter  in  diesem  doch  eher  einfachen  Beruf  zu  finden.   Eine  alte  Familientradition  als  Referenz  wurde  sehr  geschätzt. Für  Brigitte  gab  es  zumindest  keinen  finanziellen  Aspekte,  welche  sie  zu  einer  Rückkehr  in  die Lehrertätigkeit  bewegen  konnten.   Einen  Beruf  mit  mehr  Perspektive  als  die  eines  Kategorienmanagers  mit  Deutschlandlizenz  für  den  lukrativen  Bereich  Schuhe  konnte  man sich  heute  kaum  mehr  vorstellen.   Immerhin  beschäftigte  ich  inzwischen  70  Mitarbeiter  als  Trendscout,  Communitymoderator,  Regionalmanager  oder Administrator.  

Mich  schauderte  bei  dem Gedanken,  Brigitte  könnte  sich  für  die  Rückkehr  in  den Lehrerberuf  entscheiden.   Schließlich  hatte  sie  sich  im  letzten  Jahr  für  mich  unersetzlich  gemacht.   Sie  hatte  fast  alle  administrativen  Aufgaben  übernommen  und  hielt  mir  vollkommen  den Rücken  frei,  dass  ich  mich  vorwiegend um  die  Weiterentwicklung  der  Konzeption  kümmern  konnte,  um  den deutschen  Onlineumsatz  für Schuhe  weiter  zu  steigern.  

Natürlich  hatten  wir  als  Kategorienlizenzbüro  keinerlei  Verantwortung  für  die  Schuhshops.   Uns  war  nicht  einmal  erlaubt,  einen  eigenen  Onlineschuhshop  zu  betreiben.  Ein  Kategorienmanager wäre  durch  seine  Insiderkenntnisse  und  sein  Branchennetzwerk  jederzeit  in  der  Lage  ,  sich  Vorteile  vor  den  anderen  Shops  zu  verschaffen.  

Aber  ein  Teil  des  Umsatzes  unseres  Büros  war  an  den  Umsatz  im Schuhbereich  gekoppelt.   Für  die Berechnung  der  Provision  wurde  eine  komplizierte  Formel  zugrunde  gelegt,  welche  verschiedene  Parameter  wie  z. B.   den  Zuwachs  des  Onlineumsatzes  der Kategorie  im  Verhältnis  zum  Wachstums  des  gesamten  Onlinemarktes  berücksichtigte.   Hier  konnte  man mit  dem  richtigen  Communitykonzept  eine  Menge  beeinflussen.   Als  Kategorienmanager  der  ersten  Stunde  hatte  ich  den  Neuen  eine  Menge  Wissen  voraus.   Die  Kunst  bestand  darin,  möglichst  viele  ehrenamtliche  Mitarbeiter  einzubinden.

Muffelig  betrat  Brigitte  den  Raum.   Wir  hatten  es  uns  angewöhnt,  uns  leger  zu kleiden,  da  auch  in  den  üblichen  Bürozeiten  nicht  mit  Kundschaft  zu rechnen  war.   Oft  wussten  noch  nicht  einmal  unsere  Mitarbeiter,  wo  unser  Schiff  gerade  lag.   Trotzdem  legte  Brigitte  großen  Wert  auf  ein  gepflegtes  Äußeres  und  gab  mir  deutlich  zu  verstehen,  wann  es Zeit  war,  in  mein  Outfit  etwas  Abwechslung  zu  bringen.  

Nachdenklich betrachtete ich die  weibliche  Figur meiner 1,70 m großen Frau. Auf  Fremde  wirkte  sie  oft  etwas  arrogant  und  abweisend,  jedoch  ich  kannte  sie  als  jemand,  auf  den  ich  mich  100%  verlassen  konnte,  solange  sie ihre  Freiräume  behielt.   Brigitte  lachte  fast  nie,  aber  war  eine  Frau  mit  unterschiedlichstem  Lächeln.   Alle  Facetten  kannte  man erst,  wenn  man Brigitte  sehr  gut  kannte:  das  lehrerhafte  Lächeln,  das humorvolle  Lächeln,  das mitleidige  Lächeln  –  wie  ich  das hasste – das anerkennende  Lächeln  und  na  ja  ein  Lächeln,  dass  nur  ich  kannte.   Wie  weit  gingen  diese  Freiräume?  Ich  wusste,  der  größte  Nachteil,  den Brigitte  in  ihrer  jetzigen  Tätigkeit  sah,  waren die fehlenden  menschlichen  Kontakte . Würde  sie  sich  deshalb  wieder  für die Lehrertätigkeit  entscheiden?  Ich  könnte  es verstehen.   Zwar  hatte  ich  diese  Probleme  vorausgesehen  und  im  Bug  des  Schiffes  zwei  Gästekajüten  mit  jeweils  4  Stockbetten  und  eigenem  Bad  eingerichtet,  trotzdem  gelang  es  uns  nicht,  jedes  Wochenende  in  Gesellschaft  zuverbringen.  

