Die Einwandererin – Dhunikolhu, Malediven – Oktober 2003, 1.Teil, Kapitel II

Shaona  Magu  besuchte  zum  letzten  Mal  ihre  Eltern  in  Dhunikolhu,  bevor  sie  die  elfstündige  Reise  nach  Deutschland  antrat.   Sie  konnte  schon  verstehen,  warum  so viele  Deutsche  hier  Urlaub  machten.   Die  5  Sterne  Urlaubsinsel  verfügte  über  alles,  was  Zivilisation  brauchte. Sie  war  im Verhältnis  zu anderen  Einheimischen  in  luxuriösen  Verhältnissen  aufgewachsen.   Da  beide  Eltern  im  Service  der  Luxusferieninsel  arbeiteten,  stand  ihnen  für  die  vierköpfige  Familie  ein  großes  Apartment  mit  Kochecke  und  ein  Bad  mit  fließend  warmem  Wasser  zur  Verfügung.   Die  Menschen  lebten  dicht  neben  einander  auf  völlig  unterschiedlicher  technischer  Entwicklungsstufe.

Die  Magus  hatten  das  Tor  zur  Welt.   So  nannten  sie  das  Fernsehen.   Wie oft  hatte  Shaona  als  Kind  in  den  Zeiten,  in  denen  ihre  Eltern  arbeiten  mussten,  die  geheimnisvolle  fremde  Welt  gesehen.   Über  Satellit  bekamen  sie auch  deutsches  Fernsehen.   Hier  lernte  sie  ihre  ersten  deutschen  Worte.

Oft  fuhr  sie  mit  ihren Eltern auf dem Boot  nur  zwei  Inseln  weiter  zu  den  Großeltern.   Die  meisten  auf  der  Insel  ernährten  sich  wie  vor  hundert  Jahren  vom  Fischfang.   Eine  zusätzliche  Einnahmequelle  hatten  sie  durch  die  Herstellung  von  Muschelschmuck  und  einfachen  Tonarbeiten.

Die  Regierung  in  Male  war  weit  weg.   Fast  alles  regelte  man auf  der  Insel  mit  100  Einwohnern  selbst.   Jeder  kannte  jeden.   Man  schlief  in  einfachen  Hütten.   Die  Großeltern  galten  als wohlhabend,  weil  sie  einen  Raum  aus  Steinen  hatten  und  zwei  Hühner.   Er  gab  auf  der  ganzen  Insel  weder  Radio  noch  Fernsehen,  noch  eine  Zeitung.

Nur  einmal,  als Großvater  sehr  krank  war,  da  hatte  ihn  ein  Schnellboot  nach  Male  ins  Krankenhaus  gebracht.   Viele  Monate  danach  war  er  äußerst  verwirrt  gewesen.   50  Jahre  hatte  er  die  Insel  nicht  verlassen.   Was  er  in  Male  sah,  verstand  er  nicht.   Nicht  verarbeitete  Bilder  schwirrten  ihm  immer  wieder  im Kopf  herum  und  ließen  ihn  gar  den täglichen  Fischfang  vergessen.  

Die  Deutschen,  mit  denen  Shaona  sich  so  oft  wie  möglich  unterhielt,  um  ihre  Deutschkenntnisse  zu  verbessern,  konnten  gar  nicht  versehen,  wieso  sie  so  gespannt  auf  schlechtes  Wetter,  Schnee  und  Eis  war.   In  New  Dheli  hatte  sie  den  Batchalor  in  economics  mit  einer  durchschnittlichen  Note  abgeschlossen.   Nie  hätte  sie  sich  träumen  lassen,  aus  Deutschland  eine  Greencard  zuerhalten.   Seit  2002  gab  es  in  Deutschland  fast  Vollbeschäftigung.   Aus  Deutschland  waren  extra  Jobwerber  angereist,  um  jeden,  der  Deutsch  konnte  und  Akademiker  war,  anzuwerben.   Nun  hatte  Magu  ausgerechnet  dadurch  einen  Vorteil,  dass  sie  am  entlegensten  Fleckchen  der  Welt  mitten  unter  Deutschen  groß  geworden  war.   In  Deutschland  sollte  sie  in  der  englischen  Semantikredaktion  des  FINDERS  Konsortiums  arbeiten.   Man  erklärte  ihre  Arbeit  so:  „Sie  werden die  Sprache  so  zerlegen,  wie  sie  Fisch  zerlegen.   Die  Gräten  in  die  eine  Tonne  und  die  guten  Fischstücke  in  eine  andere“.

Richtig  verstanden  hatte  sie  es  nicht.   Aber  das  Gehalt  war  traumhaft,  richtig,  als  wäre  sie  eine  echte  Deutsche.   Nur  ein  Bruchteil  davon  würde reichen,  dass  ihre  Eltern  auf  Dhunikolhu  wie  Könige  leben  würden.   Für  ihre  Studiengebühren  hatten  Mutter  und  Vater  schwer  arbeiten  müssen.   Über  eins  war  sich  Shaona  jedoch  sicher.   Sie  würde in  ihrem  ganzen  Leben  nicht  mehr  so  viele  Fische  sehen,  wie  in  ihrer  Jugend.  

Die  Korallenriffe  würde sie  vermissen.      

Kapitel II – Nutznießer

 
 Suchmaschinenergebnisse zu „Nutznießer“, gefunden Januar 2008     
Nun hat die Versteckfunktion in Sony BMGs Kopierschutz-Rootkit erste Nutznießer gefunden: World-of-Warcraft-Schummler verstecken laut Securityfocus ihre Cheat-Programme durch einfaches voranstellen von $sys$ vor den Dateinamen.
Die Entwicklungsländer im Globalisierungsprozess – Opfer oder Nutznießer?,
 Studie im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung, Sankt Augustin.
 
Parasitismus (Schmarotzertum) im engeren Sinne bezeichnet den Nahrungserwerb aus einem anderen Organismus, wobei dieser auch als Wirt bezeichnete Organismus geschädigt aber meist nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt getötet wird. (Text wurde in Wikipedia zum Keyword Nutznießer hinterlegt)
 
Kati Witt, die einstige DDR-Eisprinzessin, zog diese Woche ihre Klage gegen die von der Birthler-Behörde geplante Veröffentlichung von Teilen ihrer Stasi-Akten zurück. Sie liegen WELT am SONNTAG jetzt exklusiv vor.
(Text wurde von Welt am Sonntag zum Keyword Nutznießer hinterlegt)
 
Die Nummer zwei von Al-Kaida soll das Attentat auf Benazir Bhutto geplant haben. Aber der Kreis der potenziellen Nutznießer des Mordes in Pakistan selbst ist weit größer.
 
Dt. Börse Nutznießer eines Crashes? Dt.Börse steigt und steigt. Sollte in Erwartung etwas schlechterer Zeiten diese Aktie nicht auch mal einige Federn lassen.
 
Nutznießer: Infanterietrupp, Raketentrupp, Ingenieur, Grenadier, Scharfschützen-Team, Kommando, Zone Trooper, Pitbull, MBT, Predator-Panzer
 
Nutznießer im Reich der Mitte
Frankreichs Präsident Sarkozy will von den Spannungen zwischen China und Deutschland profitieren
 
Nutznießer Wortklasse: Maskulinum
Erklärung: Nutzungsberechtigter. vgl. Nießbraucher, Nießer.
 

Stress – Friedrichshafen Technologiezentrum – 10.00 Uhr, am nächsten Morgen, 10.Teil, Kapitel I

Im  Veranstaltungsraum  des  Technologiezentrums  hatte  um  9. 00  Uhr  eine  Informationsveranstaltung  für  interessierte  Firmen,  welche  sich  ansiedeln  sollten,  begonnen.   Der  Wirschaftsförderer  schaute  entgeistert,  als immer  mehr  nicht  angemeldete  Gesichter  den  für  max.   50  Personen  ausgelegten  Raum  stürmten  – alle  halbwegs  kreativen  Köpfe,  welche  Kaminski  telefonisch  mobilisieren  konnte. Kaminski  kam  selbst  erst,  als der Raum  hoffnungslos  überfüllt  war.   „Alle,  die  ich  nicht  eingeladen  habe  bitte  raus,  dies  ist  eine  Sache  der  nationalen  Sicherheit. “

Der  Wirtschaftsförderer  kannte  die  Gerüchte,  dass  Kaminski  neuerdings  Beziehungen  bis  ganz  nach  oben  hatte  und  begann  sich  ausführlich  bei  den  Gästen  zu entschuldigen,  während  er  gleichzeitig  alle  alternativ  zur  Verfügung  stehenden  Räume  im  Kopf  durchging.   „Jetzt“  Kaminskis  Tonfall  war  an  Schärfe  nicht  mehr  zu  überbieten.   Mit  einem  letzten  Rest  Würde  drehte  sich der  Wirtschaftsförderer   zu  den  Interessenten  um:  „Raum  104,  folgen  Sie  mir  bitte. “  

Kaminski,  sparte  sich  jede  Begrüßung.   „Wir  wurden  vom  Bundeskanzler  persönlich  zum  Think  Tank  in  Sachen  Mannesmann  berufen,  Ihre  Chance  oder Ihr  Untergang. “ So  viel  hatte  Kaminski  nie  geredet  und  wie  erwartet  sorgte  er für das größt  mögliche  Chaos.   Nach  vier  Stunden  gingen  sie  auseinander,  ohne  auch  nur  eine  einzige  verwertbare  Idee.

