Konkurrenten – John F. Kennedy Airport – 8. Juli 2011, Kapitel 37, Teil II

Peter Ryman stand auf der Rampe vor dem Lager der Ryman Ltd. im Zollbereich des Flughafens. Frustriert sah er auf das Firmenschild, welches man aus für ihn unerfindlichen Gründen noch nicht entfernt hatte.

Bis vor 18 Monaten war er Inhaber dieser Firma gewesen. Die letzten Jahre hatten keinen Spaß mehr gemacht. Seit 2008 plötzlich aus dem nichts International-Planet-Cargo auftauchte und in über 100 Flughäfen den angesiedelten Auslieferunternehmen für hochwertige Frachten Konkurrenz machte, war der Preiskampf mörderisch geworden. Dann noch die Wirtschaftskrise, das war zuviel.
International-Planet-Cargo lieferte nicht nur aus, sondern hatte auch eigene Frachtflugzeuge. Die Mitarbeiter für das Aus- und Einladen flogen mit den Flugzeugen mit und arbeiteten beim Be- und Entladen zu konkurrenzlosen Preisen.
Da sie nie in die USA einreisten, sondern sich nur im Zollbereich aufhielten, unterlagen ihre Arbeitsverhältnisse nicht den hiesigen Auflagen.
Heute wusste Ryman, dass diese Arbeiter oft illegal die Frachtflugzeuge zum Übernachten benutzten, wenn das Flugzeug nicht am gleichen Tag zum Verteiler in Hongkong zurück flog.
Aber heute gehörte er selbst zur IPC-Gruppe, wie International-Planet-Cargo abgekürzt hieß.

Vor fast 18 Monaten war Ryman Ltd. in die Insolvenz und anschließende Zwangsversteigerung gegangen.
Natürlich konnte IPC die Ryman Ltd. zu einem konkurrenzlosen Preis übernehmen. Wer hatte in dieser Situation schon Lust, gegen den internationalen Marktführer anzutreten.
Weisenmüller, der CEO von IPC, war so großzügig gewesen, ihm anzubieten, für einen Zeitraum von 18 Monaten in seiner ehemaligen Firma den Job als Geschäftsführer anzunehmen.
Was sollte er machen. Er hatte schließlich alles Geld in seine Firma gesteckt. Die private Pleite war kaum noch abzuwenden. Also nahm er mit Fäusten in der Tasche an.
Nun würde er Ende der Monats wohl endgültig auf der Straße stehen.
Ein neuer LKW kam und riss ihn aus seinen Gedanken. Für ein Museum wurden vorsichtig kostbare Bilder umgepackt. Solche Aktionen hatte er schon immer persönlich überwacht.
Gerade als der Lastwagen die Ladeluke schloss und die Frachtpapiere unterzeichnet waren, klingelte das Telefon.
„Ryman.“
„Hallo Mr. Ryman, hier ist Weisenmüller, wie geht es Ihnen und Ihrer Familie.“
Was sollte das, wusste Weisenmüller, dass seine Frau nach der Insolvenz direkt ihre Koffer gepackt hatte und das sinkende Schiff verlassen hatte? Wollte er sich jetzt auch noch über ihn lustig machen?
Ryman beschloss, sich nicht provozieren zu lassen. „Was kann ich für Sie tun, Mr. Weisenmüller?“
„Nun, bei uns hat sich in den letzten Monaten einiges getan. Wir haben gerade den Bericht einer Unternehmensberatung für eine Umstrukturierung vorliegen und könnten uns vorstellen, Sie unter gewissen Umständen wieder zum Haupteigentümer von Ryman Ltd. zu machen.“
Innerlich lachte Ryman auf. Dann stimmten also die Gerüchte, welche er von dem in Los Angeles ebenfalls von IPC übernommenen Unternehmer gehört hatte. Danach hatte IPC sich mit einer zu schnellen Expansion übernommen.
„Einverstanden, wann wollen wir uns treffen?“
„Ehrlich Mr. Ryman, ich bin derzeit sehr im Stress. Was halten Sie davon, wenn ich Ihnen die Vertragsunterlagen zur Rückabwicklung Ihrer Firma schicke und wir dann noch einmal telefonieren? Übrigens, wir sind Geschäftsleute, Mr. Ryman. Wir haben einen extrem wichtigen Auftrag angenommen, hier erwarten wir Ihre Hilfe. Es steht eine Krise bevor. Wir sind offiziell beauftragt, Medikamente auszuliefern. Mehr darf ich Ihnen zu diesem Zeitpunkt nicht sagen.“
„Also illegal oder ein Himmelfahrtskommando?“
„Weder das eine noch das andere. Ihr Auftrag wird vertraglich vereinbart. Wir übernehmen die volle Verantwortung und bestätigen Ihnen, dass wir alle nötigen Genehmigungen für diese der Situation entsprechend außergewöhnliche Aktion vorliegen haben. Und zum Thema Himmelfahrtskommando können Sie mir glauben, Menschen, welche das Medikament nicht rechtzeitig erhalten, sind wesentlich schlechter dran als Sie. Wir haben alle nur erdenklichen Sicherheitsvorkehrungen für Sie getroffen. Es ist nur so, es geht um sehr viel Geld. Wir brauchen jemand, auf den wir uns 100 % verlassen können. Sie haben einen außerordentlich guten Ruf in ihrer Branche.“
Das stimmte allerdings. Wenn er ein wenig mehr krumme Geschäfte, wie zum Beispiel einen Versicherungsbetrug, gemacht hätte, hätte er sicher seine Firma nicht verloren.
„Ich kann mir die Verträge ja mal ansehen“, sagte Ryman immer noch skeptisch.
Wenig später erhielt er die Verträge als Anhang an eine E-Mail.
Er konnte wirklich keinen Haken an den Verträgen entdecken.
Sie schienen eindeutig zu seinen Gunsten formuliert. Was ihn störte, war der enorme Zeitdruck. Er musste sich noch heute entscheiden.
Andererseits, was hatte er in seiner Branche nicht schon alles erlebt. Es war wirklich nicht ungewöhnlich, dass er nachts herausgeklingelt wurde, um irgend einen Gauguin vom Flughafen zu einem Sammler zu transportieren. Hierfür hatte er einen speziellen Geldtransporter.
Ryman unterschrieb den Vertrag. Er nahm den Rest des Tages frei und machte ausführliche Einkäufe in New York.
Mann konnte ja nie wissen.
Insbesondere Wasser, Dosennahrung und was er sonst auch für einen längeren Urlaub eingekauft hätte kaufte er und deponierte es in seinem Lager.
Er musste hierfür durch den Zoll, da ja sein Lager im Zollbereich lag.
„Eigenbedarf?“, der Zollbeamte wirkte skeptisch.
„Ständige Überstunden!“, stöhnte Ryman.
Der Zollbeamte nickte mitleidig.

