Autoren, welche längere Beiträge im Rahmen dieses Onlinebuchs veröffentlichen wollen, sollten mit ihrem Handlungsstrang bereits im ersten Kapitel beginnen.
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Im Veranstaltungsraum des Technologiezentrums hatte um 9. 00 Uhr eine Informationsveranstaltung für interessierte Firmen, welche sich ansiedeln sollten, begonnen. Der Wirschaftsförderer schaute entgeistert, als immer mehr nicht angemeldete Gesichter den für max. 50 Personen ausgelegten Raum stürmten – alle halbwegs kreativen Köpfe, welche Kaminski telefonisch mobilisieren konnte. Kaminski kam selbst erst, als der Raum hoffnungslos überfüllt war. „Alle, die ich nicht eingeladen habe bitte raus, dies ist eine Sache der nationalen Sicherheit. “
Der Wirtschaftsförderer kannte die Gerüchte, dass Kaminski neuerdings Beziehungen bis ganz nach oben hatte und begann sich ausführlich bei den Gästen zu entschuldigen, während er gleichzeitig alle alternativ zur Verfügung stehenden Räume im Kopf durchging. „Jetzt“ Kaminskis Tonfall war an Schärfe nicht mehr zu überbieten. Mit einem letzten Rest Würde drehte sich der Wirtschaftsförderer zu den Interessenten um: „Raum 104, folgen Sie mir bitte. “
Kaminski, sparte sich jede Begrüßung. „Wir wurden vom Bundeskanzler persönlich zum Think Tank in Sachen Mannesmann berufen, Ihre Chance oder Ihr Untergang. “ So viel hatte Kaminski nie geredet und wie erwartet sorgte er für das größt mögliche Chaos. Nach vier Stunden gingen sie auseinander, ohne auch nur eine einzige verwertbare Idee.
Mannesmann, das hatte was mit Informatik zu tun. Also rief Kaminski alle Informatik – Professoren von Rang an und bat sie um Hilfe. Er war klug genug nicht zu erwähnen, von wem er die Anweisung hatte. Bei keinem hatte er das Gefühl in der Kürze der Zeit etwas erwarten zu können. Meist wurde ihm erwidert, er solle eine Projektskizze zuschicken, man würde sehen, was sich machen ließe.
Nichts, gar nichts und zwei Tage waren schon vorbei. Aus lauter Verzweiflung wählte er die Nummer von Prof. Zahlenwerk in Gelsenkirchen. Dieser arrogante Fatzke hatte ihm jedes Mal, wenn sie sich begegneten, deutlich gezeigt, was er von dem nicht studierten Kaminski hielt.
„Prof. Zahlenwerk, Lehrstuhl für Informatik, wer stört?“
„Kaminski, es geht um eine Sache höchster Dringlichkeit: Ein mir anvertrauter Telekomprovider soll vor einer Übernahme geschützt werden. Nun suchen wir eine technologische Idee, die diesen für deutsche Anleger unersetzlich macht. “
„So, so, Kaminski. Man erzählt sich, Sie fühlen sich zu Höherem berufen“. Zahlenwerk war doch nicht verkalkt. Es konnte sich nur um Mannesmann handeln. So wie dieser entscheidungsscheue Kaminski sich ins Zeug legte, konnte es sich nur eine Anweisung von ganz oben handeln. Dies war eine einmalige Chance, gleich zwei Gegner aus dem Weg zu räumen. Diesen Emporkömmling, der den Platz einnahm, der ja wohl nur ihm zustand. Er hatte schließlich maßgeblich an den Grundlagen der Retrivel – Systeme mitgearbeitet und wenn man es genau nahm, war er der Urvater von Semantic Web. Fast noch mehr als Kaminski ärgerte ihn dieser Deutschlehrer, der sich Professor für Linguistik nannte und es tatsächlich gewagt hatte, ihm einen Etat von zwei Millionen streitig zu machen. Nicht etwa mit solider Grundlagenforschung, nein, mit linguistischem Firlefanz, der noch nicht mal auf Liebetreus Mist gewachsen war.
Diesem Liebetreu hatte er schon eine Laus in den Pelz gesetzt. Einem Studenten hatte er die leichte Promotion versprochen, wenn dieser sich im Lehrstuhl für Linguistik einschrieb und den anderen Studenten deutlich machte, dass hier Gelder falsch eingesetzt wurden. Falsch eingesetzt, was sagte er da. Für einen solchen Quatsch konnte sich Liebetreu seine zwei Millionen Subventionen nur ergaunert haben. Zu Kaminski sagte Zahlenwerk zuvorkommend: „Hört sich ja wirklich verzweifelt an. Wie es aussieht, kann ich helfen. Ich habe letztes Jahr auf meine Fördergelder verzichtet, um einem sehr motivierten Kollegen aus der Linguistik weiterzuhelfen. Soll ich ihn direkt anrufen?“
Bei soviel Entgegenkommen wäre Kaminski normalerweise misstrauisch geworden, aber wo es keine Wahl gab, da dachte Kaminski nie unnötig nach. „Nein ich nehme den nächsten Flieger. Heute Mittag bin ich da. “ Das musste ja wirklich dringend für Kaminskis Kariere sein. Zahlenwerk griff direkt zum Hörer.
„Hallo Liebetreu lassen sie uns Frieden schließen. Ich bin ein guter Verlierer. Ich habe hier Herrn Kaminski, ja den aus Friedrichshafen. Wie es aussieht hat der ein sehr interessantes Angebot für sie. Ja, er kommt heute Mittag gegen 15. 00 Uhr“.
Kaminski war auf die Minute pünktlich. Liebetreu entsprach in keiner Weise dem arroganten Zahlenwerk. Er war einfühlsam, hektisch und schusselig, alles auf einmal.
„Ja guten Tag Herr Kaminski. Sie interessieren sich für die digitale Monemanalyse? Das was wir hier machen, ist wirklich äußerst interessant“. Obwohl er die 50 schon seit einiger Zeit überschritten haben musste, strahlte er die Begeisterung eines jungen Mannes aus. „Ehrlich gesagt, ich verstehe mich hier nur als Coach für das Projekt. Die eigentliche Arbeit machen die Studenten und die Ideen liefert unser Christian Wolff. Was für ein Glück, dass wir den haben. “
„Kann ich Herrn Wolff mal kennen lernen?“
„Kein Problem, kommen Sie mit. „Herr Wolff , darf ich ihnen Herrn Kaminski vorstellen, den aus Friedrichshafen. “
Kaminski drehte Liebetreu den Rücken zu und wendete sich an Wolff. Er brauchte Fakten und keinen Smalltalk.
„Herr Wolff, stellen sie sich vor, ich sollte einen Telekomprovider vor der feindlichen Übernahme retten und ich hätte hierzu die politischen Möglichkeiten. “
„Guten Tag Herr Kaminski, ich bin äußerst erfreut, sie persönlich kennen zu lernen. “ Wolff gab sich alle Mühe, den Berliner Dialekt zu unterdrücken. Hier war ein wichtiger Mann, dem er unbedingt zu Diensten sein wollte. „Man hört ja von Friedrichshafen nur Gutes. Ja ich bin kein Politiker, aber wenn ich richtig verstehe, geht es darum, dass die involvierten Politiker wiedergewählt werden wollen. “
Kaminski schaltete innerlich schon ab, hier vergeudete er nur seine Zeit. Jetzt redete er schon mit Assistenten. Nur mit halbem Ohr hörte er noch hin.
„Was man bräuchte, wäre eine Killerapplikation, welche von diesem Provider entwickelt würde und für Deutschland unersetzlich wäre. “
„Ja genau das. “ Jetzt war Kaminski auf einmall hell wach.
„Nun, einfach ist das nicht, aber ich habe hier gerade verschiedene Patente recherchiert und Applikationen aufgelistet, welche in Kombination mit der digitalen Monemanalyse wesentliche Vorteile für den Telekommunikationsmarkt bieten würden. “
Kaminski diskutierte mit Christian Wolff eine ganze Nacht und er begann die Welt in einer sprachlichen Ordnungsstruktur zu sehen. Wolff überzeugte ihn. Wenn man nur einmal für alle Bereiche des Lebens eine Ordnung einführte, konnten die digitalen Prozesse für alle Beteiligten wesentlich vereinfacht werden. Was ihn störte war der sperrige Name „Digitale Monemanalyse“. Das konnte man nicht verkaufen. Bevor er ging, hatte er sich mit Wolff auf Finder – Technologie geeinigt.