Mannesmann,  das  hatte  was  mit  Informatik  zu  tun.   Also  rief  Kaminski  alle Informatik – Professoren  von  Rang  an  und  bat  sie um  Hilfe.   Er  war  klug  genug nicht  zu erwähnen,  von wem  er die Anweisung  hatte.   Bei  keinem  hatte  er  das  Gefühl  in  der  Kürze  der  Zeit  etwas   erwarten  zu können.   Meist  wurde  ihm  erwidert,  er  solle  eine  Projektskizze  zuschicken,  man würde sehen,  was  sich  machen  ließe.  

Nichts,  gar  nichts  und  zwei  Tage  waren  schon  vorbei.   Aus  lauter  Verzweiflung  wählte  er  die  Nummer  von  Prof.   Zahlenwerk  in  Gelsenkirchen.  Dieser  arrogante  Fatzke  hatte  ihm  jedes  Mal,  wenn sie sich  begegneten,  deutlich  gezeigt,  was  er  von  dem  nicht  studierten  Kaminski  hielt.  

„Prof.   Zahlenwerk,  Lehrstuhl  für  Informatik,  wer  stört?“ 

„Kaminski,  es geht  um  eine  Sache  höchster  Dringlichkeit:  Ein  mir  anvertrauter  Telekomprovider  soll  vor  einer  Übernahme  geschützt  werden.   Nun  suchen  wir  eine  technologische  Idee,  die  diesen  für  deutsche  Anleger  unersetzlich  macht. “

 „So,  so,  Kaminski.   Man  erzählt  sich,  Sie  fühlen  sich  zu  Höherem  berufen“.   Zahlenwerk  war  doch  nicht  verkalkt.   Es  konnte  sich  nur  um  Mannesmann  handeln.   So  wie  dieser entscheidungsscheue  Kaminski  sich  ins  Zeug  legte,  konnte  es  sich  nur  eine  Anweisung  von  ganz  oben  handeln.   Dies  war  eine  einmalige  Chance,  gleich  zwei  Gegner  aus  dem  Weg  zu  räumen.   Diesen  Emporkömmling,  der  den  Platz  einnahm,  der  ja  wohl  nur  ihm  zustand.   Er  hatte  schließlich  maßgeblich  an  den Grundlagen  der  Retrivel  – Systeme  mitgearbeitet  und  wenn  man es  genau  nahm,  war  er  der  Urvater  von Semantic  Web.   Fast  noch  mehr  als  Kaminski  ärgerte  ihn  dieser  Deutschlehrer,  der  sich  Professor  für Linguistik  nannte  und  es  tatsächlich  gewagt  hatte,  ihm  einen  Etat  von  zwei  Millionen  streitig  zu machen.   Nicht  etwa  mit  solider  Grundlagenforschung,  nein,  mit  linguistischem  Firlefanz,  der  noch  nicht  mal  auf  Liebetreus  Mist  gewachsen  war.    

Diesem  Liebetreu  hatte  er  schon  eine  Laus  in  den  Pelz  gesetzt.   Einem  Studenten  hatte  er  die  leichte  Promotion  versprochen,  wenn  dieser  sich  im  Lehrstuhl  für  Linguistik  einschrieb  und  den anderen  Studenten  deutlich  machte,  dass  hier  Gelder  falsch  eingesetzt  wurden.   Falsch  eingesetzt,  was  sagte  er  da.   Für  einen  solchen  Quatsch  konnte  sich  Liebetreu  seine  zwei  Millionen  Subventionen  nur  ergaunert  haben. Zu  Kaminski  sagte  Zahlenwerk  zuvorkommend:  „Hört  sich  ja  wirklich  verzweifelt  an.   Wie  es  aussieht,  kann  ich  helfen.   Ich  habe  letztes  Jahr  auf  meine  Fördergelder  verzichtet,  um  einem  sehr  motivierten  Kollegen  aus  der  Linguistik  weiterzuhelfen.   Soll  ich  ihn  direkt  anrufen?“ 

Bei  soviel  Entgegenkommen  wäre  Kaminski  normalerweise  misstrauisch  geworden,  aber  wo  es  keine  Wahl  gab,  da  dachte  Kaminski  nie  unnötig  nach.   „Nein  ich  nehme  den nächsten  Flieger.   Heute  Mittag  bin  ich  da. “  Das  musste  ja  wirklich  dringend  für  Kaminskis  Kariere  sein.   Zahlenwerk  griff  direkt  zum  Hörer.  

„Hallo  Liebetreu  lassen  sie uns  Frieden  schließen.   Ich  bin  ein  guter  Verlierer.  Ich  habe  hier  Herrn  Kaminski,  ja  den aus  Friedrichshafen.   Wie  es aussieht  hat  der  ein  sehr  interessantes  Angebot  für  sie.   Ja,  er  kommt  heute  Mittag  gegen  15. 00  Uhr“.

Kaminski  war  auf  die Minute  pünktlich. Liebetreu  entsprach  in  keiner  Weise  dem  arroganten  Zahlenwerk.   Er  war  einfühlsam,  hektisch  und  schusselig,  alles  auf  einmal.  

 „Ja  guten  Tag  Herr  Kaminski.   Sie  interessieren  sich  für  die  digitale  Monemanalyse?  Das  was  wir  hier  machen,  ist  wirklich  äußerst  interessant“.   Obwohl  er  die  50  schon  seit  einiger  Zeit  überschritten  haben  musste,  strahlte  er die Begeisterung  eines  jungen  Mannes  aus.   „Ehrlich  gesagt,  ich  verstehe  mich  hier  nur  als Coach  für  das  Projekt.   Die  eigentliche  Arbeit  machen  die  Studenten  und  die  Ideen  liefert  unser  Christian  Wolff.   Was  für ein  Glück,  dass  wir den haben. “

 „Kann  ich  Herrn Wolff mal  kennen  lernen?“ 

 „Kein  Problem,  kommen  Sie  mit.   „Herr  Wolff , darf  ich  ihnen  Herrn  Kaminski  vorstellen,  den  aus  Friedrichshafen. “

Kaminski  drehte  Liebetreu  den Rücken  zu und  wendete  sich  an  Wolff.   Er  brauchte  Fakten  und  keinen  Smalltalk.

„Herr  Wolff,  stellen  sie  sich  vor,  ich  sollte  einen  Telekomprovider  vor  der  feindlichen  Übernahme  retten  und  ich  hätte  hierzu  die  politischen  Möglichkeiten. “ 

„Guten  Tag  Herr  Kaminski,  ich  bin  äußerst  erfreut,  sie  persönlich  kennen  zu  lernen. “  Wolff  gab  sich  alle Mühe,  den  Berliner  Dialekt  zu  unterdrücken.   Hier  war  ein  wichtiger  Mann,  dem  er  unbedingt  zu  Diensten  sein  wollte.   „Man  hört  ja  von Friedrichshafen  nur  Gutes.   Ja  ich  bin  kein  Politiker,  aber  wenn  ich  richtig  verstehe,  geht  es darum,  dass  die involvierten  Politiker  wiedergewählt  werden  wollen. “ 

Kaminski  schaltete  innerlich  schon  ab,  hier  vergeudete  er  nur  seine  Zeit.   Jetzt  redete  er  schon  mit  Assistenten.   Nur  mit  halbem  Ohr  hörte  er noch  hin.  

„Was  man bräuchte,  wäre  eine  Killerapplikation,  welche  von  diesem  Provider  entwickelt  würde und  für  Deutschland  unersetzlich  wäre. “  

 „Ja  genau  das. “  Jetzt  war  Kaminski  auf  einmall  hell  wach.  

