6/11 Der Opportunist – Moskau, Mi, 22. November 2017

Er wartet am Flughafen Domodedovo am Gepäckausgabeband.

Zu viele Flughäfen hat er schon gesehen. Alle Gepäckausgaben ähneln sich.
Auch wenn sie modern ist, so lässt sich doch die sozialistische Vergangenheit nicht leugnen. Alles ist in beige gehalten. Als Zugeständnis an modernes Design hat man es mit der Auflockerung des Bodens durch braune und hellgraue Kacheln gut gemeint. Doch alles wirkt so planmäßig gleichgestaltet.
Vor allem jedoch hat man die metallenen Lüftungsschächte nur weiß gestrichen, aber nicht verkleidet.

Er ist so viel geflogen, dass er mit kurzem Augenöffnen genau sagen kann, auf welchem Flughafen er sich befindet, oder zumindest in welchem Land.

Die kyrillische Schrift ist ihm nicht unbekannt. Schließlich ist er in der DDR groß geworden und hat auch hier noch promoviert.

Damals hat man an etwas geglaubt und sich eingesetzt. Doch dann haben die anderen gesagt, dass alles falsch war, an was man geglaubt hat.

Er hatte beschlossen, nicht mehr zu glauben, sondern erfolgreich zu sein.
Er hat es als Ingenieur für Maschinenbau bis zum Abteilungsleiter Vertrieb gebracht und viele Aufträge für große Industrieanlagen im Ausland bekommen.
Nun ist er sechzig und möchte unbedingt bis fünfundsechzig noch durchhalten.

Viele Jahre war er eingesperrt hinter der Mauer. Immer hatte er vom Reisen geträumt. Nicht nur nach Moskau. Da konnte er auch schon vorher hin. Jetzt ist er mehr gereist, als er sich für sein Leben erträumt hat.

Er hat nie Fehler gemacht. Die hat er andere machen lassen.

Immer wieder musste er für sein Privatleben Kompromisse akzeptieren.

Mehrfach ist er umgezogen. Kaum hatte er ein Haus gebaut, da brauchte ihn die Firma wieder in einer anderen Niederlassung.

Nachdem die Kinder aus dem Haus waren, wollte seine Frau nicht mehr umziehen. Gelegentlich besucht sie ihn auf seinen Reisen. Wenn es ihre Depressionen zulassen.
Außer einem Magengeschwür ist er kerngesund.

Trotzdem wird es immer schwerer für ihn, nicht von den jungen Kollegen verdrängt zu werden.

Abteilungsleiter ist er schon lange nicht mehr.
Man hat ihm als Projektleiter den Auftrag gegeben, ein Projekt in Ramenki zu übernehmen. Er hatte es bekommen, weil keiner von den Erfahrenen da hin wollte und nur er gut russisch spricht.

Die Vertragsunterschrift wäre nur noch Formsache, hatte man ihm gesagt.
Seit 6 Monaten kämpft er jetzt um diese Unterschrift.
Im letzten Moment tauchte ein asiatischer Konkurrent auf.

Seit dem lief alles schief. Mal war er auf den falschen Flug gebucht und verpasste einen wichtigen Verhandlungstermin.

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6/11 Überlebenskampf – Venlo, Mo,16. Oktober 2017

Wie immer geht Volker Siemens zur gleichen Zeit wie Antje zur Arbeit.

Nach einem kurzen Frühstück und einem Abschiedskuss geht Antje zur Tür heraus. Sie fährt in die Firma, in der sie es inzwischen zur Projektleiterin geschafft hat.

Volker geht die 3 Meter vom Küchentisch zum Schreibtisch und schaltet seinen Rechner an.

Es gab noch immer keinen neuen Strafprozess. Durch Antjes besseres Gehalt könnten sie es sich inzwischen leisten, aus dem Anbau auszuziehen.

Aber man weiß ja nie, was der Justiz noch so alles einfällt. Schließlich hat Volker noch immer nicht seinen Freispruch. Er hatte seinen neuen Anwalt gefragt, ob man das nicht beschleunigen könnte.

„Je länger ein Prozess dauert, um so besser für das Strafmaß“, hatte der Anwalt geantwortet. „Wir gehen doch vom Freispruch aus, nicht war.“

Volker hat inzwischen selbst die ungarische Programmierung weiterentwickelt. Über ein TCPTraceroute – Programm ermittelt er, welche Wege ein R-Fax über das Internet nehmen kann.
Der Anwender soll sich nicht mit Technik beschäftigen müssen. Wichtig ist für Volker der Leitsatz ‚Trusted WEB 4.0 ist sehen und nicht glauben’.