Auf dem Rückflug überlegte Kaminski verzweifelt, wie er aus dem eindeutig umfangreichstem Konzept, welches man in so kurzer Zeit finden konnte, einen Rettungsplan schmieden sollte. Man müsste die Firmenkunden von Mannesmann gewinnen. Geht nicht, viel zu langwierig. Man könnte eine eigene Portaloberfläche für Mannesmannkunden basierend auf der Finder –Technologie entwickeln. Schon besser, aber der Bundeskanzler wollte ja gerade das Image loswerden, sich in die Privatwirtschaft zu sehr einzumischen. Die Behörden, das war es. Hier war ohne Frage das größte Rationalisierungspotenzial und die größte Unordnung. Er war als Provider in den einen oder anderen Lenkungsausschuss eingeladen worden. Selbst wenn sich kleine Städte zu einem Landkreis zusammenschlossen, gab es nicht enden wollende Diskussionen , ob das Amt nun „Amt für Müllentsorgung“ oder „Amt für Abfallangelegenheiten“ heißen sollte. Nicht einmal die Anzahl oder Grundaufgaben der einzelnen Ämter innerhalb der einzelnen Städte waren gleich. Für die große anstehende Strukturreform, da bedurfte es eines roten Fadens, der durch alle Bereiche der Behörden führen sollte. Hatten es die Behörden erst einmal vorgemacht, würde die Privatwirtschaft von alleine nachziehen, schon um mit der öffentlichen Hand, welche ja immerhin 40% aller Binnenmarktaufträge im IT – Bereich vergab, kompatibel zu bleiben. Das war mehr als ein Mannesmannrettungsplan, dass war ein 5 Jahresplan für ganz Deutschland.
Innerhalb von nur 12 Stunden wurde im Kanzleramt eine neue Sondersitzung angesetzt.
Der Kanzler ging kein Risiko ein. Er überzeugte den Mannesmann – Vorstand, dieses Konzept als Mannesmann – Vision zu veröffentlichen. Nachdem eine Kurzumfrage unter der Bevölkerung keine wesentlichen Widerstände identifizierte, ging alles schnell. Die Lobbyisten hatten – wie beabsichtigt – keine Zeit gehabt, sich eine eigene Meinung zu bilden. Da laut ebenfalls schnell erstelltem Gutachten nur Mannesmann die technischen Voraussetzungen für ein solch komplexes Projekt hatte, gab der Bundeskanzler Mannesmann ein Pilotprojekt ohne weitere Ausschreibung in Auftrag. Gleichzeitig kaufte der Bund Aktien und übertrug das Konzept des VW – Gesetzes auf Mannesmann. Mannesmann wurde später der zweit größte Partner im FINDERS – Konsortium. Esser brach die Verhandlungen mit Vodafone ab. Die Aktienpreise von Mannesmann explodierten nach der ersten Pressemeldung aus dem Kanzleramt, dass die Agenda 2005 auf das finder – Konzept abgestimmt würde. Vodafone hatte keine ausreichende eigene Kapitalisierung, um den Aktionären ein akzeptables Angebot zu machen. Die feindliche Übernahme hatte sich erledigt, ohne dass auch nur ein Cent öffentlicher Mittel geflossen waren.
Kanzler M wirkte nervös.
Damals wurde er noch mit seinem bürgerlichen Namen angesprochen. Später undenkbar. M stand in gleicher Weise für Medienpräsenz wie Medienkompetenz. Als ein Journalist im Spaß diesen Namen einführte, fand der Bundeskanzler den Namen ausgezeichnet. Später sorgte sein Pressesprecher dafür, dass alle nur noch von Kanzler M sprachen. Kaminski war neu in der Runde. Warum hatte man ihn nur zu dieser höchst vertraulichen Sitzung hinzugebeten? Was erwartete Kanzler M ausgerechnet von ihm? Bloß nicht auffallen, sicher sollte nur ein möglichst umfangreiches Beratergremium dabei sein. Verantwortung lies sich so trefflich verteilen. Schließlich waren im nachhinein einzelne Entscheidungen nicht mehr eindeutig auf einzelne Personen zurückzuführen. Einmal, nur einmal hatte Kaminski eine Meinung vertreten. Es hatte ihn fast seinen Hals gekostet, wäre da nicht Christian Wolff gewesen.
Auf der Cebit 1999 war er wie alle Geschäftsführer der Ausstellerfirmen von der Messegesellschaft zum Galadinner mit Bundeskanzler eingeladen worden. Als „Kreativer Manager der Jahres“ wurde ihm die besondere Ehre zuteil, mit 12 weiteren Gästen am Tisch des Bundeskanzlers zu sitzen. Damals hatte er es genossen, mitten unter den mächtigsten Wirtschaftskapitänen zu sitzen, umringt von Bodyguards selbst wohl jetzt wichtig. Als er einen Sekt mehr als sonst getrunken hatte, war er in einer unglaublichen Hochstimmung. Da sprach Kanzler M ihn an: „ Herr Kaminski, wir brauchen mehr kreative Leute wie sie in Deutschland. Uns geht es gut. Meinen Sie in einer Krise sollte ich Sie zu einem meiner Berater machen?“ „Herr Kanzler, ich baue gerade in Friedrichshafen ein Technologiecluster mit den besten Leuten weltweit auf. Wir bekommen alles hin, was man mit Informationstechnologie hinbekommen kann. “
Mitten in der Nacht schreckte Kaminski aus einem unruhigen Traum hoch. Er hatte eine Meinung vertreten. Er hatte seine Prinzipien gebrochen und mindestens 25 Worte zuviel gesagt. Nicht etwa in seinem Stammcafe in Friedrichshafen, nein als von Bodyguards umringter Mann, dessen Aussage Konsequenzen haben kann, gegenüber dem Bundeskanzler, der selbst permanent Entscheidungen mit ungeheurer Reichweite treffen musste. Er war ruiniert. Da kam er nie mehr raus. „Kaminski,“ sagte er laut zu sich selbst, „erst einmal einen Schritt nach dem anderen. Du hast Nachdurst. Der nächste Schritt, das ist Wasser aus dem Kühlschrank holen und dann sehen wir weiter“. Wenn Kaminski sich selbst mit Nachnamen ansprach, dann war es wirklich schlimm.
Nun also forderte Kanzlei M seine Zusage ein.
„Herr Kaminski, gibt es eine Möglichkeit, die Übernahme zu verhindern, ohne dass ich wie gerade erst bei Phillip Holzmann wieder wegen der Einmischung der Politik in die Marktwirtschaft in die Schlagzeilen komme?“
„Herr Bundeskanzler, ich lasse mir etwas einfallen“.
„Gut, Sie haben eine Woche. Damit ist die Sitzung wohl beendet. “
Das konnte er doch nicht machen. Seine Staatssekretäre, die Wirtschaftsbosse, all die wichtigen Menschen in der Runde freuten sich, dass einer die Verantwortung übernahm, dass einer Lösungen bot. Er, Kaminski war nun wirklich zu einem sehr wichtigen Mann geworden – für eine Woche. Der anschließende Fall würde sehr tief sein, denn in Wirklichkeit hatte Kaminski nichts anzubieten, hatte keinen Plan und konnte nur hoffen, dass das Glück, welches ihn bis hier hingebracht hatte, ihn nicht gerade jetzt verließ.
Es war alles innerhalb von wenigen Tagen gegangen und jetzt saß Liebetreu vor dem Scherbenhaufen. Das ganze letzte Jahr hatte ihn das U – Boot nur noch genervt, immer haarscharf davor, Liebetreu einen Grund zu liefern, ihn aus dem Seminar zu werfen. Liebetreu brachte seinen Namen nicht mehr über die Lippen, für ihn war er nur noch U1. Ein zweites U – Boot hätte er auch nicht überlebt.
Liebetreu hatte dieser grenzenlosen Bosheit nichts entgegenzusetzen. U1 war unverschämt, unfähig und eingebildet zu gleich. Es war offensichtlich, dass er kein Interesse an der Linguistik hatte und schon gar nicht an der digitalen Monemanalyse.
Sein Interesse galt ausschließlich dem Aufruhr. Er wusste es geschickt anzustellen, den Neid der Studenten zu schüren. Mal war es ein neues Auto, welches Liebetreu angeblich hatte, mal waren es die Milliarden, welche er angeblich bereits mit der Monemanalyse verdient hatte. Wieder ein anderes Mal waren es die Studenten, welche durch sinnlose Sklavenarbeit für den Professor ausgebeutet wurden. Die Ironie der Geschichte: wer bei Liebetreu studiert hatte, der – so stellte sich später heraus – hatte einen Topjob im FINDERS Konsortium sicher.