„Nun,  einfach  ist  das  nicht,  aber  ich  habe  hier  gerade  verschiedene  Patente  recherchiert  und  Applikationen  aufgelistet,  welche  in  Kombination  mit  der  digitalen  Monemanalyse  wesentliche  Vorteile  für  den  Telekommunikationsmarkt  bieten  würden. “ 

Kaminski  diskutierte  mit  Christian  Wolff  eine  ganze  Nacht  und  er begann  die  Welt  in  einer  sprachlichen  Ordnungsstruktur  zu  sehen.   Wolff  überzeugte  ihn.   Wenn  man nur  einmal  für alle Bereiche des Lebens eine  Ordnung  einführte,  konnten  die  digitalen  Prozesse  für  alle  Beteiligten  wesentlich  vereinfacht  werden.   Was  ihn  störte  war  der  sperrige  Name  „Digitale  Monemanalyse“.   Das  konnte  man nicht  verkaufen.   Bevor  er  ging,  hatte  er  sich  mit  Wolff  auf  Finder  – Technologie  geeinigt. 

Auf  dem  Rückflug  überlegte  Kaminski  verzweifelt,  wie  er  aus  dem  eindeutig  umfangreichstem  Konzept,  welches man in  so  kurzer  Zeit  finden  konnte,  einen  Rettungsplan  schmieden  sollte.   Man  müsste  die  Firmenkunden  von  Mannesmann  gewinnen.  Geht  nicht,  viel  zu langwierig.   Man  könnte  eine  eigene  Portaloberfläche  für  Mannesmannkunden  basierend  auf  der  Finder  –Technologie  entwickeln.   Schon  besser,  aber  der  Bundeskanzler  wollte  ja  gerade  das  Image  loswerden,  sich  in  die Privatwirtschaft  zu  sehr  einzumischen.   Die  Behörden,  das  war  es.   Hier  war  ohne  Frage  das  größte  Rationalisierungspotenzial  und  die  größte  Unordnung.   Er  war  als  Provider  in  den  einen  oder anderen  Lenkungsausschuss  eingeladen  worden.   Selbst  wenn  sich  kleine  Städte  zu  einem  Landkreis  zusammenschlossen,  gab  es  nicht  enden  wollende  Diskussionen , ob  das Amt  nun  „Amt  für Müllentsorgung“  oder „Amt  für Abfallangelegenheiten“  heißen  sollte.   Nicht  einmal  die Anzahl  oder Grundaufgaben  der  einzelnen  Ämter  innerhalb  der  einzelnen  Städte  waren  gleich.   Für  die große  anstehende  Strukturreform,  da  bedurfte  es  eines  roten  Fadens,  der  durch  alle  Bereiche  der  Behörden  führen  sollte.   Hatten  es  die  Behörden  erst  einmal  vorgemacht,  würde die  Privatwirtschaft  von  alleine  nachziehen,  schon  um  mit  der  öffentlichen  Hand,  welche  ja  immerhin  40%  aller  Binnenmarktaufträge  im  IT  – Bereich  vergab,  kompatibel  zu  bleiben.   Das  war  mehr  als  ein  Mannesmannrettungsplan,  dass  war  ein  5  Jahresplan  für  ganz  Deutschland.  

Innerhalb  von  nur  12  Stunden  wurde  im  Kanzleramt  eine  neue  Sondersitzung  angesetzt.

Der  Kanzler  ging  kein  Risiko  ein.   Er  überzeugte  den  Mannesmann – Vorstand,  dieses  Konzept  als Mannesmann – Vision  zu veröffentlichen.   Nachdem  eine  Kurzumfrage  unter  der  Bevölkerung  keine  wesentlichen  Widerstände  identifizierte,  ging  alles  schnell.   Die  Lobbyisten  hatten  – wie  beabsichtigt – keine  Zeit  gehabt,  sich  eine  eigene  Meinung  zu bilden. Da  laut  ebenfalls  schnell  erstelltem  Gutachten  nur  Mannesmann  die  technischen  Voraussetzungen  für  ein  solch  komplexes  Projekt  hatte,  gab  der  Bundeskanzler  Mannesmann  ein  Pilotprojekt  ohne  weitere  Ausschreibung  in  Auftrag.   Gleichzeitig  kaufte  der  Bund  Aktien  und  übertrug  das  Konzept  des  VW – Gesetzes  auf  Mannesmann.   Mannesmann  wurde  später  der zweit  größte  Partner  im  FINDERS  – Konsortium.   Esser  brach  die Verhandlungen  mit  Vodafone  ab.   Die  Aktienpreise  von  Mannesmann  explodierten  nach  der  ersten  Pressemeldung  aus  dem  Kanzleramt,  dass  die  Agenda  2005  auf  das  finder – Konzept  abgestimmt  würde.   Vodafone  hatte  keine  ausreichende  eigene  Kapitalisierung,  um  den  Aktionären  ein  akzeptables  Angebot  zu  machen.   Die  feindliche  Übernahme  hatte  sich  erledigt,  ohne  dass  auch  nur  ein  Cent  öffentlicher  Mittel  geflossen  waren.  

Die Wende – Bundeskanzleramt Berlin – Dezember 1999, 9.Teil, Kapitel I

Kanzler  M  wirkte  nervös.  

Damals  wurde  er noch  mit  seinem  bürgerlichen  Namen  angesprochen.   Später  undenkbar.   M  stand  in  gleicher  Weise  für  Medienpräsenz  wie  Medienkompetenz.   Als  ein  Journalist  im  Spaß  diesen  Namen  einführte,  fand  der  Bundeskanzler  den  Namen  ausgezeichnet.   Später  sorgte  sein  Pressesprecher  dafür,  dass  alle  nur  noch  von  Kanzler  M  sprachen.   Kaminski  war  neu  in  der Runde.   Warum  hatte  man ihn  nur  zu  dieser  höchst  vertraulichen  Sitzung  hinzugebeten?  Was  erwartete  Kanzler  M  ausgerechnet  von  ihm?  Bloß  nicht  auffallen,  sicher  sollte  nur  ein  möglichst  umfangreiches  Beratergremium  dabei  sein.   Verantwortung  lies  sich  so trefflich  verteilen.   Schließlich  waren  im nachhinein  einzelne  Entscheidungen  nicht  mehr  eindeutig  auf  einzelne  Personen  zurückzuführen. Einmal,  nur  einmal  hatte  Kaminski  eine  Meinung  vertreten.   Es  hatte  ihn  fast  seinen  Hals  gekostet,  wäre  da  nicht  Christian  Wolff  gewesen. 

 Auf  der  Cebit  1999  war  er  wie  alle  Geschäftsführer  der  Ausstellerfirmen  von  der  Messegesellschaft  zum  Galadinner  mit  Bundeskanzler  eingeladen  worden.   Als  „Kreativer  Manager  der  Jahres“  wurde  ihm  die  besondere  Ehre  zuteil,  mit  12  weiteren  Gästen  am  Tisch  des  Bundeskanzlers  zu  sitzen.   Damals  hatte  er  es  genossen,  mitten  unter  den  mächtigsten  Wirtschaftskapitänen  zu  sitzen,  umringt  von  Bodyguards  selbst  wohl jetzt wichtig. Als  er einen  Sekt  mehr  als  sonst  getrunken  hatte,  war  er  in  einer  unglaublichen  Hochstimmung.   Da  sprach  Kanzler  M  ihn  an:  „  Herr  Kaminski,  wir brauchen  mehr  kreative  Leute  wie  sie  in  Deutschland.   Uns  geht  es gut.   Meinen  Sie  in  einer  Krise  sollte  ich  Sie  zu  einem  meiner  Berater  machen?“   „Herr  Kanzler,  ich  baue  gerade  in  Friedrichshafen  ein  Technologiecluster  mit  den  besten  Leuten  weltweit  auf.   Wir  bekommen  alles  hin,  was  man mit  Informationstechnologie  hinbekommen  kann. “   

Mitten  in  der  Nacht  schreckte  Kaminski  aus  einem  unruhigen  Traum  hoch.   Er  hatte  eine  Meinung  vertreten.   Er  hatte  seine  Prinzipien  gebrochen  und  mindestens  25  Worte  zuviel  gesagt.   Nicht  etwa  in  seinem  Stammcafe  in  Friedrichshafen,  nein  als von Bodyguards  umringter  Mann,  dessen  Aussage  Konsequenzen  haben  kann,  gegenüber  dem  Bundeskanzler,  der  selbst  permanent  Entscheidungen  mit  ungeheurer  Reichweite  treffen  musste. Er  war  ruiniert.   Da  kam  er nie  mehr  raus.   „Kaminski,“  sagte  er laut  zu sich  selbst,  „erst  einmal  einen  Schritt  nach  dem anderen.   Du  hast  Nachdurst.   Der  nächste  Schritt,  das ist  Wasser  aus  dem  Kühlschrank  holen  und  dann  sehen  wir  weiter“.   Wenn  Kaminski  sich  selbst  mit  Nachnamen  ansprach,  dann  war  es  wirklich  schlimm.

Nun  also  forderte  Kanzlei  M  seine  Zusage  ein.