„Hast  du  gestern  an  das  Backup  gedacht?  Als  ich  heute  Morgen  die  E-Mails  abgerufen  habe,  lud  sich  mein  Rechner  alle  E-Mails  der  letzten  Tage  erneut  vom  Server.   Nur  anstelle  von  Klartext  kamen  irgendwelche  Hieroglyphen. “

 „Ups,  da  hat  der  Provider  wohl  am  Server  gefummelt  und  den falschen  ASCI  Code  eingestellt.   Dass  wir  immer  noch  gezwungen  sind,  E –Mails  zu  bearbeiten,  ich  verstehe  diese  Leute  von  FINDERS  nicht.   R –Faxe,  Anfragen  über  das  Kontaktformular,  Kommentarfelder,  Bewertungsfelder.  Warum  E –Mails,  das  ist  doch  nur  Spam,  Briefe  hat  man schließlich  auch  abschaffen  können!“

„Du  weißt  genau,  dass  FINDERS  sein  Konzept  auf  alle EU  Länder  übertragen  will,  die  haben  nun  kein  R-  Fax  und  dann  ist  ja  noch  der  Rest  der  Welt.   Hast  du  nun  Backup  gemacht?“ Na,  das  fehlte  noch.  Das  bringt  das  Fass  zum  überlaufen,  Brigitte  hat  kein  Bock  mehr  auf  Technik.   Hab  ich  oder hab  ich  nicht?  Ich  bin  mir  einfach  nicht  sicher.  „Klar  hab  ich  Backup  gemacht,  Du  kannst  ganz  normal  über  das  Betriebssystem  den  Status  von  gestern  zurück  holen,  dann  musst  Du  nicht  jedes  Mail  einzeln  löschen. “

Brigitte  setzte  ihr  „Wenn  das mal  stimmt “ Lächeln  auf  und  verschwand  in  den  Raum  vor  der  Messe,  unserem  gemeinsamen  Büro.  

Die  Tür  blieb  auf  und  ich  hörte,  wie  sie einige  Befehle  in  den Rechner  tippte. „Fhiep,  Fhiep“  kündigte  das  Fax  an,  dass  neue  R –Faxe  auf  Abruf  warteten.   „Schatz,  weißt  Du,  wo  meine  Achtcard  liegt?“  Brigittes  Stimme  klang  neutral.   Hatte  das  Backup  funktioniert?

„Hier  auf  dem  Tisch,  ich  bring  sie  Dir. “  Wenn  das  Backup  nicht  funktionierte,  wollte  ich  zumindest  unmittelbar  im  Auge  des  Sturms  Gegenmaßnahmen  einleiten.   Ich  stand  also  vom  Tisch  auf – immerhin  mit  einer  Tasse  Kaffee  im Magen   – und  ging  an  der  Couchecke  vorbei  in  den  nächsten  Raum,  der  groß  genug  war,  um  zwei  Schreibtische  und  den  Tisch  für  das  Multifunktionsgerät  aufzunehmen.   Das  Multifunktionsgerät  konnte  Scannen,  Drucken,  Faxen  und  Kopieren.   Natürlich  war  es  mit  einem  Achtcardleser  ausgerüstet.  

„Ich  mach  das mit  den R –Faxen“.  

Brigitte  setze  ihr  „Du  bist  aber  lieb  Lächeln“  auf,  sagte  aber  nichts.   Ich  nahm  die  Achtcard  und  suchte  die richtige  Seite.   Die  Achtcard  sah  aus,  wie  früher  die  Eurocard.   Nur  hatte  sie  auf  jeder  Seite  4  Chips,  also  insgesamt  acht  statt  einem.  Die  Kunststoffkarte  war  durchsichtig.   