Der versperrte Weg – Kanifinolhu, Malediven – 11. Juli 2011, Kapitel 36, Teil II

Shaona war schon ganz aufgeregt. Seit 4 Jahren hatte sie ihre Eltern nicht mehr gesehen. Vor 4 Jahren hatte sie ihnen einen Flug nach Friedrichshafen bezahlt. Obwohl sich ihre Eltern sehr gefreut hatten, sie zu sehen hatte Shaona gemerkt, wie schwer es ihnen gefallen war, in der fremden Umgebung zurecht zu kommen.
Vorher waren sie über Male nicht hinausgekommen. Der 12 Stunden Flug gingen über ihre Vorstellungen.
Umso mehr freute sich Shaona jetzt ihren Eltern Joan vorzustellen. Ein Urlaub auf Kanifinolhu würde ihnen bestimmt gefallen.

Um ihre Eltern nicht zu irritieren hatten sie auf den Flug mit dem Wasserflugzeug verzichtet und sich einen Gleiter mit 2 x 100 PS Motoren gemietet, um ihre Eltern abzuholen.
Das war der pure Luxus. Der Gleiter hatte sogar eine voll ausgestattete Kajüte.

Nach mehreren Stunden Fahrt näherten sie sich endlich der Insel Dhunikolhu.
„Siehst Du da, die Stelzenhäuser? Es ist alles noch wie früher“, rief Shaona begeistert.

Auf einmal bog ein Schnellboot um die Insel. Seitlich stand in großen Buchstaben IH. Shaona wusste, dass dies das Zeichen von International Human, den Käufern der Insel, war.
Vorne auf dem Bug war ein Maschinengewehr montiert.
„Können die nicht aufpassen? Wenn die so weitermachen, rammen die uns noch“, rief Joan.
Kurz vor einem Zusammenstoß stoppte das Schnellboot auf.
„Drehen Sie sofort ab, diese Insel ist Privatgebiet“, kam über das Megafon herüber. Ein Mann besetzte das Maschinengewehr.
„Das kann doch gar nicht sein. Ich habe gestern noch mit meinen Eltern telefoniert. Die hätten doch was gesagt, wenn es Probleme mit dem Abholen gäbe“, Shaona sackte in sich zusammen. Erst die Vorfreude auf das Wiedersehen und nun schien man sie gewaltsam von ihren Eltern fernhalten wollen.
„Das ist bestimmt ein Missverständnis. Die müssen mit uns reden“, sagte Joan. Er nahm das Funkgerät und probiert alle Frequenzen durch. Aber weder jemand auf der Insel noch auf dem Schnellboot antwortete.
Da machte Joan der Besatzung auf dem Schnellboot Handzeichen, dass er längsseits kommen wollte, um zu reden.
Sofort fing das Maschinengewehr an zu rattern. Die Salve ging haarscharf vor dem Bug des Gleiters im Wasser nieder.