 „Herr  Kaminski,  gibt  es eine  Möglichkeit,  die  Übernahme  zu verhindern,  ohne  dass  ich  wie  gerade  erst  bei  Phillip  Holzmann  wieder  wegen  der Einmischung  der  Politik  in  die  Marktwirtschaft  in  die  Schlagzeilen  komme?“     

„Herr  Bundeskanzler,  ich  lasse  mir  etwas  einfallen“.

„Gut,  Sie  haben  eine  Woche.   Damit  ist  die Sitzung  wohl  beendet. “ 

Das  konnte  er  doch  nicht  machen.   Seine  Staatssekretäre,  die  Wirtschaftsbosse,  all  die  wichtigen  Menschen  in  der  Runde  freuten  sich,  dass  einer  die  Verantwortung  übernahm,  dass  einer  Lösungen  bot.   Er,  Kaminski  war  nun  wirklich  zu  einem  sehr  wichtigen  Mann  geworden  – für  eine  Woche.   Der  anschließende  Fall  würde sehr  tief  sein,  denn  in  Wirklichkeit  hatte  Kaminski  nichts  anzubieten,  hatte  keinen  Plan  und  konnte  nur  hoffen,  dass  das Glück,  welches  ihn  bis  hier  hingebracht  hatte,  ihn  nicht  gerade  jetzt  verließ.  

Der Zusammenbruch – Gelsenkirchen, Linguistisches Institut – Juli 2000, 8.Teil, Kapitel I

Es  war  alles  innerhalb  von  wenigen  Tagen  gegangen  und  jetzt  saß  Liebetreu  vor  dem  Scherbenhaufen.   Das  ganze  letzte  Jahr  hatte  ihn  das  U – Boot  nur  noch  genervt,  immer  haarscharf  davor,  Liebetreu  einen  Grund  zu  liefern,  ihn  aus  dem  Seminar  zu  werfen.   Liebetreu  brachte  seinen  Namen  nicht  mehr  über  die Lippen,  für  ihn  war  er  nur  noch  U1.   Ein  zweites  U – Boot  hätte  er  auch  nicht  überlebt.  

Liebetreu  hatte  dieser  grenzenlosen  Bosheit  nichts  entgegenzusetzen.   U1  war  unverschämt,  unfähig  und  eingebildet  zu  gleich.   Es  war  offensichtlich,  dass  er  kein  Interesse  an  der Linguistik  hatte  und  schon  gar  nicht  an  der  digitalen  Monemanalyse.

Sein  Interesse  galt  ausschließlich  dem Aufruhr.   Er  wusste  es  geschickt  anzustellen,  den  Neid  der Studenten  zu  schüren.   Mal  war  es ein  neues  Auto,  welches  Liebetreu  angeblich  hatte,  mal  waren  es die Milliarden,  welche  er  angeblich  bereits  mit  der  Monemanalyse  verdient  hatte.   Wieder  ein  anderes  Mal  waren  es die Studenten,  welche  durch  sinnlose  Sklavenarbeit  für  den  Professor  ausgebeutet  wurden.   Die  Ironie  der Geschichte:  wer  bei  Liebetreu  studiert  hatte,  der  –  so  stellte  sich  später  heraus  –  hatte  einen  Topjob  im  FINDERS  Konsortium  sicher.  

Als  dann  auch  noch  Christian  Wolff  von Kaminski  mit  einem  unerhörten  Gehalt  abgeworben  wurde,  da  brach  innerhalb  von  nur  4  Tagen  alles  zusammen.   Einige  Studenten  gingen  angeführt  und  aufgestachelt  von  U1  zur  Staatsanwaltschaft  und  zeigten  an,  dass  Liebetreu  ihnen  einen  Informatik  adäquaten  Abschluss  versprochen  hatte  und  nun  die  gesamte  linguistische  Datenbank  verschwunden  sei  und  sie  mit  ihrem  bisherigen  Studium  in  Zukunft  nichts  anfangen  könnten.  

Auch  war  ihnen  von  U1  genau  eingetrichtert  worden,  welche  Argumente  bei  der  Staatsanwaltschaft  greifen  würden.   So  war  das  abgebrochenen  Jurastudium  doch  noch  für  etwas  nutze.   U1  hatte  die  Prüfungen  nach  dem  zweimaligen  Wiederholen  nicht  erneut  ablegen  dürfen  und  wurde  zwangsexmatrikuliert.   Jetzt  würde er  bald  promovierter  Informatiker  sein.    

Bewegte Zeiten – zwischen Friedrichshafen und Berlin – Dezember 2002, 7.Teil, Kapitel I

Kaminski  saß  mal  wieder  in  dem kleinen  Privatjet  zwischen  Friedrichshafen  und  Berlin.   Er  musste  unbedingt  durchrechnen  lassen,  ob  sich  nicht  langsam  eine  eigene  Maschine  für  das  FINDERS  Konsortium  rechnete.   Aber  für  solche  Kleinigkeiten  hatte  niemand  wirklich  Zeit.   Sicher  konnte  mannoch  einen  Controller  einstellen,  doch  wer  kontrollierte  den? Kurz  dachte  er  an  die  vergangenen  3  Jahre.    

Erst  1999  war  die  FINDERS  GmbH  gegründet  worden.   Ziel  war  es,  ein  Technologiecluster  aufzubauen,  um  innovative  Firmen  nach  Friedrichshafen  zu holen,  2000  schaffte  man dann  die  Verhinderung  der  Übernahme  von Mannesmann  durch  Vodafone  und  den Aufbau  des  FINDERS  Konsortiums.   Seit  dem 11.   September  2001  war  er  wohl  zum  wichtigsten  Wirtschaftsführer  Deutschlands  aufgestiegen.   Sicher,  eines  der  größten  Probleme  war  es gewesen,  den  bürokratischen  Sturköpfen  die  WIN – WIN  Situation  beizubringen.   Er  hatte  sich  ein  Team  von  50  Volkswirten,  Mathematikern  und  Beratern  eingekauft,  die  Unmengen  von  Papier  produzierten,  um  jeder  der  parlamentarischen  Anfragen  gerecht  zu werden,  jedem  Lobyisten  seinen  Vorteil  darzustellen.   Trotzdem  ging  alles  rasend  schnell.   Nie  zuvor  war  eine  solch  gewaltige  strukturelle  Änderung  so  schnell  eingeführt  worden.   Und  so  sah  das Ergebnis  aus.   Das  Postmonopol  für  Briefsendungen  lief  bis  Ende  2003  aus.   Die  Post  selbst  bot  nur  noch  in  Spezialbereichen  Briefe  an,  z. B.   für  die  schnelle  Zustellung  von  Großformaten  wie  Bauplänen  wurde  ein  spezieller  Service  eingerichtet.   

Die  Post  hielt  mit  50%  den  größten  Anteil  am  FINDERS  Konsortium.   Achtfachcardgeräte  erhielten  vom  Konsortium  eine  Subvention  von 8  Mrd.   Euro.   Das  FINDER  Konsortium  refinanzierte  sich  einerseits  durch  eine  Lizenzgebühr,  welche  bei  dem regionalen  Händler  abhängig  von  der  Qualität  der Produktergebnisse  eingenommen  wurde.   Dieses  Verfahren  erwies  sich  als  wesentlich  fairer  als  das  pay  per  click  Modell  der Suchmaschinen,  da  nur  für  den  User  sinnvolle  Ergebnisse,  nicht  jedoch  unsinnige  Klicks  auf  Zwischenergebnisse  von  den  Produktanbietern  bezahlt  werden  mussten.   Experten  hatten  errechnet,  dass  allein  dadurch,  dass  Unternehmen  nicht  mehr  Faxe,  Briefe  und  E – Mails  gleichzeitig  bearbeiten  mussten,  eine  jährliche  Ersparnis  von  20  Mrd.   EUR  erreicht  werden konnten.     