Er möchte dem Anwender die Möglichkeit geben, selbst zu entscheiden, über welche Server er seine Daten zu einem Ziel schicken will.
Volker hat die Idee, dass Anwender auch selbst Rechner zur Verfügung stellen können, um zu verhindern, dass die Daten über einen zentralen Netzwerkknoten laufen müssen. Ein Knoten bedeutet, dass es für wen auch immer eine zentrale Stelle gibt, wo alles durch muss und die man auch zentral abhören kann.

So funktioniert Volkers Programm:
Der Anwender – nennen wir ihn Herr Muster – schreibt ein R-Fax z.B. ‚Ich finde dich sehr sexy’.
Er möchte nicht, dass Dritte wissen, wen er sexy findet.

Das R-Fax möchte er von München nach Nürnberg schicken.
Also markiert er das Wort „sexy“ und klickt auf ein Kartensymbol.
Es öffnet sich eine Landkarte, welche verschiedene mögliche Wege anzeigt. Die meisten Wege führen über Frankfurt, weil hier der große deutsche Netzknoten die Netze der einzelnen Provider verbindet.

‚So ein Unsinn’, denkt Herr Muster. ‚Ich fahre doch auch mit dem Auto nicht von München über Frankfurt nach Nürnberg, nur weil die in Frankfurt mehrspurige Autobahnen haben’.
Genau so arbeitet aber heute das Internet.

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6/11 Osterkonspiration – Müggelsee, Do,13. April 2017

Die Beziehung zwischen Brigitte und mir hat in den letzten zwei Jahren gelitten.

Brigitte merkt, dass ich ihr etwas verschweige. Aber ich bin sicher, dass ich mich richtig verhalten habe.
Immerhin habe ich ihr zwei weitere unbeschwerte Jahre ermöglicht. Ich weiß, Brigitte hätte sich sonst genau wie ich verändert.

Es hat mich viel Kraft gekostet, Brigitte nichts von meinem ständig steigenden Misstrauen merken zu lassen. Mich stören die vielen Leute bei den zahllosen Einladungen von Brigitte in unserem Haus.
Erst letzte Woche hatte ich völlig überreagiert, als sich ein Gast, der wohl die Toilette suchte, in mein Arbeitszimmer verirrt hatte.

Vor einigen Monaten sprach Brigitte mich offensiv an, ob ich eine andere haben würde. Ich wäre so abweisend. Ich nahm sie damals ganz fest in den Arm und küsste sie. Aber gesagt habe ich nichts.
‚So konnte es nicht weiter gehen. Brigitte hatte mir schon lange keines ihrer verschiedenen Lächeln mehr geschenkt.’

Heute Abend habe ich einmal zu einer Gesellschaft eingeladen. Es kommen Maya und Max, Shaona – die nach einer einjährigen Auszeit wieder Vertriebsdirektorin bei FINDERS ist – mit ihrem Mann Joan und Isabella mit ihrem Mann Levis.

Als ich letzte Woche Brigitte davon erzählte, war sie direkt begeistert: „Oh, da freue ich mich. Endlich lädst du auch mal deine Freunde ein. Immer verkriechst Du dich nur in dein Arbeitszimmer. Lass mich auch ein paar Nachbarn einladen. So oft haben wir ja nicht Besuch aus New York. Wie lange habe ich Isabella nicht mehr gesehen!“

„Brigitte, bitte, es gibt einen Grund, warum ich genau diese Gruppe einlade. Ich verspreche Dir, dann wirst Du verstehen, warum ich in letzter Zeit so, na ja, anders war.“

Brigitte sah mich scharf an. Schlagartig war die Vorfreude vergangen.
Wenn es etwas mit meiner Veränderung zu tun hatte, wollte sie es eigentlich gar nicht wissen.

Brigitte ahnt wohl instinktiv, dass ich sie in den letzten beiden Jahre schützen wollte. Sie hat jedenfalls nach diesem Gespräch nicht mehr nachgefragt und ich bin ihr dankbar dafür. Es wird mich genügend Kraft kosten, das Thema einmal anzusprechen.

Ich gehe in mein Arbeitszimmer und lege die Hand auf eine Bodenplatte.

