Nach und nach entwickelte sich dieses Fax für Talik zum wichtigsten Kommunikationsmedium neben dem Telefon zur Außenwelt. So schickte Isabella ihm regelmäßig Fotos aus New York. Jedes Foto ging über eine ganze DIN A4 Seite, damit Talik auch etwas erkennen konnte. Es war ein heißer Sommertag. Talik hatte fast einen Monat von seiner Tochter nichts gehört. Ob es ihr wohl gut ging? Talik wollte seiner Tochter nicht auf die Nerven fallen, deshalb achtete er streng darauf, dass er ihr nicht mehr R – Faxe schickte, als sie ihm. Sein Häuschen hielt ihn in Trab. So hatte er nicht zu viel Zeit zum Nachdenken. Im Sommer wurde das kleine Grundstück zum Urwald. Er musste zumindest den Weg von Disteln und Brennnesseln sauber halten. Talik war froh, dass er nicht in einer dieser Reihenhaussiedlungen wohnte, wo jeder Nachbar akribisch überprüfte, ob auch der Rasen gemäht war. Einen Vorgartenschönheitswettbewerb brauchte er in seinem Alter wirklich nicht.
Sein Häuschen lag einsam an der Wasserverbindung zwischen Kölpingsee und Müritz. Eingesehen wurde es nur gelegentlich von ankernden Motorbooten.
Ab und zu meinte ein Bootsbesitzer, dass sein Haus verlassen sei und sich hervorragend als Anlegeplatz eignen würde. Inzwischen hatte sich Talik angewöhnt, auf der Terrasse immer einen Liegestuhl mit einem Handtuch darauf hinzustellen. Seit dem hatte er auch von Seeseite seine Ruhe. Sich in die Sonne legen konnte er schon lange nicht mehr. Seine Augen waren so empfindlich, dass er selbst an grauen Tagen draußen eine Sonnenbrille tragen musste. Neben der Terrasse gab es einen mageren Boden, der mit Moosen überwachsen war. Talik hatte vor einigen Jahren eine Wildblumenmischung ausgestreut. Dieses Jahr wurde er belohnt durch eine wunderschöne Wildwiese mit Margariten und Wiesensalbei.
Heute waren wieder die Disteln dran. Zu seiner alten Druckerschürze hatte er sich dicke Lederhandschuhe angezogen und seine alten Treter. Schließlich konnte er keine Dornen mehr sehen. Die normalen Arbeitshandschuhe waren nicht undurchlässig genug eben wieder etwas nur für junge Menschen, wie so vieles in seiner Umgebung.
Das Handy klingelte. Umständlich zog er sich die Handschuhe aus und nahm das Handy in die Hand. „Ja?“
„Hallo, Paps. Ich bin’s, Isabella. Kann ich mit ein paar Freunden vorbeikommen?“ Isabella übertrieb es ein wenig. Sofort fühlte sich Talik an alte Zeiten erinnert. Halluzinierte er jetzt, begann die Demenz ihn in die Vergangenheit zu ziehen? Nachdem das Telefon viel zu lange stumm blieb, fügte Isabella schnell hinzu:
„Hab ich Dich erschreckt? Wir wollten Dich überraschen. Ich war auf einem Meeting in Deutschland und hab Levis und Lena Sorzorsky mitgebracht. Das ist doch o. k. für Dich?“
Talik seufzte erleichtert auf. Gott sei Dank, er wurde nicht senil. Isabellas amerikanische Ausdruckweise zeigte ihm eindeutig, dass er sich nicht in einem Film aus der Vergangenheit befand. “Natürlich freue ich mich. Bring mit, wen immer Du willst. Aber. . Ach Kind ich habe überhaupt nichts zum Anbieten im Haus“.
„Mach Dir darüber keine Sorgen. In einer Stunde, ja, ist Dir das recht?“
„Ich freue mich. “
Schnell versteckte er seine Handschuhe und sein Gartenwerkzeug in den Büschen. Keine Zeit zum Aufräumen. „Ich muss Kaffee kochen. Ach, wie das bei mir aussieht. “ Endlich würde er Isabellas Freund Levis kennen lernen. Wo sind nur meine neuen Schuhe? Es war wirklich wie früher. Nach ca. 50 Minuten hörte er die Drei lachend den Weg entlang kommen.
Isabella hatte an alles gedacht, an einen Kuchen und die Getränke. Nach dem Kaffeetrinken zog Isabella ein kleines Päckchen aus ihrer Handtasche und Talik überkam eine böse Vorahnung.