Joan bekam Angst und drehte ab. Am Abend wieder auf Kanifinolhu angekommen, versuchte Shaona sofort, ihre Eltern anzurufen, sie bekam kein Freizeichen. Sie rief weitere Telefonnummern auf Dhunikolhu an. Alle Leitungen waren tot.
Das einzige, was ihr noch einfiel, war Brigitte eine SMS zu schicken: „Irgend etwas stimmt bei Eltern nicht. Von Boot von Landung abgehalten. Keine Telefonverbindung. Was soll ich tun?“

Vor Panik hatte Shaona ganz vergessen, ihre Achtcard ins Handy einzulegen. Wie empfohlen bewahrte sie die Karte diebstahlsicher vom Handy getrennt in ihrem Portmonee auf.

Stundenlang fixierte Shaona ihr Handy und wartete auf eine Antwort von Brigitte, die doch immer weiter wusste.

Aber Brigitte antwortete nicht.

Urlaubsplanung – Friedrichshafen – Juni 2011, Kapitel 35, Teil II

Endlich fühlte sie sich hier zu Hause. Shaona war glücklich.
Das Telefon klingelte.
„Shaona Magu“.
„Hallo Shaona, schalte mal das Bild an“.
Sie schaltete die Kamera des Bildtelefons an und sah Brigitte sich in einem roten Sommerkleid drehend. „Wie gefällt Dir das?“
Brigitte war in der ganzen Zeit ihre einzige wirkliche Freundin in Deutschland gewesen. Schade nur, dass sie sich so selten sahen. Oft verbrachte sie den Urlaub bei den Frederichs.
„Das Kleid steht Dir wirklich“, nach einer Pause: „Brigitte, bis Du glücklich?“
„Nach all den Jahren ist der Lack schon ein wenig ab. Aber ja, ich glaube ich bin glücklich mit Ole.“
„Ich bin sehr glücklich mit Joan. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass man so glücklich sein kann.“
„Bringst Du ihn in Deinem Sommerurlaub mit?“
„Brigitte, ist es schlimm, wenn ich im Juli nicht zu Euch komme. Du weißt doch, ich habe seit Jahren vor mir hergeschoben, meine Eltern zu besuchen. Erst musste ich mich einarbeiten und dann ist Dhunikolhu verkauft worden. Ich habe früher immer davon geträumt, einmal als Tourist zurückzukehren und im besten Bungalow zu übernachten. Einen ganzen Urlaub in dem Apartment meiner Eltern zu übernachten, konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Jetzt, jetzt möchte ich mit Joan.“
„Du möchtest mit Joan bei Deinen Eltern übernachten?“
„Nein, natürlich nicht. Ich möchte mit Joan auf einer 5 Sterne Insel 3 Wochen Urlaub machen. Meine Eltern möchte ich die letzte Woche einladen.“
„Das freut mich für Dich. Aber im nächsten Urlaub stellst Du mir Deinen Joan vor. Versprochen?“
„Versprochen.”

Die Single – Friedrichshafen – Januar 2011, Kapitel 34, Teil II

Shaona Magu saß an ihrem modernen Arbeitsplatz mit Blick über den Bodensee.
Der Nebel hing heute tief und ließ alles um sie herum irreal erscheinen.
Sie machte einen guten Job und wurde von allen bei FINDERS sehr geschätzt.
Trotzdem war sie nie richtig hier angekommen.
An solchen Tagen sehnte sie sich nach dem immer schönen Wetter, der endlosen Weite der See und dem klaren Wasser mit freiem Blick auf die Korallenriffe und farbigen Fische zum Greifen nah.

In welchem Luxus man hier lebte und wie wenig man diesen zu schätzen wusste. Sicherlich Luxus hatte sie auf Dhunikolhu gesehen. Aber da waren alle guter Laune. Shaona hatte Urlaubsstimmung mit Dankbarkeit für den eigenen Wohlstand verwechselt.
Im Alltagstrott war alles anders. Shaona wusste, dass FINDERS ein Arbeitgeber mit sehr gutem Arbeitsklima war.
Aber hinter der oberflächlichen Freundlichkeit ihrer Kollegen entdeckte sie oft Desinteresse für die Mitmenschen. Neid auf ihre eigene schnelle Kariere war das einzige echte Gefühl, welches sie manchmal eindeutig identifizieren konnte.
Sie tat wirklich viel, um eine echte Deutsche zu werden.
In der Altstadt hatte sie sich ein Apartment mit schöner großer Terrasse gemietet.
Die Einrichtung war hell und schlicht. Zwei Zimmerpalmen erinnerten an die Malediven.
Sie hatte lange mit sich gekämpft. Schließlich hatte sie sich ein großes Aquarium mit Fischen ihrer Heimat angeschafft.