Da  das  Briefporto  wegfiel,  konnte  weiterhin  für  jedes  R – Fax  eine  Sendegebühr  von  0,50  Cent  erhoben  werden. Jeder  Deutsche  über  14  Jahre  wurde  verpflichtet,  sich  sein  eigenes  Achtcardgerät  zu  kaufen.   Das  Volksfaxgerät  –  wie  es  später  genannt  wurde  –  gab  es  schon  für  1,  Euro  bei  jedem  Telefonladen.   Wer  sich  keinen  Telefonanschluss  leisten  konnte,  bekam  die Grundgebühr  erlassen,  um  R – Faxe  erhalten  zu  können.   Schnell  stürzten  sich  die  Gerätehersteller  auf  den  neuen  Markt.   Es  gab  Handys  mit  Achtcard,  die  über  Funk  auf  Faxen  ausdrucken  konnten  und  vieles  mehr.   Der  Personalabbau  gestaltete  sich  wesentlich  undramatischer  als  erwartet.   Die  Post  erhielt  die  Aufgabe,  die  Semantikredaktion  aufzubauen  und  die  Kategorienagenturen  zu  überwachen.   Sowohl  im  Dienstleistungsbereich,  als  auch  im  Handelsbereich  wurde  die  komplette  Digitalisierung  der  Kommunikation  zum  Jobmotor.   Durch  die  Ausschöpfung  der  ungeheuren  Rationalisierungspotenziale  wurden  Produkte  und  Dienstleistungen  in  Deutschland  günstig  und  international  wettbewerbsfähig.   Sicherlich,  viele  Postbeamten  machten  keine  Karriere.   Doch  es  entstanden  auch  viele  einfache  Jobs  im  Dienstleistungsbereich. Die  Behördenabläufe  wurden  wesentlich  beschleunigt  und  vereinfacht.     

Morgen  hatte  Kaminski  erneut  eine  Mammutaufgabe  zu  bewältigen.   Es  ging  darum,  die gesamte  Paketlogistik  in  Deutschland  umzustellen.   Man  hatte  auf  seiner  Anwesenheit  bei  einer  Anhörung  im  Bundestag  zum  Thema:  „Einführung  der  Mehrfachpakete  in  der Regionallogistik“  bestanden.   Für  Kaminski  war  diese  Pflichtübung  eindeutig  verlorene  Zeit.   Aber  es  war  wichtig,  den privaten  Logistikfirmen  zu  zeigen,  dass  alle  vom  neuen  Mehrfachpaket  profitieren  würden. 

Während  Kaminski  seinen  Gedanken  nachhing,  gab  er  in  seinen  Laptop  nach  und  nach  Namen  der Gesprächspartner  ein.   Prompt  erschien  der  R – Fax  Verkehr  der  letzten  Tage  für  die  jeweilige  Person  auf  dem  Bildschirm.   Nicht,  dass  Kaminski  wirklich  am  Inhalt  interessiert  war.   Es  war  eine  der  wenigen  Spielereien,  die  er  benutzte,  um  sich  selbst  seine  Macht  zu demonstrieren.   Morgen  im Gespräch  würde er  wieder  sachlicher  unparteiischer  Moderator  sein,  stets  um  Kompromisse  bemüht.   Gebraucht  hatte  er  eine  solche  Information  noch  nie.   Vielleicht  hatte  er  im  einen  oder anderen  Interview  zu intensiv  betont,  dass  das  Achtcardverfahren  sicher  sei,  da  nicht  die  personenbezogenen  Daten  auf  dem  Chip  gespeichert  waren.   Jedenfalls  seit  dem  das  Gerücht  umging,  er  hätte  die  Möglichkeit,  diese  Daten  einzusehen,  gab  es  keinen  ernsthaften  Gegner  mehr  in  seinen  Verhandlungen.   Manchmal  spielte  er  gelangweilt  an  seinem  Laptop  herum,  zufällig  immer  dann,  wenn  eine  Diskussion  festgefahren  war.    

Kaminski  verlor  sich  wieder  in  seinen  Erinnerungen. Zuletzt  hatten  sogar  die  Datenschützer  das System  vorangetrieben.   Anders  als  im  normalen  Internet,  musste  sich  jeder  Sender  eines  R  – Faxes  durch  Einlegen  der  Schlüsselseite  des  Achtfachchips  selbst  identifizieren.   Die  acht  Chips  verbanden  sich  jeweils  mit  einem  anderen  Rechenzentrum.     

Es  gab  ein  Rechenzentrum  für  die  Authentifizierung,  4  Rechenzentren  für  das  Bezahlen  abhängig  von  der  Bankverbindung  des  Users,  ein  Rechenzentrum  für  persönliche  Shoppingprofile,  ein  Rechenzentrum  für  die  Erstellung  von  Tickets  und  ein  Rechenzentrum  für  Krankheitsbilder  und  Notrufe  . Jede  Chipcard  erzeugte  einen  eindeutigen  Tagesstempel  anhand  dessen  der  nötige  Abgleich  zwischen  den  Servern  möglich  war,  z. B.   beim  Bestellen  und  Bezahlen  die  Zuordnung  zur  gleichen  Transaktion.   Der  11.   September  war  für  das  FINDERS  Konsortium  ein  Glücksfall  gewesen  so  zynisch  das  auch  klingen  mag.   In  den  USA  reagierte  man derart  panisch,  dass  in  Deutschland  die Datenschützer  Oberhand  bekamen.   Eine  neue  Gesetzesvorlage  wurde  verabschiedet,  dass  bei  begründetem  Terrorverdacht  lediglich  die  E  – Mails  auf  Rechnern  von  Tatverdächtigen  untersucht  werden  durften,  nicht  jedoch  die  sonstigen  Daten.   Nur  200  Personen  in  Deutschland  hatten  eine  sogenannte  Superusercard,  mit  der  zu  einer  einzelnen  Achtcard  Transaktion  auch  die  zugehörigen  Daten  von  den  anderen  Rechenzentren  über  ein  spezielles  Trustzentrum  abgerufen  werden  konnten.   Da  die  einzelnen  Chips  der  Achtcard  jeden  Tag  die  Identitätsnummer  mit  einem  anderen  Schüssel  versahen,  war  der  Aufwand  für die Fälschung  einer  Achtcard  extrem  hoch  geworden.    

Kaminski  war  einer  der  Berechtigten.   Neben  seinem  Schlüsselchip  wurden  bei  ihm  auch  zahlreiche  biometrische  Daten  abgefragt,  bevor  sein  Laptop  startete.   Sobald  sich  der  Laptop  außerhalb  des  Bluetooth  Radius  seines  als  Uhr  getarnten  Pulsmessers  befand,  wurde  automatisch  eine  neue  Eingabe  der  biometrischen  Daten  zur  Reaktivierung  erforderlich.  

Das  Flugzeug  setzte  zur  Landung  an.   Es  war  23. 00  Uhr.   Bis  er  in  Kreuzberg  war,  würde  eine  weitere  Stunde  vergehen.   Er  hatte  sich  leger  angezogen.   Er  genoss  es,  wenn  die  jungen  Dinger  in  den  bevorzugten  Singlebars  noch  immer  auf  ihn  standen.   Sich  Informationen  über  die  eine  oder andere  zu  verschaffen,  war  ihm  noch  nie  in  den  Sinn  gekommen.   Vielleicht  war  das  der  Grund,  warum  er  sich  nie  den  Namen  eines  Onenightstands  merken  konnte.  

Und  mehr  wurde  es nie.  

   

Am Ende und am Anfang – Pagera, Mallorca – März 2003, 6.Teil, Kapitel I

Professor  Liebetreu  saß  auf  der  Terrasse  seines  kleinen  Häuschens.   Endlich  Ruhe,  nichts  und  niemanden  mehr  sehen.   Nichts  mehr  denken  und  vor  allem  nicht  mehr  erinnern  –  für  die  Pension.

Letzte  Woche  noch,  da  saß  Liebetreu  im  Landgericht  einer  deutschen  Kreisstadt.   Den  Namen  durfte  er nicht  einmal  denken. Es  war  haarscharf  gewesen,  dann  hätte  er  seine  Pension  verloren.   Wofür? 

Es  war  genauso  dumm  wie  gutmütig  gewesen.   Er  hatte  wirklich  geglaubt,  dass  es  so  etwas  wie  Fairness  im  Geschäftsleben  gibt.   1998  hatte  er  Christian  Wolff  nach  einer  linguistischen  Vorlesung  kennen  gelernt.   Wolff  war  ihm  zunächst  wegen  seiner  äußerst  unterwürfigen  Haltung  unsympathisch  gewesen.

 „  Herr  Professor  Liebetreu,  also  entschuldigen  sie,  also  ich  möchte  wirklich  nicht  stören. “

„Ja,  nun. “ 

„Ich  habe  mich  mit  einer  Sache  beschäftigt,  die mich  nicht  in  Ruhe  lässt.   Sie  haben  doch  in  ihrer  Vorlesung  von  Morphemen  gesprochen.   Meinen  Sie,  dass  man die  kleinste  mögliche  Sinneinheit  auf  den  Computer  übertragen  könnte?“  

Liebetreu  hatte  täglich  mit  dem Computer  zu  tun,  aber  warum  gerade  die Morphemmethode  dem  Computer  weiterhelfen  sollte,  konnte  er  sich  beim  besten  Willen  nicht  vorstellen.   Andererseits  hatte  er  lange  ein  spannenderes  Betätigungsfeld  als  die  Linguistik  gesucht.   Auch  war  das der Bereich,  der  von  der  öffentlichen  Hand  extrem  forciert  wurde.   Wer  den Schlüssel  zur  Wissensgesellschaft  findet,  na,  dem  gehört  die Zukunft. „Herr  Wolff,  kommen  Sie  doch  morgen  nach  der Vorlesung  um  14. 00  Uhr  vorbei.   Da  habe  ich  Zeit. “ 

Es  begann  schon  wieder  hell  zu  werden,  als  sie  auseinander  gingen.  