Eine 1,5m x 1,5m große Steinplatte hebt sich leicht an und schwebt mit einem Luftkissen wie bei einem Luftkissenboot seitlich auf eine weitere Platte. Als sie genau über der anderen Platte schwebt, senkt sie sich ganz langsam auf vier Füße ab.
Keiner würde auf die Idee kommen, dass der Safe über eine so große Platte erreichbar ist. Schließlich wäre es ein erheblicher körperlicher Aufwand, die Platte zur Seite zu schieben. Außerdem würden sich im Laufe der Zeit bei jeder anderen Konstruktion Kratzspuren zeigen.

Der Safe ist nur 40cm tief. Es war aufwendig genug, im Tiefgeschoss die Ausbuchtung durch die hier installierte Lüftungsanlage zu kaschieren.
Brigitte kennt zwar den Tresor. Aber sie hatte nie Ambitionen gezeigt, diese verrückte Technik zu benutzen. So ist nur meine Hand in das biometrische Erkennungsprogramm eingegeben.

Zusätzlich zu dem Manuskript aus dem Umschlag sind inzwischen viele Seiten von mir dazu gekommen.

Einmal in der Woche wird unser gesamtes Haus von Abhörspezialisten gescannt, einer der vielen Vorzüge, welche ich als Aufsichtsrat genieße. Es ist also unwahrscheinlich, dass ich abgehört werden.

Ich habe mir aus meinem Notebook alle Funkanschlüsse herausbauen lassen. So kann ich sicher sein, dass es niemand abhört. Auch das Notebook lasse ich immer im Safe, wenn ich nicht an dem Buch arbeite.

Manchmal, wenn Brigitte wieder eine Veranstaltung in unserem Hause hat, nehme ich heimlich das Notebook in die kleine Motorjacht an unserem Steg. Diese hatten wir uns vor einem Jahr zugelegt. Ich fahre dann irgendwo hin, wo ich unbemerkt bin. Mein Lieblingsplatz ist an Köpenick vorbei an der Dahme.

Heute habe ich über einen Stick die Daten auf meinen normalen Rechner übertragen. Der Drucker rattert und produziert 8 Exemplare.

Um 15.00 Uhr kommen Maya und Max. Sie sind gespannt auf die Eröffnung, die ich ihnen machen möchte. Auch Brigitte passt auf, dass sei kein Wort verpasst.

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6/11 Opfer unter sich – Niederrhein, Fr, 27. Mai 2016

Der Anwalt öffnet Volker schuldbewusst und erzählt zum ersten Mal über sich.

„Ich war Vorstand in einer karitativen Einrichtung. Da habe ich dann auch einige Mitarbeiter rechtlich beraten und Geld dafür genommen. Dafür haben sie mich verurteilt. Ich habe nicht gegen das Gesetz verstoßen.“

Volker wie immer dabei, sich für andere einzusetzen: „Herr Anwalt, wie oft habe ich ihnen gesagt, dass bei meiner Insolvenz was nicht stimmt. Das ist irgendwie politisch oder so, aber es stimmt ganz und gar nicht.
Und Sie sind nun das nächste Opfer.“

Zum ersten Mal gibt ihm der Anwalt recht: “Ja das kann sein. Ich weiß überhaupt nicht, wer mich angezeigt hat. Das war doch nur eine Sache zwischen den Mitar-beitern und mir. Wenn sie sehen, was sich der neue Vorstand alles erlaubt, das ist wirklich strafbar. Ich hoffe, es war bei der Berufungsverhandlung keine Presse da?“

Volker überlegt nur, na dann hatte sein Anwalt ja schon Probleme, als der den Kompromiss des Richters für den Schadensersatz unterstützt hat. Vielleicht hätte er sonst einen besseren Vergleich ausgehandelt. Aber Volker ist dem Anwalt nicht böse.
‚Irgend jemandem bin ich auf die Füße getreten und der Anwalt muss nun dafür büßen’, denkt er.

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6/11 Die abwesende Gerechtigkeit – Niederrhein, Do, 27. Mai 2016

8.30 Uhr. Der Gerichtssaal der Kleinen Strafkammer bietet für ca. 50 Besucher Platz. Doch der Saal ist leer. Niemand interessiert sich für die Berufungsverhandlung von Volker Siemens.

Nur seine Frau Antje sitzt auf der Besucherbank.

Jetzt wird alles gut, signalisiert sie noch einmal und macht den Daumen hoch.