Isabella sah den Blick ihres Vaters und kam ihr zuvor. „Ja, Paps, wieder neumodischer Schnickschnack. Aber wenn’s demnächst was Neues gibt, kommt das automatisch. Das Mobile ist updatefähig. “
Sie zog ein Handy mit besonders großen Tasten heraus. Wusste sie denn nicht, welch ungeheure Anstrengung es für Talik bedeuten würde, sich auf ein neues Handy einzustellen? Wie viele Anrufe würde er wohl abwürgen, nur weil er die richtige Taste nicht fand?
„Ich habe wirklich lange überlegt. Ich weiß, auch wenn die Tasten größer sind, so musst Du Dich erst daran gewöhnen. Aber das Handy kann WLAN und Festnetz“.
Als sie Taliks unverständiges Kopfschütteln sah, ergänzte sie kurz: „Well, ich meine, du kannst damit über das Festnetz und über das Fax genauso kommunizieren wie mobil. “ „Was soll ich denn davon haben?“ „Paps, sei mir nicht böse. Aber die letzten Briefe, die du mir per Fax geschickt hast. . . Ich kann einfach Deine Schrift nicht mehr lesen. Ich hab mich nicht mehr gemeldet, weil Du dann gemerkt hättest, dass ich darauf nicht eingehe, sorry. “
Talik war entsetzt. Aber ja, erhatte sich schon gewundert, warum sein Brief an die Rentenkasse nicht beantwortet worden war. Altern ist der ständige Verlust von Kompetenz, hatte er mal gehört. Aber bevor er eine Depression bekommen konnte, sorgte Isabella dafür, dass er alle Hände voll mit dem neuen Handy zu tun hatte. Erst musste er sie anrufen. Dann rief sie ihn an. Es dauerte 2 Stunden und wer weiß wie viele Telefonkosten, bis er mit dem Telefon einigermaßen sicher war. Die drei gaben sich alle Mühe, seine Langsamkeit nicht wahrzunehmen und machten unbeschwert weiter Witze. Auch Levis war überaus geduldig. Er schien der Richtige für Isabella zu sein.
„So, nun kommt der zweite Teil. Fühl mal diese Taste. “ Isabella führte Taliks Finger auf eine große Sondertaste oben auf dem Handy.
Nach einem kurzen Moment hörte Talik eine Stimme am Handy .
„Bitte geben Sie Ihr Textdiktat auf“.
„Sag doch mal was!“ forderte Isabella Talik auf, wohl wissend, dass dieser wieder begann, erhebliche Widerstände aufzubauen.
„Was soll ich denn sagen?“ murrte Talik. „Irgend was, dann sag halt guten Tag und leg auf“.
Kurz nachdem Talik aufgelegt hatte, gab das Fax einen Ton von sich, den er noch nicht kannte. Auf dem Fax Bildschirm erschien „Guten Tag“. Unter jedem Wort stand ein Rechteck und ein Dreieck. Isabella drückte den Abbrechen – Button und der Bildschirm erlosch. „So und jetzt sag noch was anderes“.
Talik drückte die Taste auf seinem neuen Handy: “Liebe Isabella, ich weiß zwar nicht warum, aber ich mache, was du willst „ Kurz darauf erschien auf dem Faxdisplay in sehr großer Schrift: „Liebe Isabla, ich weiß zwar nicht darum, aber ich mache, das du willst“.
Allmählich verstand Talik. „Also ich kann einfach ins Handy sprechen und das schreibt Dir dann einen Brief?“
„Na ja, ganz so einfach ist das doch nicht. Selbst wenn sich die Sprachanalyse an deine Stimme gewöhnt hat, wird sie immer Fehler machen. Talik las noch einmal genau, indem er Wort für Wort über den Bildschirm scrollte. „Oh, das geht aber nicht. “
„Na ja, einen Brief musst du auch korrigieren. Wenn Du ein Wort löschen willst, klickst Du auf das Rechteck darunter. Wenn Du ein Wort neu sprechen willst, klickst Du auf das Dreieck unter dem Wort“. Talik klickte auf die Dreiecke unter „Isabla“, „darum“ und „das“. Dann betätigte er den ihm schon bekannten Abschickbutton.
Daraufhin klingelte sein Handy und eine Computerstimme sprach: “Bitte korrigieren Sie Isabla“ wenn Sie fertig sind, betätigen Sie die Abschicktaste. Zum Wiederholen drücken Sie die Zurücktaste. Jetzt war Talik ganz durcheinander. Während Levis und Lena in die USA zurückflogen, blieb Isabella noch eine Woche bei ihrem Vater, bis sie sicher war, dass er das Dialogsystem richtig bedienen konnte.
- Die Patentanmeldung zum hybriden Diktier- und Dialogsystem finden Sie in http://www.dpma.de unter der Anmeldenummer DE 100 26 020 A1.