 „Herr  Wolff,  das müssen  sie sich  patentieren  lassen,  soll  ich  mit  einem  guten  Anwalt  einen  Termin  machen?“ 

„Herr  Professor,  das wäre  wirklich  ausgesprochen  zuvorkommend  von  Ihnen.   Wenn  das  möglich  wäre,  das  wäre  wirklich  phantastisch. “

Der  Patentanwalt,  der  im  Wesentlichen  für  ein  großes  Telekommunikationsunternehmen  arbeitete,  war  beeindruckt.   Nachdem  er  telefonisch  von Liebetreu  erfahren  hatte,  worum  es ging,  hatte  er  den  Termin  kurzerhand  dazwischen  geschoben. „So  was  kommt  mir  nur  selten  auf  den  Tisch.

“ Meist  geht  es nur  um  eine  kleine  Neuerung  an  einer  bestehenden  Technologie.   Wenn  wir  den  Verfahrenskern  herausarbeiten  können,  müsste  das  patentierbar  sein. “  

Nur  wenige  Wochen  später  bekam  Liebetreu  einen  Termin  im  Landesbildungsministerium.   1999  mitten  im  Internet  Hype  hatten  die  meisten  Ministerien  schon  das  ein  oder andere  Vorzeigeprojekt.   Diesen  Trend  hatte  man im  Bildungsministerium  bisher  verschlafen.   Die  im  Wirtschaftsministerium  würden  Augen  machen,  wenn  man hier  ein  Technologiecluster  bauen  könnte  und  das  gesamte  Internet  zukünftig  steuern  würde.   „Das  fördern  wir  alles.   Stellen  Sie  den  Antrag. “

Den  hatte  Liebetreu  gestellt  und  prompt  2  Millionen  Euro  bekommen.   Und  nun,  nun  war  er  nur  ganz  knapp  an  einer  Verurteilung  wegen  Untreue  vorbeigeschrammt,  weil  die  Richter  der  zweiten  Instanz  sich  zumindest  die  Beweise  angesehen  haben.   Persönlich,  persönlich  hatte  er  nur  Arbeit  damit.   Wenn  ihn  jemand  darauf  ansprechen  würde,  würde er  heute  leugnen,  dass  er  neben  vielen  Arbeitsstunden  auch  noch  persönlich  Geld  dahinein  gesteckt  hatte.   Alle  würden  ihn  für  einen  Trottel  halten.

Die  Rente  hatten  sie  ihm  unter  der  Voraussetzung  gelassen,  dass  er  keinen  Kommentar  zur  ganzen  Sache  abgeben  würde.  „Sie  würden  sonst  immer  einen  Weg  finden“  ließen sie ihn wissen. Wer sie waren, wußte er bis heute nicht so genau. Aber dass sie eine Möglichkeit fanden, ihm mitzuteilen, was sie von ihm erwarteten, ohne je mit ihm zu sprechen, zeigte, wie mächtig sie waren.

Sie  hatten  ihn  klein  gekriegt,  so  klein,  dass  er  in  Pagera  niemandem  erzählte,  dass  er  Professor  war.   Genaugenommen,  wenn  er  nicht  musste,  sprach  er  überhaupt  nicht  mehr  –  trotz  hervorragender  Kenntnisse  der  deutschen  Sprachsyntax.  

 

Der Entscheider – Friedrichshafen – Juni 2005, 5.Teil, Kapitel I

Sie  war  gegangen,  wie  ihn  ein  Blick  durch  sein  Loft  überzeugte.   Kaminski  wollte  alles  immer  schön  übersichtlich  in  seinem  Leben.   Als  er  1995  in  Hamburg  Geschäftsführer  eines  Internetproviders  geworden  war,  da  gab  es  nur  einen  Platz,  der  für  erfolgreiche  Jungunternehmer  angesagt  war,  ein  Loft  im  Hamburger  Hafen,  damals  noch  für umgerechnet  lumpige  2000,–  Euro  je  qm  zu  haben.   Eigentlich  sah  Friedrichshafen  erst  wie  ein  Abstieg  aus.   In  einer  kleinen  Stadt  Geschäftsführer  einer  Firma,  die  niemand  kannte  und  an  der  fast  alle  in  Friedrichshafen  wichtigen  Akteure  wie  z. B.   Dornier  Anteile  hielten,  war  nun  wirklich  nicht  vergleichbar,  mit  dem Geschäftsführer  eines  Großstadtproviders.   

Wenn  man  einen  Job  nicht  haben  will,  stellt  man Bedingungen,  welche  nicht  erfüllbar  sind.   Wenn  sich  der  Grund  der  Absage  herumspricht,  steigert  das  den  eigenen  Markwert.   Kaminski  konnte  also  nur  gewinnen.   Er  forderte  ein  mit  Hamburg  vergleichbares  Loft  und  20%  Anteile  an  der  Firma.   Er  bekam  die Zusage  umgehend.   Ehrlich  gesagt,  so  ungelegen  kam  Kaminski  der Wechsel  nicht.   Die  Umsatzzahlen  waren  meilenweit  von den Sollvorgaben  entfernt.   Wenn  Kaminski  auch  vom  Providergeschäft  wenig  Ahnung  hatte  -schließlich  ging  es ja  nur  um  die üblichen  kaufmännischen  Entscheidungen  –  so entging  ihm  nicht,  dass  1999  bereits  die  Konsolidierung  begann.   Die  Großen  schluckten  die  Kleinen.   Ein  Regionalprovider  konnte  hier  langfristig  nicht  mithalten.   Was  das  Loft  betraf,  so  zauberten  die  Friedrichshafener.   Zwar  war  es nur  ein  50er  Jahre  Bau,  aber  die Wohnung  im 5.   Stock  stand  mit  ihrem  Blick  über  den  Bodensee  der  Hamburger  Wohnung  in  nichts  nach.   Nachdem  einige  Wände  entfernt  worden  waren,  war  die  Wohnung  auch  innen  kaum  vom  Loft  in  Hamburg  zu unterscheiden.   Der  Preis  war  konkurrenzlos  und  war  bei  weitem  niedriger  als  die  4000,  Euro  je  qm,  welche  er  beim  Verkauf  seines  Hamburger  Lofts  erzielte.  

Er  war  sogar  ein  bisschen  froh.   Schließlich  hatte  mal  ein  Kollege,  den er für kompetent  hielt,  zu ihm  gesagt:“  Na,  wenn  man Global  2000  glaubt,  dann  musst  du in  ein  paar  Jahren  ein  Boot  nehmen,  wenn  Du  in  Deine  Wohnung  willst. “   

Kaminski  hatte  sich  nie  für  Umweltprobleme  interessiert.   Die  Beschäftigung  mit  Themen,  welche  nicht  aktuell  anstanden  oder ihn  nicht  unmittelbar  betrafen,  betrachtete  er  als  Zeitverschwendung.

Jedoch  hatte  gerade  die Fähigkeit,  Dinge  nicht  zu  bewerten,  Kaminski  vor  Fehlentscheidungen  bewahrt.   Wenn  man seine  Wohnung  gut  verkaufen  konnte  und  es  die  Möglichkeit  gab,  dass  später  kein  höherer  Verkaufspreis  zu  erzielen  war,  dann  verkaufte  man eben.  

Warum  die  Friedrichshafener  so scharf  auf  ihn  waren?  Nun,  eigentlich  war  eine  geschönte  Pressemitteilung  schuld.   Er  wurde  in  einer  überregionalen  Wirtschaftszeitung  zum  „Kreativen  Manager  des  Jahres“  gewählt.   Die  Auswahl  wurde  einzig  und  allein  auf  Basis  der Analyse  verschiedenster  Interviews  mit  Managern  getroffen,  durchgeführt  von  einem  anderen  Medium  der gleichen  Unternehmensgruppe.   Wie  üblich  hatte  Kaminski  verschiedenste  von  seinen  PR  Beratern  vorbereitete  Anekdoten  und  Statements  eingefügt.

Kaminski  zog  sich  an  und  ging  zum  Frühstück  in  die  Altstadt  in  sein  Stammlokal.   Kaum  hatte  er  bestellt  und  seine  Wirtschaftszeitung  aufgeschlagen,  da  klingelte  sein  Handy.  