Beide haben eine sehr harte Zeit hinter sich. Volker konnte seit der Insolvenz gar nicht mehr an Arbeit denken, so war er beschäftigt, mit der Abwehr von Schadensersatz und Strafe.
Die Staatsanwaltschaft klagte an, wegen Betrug und Untreue und bereits wenige Monate nach der Insolvenz wurde Volker Siemens in einem ersten Prozess wegen Untreue zu 1 Jahr auf Bewährung verurteilt.
Laut Anklage hatte er sich öffentliche Mittel unter falschen Vorgaben erschlichen. Besonders relevant war der Punkt, dass er das Ausbildungsgeld für den Azubi Fanki nicht mehr ausgezahlt hatte, obwohl dies bereits im Rahmen der öffentlichen Mittel überwiesen worden war.
Volker hatte sich darüber keine Gedanken gemacht, schließlich hatte er einen Widerrufsbescheid erhalten, der die Auszahlung ausdrücklich verboten hat. Schließlich wurden alle Mittel zurückgefordert.
Auch hatte er die Sache ja dem Insolvenzverwalter übergeben und es wäre genug Geld auf dem Konto gewesen, dass der Insolvenzverwalter das Ausbildungsgeld hätte bezahlen können.

Für Volkers Anwalt kam die Verurteilung im April 2015 völlig überraschend. Er sagte nur:“ Hier soll wohl ein Sündenbock für die Stadt Nrheinstadt gesucht werden!“
Ein Schöffe hatte wohl gar nicht verstanden, wofür Volker verurteilt worden war und ein schlechtes Gewissen, dass er sich gegen die Richter nicht durchge-setzt hatte. Jedenfalls kam er zu Volker und sagte: „Auf Wiedersehen, das nächste mal hoffentlich bei einem Bier.“

Noch während der dreitägigen Strafverhandlung stellte die Stadt Nrheinstadt Volker eine Schadensersatzforderung wegen Rufmord in Höhe von 100.000,- Euro zu.
Sowohl der Anwalt von Volker, als auch die Staatsanwaltschaft, legten Beru-fung im Strafverfahren ein. Die Staatsanwaltschaft wollte Gefängnis ohne Bewährung.

Im Mai 2015 wurde Antje zu 5 Monaten Strafe auf Bewährung verurteilt. Der Richter hatte zugunsten von Antje bei diesem eindeutigen Fall entschieden.


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6/11 Familientreffen – Müggelsee, So, 6. September 2015

So gut wie zuhause in unserem alten Mahagoni-Bett hatte ich schon lange nicht mehr geschlafen.

Brigitte schreckt hoch: „Ole, es ist schon 11.00 Uhr. Die Kinder kommen doch schon um 12.00 Uhr.

Als wir das Haus gebaut haben, waren wir von Anfang an in einer Sache einig: Wir wollten kein Hauspersonal haben.
Daran würden wir uns nicht mehr gewöhnen. Der einzige Ausweg war die totale Hausautomatisation.
Wir bekommen von den FINDERS Labs jegliche Unterstützung. Im Gegenzug fühlen wir uns aber manchmal ein wenig wie Versuchskaninchen.

Brigitte geht an einen der großen Kühlschränke, die in der Küche an der Wand zur Straße stehen. Sie hatte letzte Woche beim Lieferanten für heute ein Frühstück für 4 Personen bestellt. Die Kühlschränke verfügen über eine Beschickungsklappe von außen. Hierfür hat unser Lieferant einen Schlüssel.
Alles muss durch die 20 cm hohe und 50 cm breite Öffnung passen.
Die Lebensmittel sind mit RFID Etiketten versehen, so dass der Kühlschrank genau weiß, welche Inhalte verfügbar sind.

Daneben gibt es einen Warmhalteschrank, der ebenfalls mit RFOD Etiketten und einer Beschickungsklappe von außen versehen ist.

Brigitte holt 4 große Kühlhalteboxen aus dem Kühlschrank und 4 Warmhalte-boxen aus dem Warmhalteschrank.
Er gibt frische Brötchen und frischen Aufschnitt. Für Müsli wurde geschnittenes Obst und frische Milch zur Verfügung gestellt. Für Max gibt es gemäß Profil ein Croissant. Eier mit Speck sind für die Mikrowelle vorbereitet.

Brigitte sieht auf dem Kühlschankdisplay den Lieferzeitpunkt nach: Heute 11.15 Uhr.
„Na, seit dem die Bäcker in die Lieferlogistik eingebunden sind, klappt das ja mit der frischen Ware.“, meint sie zufrieden.