Als dann auch noch Christian Wolff von Kaminski mit einem unerhörten Gehalt abgeworben wurde, da brach innerhalb von nur 4 Tagen alles zusammen. Einige Studenten gingen angeführt und aufgestachelt von U1 zur Staatsanwaltschaft und zeigten an, dass Liebetreu ihnen einen Informatik adäquaten Abschluss versprochen hatte und nun die gesamte linguistische Datenbank verschwunden sei und sie mit ihrem bisherigen Studium in Zukunft nichts anfangen könnten.
Auch war ihnen von U1 genau eingetrichtert worden, welche Argumente bei der Staatsanwaltschaft greifen würden. So war das abgebrochenen Jurastudium doch noch für etwas nutze. U1 hatte die Prüfungen nach dem zweimaligen Wiederholen nicht erneut ablegen dürfen und wurde zwangsexmatrikuliert. Jetzt würde er bald promovierter Informatiker sein.
Kaminski saß mal wieder in dem kleinen Privatjet zwischen Friedrichshafen und Berlin. Er musste unbedingt durchrechnen lassen, ob sich nicht langsam eine eigene Maschine für das FINDERS Konsortium rechnete. Aber für solche Kleinigkeiten hatte niemand wirklich Zeit. Sicher konnte mannoch einen Controller einstellen, doch wer kontrollierte den? Kurz dachte er an die vergangenen 3 Jahre.
Erst 1999 war die FINDERS GmbH gegründet worden. Ziel war es, ein Technologiecluster aufzubauen, um innovative Firmen nach Friedrichshafen zu holen, 2000 schaffte man dann die Verhinderung der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone und den Aufbau des FINDERS Konsortiums. Seit dem 11. September 2001 war er wohl zum wichtigsten Wirtschaftsführer Deutschlands aufgestiegen. Sicher, eines der größten Probleme war es gewesen, den bürokratischen Sturköpfen die WIN – WIN Situation beizubringen. Er hatte sich ein Team von 50 Volkswirten, Mathematikern und Beratern eingekauft, die Unmengen von Papier produzierten, um jeder der parlamentarischen Anfragen gerecht zu werden, jedem Lobyisten seinen Vorteil darzustellen. Trotzdem ging alles rasend schnell. Nie zuvor war eine solch gewaltige strukturelle Änderung so schnell eingeführt worden. Und so sah das Ergebnis aus. Das Postmonopol für Briefsendungen lief bis Ende 2003 aus. Die Post selbst bot nur noch in Spezialbereichen Briefe an, z. B. für die schnelle Zustellung von Großformaten wie Bauplänen wurde ein spezieller Service eingerichtet.
Die Post hielt mit 50% den größten Anteil am FINDERS Konsortium. Achtfachcardgeräte erhielten vom Konsortium eine Subvention von 8 Mrd. Euro. Das FINDER Konsortium refinanzierte sich einerseits durch eine Lizenzgebühr, welche bei dem regionalen Händler abhängig von der Qualität der Produktergebnisse eingenommen wurde. Dieses Verfahren erwies sich als wesentlich fairer als das pay per click Modell der Suchmaschinen, da nur für den User sinnvolle Ergebnisse, nicht jedoch unsinnige Klicks auf Zwischenergebnisse von den Produktanbietern bezahlt werden mussten. Experten hatten errechnet, dass allein dadurch, dass Unternehmen nicht mehr Faxe, Briefe und E – Mails gleichzeitig bearbeiten mussten, eine jährliche Ersparnis von 20 Mrd. EUR erreicht werden konnten.
Da das Briefporto wegfiel, konnte weiterhin für jedes R – Fax eine Sendegebühr von 0,50 Cent erhoben werden. Jeder Deutsche über 14 Jahre wurde verpflichtet, sich sein eigenes Achtcardgerät zu kaufen. Das Volksfaxgerät – wie es später genannt wurde – gab es schon für 1, Euro bei jedem Telefonladen. Wer sich keinen Telefonanschluss leisten konnte, bekam die Grundgebühr erlassen, um R – Faxe erhalten zu können. Schnell stürzten sich die Gerätehersteller auf den neuen Markt. Es gab Handys mit Achtcard, die über Funk auf Faxen ausdrucken konnten und vieles mehr. Der Personalabbau gestaltete sich wesentlich undramatischer als erwartet. Die Post erhielt die Aufgabe, die Semantikredaktion aufzubauen und die Kategorienagenturen zu überwachen. Sowohl im Dienstleistungsbereich, als auch im Handelsbereich wurde die komplette Digitalisierung der Kommunikation zum Jobmotor. Durch die Ausschöpfung der ungeheuren Rationalisierungspotenziale wurden Produkte und Dienstleistungen in Deutschland günstig und international wettbewerbsfähig. Sicherlich, viele Postbeamten machten keine Karriere. Doch es entstanden auch viele einfache Jobs im Dienstleistungsbereich. Die Behördenabläufe wurden wesentlich beschleunigt und vereinfacht.
Morgen hatte Kaminski erneut eine Mammutaufgabe zu bewältigen. Es ging darum, die gesamte Paketlogistik in Deutschland umzustellen. Man hatte auf seiner Anwesenheit bei einer Anhörung im Bundestag zum Thema: „Einführung der Mehrfachpakete in der Regionallogistik“ bestanden. Für Kaminski war diese Pflichtübung eindeutig verlorene Zeit. Aber es war wichtig, den privaten Logistikfirmen zu zeigen, dass alle vom neuen Mehrfachpaket profitieren würden.
Während Kaminski seinen Gedanken nachhing, gab er in seinen Laptop nach und nach Namen der Gesprächspartner ein. Prompt erschien der R – Fax Verkehr der letzten Tage für die jeweilige Person auf dem Bildschirm. Nicht, dass Kaminski wirklich am Inhalt interessiert war. Es war eine der wenigen Spielereien, die er benutzte, um sich selbst seine Macht zu demonstrieren. Morgen im Gespräch würde er wieder sachlicher unparteiischer Moderator sein, stets um Kompromisse bemüht. Gebraucht hatte er eine solche Information noch nie. Vielleicht hatte er im einen oder anderen Interview zu intensiv betont, dass das Achtcardverfahren sicher sei, da nicht die personenbezogenen Daten auf dem Chip gespeichert waren. Jedenfalls seit dem das Gerücht umging, er hätte die Möglichkeit, diese Daten einzusehen, gab es keinen ernsthaften Gegner mehr in seinen Verhandlungen. Manchmal spielte er gelangweilt an seinem Laptop herum, zufällig immer dann, wenn eine Diskussion festgefahren war.
Kaminski verlor sich wieder in seinen Erinnerungen. Zuletzt hatten sogar die Datenschützer das System vorangetrieben. Anders als im normalen Internet, musste sich jeder Sender eines R – Faxes durch Einlegen der Schlüsselseite des Achtfachchips selbst identifizieren. Die acht Chips verbanden sich jeweils mit einem anderen Rechenzentrum.
Es gab ein Rechenzentrum für die Authentifizierung, 4 Rechenzentren für das Bezahlen abhängig von der Bankverbindung des Users, ein Rechenzentrum für persönliche Shoppingprofile, ein Rechenzentrum für die Erstellung von Tickets und ein Rechenzentrum für Krankheitsbilder und Notrufe . Jede Chipcard erzeugte einen eindeutigen Tagesstempel anhand dessen der nötige Abgleich zwischen den Servern möglich war, z. B. beim Bestellen und Bezahlen die Zuordnung zur gleichen Transaktion. Der 11. September war für das FINDERS Konsortium ein Glücksfall gewesen so zynisch das auch klingen mag. In den USA reagierte man derart panisch, dass in Deutschland die Datenschützer Oberhand bekamen. Eine neue Gesetzesvorlage wurde verabschiedet, dass bei begründetem Terrorverdacht lediglich die E – Mails auf Rechnern von Tatverdächtigen untersucht werden durften, nicht jedoch die sonstigen Daten. Nur 200 Personen in Deutschland hatten eine sogenannte Superusercard, mit der zu einer einzelnen Achtcard Transaktion auch die zugehörigen Daten von den anderen Rechenzentren über ein spezielles Trustzentrum abgerufen werden konnten. Da die einzelnen Chips der Achtcard jeden Tag die Identitätsnummer mit einem anderen Schüssel versahen, war der Aufwand für die Fälschung einer Achtcard extrem hoch geworden.
Kaminski war einer der Berechtigten. Neben seinem Schlüsselchip wurden bei ihm auch zahlreiche biometrische Daten abgefragt, bevor sein Laptop startete. Sobald sich der Laptop außerhalb des Bluetooth Radius seines als Uhr getarnten Pulsmessers befand, wurde automatisch eine neue Eingabe der biometrischen Daten zur Reaktivierung erforderlich.