Aus der jungen Shaona war inzwischen eine attraktive Frau geworden. Männer waren nicht ihr Problem.
Allerdings merkte sie schnell, dass viele sich damit schmücken wollten, sie als Exotin erobert zu haben. Einen echten Freund hatte sie bisher nicht gefunden.

Als Shaona nach der Arbeit nach Hause ging, war der Nebel von der Dunkelheit abgelöst worden. Nun fing es auch noch an zu schneien.
Shaona zog sich die Kapuze ihrer warmen Winterjacke so weit übers Gesicht, wie es ging. Hatte sie sich wirklich früher nach Schnee gesehnt?
Schon oft war sie bei ihrem Heimweg am Internetcafe E-Contacts vorbeigekommen. Sie wusste von ihren Kollegen, dass dies ein Singletreff der besonderen Art war.
Nie hatte sie so etwas gemacht, hier würde sie sicher nicht ihre große Liebe finden. Aber sie wollte heute nicht alleine vor dem Fernseher sitzen, der schon längst aufgehört hatte, für sie das Tor zur Welt zu sein.
Das Lokal war nicht so schummrig, wie sie es sich vorgestellt hatte. Der große Raum war mit Stufen in verschiedene Ebenen aufgeteilt. Jede Ebene war in ein anderes Licht getaucht. So gab es hell erleuchtete Bereiche und die dunklen Bereiche für die Schüchternen.
Shaona hatte über Onlinekontaktbörsen schon die eine oder andere Kurzzeitbeziehung gefunden. Sie hatte sich Mühe gegeben, eine möglichst genaue Beschreibung ihrer Person und ihrer Wünsche dem Profil der Kategorie „Freundschaften“ zu hinterlegen.
Aber irgendwie führte die Möglichkeit, online aus Hunderten von anderen Frauen zu selektieren, immer dazu, Männer zu ihr zu führen, die Malediven in die Profilsuche eingegeben hatten. Etwas machte sie wohl falsch.

Sie setzte sich in eine der dunkelsten Ecken, welche mit einem dunklen Blau beleuchtet war. Shaona steckte die Profilseite ihrer Karte in den Achtcard-Leser ihres Sitzes.
Darauf leuchtete an ihrem Sitz die Nummer 88 in Grün auf.
Ihr Blick viel auf die dunkelgrüne Zone ca. 5 Tische weiter.
Ein Computer hatte einen zu ihrem Profil passenden Partner gefunden.
An einem Tisch in der dunkelgrünen Zone saß ein Mann mit einem kleinen Bauch. Er mochte 165 groß sein, also etwas größer als Sie selbst. Sein Lächeln fand sie nett.
Er schien schüchtern zu sein. Erst als sie ihn zu sich winkte kam er zu ihr.
„Ich bin Joan Ramon aus Andalusien. Darf ich mich zu Ihnen setzen?“
Ihr gefiel alles an ihm. Seine Unbeholfenheit, sein altmodischer Charme und seine großen starken Hände.
Sie hatten vieles gemeinsam. Genau wie sie, kam er aus einer einfachen Welt. Er hatte hart gearbeitet, um studieren zu können und war nun als Diplom Ingenieur im Friedrichshafener Wasserwerk angestellt.

Sie konnten gar nicht aufhören sich ihr Leben zu erzählen und auch ein bisschen über die Deutschen zu lästern. Um drei Uhr morgens wurden sie vom Wirt, der endlich nach Hause wollte, rausgeschmissen.
„Willst Du noch auf einen Tee zu mir hoch?“ Shaona war über die eigene Forschheit überraschte. Online vereinbarte Dates hatte sie nie am ersten Abend so weit kommen lassen.
„Heute noch nicht. Darf ich Dich morgen Abend zum Essen abholen?“, sagte er und gab ihr einen dicken Kuss.
„Um neun?“, fragte sie mit einem Schmollmund. So einen Korb hatte sie noch nie bekommen.
„Bis neun dann“, Joan wandte sich zum Gehen, drehte sich wieder um und küsste Shaona noch einmal leidenschaftlich. Dann schob er sie sanft von sich und ging schnell ohne sich noch einmal umzusehen.

Am nächsten Abend gab es kein Halten mehr.
Direkt nach dem Essen beschlossen beide wortlos, sich direkt in Shaonas Wohnung zu begeben.
Hier liebten sie sich ausgiebig. Anschließend lag Shaona noch viele Stunden wach und betrachtete die maledivischen Fische im schwach erleuchteten Aquarium.
Joan schlief tief und träumte von den andalusischen Weiten.