Das  war  eine  Idee  der  Datenschützer,  welche  für  den  Nutzer  visuell  überprüfbar  machen  wollten,  dass  es  zwischen  den  Chips  keine  Verbindung  gab.   Ich  wählte  die  breite  Seite,  auf  der  ein  Symbol  in  Form  eines  Schlüssels  abgebildet  war  und  steckte  die Karte  in  den  passenden  Schlitz.   Sofort  begann  das  Fax  die  aktuellen  R –Faxe  auszuspucken.   In  der Headerzeile  druckte  es  außer  dem  Datum  auch  Brigitte  Frederichs  als  Information  aus  der  Karte  meiner  Frau,  sowie  einen  einmaligen  Barcode  aus,  mit  dem  sich  im  Zweifelsfalle  eindeutig  rekonstruieren  ließ,  dass  das  R –Fax  mit  der  entsprechenden  Achtcard  ausgedruckt  wurde.   Sorgfältig  überprüfte  ich,  ob  alle  Seiten  vollständig  waren,  dann  zog  ich  die  Achtcard  kurz  heraus  und  steckte  sie an  der gleichen  Seite  noch  einmal  herein  und  drückte  auf  dem  alphanumerischen  Zehnerblock  die  Taste  „ABC“  für  bestätigen.      

Hätte  ich  die  Taste  „PQRS“  gedrückt,  wären  alle R –Faxe  erneut  gesendet  und  ausgedruckt  worden.   Es  war  unbedingt  erforderlich,  das  Verfahren  bei  den  R-  Faxen  (R  steht  glaube  ich  für  Response)  einzuhalten.   

Bevor  alle  Briefe  abgeschafft  werden konnten,  musste  erst  die Gesetzeslage  geändert  werden.   R  –Faxe  werden  genau  wie  früher  Einschreiben  eigenhändig  als rechtskräftig  zugestellt  betrachtet.       

Ich  ging  zu  Brigitte,  um  mir  einen  Kuss  abzuholen,  den  sie  bereits  mit  ihrem  Mund  andeutete.   Unauffällig  hatte  ich  Gelegenheit  zu  überprüfen,  dass  das  Backup  geklappt  hatte.   Gott  sei  Dank,  die Laune  von  Brigitte  schien  sich  zu  bessern.  Brigitte  drehte  sich  um  und  wendete  sich  den  neu  eingegangenen  R – Faxen  zu,  die  gleichzeitig  zum  Ausdruck  nun  auch  als  PDF  Files  auf  ihrem  Rechner  zur  Verfügung  standen.   

Anfänglich  hatte  es  große  Widerstände  gegen  dieses  Verfahren  gegeben.  Umweltschützer  sahen den  Verbrauch  von  ungeheuren  Papiermengen  vorher.   Umfangreiche  Untersuchungen  konnten  diese  Vorwürfe  jedoch  entkräften.   Tatsächlich  hat  sich  der  Papierverbrauch  weitgehend  minimiert,  obwohl  heute  keiner  mehr  vom  papierlosen  Büro  spricht.   Das  R  –Fax  zwang  zu einer  zweiten  Archivierung  wichtiger  Dokumente  in  Papierform.   Spätestens  nach  dem  bekannt  wurde,  dass  Datenbestände  auf  CD  alleine  auf  Grund  ihrer  Lagerzeit  beschädigt  werden,  gab  Papier  weiterhin  ein  sicheres  Gefühl. Früher  wurden  die  meisten  Mails  ausgedruckt,  der  Papierverbrauch  war  nicht  geringer.   Das  Zustellen  von  Briefen  kostete  jedoch  einen  ungeheuren  logistischen  Aufwand.   Alleine  hierdurch  wurde  die  Umwelt  erheblich  belastet  und  schließlich  konnte  man das  gesamte  Papier  für  Briefe  und  Umschläge  einsparen.   Die  Ersparnis  der  Papierproduktion  kommt  bis  heute  unmittelbar  Umweltprojekten  im  Regenwald  zu  gute,  welche  gleichzeitig  eine  Beschäftigungsalternative  zur  Forstwirtschaft  bieten.    

Ihr Beitrag: Eine flächendeckende digitale Erreichbarkeit aller Deutschen hätte weitreichende Auswirkungen auf alle Bereiche der Lebens. Beginnen Sie hier Ihren eigenen Handlungsstrang.