Das Flugzeug setzte zur Landung an. Es war 23. 00 Uhr. Bis er in Kreuzberg war, würde eine weitere Stunde vergehen. Er hatte sich leger angezogen. Er genoss es, wenn die jungen Dinger in den bevorzugten Singlebars noch immer auf ihn standen. Sich Informationen über die eine oder andere zu verschaffen, war ihm noch nie in den Sinn gekommen. Vielleicht war das der Grund, warum er sich nie den Namen eines Onenightstands merken konnte.
Und mehr wurde es nie.
Professor Liebetreu saß auf der Terrasse seines kleinen Häuschens. Endlich Ruhe, nichts und niemanden mehr sehen. Nichts mehr denken und vor allem nicht mehr erinnern – für die Pension.
Letzte Woche noch, da saß Liebetreu im Landgericht einer deutschen Kreisstadt. Den Namen durfte er nicht einmal denken. Es war haarscharf gewesen, dann hätte er seine Pension verloren. Wofür?
Es war genauso dumm wie gutmütig gewesen. Er hatte wirklich geglaubt, dass es so etwas wie Fairness im Geschäftsleben gibt. 1998 hatte er Christian Wolff nach einer linguistischen Vorlesung kennen gelernt. Wolff war ihm zunächst wegen seiner äußerst unterwürfigen Haltung unsympathisch gewesen.
„ Herr Professor Liebetreu, also entschuldigen sie, also ich möchte wirklich nicht stören. “
„Ja, nun. “
„Ich habe mich mit einer Sache beschäftigt, die mich nicht in Ruhe lässt. Sie haben doch in ihrer Vorlesung von Morphemen gesprochen. Meinen Sie, dass man die kleinste mögliche Sinneinheit auf den Computer übertragen könnte?“
Liebetreu hatte täglich mit dem Computer zu tun, aber warum gerade die Morphemmethode dem Computer weiterhelfen sollte, konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen. Andererseits hatte er lange ein spannenderes Betätigungsfeld als die Linguistik gesucht. Auch war das der Bereich, der von der öffentlichen Hand extrem forciert wurde. Wer den Schlüssel zur Wissensgesellschaft findet, na, dem gehört die Zukunft. „Herr Wolff, kommen Sie doch morgen nach der Vorlesung um 14. 00 Uhr vorbei. Da habe ich Zeit. “
Es begann schon wieder hell zu werden, als sie auseinander gingen.
„Herr Wolff, das müssen sie sich patentieren lassen, soll ich mit einem guten Anwalt einen Termin machen?“
„Herr Professor, das wäre wirklich ausgesprochen zuvorkommend von Ihnen. Wenn das möglich wäre, das wäre wirklich phantastisch. “
Der Patentanwalt, der im Wesentlichen für ein großes Telekommunikationsunternehmen arbeitete, war beeindruckt. Nachdem er telefonisch von Liebetreu erfahren hatte, worum es ging, hatte er den Termin kurzerhand dazwischen geschoben. „So was kommt mir nur selten auf den Tisch.
“ Meist geht es nur um eine kleine Neuerung an einer bestehenden Technologie. Wenn wir den Verfahrenskern herausarbeiten können, müsste das patentierbar sein. “
Nur wenige Wochen später bekam Liebetreu einen Termin im Landesbildungsministerium. 1999 mitten im Internet Hype hatten die meisten Ministerien schon das ein oder andere Vorzeigeprojekt. Diesen Trend hatte man im Bildungsministerium bisher verschlafen. Die im Wirtschaftsministerium würden Augen machen, wenn man hier ein Technologiecluster bauen könnte und das gesamte Internet zukünftig steuern würde. „Das fördern wir alles. Stellen Sie den Antrag. “
Den hatte Liebetreu gestellt und prompt 2 Millionen Euro bekommen. Und nun, nun war er nur ganz knapp an einer Verurteilung wegen Untreue vorbeigeschrammt, weil die Richter der zweiten Instanz sich zumindest die Beweise angesehen haben. Persönlich, persönlich hatte er nur Arbeit damit. Wenn ihn jemand darauf ansprechen würde, würde er heute leugnen, dass er neben vielen Arbeitsstunden auch noch persönlich Geld dahinein gesteckt hatte. Alle würden ihn für einen Trottel halten.
Die Rente hatten sie ihm unter der Voraussetzung gelassen, dass er keinen Kommentar zur ganzen Sache abgeben würde. „Sie würden sonst immer einen Weg finden“ ließen sie ihn wissen. Wer sie waren, wußte er bis heute nicht so genau. Aber dass sie eine Möglichkeit fanden, ihm mitzuteilen, was sie von ihm erwarteten, ohne je mit ihm zu sprechen, zeigte, wie mächtig sie waren.
Sie hatten ihn klein gekriegt, so klein, dass er in Pagera niemandem erzählte, dass er Professor war. Genaugenommen, wenn er nicht musste, sprach er überhaupt nicht mehr – trotz hervorragender Kenntnisse der deutschen Sprachsyntax.
Sie war gegangen, wie ihn ein Blick durch sein Loft überzeugte. Kaminski wollte alles immer schön übersichtlich in seinem Leben. Als er 1995 in Hamburg Geschäftsführer eines Internetproviders geworden war, da gab es nur einen Platz, der für erfolgreiche Jungunternehmer angesagt war, ein Loft im Hamburger Hafen, damals noch für umgerechnet lumpige 2000,– Euro je qm zu haben. Eigentlich sah Friedrichshafen erst wie ein Abstieg aus. In einer kleinen Stadt Geschäftsführer einer Firma, die niemand kannte und an der fast alle in Friedrichshafen wichtigen Akteure wie z. B. Dornier Anteile hielten, war nun wirklich nicht vergleichbar, mit dem Geschäftsführer eines Großstadtproviders.
Wenn man einen Job nicht haben will, stellt man Bedingungen, welche nicht erfüllbar sind. Wenn sich der Grund der Absage herumspricht, steigert das den eigenen Markwert. Kaminski konnte also nur gewinnen. Er forderte ein mit Hamburg vergleichbares Loft und 20% Anteile an der Firma. Er bekam die Zusage umgehend. Ehrlich gesagt, so ungelegen kam Kaminski der Wechsel nicht. Die Umsatzzahlen waren meilenweit von den Sollvorgaben entfernt. Wenn Kaminski auch vom Providergeschäft wenig Ahnung hatte -schließlich ging es ja nur um die üblichen kaufmännischen Entscheidungen – so entging ihm nicht, dass 1999 bereits die Konsolidierung begann. Die Großen schluckten die Kleinen. Ein Regionalprovider konnte hier langfristig nicht mithalten. Was das Loft betraf, so zauberten die Friedrichshafener. Zwar war es nur ein 50er Jahre Bau, aber die Wohnung im 5. Stock stand mit ihrem Blick über den Bodensee der Hamburger Wohnung in nichts nach. Nachdem einige Wände entfernt worden waren, war die Wohnung auch innen kaum vom Loft in Hamburg zu unterscheiden. Der Preis war konkurrenzlos und war bei weitem niedriger als die 4000, Euro je qm, welche er beim Verkauf seines Hamburger Lofts erzielte.
Er war sogar ein bisschen froh. Schließlich hatte mal ein Kollege, den er für kompetent hielt, zu ihm gesagt:“ Na, wenn man Global 2000 glaubt, dann musst du in ein paar Jahren ein Boot nehmen, wenn Du in Deine Wohnung willst. “
Kaminski hatte sich nie für Umweltprobleme interessiert. Die Beschäftigung mit Themen, welche nicht aktuell anstanden oder ihn nicht unmittelbar betrafen, betrachtete er als Zeitverschwendung.
Jedoch hatte gerade die Fähigkeit, Dinge nicht zu bewerten, Kaminski vor Fehlentscheidungen bewahrt. Wenn man seine Wohnung gut verkaufen konnte und es die Möglichkeit gab, dass später kein höherer Verkaufspreis zu erzielen war, dann verkaufte man eben.
Warum die Friedrichshafener so scharf auf ihn waren? Nun, eigentlich war eine geschönte Pressemitteilung schuld. Er wurde in einer überregionalen Wirtschaftszeitung zum „Kreativen Manager des Jahres“ gewählt. Die Auswahl wurde einzig und allein auf Basis der Analyse verschiedenster Interviews mit Managern getroffen, durchgeführt von einem anderen Medium der gleichen Unternehmensgruppe. Wie üblich hatte Kaminski verschiedenste von seinen PR Beratern vorbereitete Anekdoten und Statements eingefügt.