„Ja“  Kaminski  schaffte  es durch  den Tonfall,  mit  dem  er  diese  zwei  Worte  aussprach,  Müller  das  Gefühl  zu  geben,  dass  er eindeutig  ein  Anrufer  zuviel  sei.

„Äh,  Müller,  wir  waren  in  ihrer  Wohnung  für  10. 00  Uhr  verabredet.   Wie  sie wissen,  bewerbe  ich  mich  für die Position  des  Leiters  ihrer  Außenvertretung  in  Spanien. “

„Ich  bin  im  Cafe  Zeppelin  bis  11. 30  Uhr.   Diese  Zeit  sollte  für  ein  Kennenlernen  reichen. “

„Gute  Idee  Herr  Kaminski,  Cafe  Zeppelin  sagten  Sie?“  Kaminski  hatte  schon  aufgelegt.   Kaminski  kannte  den Lebenslauf  von  Müller.   Ausgezeichnete  Referenzen,  schnell  nach  oben  gekommen,  aber  wenig  Eigenverantwortung  übernommen,  immer  geschickt  zur  richtigen  Zeit…  Das  könnte  zum  Problem  werden. 

 „Müller,  guten  Tag  Herr  Kaminski.   Es  freut  mich,  Sie  endlich  persönlich  kennen  zu  lernen.   Was  gibt  es  schöneres,  als  für  das  Findens  Konsortium  zu arbeiten“  sagte  ein  gepflegter,  aber  absolut  unauffälliger  Mann.   Das  waren  für  Kaminski  eindeutig  20  Worte  zu  viel.

„Herr  Müller,  warum  wollen Sie  diesen  Job?“

Sichtlich  fassungslos  versuchte  Müller  sich  zu  sammeln.   Sicher,  er  war  es  gewöhnt,  dass  Einstellungsgespräche  nicht  einfach  verliefen.   Aber  diese  Unverschämtheit  –  schließlich  hatte  er  Referenzen.   „Ich  habe  bereits  Erfahrungen  mit  dem Vertrieb  von erklärungsbedürftigen  Produkten  gesammelt.   Wie  Sie  sicherlich  aus  meinen  Unterlagen  bereits  entnommen  haben,  war  ich  sogar  sehr  erfolgreich  verantwortlich  für  den  Vertrieb  einer  Search  Engine  Optimiser  Agentur  tätig. “

 „Herr  Müller,  sehen  Sie  dieses  Jugendstilhaus  auf  der  anderen  Straßenseite?  Stellen  Sie  sich  vor,  ich  würde ihnen  die  Immobilie  für  0,50  Euro  anbieten.   Was  wäre  Ihre  Antwort?“   

 Endgültig  verwirrt  täuschte  Müller  einen  Hustanfall  vor.   Dies  hatte  er  als  letztes  Mittel  für  den  Fall  trainiert,  dass  er  mal  nicht  mehr  weiter  wusste.   Noch  nie  hatte  er  diese  Finte  einsetzen  müssen.   Was  sollte  das?  War  Kaminski  schon  bei  den Gehaltsverhandlungen  angekommen?  Nur  jetzt  nicht  in  die  Falle  tappen.  

„Ich  würde das  Angebot  prüfen“.   Seine  Stimme  hob  sich  einen  Tick  zu hoch  am  Ende  des  Satzes,  so  dass  man das  Fragezeichen  heraushörte.  

„Herr  Müller,  ich  habe  keinen  Job  für  Sie,  aber  eine  Lektion  für´s  Leben:  „Reduzierung  des  Kaufpreises  auf  0,25  Euro  und  ich  werde  die  Qualität  des  Objekts  prüfen. “  Dies  ist  die  einzige  Antwort,  die  ein  Spanienverantwortlicher  gibt,  der  den  angepeilten  Marktanteil  von  über  50%  innerhalb  von  5  Jahren  erreicht“.   Während  Kaminski  noch  sprach,  wendete  er  sich  wieder  seiner  Zeitung  zu.   Das  Gespräch  war  beendet.  

Ihr Handlungsstrang: Beschreiben Sie doch ein wenig mehr über das Leben in Friedrichshafen. Können Sie das Ende dieses Kapitels versöhnlich gestalten, z.B. durch ein schönes Erlebnis, welches Müller wieder aufheitert?      

Der Entscheider – Friedrichshafen – Juni 2005, 4.Teil, Kapitel I

Willi  Kaminski  stand  auf  und  stellte  entnervt  fest,  dass  sie  noch  immer  da  war.   Dass  Frauen  nie  merkten,  wenn beim  Onenightstand  das  Frühstück  nicht  inbegriffen  war.   Inzwischen  langweilte  ihn,  dass  er  alles  haben  konnte,  was  er  wollte.  

Er  hatte  alles  erreicht,  was  man erreichen  konnte,  er war  CEO  des  FINDERS  – Konsortiums,  welches  über  50%  des  deutschen  Handelsvolumens  begleitete  –  wie  es  so  schön  neudeutsch  hieß. Das  war  nicht  immer  so  gewesen.   Er  tat  alles  dafür,  dass  nie  die  Sprache  auf  seine  Jugend  kam.   Aufgewachsen  war  es  als  Sohn  eines  Bergmanns  in  einem  schmuddeligen  Vorort  von  Saarbrücken.   Er  hatte  hart  arbeiten  müssen,  um  hierhin  zu  kommen.   Andere  waren  der  Meinung,  dass  es  einige  Eigenschaften  gab,  die  ihm  geholfen  hatten,  für  die  er  eigentlich  nichts  konnte.   Dazu  gehörte  seine  Größe  von über  zwei  Metern  genauso,  wie  sein  makelloses  Äußeres  und  sein  muskulöser  Körper.   Schon  früh  hatte  er  begriffen,  dass  alles  um  ihn  herum  auf  Schau  aufgebaut  war.   Bei  den  Prügeleien  in  der Nachbarschaft  gewann  letztendlich  immer  der,  der  die  wenigste  Angst  zeigte.   Eigentlich  hatte  Kaminski  immer  Angst  gehabt,  Angst  dass  jemand  herausfand,  wie  wenig  er  eigentlich  selbst  darüber  wusste,  warum  er  immer  Erfolg  hatte  und  heute  eine  solch  wichtige  Position  einnahm.   Desto  höher  er  stieg,  umso  größer  wurde  die Angst.   Mit  seiner  Angst  steigerte  sich  in  gleichem  Maße  sein  Abstand  zu  seinen  Mitmenschen.   Diesen  erschien  die  Distanz  als natürliche  Reaktion  des  Einsamen  an  der  Spitze.    

Aber  das  war  es  nicht.   Kaminski  hatte  sich  selbst  verloren  und  spielte  nur  noch  die  Rolle,  die  er  immer  gespielt  hatte,  sorgsam  bedacht,  keinen  Fehler  zu machen.   Diese  Rolle  war  ihm  auf  den  Leib  geschnitten.  

Solange  er keine  Entscheidung  traf,  machte  er keinen  Fehler.   Entscheidungen  trafen  andere.   Waren  die  Entscheidungen  richtig,  so  waren  es  die  Entscheidungen  von Willi  Kaminski.   Waren  die Entscheidungen  falsch,  so waren  es die Entscheidungen  anderer.  

Diese  Angst  beherrschte  Willi  Kaminski  so,  dass  kein  weiteres  Gefühl  Platz  hatte,  nicht  einmal  eine  Vorliebe,  ein  Hobby  hätte  er  benennen  können,  wenn  er  ehrlich  geantwortet  hätte.   In  Presseinterviews  war  seine  Vita  natürlich  perfekt,  gespickt  von privaten  Geschichtchen,  welche  er  entweder  bei  anderen  aufgeschnappt  oder sich  von  einem  seiner  PR  – Berater  hatte  erfinden  lassen.   Willi  Kaminski  hatte  das  Talent,  zur  richtigen  Zeit  am  richtigen  Ort  die  richtigen  Leute  kennenzulernen.   Auch  dafür  konnte  er  eigentlich  nichts.   Es  war  so  und  er  ging  davon  aus,  dass  es  auch  in  Zukunft  immer  so  sein  würde.  

Er  schaute  aus  dem  Fenster  des  6.   Stocks.   Der  Ausblick  reichte  bis  zur  gegenüberliegenden  Seite  der  Bodensees.   Es  sollte  ein  schöner  klarer  Sommertag  werden.   Sie –  ihren  Vornahmen  hatte  er  vergessen  -zog  sich  umständlich  an,  wohl  immer  noch  in  der  Hoffnung,  zum  Frühstück  eingeladen  zu  werden. Das  Telefon  klingelte.  

„Ja“  Kaminski  hatte  auch  gelernt,  dass  Leute  die  wenig  sagen,  wenig  falsch  machen  können und  man ihnen  gleichzeitig  unterstellt,  dass  sie  viel  denken,  bevor  sie  etwas  sagen.  