  • Die Patentanmeldung zur Achtcard finden Sie unter http://www.dpma.de unter der Anmeldenummer DE 10101874 A1

Von der Kohle zum Internet – Frankreich – September 2006, 1. Teil, Kapitel I

Es  war  kalt,  die Windturbine  rappelte  laut  –  kein  Grund  aufzustehen.   Ich  räkelte  mich  unter  der  dicken  warmen  Decke.   Der  Platz  in  dem  Doppelbett  neben  mir  war  leer.   Einer  der  wenigen  Nachteile  unseres  neuen  Lebens  war,  dass  Brigitte  und  ich  zeitversetzt  arbeiten  mussten.   Brigitte  war  sicher  schon  am  Computer  und  bearbeitete  neue  Scoutanfragen.  Mein  Blick  schweifte  über  die  Mahagonitäfelung  der  Kapitänskajüte  des  alten  Kohlefrachters.   Eigentlich  war  der  Begriff  Kapitänskajüte  nicht  ganz  korrekt.   Als  der  1929  gebaute  Frachter  noch  in  Betrieb  war,  fungierte  dieser  Deckaufbau,  der  nur  von  dem  dahinterliegenden  Führerhaus  überragt  wurde,  als  Küche  und  Aufenthaltsraum.   Erst  nachdem  wir  2003  den  Frachter  für  wenig  Geld  gekauft  und  umgebaut  hatten,  wurde  dieser  Raum  unser  Schlafzimmer.   Ich  erinnere  mich  noch  gut  daran,  wie  viel  Arbeit  es  war,  in  dem   Teil,  in  welchem  der  Küchenblock  stand,  das  Holz  von  Ruß  zu  entfernen  und  optisch  den  anderen  Seiten  anzugleichen.   Das  Ergebnis  konnte  sich  sehen  lassen.   Mein  Blick  schweifte  weiter  zu  der  Luke  über  einer  kleinen  Stufe  in  das Führerhaus.   Rechts  und  links  ging  eine  Tür  ins  Freie.   In  der  Mitte  stand  ein  halbhoher  Kasten,  dessen  Deckel  aufgeklappt  war.   Auch  die  vorderen  Flügeltüren  waren  nicht  verschlossen. Heute  war  der  28. September  2006.   Der  Tag  an  dem  Brigitte  offiziell  eine  Entscheidung  treffen  musste,  ob  sie endgültig  ihr  Leben  ändern  wollte.   Brigitte  war  7  Jahre  jünger  als  ich  und  Lehrerin  für  Deutsch  und  Mathematik.   Sie  hatte  sich  vor  fast  einem  Jahr  eine  Auszeit  vom  Lehrerberuf  genommen,  weil  ich  sie gebeten  hatte,  mich  in  meiner  Kategorienagentur  als  Kategorienmanager  zu  unterstützen.   Eigentlich  war  Brigitte  die  Art  mütterlicheTyp,  bei  dem  man sich  einen  Lehrerberuf  gut  vorstellen  konnte.   Auch  hatte  sie  keine  Autoritätsprobleme.   Ihre  Schüler   behandelten  Sie  mit  Respekt.  

Trotzdem  fiel  es mir  nicht  schwer,  sie  von  dem  Sabbatjahr  zu  überzeugen.   Nach  über  20  JahreLehrerdasein  war  sie  es  einfach  müde,  immer  wieder  den  gleichen  Stoff  zu vermitteln.   Und  obwohl  sich  durch  die  Agenda  2005  mit  R-Fax  und  strukturiertem  Internet  für alle Deutschen  in  den  letzten  Jahren  immense  Veränderungen  im Arbeitsalltag  genauso  wie  im  Privatleben  ergeben  hatten,  schien  die  Zeit  in  der  Schule  stehen  geblieben  zu  sein.   Die  Lehrpläne  selbst  der  Gymnasien  gingen  nur  im  Wahlpflichtfach  Informatik  ansatzweise  auf  die  ungeheuren  Herausforderungen  ein,  welche  nun  im zweiten  Schritt  Deutschland  bei  der Agenda  2010  mit  dem  Ziel  der  Weltmarktführerschaft  im  Onlinehandel  bevor  standen.

Obwohl  ich  hoffte,  dass  Brigitte  keine  Zweifel  mehr  hatte,  heute  dem  Schulrat  ihre  endgültige  Kündigung  zuzuschicken,  hatte  ich  mir  fest  vorgenommen,  das Thema  nicht  anzusprechen  und  sie  nicht  zu  beeinflussen.   Es  gab  also  einen  weiteren  Grund,  im  Bett  zu  bleiben  und  eine  gute  Gelegenheit,  meine  eigene  Entscheidung  vor  4  Jahren  zu  überdenken.  