Kaminski zog sich an und ging zum Frühstück in die Altstadt in sein Stammlokal. Kaum hatte er bestellt und seine Wirtschaftszeitung aufgeschlagen, da klingelte sein Handy.
„Ja“ Kaminski schaffte es durch den Tonfall, mit dem er diese zwei Worte aussprach, Müller das Gefühl zu geben, dass er eindeutig ein Anrufer zuviel sei.
„Äh, Müller, wir waren in ihrer Wohnung für 10. 00 Uhr verabredet. Wie sie wissen, bewerbe ich mich für die Position des Leiters ihrer Außenvertretung in Spanien. “
„Ich bin im Cafe Zeppelin bis 11. 30 Uhr. Diese Zeit sollte für ein Kennenlernen reichen. “
„Gute Idee Herr Kaminski, Cafe Zeppelin sagten Sie?“ Kaminski hatte schon aufgelegt. Kaminski kannte den Lebenslauf von Müller. Ausgezeichnete Referenzen, schnell nach oben gekommen, aber wenig Eigenverantwortung übernommen, immer geschickt zur richtigen Zeit… Das könnte zum Problem werden.
„Müller, guten Tag Herr Kaminski. Es freut mich, Sie endlich persönlich kennen zu lernen. Was gibt es schöneres, als für das Findens Konsortium zu arbeiten“ sagte ein gepflegter, aber absolut unauffälliger Mann. Das waren für Kaminski eindeutig 20 Worte zu viel.
„Herr Müller, warum wollen Sie diesen Job?“
Sichtlich fassungslos versuchte Müller sich zu sammeln. Sicher, er war es gewöhnt, dass Einstellungsgespräche nicht einfach verliefen. Aber diese Unverschämtheit – schließlich hatte er Referenzen. „Ich habe bereits Erfahrungen mit dem Vertrieb von erklärungsbedürftigen Produkten gesammelt. Wie Sie sicherlich aus meinen Unterlagen bereits entnommen haben, war ich sogar sehr erfolgreich verantwortlich für den Vertrieb einer Search Engine Optimiser Agentur tätig. “
„Herr Müller, sehen Sie dieses Jugendstilhaus auf der anderen Straßenseite? Stellen Sie sich vor, ich würde ihnen die Immobilie für 0,50 Euro anbieten. Was wäre Ihre Antwort?“
Endgültig verwirrt täuschte Müller einen Hustanfall vor. Dies hatte er als letztes Mittel für den Fall trainiert, dass er mal nicht mehr weiter wusste. Noch nie hatte er diese Finte einsetzen müssen. Was sollte das? War Kaminski schon bei den Gehaltsverhandlungen angekommen? Nur jetzt nicht in die Falle tappen.
„Ich würde das Angebot prüfen“. Seine Stimme hob sich einen Tick zu hoch am Ende des Satzes, so dass man das Fragezeichen heraushörte.
„Herr Müller, ich habe keinen Job für Sie, aber eine Lektion für´s Leben: „Reduzierung des Kaufpreises auf 0,25 Euro und ich werde die Qualität des Objekts prüfen. “ Dies ist die einzige Antwort, die ein Spanienverantwortlicher gibt, der den angepeilten Marktanteil von über 50% innerhalb von 5 Jahren erreicht“. Während Kaminski noch sprach, wendete er sich wieder seiner Zeitung zu. Das Gespräch war beendet.
Ihr Handlungsstrang: Beschreiben Sie doch ein wenig mehr über das Leben in Friedrichshafen. Können Sie das Ende dieses Kapitels versöhnlich gestalten, z.B. durch ein schönes Erlebnis, welches Müller wieder aufheitert?
Willi Kaminski stand auf und stellte entnervt fest, dass sie noch immer da war. Dass Frauen nie merkten, wenn beim Onenightstand das Frühstück nicht inbegriffen war. Inzwischen langweilte ihn, dass er alles haben konnte, was er wollte.
Er hatte alles erreicht, was man erreichen konnte, er war CEO des FINDERS – Konsortiums, welches über 50% des deutschen Handelsvolumens begleitete – wie es so schön neudeutsch hieß. Das war nicht immer so gewesen. Er tat alles dafür, dass nie die Sprache auf seine Jugend kam. Aufgewachsen war es als Sohn eines Bergmanns in einem schmuddeligen Vorort von Saarbrücken. Er hatte hart arbeiten müssen, um hierhin zu kommen. Andere waren der Meinung, dass es einige Eigenschaften gab, die ihm geholfen hatten, für die er eigentlich nichts konnte. Dazu gehörte seine Größe von über zwei Metern genauso, wie sein makelloses Äußeres und sein muskulöser Körper. Schon früh hatte er begriffen, dass alles um ihn herum auf Schau aufgebaut war. Bei den Prügeleien in der Nachbarschaft gewann letztendlich immer der, der die wenigste Angst zeigte. Eigentlich hatte Kaminski immer Angst gehabt, Angst dass jemand herausfand, wie wenig er eigentlich selbst darüber wusste, warum er immer Erfolg hatte und heute eine solch wichtige Position einnahm. Desto höher er stieg, umso größer wurde die Angst. Mit seiner Angst steigerte sich in gleichem Maße sein Abstand zu seinen Mitmenschen. Diesen erschien die Distanz als natürliche Reaktion des Einsamen an der Spitze.
Aber das war es nicht. Kaminski hatte sich selbst verloren und spielte nur noch die Rolle, die er immer gespielt hatte, sorgsam bedacht, keinen Fehler zu machen. Diese Rolle war ihm auf den Leib geschnitten.
Solange er keine Entscheidung traf, machte er keinen Fehler. Entscheidungen trafen andere. Waren die Entscheidungen richtig, so waren es die Entscheidungen von Willi Kaminski. Waren die Entscheidungen falsch, so waren es die Entscheidungen anderer.
Diese Angst beherrschte Willi Kaminski so, dass kein weiteres Gefühl Platz hatte, nicht einmal eine Vorliebe, ein Hobby hätte er benennen können, wenn er ehrlich geantwortet hätte. In Presseinterviews war seine Vita natürlich perfekt, gespickt von privaten Geschichtchen, welche er entweder bei anderen aufgeschnappt oder sich von einem seiner PR – Berater hatte erfinden lassen. Willi Kaminski hatte das Talent, zur richtigen Zeit am richtigen Ort die richtigen Leute kennenzulernen. Auch dafür konnte er eigentlich nichts. Es war so und er ging davon aus, dass es auch in Zukunft immer so sein würde.
Er schaute aus dem Fenster des 6. Stocks. Der Ausblick reichte bis zur gegenüberliegenden Seite der Bodensees. Es sollte ein schöner klarer Sommertag werden. Sie – ihren Vornahmen hatte er vergessen -zog sich umständlich an, wohl immer noch in der Hoffnung, zum Frühstück eingeladen zu werden. Das Telefon klingelte.
„Ja“ Kaminski hatte auch gelernt, dass Leute die wenig sagen, wenig falsch machen können und man ihnen gleichzeitig unterstellt, dass sie viel denken, bevor sie etwas sagen.
„Ja, ik bin`s Willi, der Christoph, ik hab da ne Idee. “ Es gab wenige, die sich mit Kaminski duzten. Keiner sonst würde sich erlauben, am Sonntag Morgen einfach wegen einer neuen Idee anzurufen. Normalerweise hätte Kaminski mit einem „Es geht gerade nicht“ das Gespräch beendet. Aber Kaminski war sehr wohl bewusst, was er Christoph Wolff alles verdankte – genaugenommen wäre er heute ohne Christoph nicht CEO von FINDERS. Außerdem hatte es überhaupt keinen Sinn vor Christoph eine Schau abzuziehen. Christoph Wolff war der geborene Untertan. Sein Verhalten hätte auch bei einem entsprechenden Auftreten Kaminskis nicht untertäniger sein können.
Dies entpuppte sich für Christoph als Vorteil, weil Christoph vielleicht der einzige Mensch war, der Kaminski so kannte, wie er war, ohne eigene Ideen und Gefühl für andere, aber mit dem untrügerischen Instinkt für den richtigen Moment. So hatte Kaminski immer gewusst, ohne darüber nachdenken zu müssen, welche der meist guten Ideen von Christoph auch zum richtigen Zeitpunkt kamen, um am Markt umgesetzt zu werden. Die meisten Ideen von Christoph mussten warten, oft viele Jahre.
Außerdem kannte Kaminski Christophs Lebensgeschichte und wusste, dass Christoph Wolff auch in Zukunft die Last, welche ihm von seinen Vorfahren auferlegt worden war, nicht abstreifen konnte.