Um kurz nach 12.00 Uhr ist die Eingangstür zu hören. Es erklingt Bass Jazz. Gleichzeitig fängt der Getränkeautomat an zu arbeiten.
Er schiebt drei Tassen und ein Glas, komplett mit Unterteller und Löffel und einer Beschriftung heraus. Man hört im Inneren das Klacken, wenn eine Kapsel gewechselt wird.

Ein grüner Tee für Brigitte, ein Cappuccino für mich, ein Latte macchiato für Maya und ein Espresso für Max.

Maya und Max sind zusammen gekommen.
Alle umarmen sich überschwänglich.

„Man bist du braun, Papa“, Maya gibt mir einen dicken Kuss.

„Na, hattet ihr gestern wieder euren Meeresabend“, fragt Max und schnuppert in die Luft.

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Redtube.com – Provoziert Spiegel.de Spamwelle?

Im Artikel vom 9.12.2013 „Redtube.com: Massenabmahnungen wegen Porno-Stream“ siehe http://www.spiegel.de/netzwelt/web/porno-seite-redtube-abmahnungen-gegen-viele-nutzer-a-938077.html berichtet der Spiegel von einer Abmahnwelle der Rechtsanwälte Urmann und Collegen wegen unerlaubtem Videostreaming.

Heute nun bekomme ich angeblich von diesen Rechtsanwälten eine Mail. Tatsächlich ist der Absender 3479-579@online.de . Meine angebliche IP-Adresse liegt ingendwo in Russland.

Ich kann nur dringend raten, den Anhang der Mail nicht zu öffnen. Die Verseuchung Ihres Rechners wäre wahrscheinlich.

6/11 Die Heimkehrer – Berlin, Müggelsee, Sa, 5. September 2015

Ich bin müde vom langen Flug. Mit 58 Jahren steckt man das nicht mehr ganz so leicht weg.

Ich öffne die große hölzerne Flügeltür, die bis zur Decke des Erdgeschosses geht, mit der Schlüsselseite meiner Achtcard. Noch immer habe ich mich an das schöne Haus am Müggelseedamm nicht richtig gewöhnt.

Meine Frau Brigitte und ich waren zusammen mit FINDERS Anfang 2013 nach Berlin umgezogen und sesshaft geworden.

Intern stand bereits Mitte 2011 der Umzug von FINDERS nach Berlin fest. Der Umbau vom Flughafen Tempelhof als FINDERS Konzernzentrale bis Januar 2013 war äußerst ambitioniert gewesen. Aber es hatte geklappt, weil es einfach klappen musste. Der Standort Friedrichshafen platzte aus allen Nähten.

Man sollte also meinen, es wäre kein Problem gewesen, ein Einfamilienhaus in der gleichen Zeit zu bauen. Doch dieses Haus war eine ernste Belastungsprobe für unsere Beziehung. Ich hatte Mitte 2012 meinen Kindern Maya und Max die Kategorienagentur für den Bereich Schuhe überlassen, weil ich mich ganz um das Haus kümmern wollte. Auch wurde ich ständig bedrängt, ein Buch zu 7/11 zu schreiben.

Brigitte pochte auf ihr Recht, endlich gesellschaftlich so eingebunden zu sein, wie es die vielen Jahre auf dem Schiff nicht möglich gewesen war.

Wenn ich ehrlich zu mir bin, dann hatte ich das ständige Unterwegssein, wenn auch mit dem ganzen Zuhause, zuletzt auch ziemlich satt. Wir haben im letzten Jahr auf dem Schiff den Liegeplatz fast nicht mehr gewechselt.

Relativ einfach war es, mit unserem doch inzwischen beträchtlichen Vermögen ein Grundstück am See und gleichzeitig zentral in Berlin zu kaufen.
Das Grundstück liegt auf dem Hügel über dem Müggelsee und reicht den ganzen Hang herunter bis zu einem eigenen Anleger.