Ja  4  Jahre  war  es  erst  her,  dass  ich  jeden  Tag  als  Briefträger  in  Karlsruhe  mit  dem Fahrrad  die  Post  ausgetragen  habe.   Ich  dachte,  dass  ich  diese  Aufgabe  bis  zur  Rente  wohl  durchhalten  würde,  obwohl  mir  insbesondere  die  Kälte  im Winter  immer  mehr  zusetzte.   Spaß  machte  es mir,  dass  ich  nach  und  nach  alle Leute  in  meinem  Stadtbezirk  kannte  und  alle  mich  grüßten.   Auch  die  kleinen  Episoden  ließen  mir  den  Alltag  nie  langweilig  werden.   Einmal  war  es der spontane  Kuss  einer  alten  Frau,  welche  nach  langen  Jahren  erstmals  einen  Brief  von  ihrer  im  Ausland  lebenden  Tochter  erhielt,  ein  anderes  Mal  war  es ein  Liebesbrief  an  einen  Schüler,  den  dieser  heiß  ersehnte  und  im  kalten  Winter  zwei  Stunden  im  Kelleraufgang  wartete,  um  den  Brief  vor  seinen  Eltern  abzufangen.  

Das  Frühjahr  2002  war  eine  meiner schlimmsten  aber  im nachhinein  auch  meine  aufregenste  Zeit.   Damals  hatte  die  Postgewerkschaft  zum  Streik  aufgerufen  und  über  60%  der  nicht  beamteten  Bediensteten  waren  diesem  Aufruf  gefolgt.   Mein  Leben  war  bis  dahin  ohne  große  Höhen  und  Tiefen  verlaufen.   Realschule  mit  mittelmäßigem  Abschluss,  dann  Lehre  bei  der  Post.   Postbeamte,  das  waren  wird  Friederichs  nun  in  der dritten  Generation.   Da  lernt  man schon  vom  Vater  eine  bestimmte  Art  der Auftretens,  welche  einem  im  späteren  Beruf  die Arbeit  erheblich  erleichtert.   Eine  Mischung  aus  Respektsperson  und  Fürsorger,  der  immer  ein  offenes  Ohr  für die Menschen  hat,  jedoch  nie  die  Distanz  verliert  und  auch  in  der Lage  ist,  das  Einschreiben  zur  Räumungsklage  zuzustellen. Mit  25  hatte  ich  Brigitte  –  damals  noch  im  Studium  kennengelernt  und  wir  waren  beide  nach  einigen  sehr  unerfreulichen  Beziehungsversuchen  froh,  einen  verlässlichen  Partner  gefunden  zu  haben.   Unser  gemeinsames  Gehalt  und  die  doppelte  Verbeamtung  ermöglichten  es  uns,  ein  kleines  Häuschen  am  Karlsruher  Stadtrand  zu  kaufen.   Ich  träumte  immer  davon,  endlich  in  Rente  mit  einem  kleinen  Segelboot  um  die  Welt  zu  segeln.   Brigitte  teilte  meine  Leidenschaft  fürs  Wasser,  mit  mir  permanent  auf  engstem  Raum  ohne  weitere  Beschäftigung  außer  herumzureisen  zusammenzusitzen,  konnte  sie  sich  jedoch  nicht  vorstellen.  

Nun  ist  es  also  ein  altes  Kohleschiff  mit  immerhin  stattlichen  33  Metern  Länge  und  5  Metern  Breite  geworden,  von  vorne  bis  hinten  überbaut  –immerhin.   Und  über  Beschäftigung  können wir uns  als Kategorienmanager  nun  wirklich  nicht  beklagen. Ja  fast  wäre  ich  2002  mit  gerade  mal  45  Jahren  schon  Rentner  geworden.   Genau  das  war  nämlich  das  Angebot  an  die  verbeamteten  Postler,  Frühverrentung  wegen  Wegfall  des  Arbeitsplatzes  oder Starthilfe  und  Umschulung  zum  Kategorienmanager,  mit  der  Chance  eine  der  40. 000  Lizenzen  als als  Kategorienagentur  zu  erhalten.   Wie  alles  angefangen  hat?  Was  bekomme  ich  denn  spontan  zusammen?

