Nachdem der Bundestag als Reaktion auf den Abhörskandal das neue AHG (Abhörhaftungsgesetz) verabschiedete und nun jeder dafür haftbar gemacht werden kann, wenn er ungeschützte Gespräche führt, hat sich mein Leben radikal verändert.
Erst einmal habe ich mein freistehendes 120qm Einfamilienhaus verkauft, solange ich dafür noch etwas bekommen habe und gegen ein 40qm Appartment in einem hochgesicherten Hochhaus getauscht.
Das Appartment bietet mir einen gewissen Grundschutz. Wände, Fußboden und Decke sind mit Metallgittergeflecht versehen und stellen so einen Faradayscher Käfig her. Das Appartment im 20 Stock hat nur eine große, nicht einsehbare Fensteranlage zum Schutz vor Lasermikrofonen. Durch ein integriertes Drohnen- und Helikopterfrühwarnsystem fühle ich mich weitgehend vor Lauschangriffen von außen geschützt.
Heute morgen hatte ich versucht, in einem X-Mobile Laden eines der begehrten Analoghandies zu bekommen. Die sind zwar fast doppelt so teuer wie Smartphones, weil sie nicht durch Mithörlizenzen subventioniert sind, aber ich werde damit, mit täglich wechselnder Simcard versteht sich, einfach telefonieren können, welch wunderbare Vorstellung.
Natürlich waren heute alle Analoghandies schon vergriffen. Das führte dazu, dass den ganzen Arbeitstag meine Schnitte nicht perfekt gelangen und ich mich immer mehr ärgerte.
In der Mittagspause traf ich dann auch noch auf einen alten Bekannten, der mich damit aufzog, dass ich mich verändert und wohl überhaupt keine Freunde mehr hätte.
Das versaute mir entgültig den Tag, schließlich gehört er nicht zum Kreis der inneren Sicherheit wie ich. Jedes Wort gilt es auf die Goldwage zu legen.
Endlich bin ich zuhause. Ich schließe die mehrfach mit Schössern gesicherte schwere Metalltür auf und blicke in meine spartanisch eingerichtete Wohnung. Am meisten vermisse ich mein altes Bücherregal mit all den Büchern drin. Aber es geht nicht anders. Zu viele potenzielle Verstecke für Wanzen und Minikameras.
Mit einem lauten Bellen und Schwanzwedeln begrüßt mich mein Hund und bester Freund.
Mehr als eine Stunde wird es jetzt dauern, bis ich gemäß Herstellerangaben Zentimeter für Zentimeter meines kleinen Appartments mit meinem HF-Detector gescannt habe, um sicher zu gehen, dass keine Wanzen installiert sind.
Doch zuerst lege ich mein Smartphone in ein schallgeschütztes Glasgehäuse. Die Kameras des Smartphones habe ich verklebt.
Dann stecke ich das USB-Kabel meines Smartphones in einen USB-KAT6 Wandler zu meinem Festnetzanschluss.
Bevor ich mit dem Scannen anfangen kann, klingelt das Telefon. Durch die Glasscheibe des Schallschutzgehäuses kann ich erkennen, dass meine Mutter anruft. Misst, das kostet mich mindestens eine halbe Stunde.
Ich verlassen meine Wohnung und fahre ohne Smartphone mit der U-Bahn zum Alexanderplatz. Hier gehe ich in ein Internetcafe und wähle mich über einen von 10 VOIP-Providern, bei denen ich einen Account habe, ein.
Erst eine Stunde später bin ich wieder zuhause, inzwischen ausgesprochen hungrig. Aber vor dem Kochen steht mir noch eine Stunde Scannen meiner Wohnung bevor.
Was ich denn beruflich mache, fragen Sie sich nun? Nun ich bin Inhaber eines kleinen Friseurladens im Kanzleramtsviertel. Den Laden abhörsicher zu machen, hat mich ein Vermögen gekosten und eine Abhörhaftpflichtversicherung wollte keiner mit mir abschließen. Ich erfahre einfach zu viel. Wissen Sie, in der Beichte und beim Frisör, da reden die Menschen, was sie wirklich denken.
Mit wem ich denn in meiner Wohnung ein ungeschütztes Gespräch führen soll, wenn mich gar niemand besucht?
Nun, jetzt machen Sie mich aber wirklich verlegen. Ich muss zugeben, gelegentlich spreche ich mit meinem Hund und manchmal sogar im Schlaf.
Fiktives Essay zu einer Zukunft nach PRISM von Olaf Berberich