Wolff stammte aus einem alten ostpreußischen Geschlecht von Gutsbesitzern und Juristen. Wohlgemerkt Juristen, keinen Rechtsanwälten. Auf diesen feinen Unterschied legten die Wolffs erheblichen Wert. Sie waren stolz darauf, immer wesentlichen Einfluss auf die Gesetzgebung genommen zu haben. Der Familien Stammbaum ging in direkter Linie auf den Christian Wolff zurück. Mit der Namensgebung hatte man in Christian, Christoph Wolff entsprechende Erwartungen gesetzt. Den Rufnamen benutzte er heute nicht mehr.
Christian Freiherr von Wolff (in der Encyclopédie „Chrétien Wolf“) (* 24. Januar 1679 in Breslau; † 9. April 1754 in Halle) war ein bedeutender deutscher Universalgelehrter, Jurist und Mathematiker und einer der wichtigsten Philosophen zwischen Leibniz und Kant. Er zählt zu den bedeutendsten Vertretern des Naturrechts und gilt als eigentlicher Begründer der Begriffsjurisprudenz des 19. Jahrhunderts. Die deutsche Philosophie verdankt ihm ihre terminologische Grundlegung; viele von ihm definierte Begriffe wie „Bedeutung“, „Aufmerksamkeit“ oder „an sich„ wurden später in die Alltagssprache übernommen. Wolff hatte auch maßgeblichen Einfluss auf die preußische Gesetzgebung.
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Durch den zweiten Weltkrieg war seine Familie gezwungen, aus Ostpreußen zu flüchten. In Ostberlin kam die Familie bei Verwandten unter. Natürlich kannte Kaminski nicht die genauen Details, aber Christoph hatte sich einmal im Suff seine ganze Vergangenheit von der Seele geredet. Sein Vater war einfach nicht mit der veränderten Situation klar gekommen. Das Tafelsilber, einige wertvolle Gemälde und den Familienschmuck hatte er über den Krieg retten können. Nach dem Krieg versuchte er, in der DDR einen seiner alten Stellung entsprechenden Status mit allen Mitteln – sprich Bestechungen – wiederherzustellen. Er muss wohl an den ein oder anderen Falschen gekommen sein. Schließlich stand er vor Gericht und wurde wegen zahlreichen Delikten wie Unterwanderung der Staates, Bestechung etc. zu Gefängnis verurteilt. Noch nachdem er das Urteil vernommen hatte, behandelte er den Richter von oben herab und verwies auf zahlreiche allerdings in der DDR nicht mehr gültigen Gesetzestexte.
Erst im Gefängnis muss er wohl die Unabänderlichkeit seiner Situation erkannt haben. Die Kleidung ordentlich über den Stuhl gefaltet, erhängte er sich noch in der ersten Woche mit seinem Gürtel. Einen Abschiedsbrief hielt er nicht für nötig. Christophs Mutter hielt noch einige Wochen durch. Sie wurde nach der Verurteilung ihres Mannes in einer Landwirtschafts – LPG zur Arbeit verpflichtet. Man vergaß dabei nicht, die LPG ausführlich über ihre Vergangenheit zu unterrichten. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, das neue Gesinde anzuweisen, flüchtete sie sich in den Wahnsinn und wurde innerhalb von kürzester Zeit in eine geschlossene Anstalt eingewiesen. Nach der Wende hat Christoph sie wohl noch einmal als für ihn völlig fremde Frau wiedergesehen. Christoph selbst wuchs in sozialistischen Heimen auf, wobei man ihm als ehemals Privilegiertem alle für eine Karriere nur erdenklichen Steine in den Weg legte.
Regelmäßig wurde er zur Staatssicherheit zitiert. Diese begutachtete jedes Jahr neu, ob am Sohn ähnliche Tendenzen wie beim Vater festzustellen seien. Nur seiner außergewöhnlichen Intelligenz hat er es zu verdanken, dass er es zur nicht studierten Hilfskraft eines Leipziger Linguistikprofessors brachte. Hier lernte Kaminski ihn zufällig 1999 kennen. Also antwortete Kaminski geduldig: „Erzähl“.
„Wir können die Finder für viele der anderen europäischen Sprachen auch benutzen, wir müssen nur den Pointer anders setzen. “
Kaminski gab sich erst gar nicht die Mühe, Christoph zu verstehen. Es reichte, dass Christoph eine Idee hatte, den Zeitplan der Agenda 2010 zur Übertragung des finder – Konzepts in den englischen, französischen, italienischen, spanischen, portugiesischen und niederländischen Sprachraum einzuhalten. Wer konnte schon verstehen, was in Christopf vorging. Was interessierte, war das Endergebnis und das war bei Christoph immer in Ordnung.
Darum fragte er nur: “Das ist ausgezeichnet Christoph. Du überraschst mich immer wieder. Brauchen wir ein neues Patent?“
„Nein, nach meiner Meinung deckt das Patent aus 1999 alle Ideen ab.“
„Möchtest du vorbeikommen oder reicht es, wenn wir Montag drüber reden“.
„Montag reicht“.
„O. k. , ich ruft dich Montag am Morgen an. Danke dass du mich direkt informiert hast. Genieß ein wenig dein Wochenende. “
Ihre Handlung: Erfinden Sie doch andere Details aus der Vergangenheit von Woff. Hier könnten Sie einen weiteren Kreativen einführen, der Ihre eigenen Ideen entwickelt und später von Wolff Kaminski vorgestellt wird.
Ich folgte nun endlich – ein wenig beruhigt – meinem immer stärker knurrenden Magen und begab mich wieder in die Messe, um mir ein Brot zu schmieren. An der Wand über dem Küchenblock begann eine Lampe in Form einer Sonne hektisch zu blinken. Erst als ich das Blinken bemerkte, fiel mein Blick durch eines der sechs großen Fenster nach draußen. Tatsächlich, der Nebel hatte sich gelegt, die Sonne hatte ihre Arbeit aufgenommen, es schien ein schöner Tag zu werden. Die symbolische Sonne über dem Kückenblock signalisierte, dass der Wärmetauscher wieder arbeitete. Automatisch fiel mein Blick auf die Temperaturanzeige. 48 Grad. „Da müssen wir heute kein Warmwasser zuheizen. “ Nachdem ich zwei weitere Brote verspeist hatte, räumte ich ab und machte den Spül. Um Brigitte nicht zu stören, machte ich die Tür zum Büro zu. Dann legte ich eine klassische CD ein. Klassik wirkte in der Regel beruhigend auf mich. Nicht jedoch heute. Zwischen Büro und Messe hatten wir eine Hauseingangstür eingebaut, damit waren die beiden Räume schallisoliert getrennt. Unser Schiff musste sich wirklich hinter keinem Haus verstecken. Bis 12. 00 Uhr wollte ich noch das Buch „The Postman“ im Orginal lesen. Dann würde ich das Essen kochen. Heute war ich dran.
Um 12. 30 Uhr würden wir wie immer gemeinsam Mittag essen, danach würde auch ich mit der Arbeit beginnen. Ob Brigitte mir beim Mittagessen endlich ihre Entscheidung mitteilen würde?
Pünktlich um 12. 30 Uhr kam Brigitte aus den Büro und erwartete warmes Essen auf dem Tisch. Es bedurfte einiger Übung, um mit dem Rayburn 480K umzugehen. Optisch sah der Rayburn stilecht wie ein alter Kohleofen aus. Im Inneren barg er als Kombiofen jedoch modernste Technik. Mit Petroleum getrieben, reichte der 15K Brenner aus, um die Heizkörper des gesamten Schiffs im kältesten Winter mit bis zu 85 Grad warmem Wasser zu versorgen. Gleichzeitig konnte man Kochen und Backen. Für das wirklich leckere Essen war Brigitte zuständig. Meine Kunst reichte für sattmachende Hausmannskost. Heute gab es getoastete Brote belegt mit Schinken und in der neuen Teflonpfanne gebratene Spiegeleier. „Iß, sonst wird es kalt“.
Brigitte begann zu essen, während ich meine eigenen Eier fertig machte. Ich hätte mir für heute ein anderes Essen überlegen sollen. So hatte ich keine Gelegenheit, Brigitte zu beobachten und auf ihre Stimmung vorbereitet zu sein. Endlich waren auch meine Eier fertig und ich setzte mich dazu. Schon immer war ich in unserer Beziehung derjenige gewesen, der die Dinge ansprach. Aber solch eine wichtige Entscheidung würde sie doch wohl nicht ohne mich treffen?