Zu  dieser  Zeit  überredete  der  Bürgermeister  von Friedrichshafen  Herrn  Kaminski,  den Geschäftführer  eines  kleinen  Hamburger  Providers,  als  Initiator  für  ein  neu  gebautes  Technologiezentrum  zu  fungieren.   Eine  GmbH  wurde  gegründet.   Kaminski  brachte  sein  Know  How  und  Mitarbeiter  ein,  welche  sich  schon  seit  einiger  Zeit  mit  einer  speziellen  Zugangssoftware  zum  Internet  beschäftigten.   Ungefähr  zu  dieser  Zeit  kam  aus  den USA  nach  Yahoo  auch  Google  nach  Deutschland  und  eroberten  in  Windeseile  Marktanteile.   Im  Jahr  2000  dann  sah  es so aus,  dass  viele  der deutschen  Start  Ups,  die  in  oft  übereilt  fertig  gestellten  Businessplänen  die definierten  Erwartungen  nicht  erfüllen  konnten.   Einen  vorläufigen  Höhepunkt  der  Rückschläge  bildete  der  Übernahmeversuch  von  Mannesmann  durch  Vodafone  im Februar.  

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Durch  die  guten  Kontakte  von  Herrn  Kaminski  zudem Management  von  Mannesmann  –Einzelheiten  sind  ,  obwohl  diese  Ereignisse  ausführlich  in  der  Presse  diskutiert  wurden  bis  heute  nicht  bekannt  –  wurde  wohl  ein  Rettungsplan  geschmiedet.   Der  damalige  Bürgermeister  von Friedrichshafen    der Name  fällt  mir  nicht  ein    nutzte  seinerseits  seine  guten  Kontakte  zum  Bundeskanzler  und  der  gab  zahlreiche  Studien  in  Auftrag.   Das  Ergebnis  war  die  Agenda  2005.   Kaffeeduft  stieg  mir  in  die Nase.   Das  war  immer  ein  untrügliches  Zeichen,  dass  Brigitte  nun  mit  meinem  Auftauchen  rechnete.   9. 00  Uhr  sah  ich  auf  meinem  Handy,  welches  ich  wie  fast  jeder  immer  bei  mir  hatte,  heute  wichtiger  und  universeller  einsetzbar  als  jedes  Portmonee. Ich  räkelte  mich  noch  einmal  und  sprang  aus  dem  Bett.   Dann  zog  ich  die  Vorhänge  zurück.   Die  Kapitänskajüte  hatte  an  allen  drei  Seiten  Fenster.   Das  Boot  war  am  Ufer  der  Rhône  festgemacht.   Über  den  Feldern  lag  noch  immer  Nebel.   Die  Sonne  kämpfte  sich  nur  gelegentlich  durch  die  Wolken.   „Es  wird  Herbst“  dachte  ich. An  der  vierten  Seite  der Kajüte  näherte  ich  mich  dem  Kasten.   Darunter  führte  eine  steile  breite  Leiter  ins  Dunkel.   Immer  noch  liebte  ich  diesen  Weg  durchs  Schiff  und  fühlte  mich  nach  1929  zurückversetzt,  wenn  ich  diese  Leiter  herunterstieg.   Wie  immer,  verzichtete  ich  darauf,  das  Licht  anzumachen  und  wartete,  bis  sich  meine  Augen  an  das  Halbdunkel  dieses  Raumes  gewöhnt  hatten.   Auch  der  unter  der  Kapitänskajüte  liegende  Raum  war  komplett  mit  Mahagoni  verkleidet.   Jedoch  waren  hier  die  Schreinerarbeiten  noch  wesentlich  aufwendiger  ausgeführt.   Die  Heckseite  wurde  von  einem  schönen  alten  Ganzkörperspiegel  verziert,  auf  den  indirektes  Sonnenlicht  von  einem  kleinen  Dachfenster  fiel,  welches  sich  von  außen  fast  unsichtbar  unter  dem Führerhaus  versteckte.   Auf  der  dritten  Seite  gab  es  nur  zwei  aufwendig  gestaltete  Türen.    