„Ja,  ik  bin`s  Willi,  der  Christoph,  ik  hab  da  ne  Idee. “  Es  gab  wenige,  die  sich  mit  Kaminski  duzten.   Keiner  sonst  würde sich  erlauben,  am  Sonntag  Morgen  einfach  wegen  einer  neuen  Idee  anzurufen.   Normalerweise  hätte  Kaminski  mit  einem  „Es  geht  gerade  nicht“  das Gespräch  beendet.   Aber  Kaminski  war  sehr  wohl  bewusst,  was  er  Christoph  Wolff  alles  verdankte  – genaugenommen  wäre  er  heute  ohne  Christoph  nicht  CEO  von FINDERS.   Außerdem  hatte  es  überhaupt  keinen  Sinn  vor  Christoph  eine  Schau  abzuziehen.   Christoph  Wolff  war  der geborene  Untertan.   Sein  Verhalten  hätte  auch  bei  einem  entsprechenden  Auftreten  Kaminskis  nicht  untertäniger  sein  können.     

Dies  entpuppte  sich  für Christoph  als  Vorteil,  weil  Christoph  vielleicht  der  einzige  Mensch  war,  der  Kaminski  so kannte,  wie  er war,  ohne  eigene  Ideen  und  Gefühl  für  andere,  aber  mit  dem  untrügerischen  Instinkt  für  den  richtigen  Moment.   So  hatte  Kaminski  immer  gewusst,  ohne  darüber  nachdenken  zu  müssen,  welche  der  meist  guten  Ideen  von  Christoph  auch  zum  richtigen  Zeitpunkt  kamen,  um  am  Markt  umgesetzt  zu  werden.   Die  meisten  Ideen  von  Christoph  mussten  warten,  oft  viele  Jahre.

Außerdem  kannte  Kaminski  Christophs  Lebensgeschichte  und  wusste,  dass  Christoph  Wolff  auch  in  Zukunft  die  Last,  welche  ihm  von  seinen  Vorfahren  auferlegt  worden  war,  nicht  abstreifen  konnte.  

Wolff  stammte  aus  einem  alten  ostpreußischen  Geschlecht  von Gutsbesitzern  und  Juristen.   Wohlgemerkt  Juristen,  keinen  Rechtsanwälten.   Auf  diesen  feinen  Unterschied  legten  die  Wolffs  erheblichen  Wert.   Sie  waren  stolz  darauf,  immer  wesentlichen  Einfluss  auf  die Gesetzgebung  genommen  zu haben.   Der  Familien  Stammbaum  ging  in  direkter  Linie  auf  den Christian  Wolff  zurück.   Mit  der  Namensgebung  hatte  man in  Christian,  Christoph  Wolff  entsprechende  Erwartungen  gesetzt.   Den  Rufnamen  benutzte  er  heute  nicht  mehr.     

Christian Freiherr von Wolff (in der Encyclopédie „Chrétien Wolf“) (* 24. Januar 1679 in Breslau; † 9. April 1754 in Halle) war ein bedeutender deutscher Universalgelehrter, Jurist und Mathematiker und einer der wichtigsten Philosophen zwischen Leibniz und Kant. Er zählt zu den bedeutendsten Vertretern des Naturrechts und gilt als eigentlicher Begründer der Begriffsjurisprudenz des 19. Jahrhunderts. Die deutsche Philosophie verdankt ihm ihre terminologische Grundlegung; viele von ihm definierte Begriffe wie „Bedeutung“, „Aufmerksamkeit“ oder an sich wurden später in die Alltagssprache übernommen. Wolff hatte auch maßgeblichen Einfluss auf die preußische Gesetzgebung.

Quelle Wikipedia

Durch  den  zweiten  Weltkrieg  war  seine  Familie  gezwungen,  aus  Ostpreußen  zu  flüchten.   In  Ostberlin  kam  die Familie  bei  Verwandten  unter.   Natürlich  kannte  Kaminski  nicht  die genauen  Details,  aber  Christoph  hatte  sich  einmal  im Suff  seine  ganze  Vergangenheit  von  der  Seele  geredet.   Sein  Vater  war  einfach  nicht  mit  der  veränderten  Situation  klar  gekommen.   Das  Tafelsilber,  einige  wertvolle  Gemälde  und  den Familienschmuck  hatte  er  über  den  Krieg  retten  können.   Nach  dem  Krieg  versuchte  er,  in  der  DDR  einen  seiner  alten  Stellung  entsprechenden  Status  mit  allen  Mitteln  – sprich  Bestechungen  – wiederherzustellen.   Er muss wohl an den ein oder anderen  Falschen  gekommen  sein.   Schließlich  stand  er  vor  Gericht  und  wurde  wegen  zahlreichen  Delikten  wie  Unterwanderung  der  Staates,  Bestechung  etc.   zu  Gefängnis  verurteilt.   Noch  nachdem  er  das  Urteil  vernommen  hatte,  behandelte  er  den  Richter  von oben  herab  und  verwies  auf  zahlreiche  allerdings  in  der DDR  nicht  mehr  gültigen  Gesetzestexte.  

Erst  im  Gefängnis  muss  er wohl  die Unabänderlichkeit  seiner  Situation  erkannt  haben.   Die  Kleidung  ordentlich  über  den  Stuhl  gefaltet,  erhängte  er  sich  noch  in  der  ersten  Woche  mit  seinem  Gürtel.   Einen  Abschiedsbrief  hielt  er  nicht  für  nötig.   Christophs  Mutter  hielt  noch  einige  Wochen  durch.   Sie  wurde  nach  der Verurteilung  ihres  Mannes  in  einer  Landwirtschafts – LPG  zur  Arbeit  verpflichtet.   Man  vergaß  dabei  nicht,  die  LPG  ausführlich  über  ihre  Vergangenheit  zu  unterrichten.   Nach  mehreren  vergeblichen  Versuchen,  das  neue  Gesinde  anzuweisen,  flüchtete  sie  sich  in  den  Wahnsinn  und  wurde  innerhalb  von  kürzester  Zeit  in  eine  geschlossene  Anstalt  eingewiesen. Nach  der  Wende  hat  Christoph  sie  wohl  noch  einmal  als für ihn  völlig  fremde  Frau  wiedergesehen.   Christoph  selbst  wuchs  in  sozialistischen  Heimen  auf,  wobei  man ihm  als  ehemals  Privilegiertem  alle  für  eine  Karriere  nur  erdenklichen  Steine  in  den  Weg  legte.    

Regelmäßig  wurde  er  zur  Staatssicherheit  zitiert.   Diese  begutachtete  jedes  Jahr  neu,  ob  am  Sohn  ähnliche  Tendenzen  wie  beim  Vater  festzustellen  seien.   Nur  seiner  außergewöhnlichen  Intelligenz  hat  er es zu verdanken,  dass  er es zur  nicht  studierten  Hilfskraft  eines  Leipziger  Linguistikprofessors  brachte. Hier lernte  Kaminski  ihn  zufällig  1999  kennen.   Also  antwortete  Kaminski  geduldig:  „Erzähl“.  

„Wir  können die Finder  für  viele  der  anderen  europäischen  Sprachen  auch  benutzen,  wir  müssen  nur  den  Pointer  anders  setzen. “

Kaminski  gab  sich  erst  gar  nicht  die  Mühe,  Christoph  zu  verstehen.   Es  reichte,  dass  Christoph  eine  Idee  hatte,  den  Zeitplan  der  Agenda  2010  zur  Übertragung  des  finder – Konzepts  in  den englischen,  französischen,  italienischen,  spanischen,  portugiesischen  und  niederländischen  Sprachraum  einzuhalten.   Wer  konnte  schon  verstehen,  was  in  Christopf  vorging.   Was  interessierte,  war  das  Endergebnis  und  das  war  bei  Christoph  immer  in  Ordnung.

Darum  fragte  er  nur:  “Das  ist  ausgezeichnet  Christoph.   Du  überraschst  mich  immer  wieder.   Brauchen  wir ein  neues  Patent?“

„Nein,  nach  meiner  Meinung  deckt  das  Patent  aus  1999  alle  Ideen  ab.“

 „Möchtest  du  vorbeikommen  oder reicht  es,  wenn  wir  Montag  drüber  reden“.

 „Montag  reicht“.  

„O. k. ,  ich  ruft  dich  Montag  am  Morgen  an.   Danke  dass  du mich  direkt  informiert  hast.   Genieß  ein  wenig  dein  Wochenende. “   

Ihre Handlung: Erfinden Sie doch andere Details aus der Vergangenheit von Woff. Hier könnten Sie einen weiteren Kreativen einführen, der Ihre eigenen Ideen entwickelt und später von Wolff Kaminski vorgestellt wird.