Brigitte nahm schweigend ihr Essen zu sich. Die kleine Pause hatte sie sich nach einem anstrengenden Morgen verdient. Vor eins ging das Telefon und Communitymanagerin Marga rief an, warum ihre Community trotz der hohen Userzahl und den von „Community im Test“ vergebenen guten Noten nicht von uns hochgestuft wurde.
Meine Frau setze ihr schulmeisterliches Lächeln auf, welches sich auf ihre Tonlage übertrug und versprach die Rangfolge auf Fehler zu überprüfen. Natürlich war es unwahrscheinlich, dass es einen Fehler im System gab. Selbst die angestellten Trendscouts wollten einfach nicht verstehen, dass das von FINDERS entwickelte Kategorienfiltersystem nicht wie bei Suchmaschinen Suchtreffer abhängig von der Häufigkeit aufgerufener Keywordseiten honorierte, sondern alleine die Qualität der Kundenanfragen in den Shops entschied, welche Shops, Shopartikel und auch Communitybeiträge an erster Stelle angezeigt wurden. Schließlich war es der Kunde, von dem wir alle lebten.
Die Lizenz eines Kategorienmanagerbüros sicherte einem eine lebenslange Existenz.
Einen Fehler durfte man jedoch auf keinen Fall machen: zu viele Kundensuchanfragen zum Thema Schuhe ins Leere laufen lassen. Häuften sich die Kundenbeschwerden, so hatte das FINDERS Konsortium die Möglichkeit der Provisionsminderung bis in letzter Konsequenz gar zum Entzug der Lizenz. Hierfür war jedoch ein mit hohen bürokratischen Hürden versehenes Gerichtsverfahren nötig.
Die Pause war vorbei und auch ich musste meine R – Faxe abrufen, meine E – Mails überfliegen, ob sich zwischen dem Spam etwas Relevantes verbarg. Alle E – Mails waren bereits von Assistentin Dagmar vorsortiert worden. Doch die Techniken der Werbetreibenden wurden immer ausgefeilter, um an Dagmar , z. B. als angeblicher wichtiger Auslandspartner vorbeizukommen.
Immerhin 50% des gesamten deutschen Onlinehandels aus dem Bereich Schuhe wurde inzwischen von uns begleitet. Ca. 15. 000 freie Regionalhändler, 300 Communitys und 3000 Herstellerseiten waren in die Kategorie Schuhe integriert und mussten gemanagt werden. Niemand hatte damit gerechnet, dass die Entwicklung derart rasch voranschreiten würde. Dabei war es nur die konsequente Entscheidung, auf Basis der bereits 2000 vorliegenden Zahlen. Damals war schnell klar, dass nur ein kleiner Teil der über 40jährigen als begeisterter Computeruser zu gewinnen wäre. Wenn auch viele politische Entscheidungen von Kanzler M heute sehr kritisch als Alleingänge gesehen werden, so ist unstrittig, dass es seiner mutigen Entscheidung, allen Bürgern einen Achtfachcardzugang zur Verfügung zu stellen, zu verdanken ist, dass heute der Haupthandelsumsatz online abgewickelt wird. Dabei nutzen bis heute viele keinen Computer für den Onlineeinkauf.
Die Zeit bis 17. 00 Uhr verging wie im Fluge. Kurze Telefonate, Beantwortung von E – Mails und R – Faxen und weitergeleiteten Userbeiträgen, welche möglicherweise für die Weiterentwicklung der Konzepte interessant waren, strittige Beiträge in Communities u. s. w. . Um 22. 00 Uhr würde ich den zweiten Teil meiner Arbeit bis 2. 00 Uhr erledigen. Zwischen 2. 00 Uhr und 7. 00 Uhr bearbeitete nur ein kleines Team von Mitarbeitern die Anfragen der finder – Redaktion, Community – und Servicemanager.
„Denkst Du daran, dass wir noch im Leclerc einkaufen wollten?“
Nun riss mir doch der Geduldsfaden. Natürlich konnte Brigitte das R – Fax an den Schulrat noch bis 1 Minute vor 24. 00 Uhr absenden. Behörden hatten das Recht, den Empfang eines R – Faxes unter Vorbehalt automatisch zu bestätigen, doch wollte sie wirklich bis zur letzten Minute warten, um mich mit den unveränderbaren Konsequenzen zu konfrontieren? Das konnte nur bedeuten, dass sie sich bereits für den Schuldienst entschieden hatte und gegen mich! Karlsruhe hatte schließlich nicht den passenden Liegeplatz für ein 33m langes Frachtschiff.
Jetzt wurde ich wütend. Als Brigitte mich nach dem Schlüssel für den Smart fragte, müffelte ich sie nur an.
„Ist was?“ fragte sie offensichtlich erstaunt.
„Tu nicht so, du weißt genau was ist. “
„Weiß ich nicht, warum bis Du sauer? Ist mit Dagmar was schief gelaufen? Die war heute wirklich sehr gestresst. “ Sie merkte wohl, dass ich immer wütender wurde. „Ich weiß es wirklich nicht, was ist los?“
„Heute ist der Tag“.
„Welcher Tag?“
„Der Tag der Entscheidung wegen dem Schuldienst“.
Einen Moment lang schaute sie mich ungläubig an, dann prustete sie plötzlich los. „Ich hab denen doch schon vor Wochen geschrieben, dass ich nicht wiederkomme. Hast du wirklich geglaubt, ich lass dich einfach so im Stich mit dem Kahn und allem?“
Normalerweise hätte ich ihr den Kahn sehr übelgenommen. So aber war ich nur noch glücklich. Wir gaben uns einen sehr langen Kuss, bevor wir endlich in den Smart stiegen.
Unser Vorschlag zu Ihrem Handlungsstrang: Hatten Sie selbst schon vor 2001 eine Idee, deren Umsetzung alles verändert hätte? Schreiben Sie doch eine kleine Geschichte. Der Zusammenstoß anderer Akteure mit dem Einkaufswaren der Frederichs im Leclerc reicht, um die Handlungstränge zu verbinden!
In der modernen offenen Küche nahm ich mir einen Kaffee aus der Kaffeemaschine und setzte mich an den großen Esstisch. Brigitte hatte schlechte Laune. Sie hatte mir keinen Teller hingestellt, sondern lediglich den Aufschnitt vom eigenen Frühstück stehen lassen. Meist nahmen wir uns zumindest die Zeit, ein Brot gemeinsam zu essen. Wenn Brigitte mit dem falschen Bein aufgestanden war, dann waren das denkbar schlechte Voraussetzungen, um eine Entscheidung zu fällen. Doch ich würde von mir aus das Thema nicht zur Sprache bringen, auf keinen Fall. Ich erinnerte mich noch gut, wie schwer es damals für mich selbst war, eine Entscheidung zu treffen. Natürlich hatte ich im Gegensatz zu Brigitte keine Alternative – Frühverrentung kam für mich auf keinen Fall in Frage.
Ich hatte mich die ganze Zeit als Postbeamter geistig erheblich unterfordert gefühlt. Wer weiß, wenn nicht die alte Postbeamtentradition in meiner Familie bestanden hätte, vielleicht hätte ich sogar studiert. Lernen viel mir sehr leicht, jedoch interessierte mich der dröge Schulstoff nicht wirklich und ich erbrachte genau die Leistung, welche zur Aufnahme in die Ausbildung als Postbediensteter von mir erwartet wurde. Es war nicht einfach, 100% zuverlässige Mitarbeiter in diesem doch eher einfachen Beruf zu finden. Eine alte Familientradition als Referenz wurde sehr geschätzt. Für Brigitte gab es zumindest keinen finanziellen Aspekte, welche sie zu einer Rückkehr in die Lehrertätigkeit bewegen konnten. Einen Beruf mit mehr Perspektive als die eines Kategorienmanagers mit Deutschlandlizenz für den lukrativen Bereich Schuhe konnte man sich heute kaum mehr vorstellen. Immerhin beschäftigte ich inzwischen 70 Mitarbeiter als Trendscout, Communitymoderator, Regionalmanager oder Administrator.
Mich schauderte bei dem Gedanken, Brigitte könnte sich für die Rückkehr in den Lehrerberuf entscheiden. Schließlich hatte sie sich im letzten Jahr für mich unersetzlich gemacht. Sie hatte fast alle administrativen Aufgaben übernommen und hielt mir vollkommen den Rücken frei, dass ich mich vorwiegend um die Weiterentwicklung der Konzeption kümmern konnte, um den deutschen Onlineumsatz für Schuhe weiter zu steigern.