Im  oberen  Teil  der  Türen  waren  zwei  mit  gefrästen  Blumenmustern  verzierte  Gläser  eingesetzt.   Dahinter  befanden  sich  früher  zwei  1,50  m  mal  1,5m  großen  Schlafräume.   Wir  nutzen  beide  Räume  nun  als  zusätzlichen  Stauraum.   Schon  interessant,  mit  wie  wenig  Platz  man früher  auskam.   Die  Räume  bestanden  jeweils  aus  einem  Bett.   Unter  dem  Bett  ließen  sich  über  die  gesamte  Breite  zwei  Türen  öffnen.   Hier  schliefen  die  Kinder.   Dies  war  der  gesamte  Platz,  welcher  bis  1970  den  Fuhrleuten  zur  Verfügung  stand.   Erst  später  wurde  vom  Vorbesitzer  der  dahinterliegende  offene  Frachtraum  überbaut.  

Auf  der Vorderseite  des  Schrank  Wohnraumes  zeugten  eine  Metallplatte  und  eine  Marmorumrahmung  davon,  dass  hier  einmal  ein  offener  Kamin  direkt  unter  dem Küchenofen  für  Wärme  gesorgt  hatte.   Heute  stand  anstelle  des  Kamins  ein  inzwischen  auch  schon  antiker  schmiedeeiserner  Heizkörper.  

Nachdem  ich  mich  angezogen  hatte,  wendete  ich  mich  den  letzten  beiden  Schranktüren  auf  der  Steuerbordseite  zu.   Anstelle  des  alten  Schrankraums  begann  hier  der  sehr  schmale  nur  1,70  m  hohe  Gang  zum  vorderen  2.30  m  hohen  und  modern  ausgebauten  Bereich.   Hier  forderte  die  ursprüngliche  Bauart  des  Frachtschiffes  sein  Tribut.   An  den  alten  Wohnbereich  der  Fahrleute  war  direkt  der  nur  von  außen  zu  erreichende  Maschinenraum  mit  dem  400  PS  Diesel  angebaut.   Dieser  komplett  umschlossene  Raum  war  nur  durch  diesen  schmalen  Gang  zu  erreichen. „Kompost“  hörte  ich  Brigitte  fluchen  und  sofort  machte  sich  bei  mir  ein  schlechtes  Gewissen  breit.   Fast  alles  hatten  wir  mit  diesem  Schiffskauf  richtig  gemacht.   Auf  viele  Dinge  war  ich  richtig  stolz,  wie  z. B.   die  weitgehende  Autarkie  des  Bootes.   Strom  wurde  über  das  Windrad  oder die  Sonnenkollektoren  erzeugt.   Heißwasser  durch  den  Wärmetauscher.  

Aber  die  Komposttoilette  war  eindeutig  eine  Fehlentscheidung  gewesen.   Die  eigens  aus  Schweden  importierte  Toilette  Marke  Separett  bestand  aus  zwei  Abteilungen.   Im  vorderen  Bereich  sollte  das  kleine  Geschäft  ablaufen,  während  im  hinteren  Bereich  das  große  Geschäft  zielgenau  in  ein  Loch  treffen  sollte.   Setzte  mansich  auf  die  Klobrille,  so  schob  sich  über  dem  Loch  ein  Deckel  zur  Seite.   Erstaunlich  war,  dass  der zukünftige  Kompost  wie  vom  Hersteller  der  Toilette  garantiert,  nicht  stank,  wenn man optimalerweise  eine  Tasse  Stroh  nach  seinem  Geschäft  hinterher  kippte  und  keine  weitere  Flüssigkeit  den hinteren  Bereich  erreichte.   Tatsächlich  gab  es  im  Alltag  jedoch  zahlreiche  Hürden  zu  überwinden,  welche  wir vorher  vonder klassischen  Toilette  nicht  kannten.   An  welcher  Hürde  Brigitte  nun  gerade  gescheitert  war,  würde  ich  sicher  nicht  nachfragen.

Ich  ging  also  den  langen  Gang  am  unsichtbaren  Maschinenraum,  der  Klotür,  der  Badezimmertür  und  dem  ebenfalls  unsichtbaren  4000  Liter  Wassertank  vorbei  und  kam  in  der komplett  mit  hellem  Holz  verkleideten  Schiffsmesse  an.   Ich  ging  nach  Steuerbord  vorbei  an  der  Sambatreppe  welche  zu  dem  mittschiffs  liegenden  Außensitzbereich  führte.  

Fortsetzung folgt in einer Woche. 

Hier ist Platz für Ihren eigenen Handlungsstrang. Gibt es 2006 weitere Ereignisse, die Sie in den Alltag der Frederichs einbauen wollen?