Natürlich hatten wir als Kategorienlizenzbüro keinerlei Verantwortung für die Schuhshops. Uns war nicht einmal erlaubt, einen eigenen Onlineschuhshop zu betreiben. Ein Kategorienmanager wäre durch seine Insiderkenntnisse und sein Branchennetzwerk jederzeit in der Lage , sich Vorteile vor den anderen Shops zu verschaffen.
Aber ein Teil des Umsatzes unseres Büros war an den Umsatz im Schuhbereich gekoppelt. Für die Berechnung der Provision wurde eine komplizierte Formel zugrunde gelegt, welche verschiedene Parameter wie z. B. den Zuwachs des Onlineumsatzes der Kategorie im Verhältnis zum Wachstums des gesamten Onlinemarktes berücksichtigte. Hier konnte man mit dem richtigen Communitykonzept eine Menge beeinflussen. Als Kategorienmanager der ersten Stunde hatte ich den Neuen eine Menge Wissen voraus. Die Kunst bestand darin, möglichst viele ehrenamtliche Mitarbeiter einzubinden.
Muffelig betrat Brigitte den Raum. Wir hatten es uns angewöhnt, uns leger zu kleiden, da auch in den üblichen Bürozeiten nicht mit Kundschaft zu rechnen war. Oft wussten noch nicht einmal unsere Mitarbeiter, wo unser Schiff gerade lag. Trotzdem legte Brigitte großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres und gab mir deutlich zu verstehen, wann es Zeit war, in mein Outfit etwas Abwechslung zu bringen.
Nachdenklich betrachtete ich die weibliche Figur meiner 1,70 m großen Frau. Auf Fremde wirkte sie oft etwas arrogant und abweisend, jedoch ich kannte sie als jemand, auf den ich mich 100% verlassen konnte, solange sie ihre Freiräume behielt. Brigitte lachte fast nie, aber war eine Frau mit unterschiedlichstem Lächeln. Alle Facetten kannte man erst, wenn man Brigitte sehr gut kannte: das lehrerhafte Lächeln, das humorvolle Lächeln, das mitleidige Lächeln – wie ich das hasste – das anerkennende Lächeln und na ja ein Lächeln, dass nur ich kannte. Wie weit gingen diese Freiräume? Ich wusste, der größte Nachteil, den Brigitte in ihrer jetzigen Tätigkeit sah, waren die fehlenden menschlichen Kontakte . Würde sie sich deshalb wieder für die Lehrertätigkeit entscheiden? Ich könnte es verstehen. Zwar hatte ich diese Probleme vorausgesehen und im Bug des Schiffes zwei Gästekajüten mit jeweils 4 Stockbetten und eigenem Bad eingerichtet, trotzdem gelang es uns nicht, jedes Wochenende in Gesellschaft zuverbringen.
„Hast du gestern an das Backup gedacht? Als ich heute Morgen die E-Mails abgerufen habe, lud sich mein Rechner alle E-Mails der letzten Tage erneut vom Server. Nur anstelle von Klartext kamen irgendwelche Hieroglyphen. “
„Ups, da hat der Provider wohl am Server gefummelt und den falschen ASCI Code eingestellt. Dass wir immer noch gezwungen sind, E –Mails zu bearbeiten, ich verstehe diese Leute von FINDERS nicht. R –Faxe, Anfragen über das Kontaktformular, Kommentarfelder, Bewertungsfelder. Warum E –Mails, das ist doch nur Spam, Briefe hat man schließlich auch abschaffen können!“
„Du weißt genau, dass FINDERS sein Konzept auf alle EU Länder übertragen will, die haben nun kein R- Fax und dann ist ja noch der Rest der Welt. Hast du nun Backup gemacht?“ Na, das fehlte noch. Das bringt das Fass zum überlaufen, Brigitte hat kein Bock mehr auf Technik. Hab ich oder hab ich nicht? Ich bin mir einfach nicht sicher. „Klar hab ich Backup gemacht, Du kannst ganz normal über das Betriebssystem den Status von gestern zurück holen, dann musst Du nicht jedes Mail einzeln löschen. “
Brigitte setzte ihr „Wenn das mal stimmt “ Lächeln auf und verschwand in den Raum vor der Messe, unserem gemeinsamen Büro.
Die Tür blieb auf und ich hörte, wie sie einige Befehle in den Rechner tippte. „Fhiep, Fhiep“ kündigte das Fax an, dass neue R –Faxe auf Abruf warteten. „Schatz, weißt Du, wo meine Achtcard liegt?“ Brigittes Stimme klang neutral. Hatte das Backup funktioniert?
„Hier auf dem Tisch, ich bring sie Dir. “ Wenn das Backup nicht funktionierte, wollte ich zumindest unmittelbar im Auge des Sturms Gegenmaßnahmen einleiten. Ich stand also vom Tisch auf – immerhin mit einer Tasse Kaffee im Magen – und ging an der Couchecke vorbei in den nächsten Raum, der groß genug war, um zwei Schreibtische und den Tisch für das Multifunktionsgerät aufzunehmen. Das Multifunktionsgerät konnte Scannen, Drucken, Faxen und Kopieren. Natürlich war es mit einem Achtcardleser ausgerüstet.
„Ich mach das mit den R –Faxen“.
Brigitte setze ihr „Du bist aber lieb Lächeln“ auf, sagte aber nichts. Ich nahm die Achtcard und suchte die richtige Seite. Die Achtcard sah aus, wie früher die Eurocard. Nur hatte sie auf jeder Seite 4 Chips, also insgesamt acht statt einem. Die Kunststoffkarte war durchsichtig.
Das war eine Idee der Datenschützer, welche für den Nutzer visuell überprüfbar machen wollten, dass es zwischen den Chips keine Verbindung gab. Ich wählte die breite Seite, auf der ein Symbol in Form eines Schlüssels abgebildet war und steckte die Karte in den passenden Schlitz. Sofort begann das Fax die aktuellen R –Faxe auszuspucken. In der Headerzeile druckte es außer dem Datum auch Brigitte Frederichs als Information aus der Karte meiner Frau, sowie einen einmaligen Barcode aus, mit dem sich im Zweifelsfalle eindeutig rekonstruieren ließ, dass das R –Fax mit der entsprechenden Achtcard ausgedruckt wurde. Sorgfältig überprüfte ich, ob alle Seiten vollständig waren, dann zog ich die Achtcard kurz heraus und steckte sie an der gleichen Seite noch einmal herein und drückte auf dem alphanumerischen Zehnerblock die Taste „ABC“ für bestätigen.
Hätte ich die Taste „PQRS“ gedrückt, wären alle R –Faxe erneut gesendet und ausgedruckt worden. Es war unbedingt erforderlich, das Verfahren bei den R- Faxen (R steht glaube ich für Response) einzuhalten.
Bevor alle Briefe abgeschafft werden konnten, musste erst die Gesetzeslage geändert werden. R –Faxe werden genau wie früher Einschreiben eigenhändig als rechtskräftig zugestellt betrachtet.
Ich ging zu Brigitte, um mir einen Kuss abzuholen, den sie bereits mit ihrem Mund andeutete. Unauffällig hatte ich Gelegenheit zu überprüfen, dass das Backup geklappt hatte. Gott sei Dank, die Laune von Brigitte schien sich zu bessern. Brigitte drehte sich um und wendete sich den neu eingegangenen R – Faxen zu, die gleichzeitig zum Ausdruck nun auch als PDF Files auf ihrem Rechner zur Verfügung standen.
Anfänglich hatte es große Widerstände gegen dieses Verfahren gegeben. Umweltschützer sahen den Verbrauch von ungeheuren Papiermengen vorher. Umfangreiche Untersuchungen konnten diese Vorwürfe jedoch entkräften. Tatsächlich hat sich der Papierverbrauch weitgehend minimiert, obwohl heute keiner mehr vom papierlosen Büro spricht. Das R –Fax zwang zu einer zweiten Archivierung wichtiger Dokumente in Papierform. Spätestens nach dem bekannt wurde, dass Datenbestände auf CD alleine auf Grund ihrer Lagerzeit beschädigt werden, gab Papier weiterhin ein sicheres Gefühl. Früher wurden die meisten Mails ausgedruckt, der Papierverbrauch war nicht geringer. Das Zustellen von Briefen kostete jedoch einen ungeheuren logistischen Aufwand. Alleine hierdurch wurde die Umwelt erheblich belastet und schließlich konnte man das gesamte Papier für Briefe und Umschläge einsparen. Die Ersparnis der Papierproduktion kommt bis heute unmittelbar Umweltprojekten im Regenwald zu gute, welche gleichzeitig eine Beschäftigungsalternative zur Forstwirtschaft bieten.
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