Über zwei Monate waren wir mit unserem alten 33 Meter langen Kohleschiff von Frankreich über Mosel, Rhein, Dortmund-Ems-Kanal, Mittellandkanal, Elbe-Seitenkanal unterwegs, bevor wir vor unserem Grundstück am Müggelsee Anker warfen. Das alles ging natürlich nicht ohne Einfluss und Sondergenehmigungen. Auch beschwerten sich die wohlhabenden Nachbarn beim Ordnungsamt, über den die Aussicht nicht verschönernden alten Kahn.
Doch als sie erfuhren, wer da vor Anker gegangen war, änderte sich die Stimmung schlagartig.
Ich wurde als Urgestein von FINDERS ständig gedrängt, Interviews zu geben. Inzwischen war ich ein regelmäßiger Kommentator zur durch 7/11 ausgelösten „englischen Krise“, die noch viele Jahre Einfluss auf die Weltwirtschaft haben würde.

Der alte Kahn wurde schließlich zu unserem Leidwesen zur Touristenattraktion. Mit dem ruhigen Bootsleben war es vorbei.
Doch Brigitte lebte auf. Sie wurde von den Nachbarn mit offenen Armen empfangen. Nach und nach wurde sie in die Berliner Oberschicht eingeführt.

Das alles setzte uns zusätzlich unter Druck, das Haus fertig zu stellen. Nach einigem hin und her einigten wir uns auf einen in Berlin gerade angesagten Ar-chitekten. Wir hatten überhaupt keine Ahnung, was es bedeutet, ein Haus zu bauen. Das einzige was für uns feststand, es sollte Sonnenkollektoren haben und möglichst energiesparend gebaut sein. Außerdem hatte ich mich mit Brigitte geeinigt, dass es ein repräsentativer Bau werden sollte, in dem sie nach Belieben Gesellschaften geben könnte.

Der Architekt hat uns überzeugt, dass wir in einer Renaissance von ‚Mies van der Rohe’ leben würden und uns ein Haus mit viel Glas vorgeschlagen.
Die Fassade zur Straße sollte weitgehend geschlossen sein. Hier wurden in beiden Geschossen in Sichthöhe 40cm hohe Fensterschlitze geplant.
Dafür sollte die Seeseite aus einer sich über zwei Etagen erstreckenden Glaswand bestehen.

Die Schlafzimmer waren in der Planung im ersten Stock auf einer Galerie nur seitlich voneinander mit Wänden getrennt, nach vorne über dem Wohnzimmer aber nur mit einem Glasgeländer gesichert, ansonsten offen. Als dann der Rohbau fertig war, überkam mich das Grauen, in diesem offenen Museum leben und mich ausstellen zu müssen.

Sicher, das Haus würde repräsentativ, aber wie sollte ich mich zurückziehen, wenn ich an einer der zahlreichen Gesellschaften von Brigitte nicht teilnehmen wollte?

Ich versuchte, Brigitte klar zu machen, dass das Leben, was wir hierin führen würden, das glatte Gegenteil von dem Leben auf einem umgebauten Kohlefrachter mit einem dunklen nur über Bullaugen und Oberlichter erschlossenen Schlafzimmer sei.

Brigitte wurde richtig böse, dass ich ihr noch immer keine Gesellschaft gönnen wollte und auf mein altes Leben bestände. Doch das war nicht der Punkt.

Nun setzte ich mich mit ‚Mies van der Rohe’ auseinander und stolperte über einen Film, welcher in einem kleinen Szenekino lief. Er hieß ‚Haus Tugendhat’. Es war ein Dokumentarfilm über die jüdische Familie Tugendhat, die von den Nazis enteignet worden war und nun um die Zukunft des von ‚Mies van der Rohe’ gebauten Mutterhauses kämpften.
Haus Tugendtat gibt es auch heute noch. Viele Zeitzeugen wurden in dem Film befragt. Alle waren sich einig, es handelte sich um eine ganz besondere erhebende Atmosphäre, in diesem Haus zu sein.

Was mich allerdings stutzig machte, wie die Familienmitglieder Tugendhat in ihrem aktuellen Zuhause gefilmt wurden. Über Geschmack kann man streiten, aber alle leben in einer heimeligen Atmosphäre mit kleinen Zimmern und zugehängten Fenstern, eben dem genauen Gegenteil zu dem durch schlichte klare Linien geprägten minimalistischem Mutterhaus.

‚Kann man in einem solchen Haus wirklich leben und sich wohlfühlen?’, ich beschloss, seit langer Zeit das erste Mal, gegen Brigitte den Aufstand zu proben.

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6/11 Die Verräterin – Berlin, Müggelsee, Fr, 10. Juli 2015

Lissi fährt in einem Mietwagen auf dem Müggelseedamm vorbei an den teuren Villen mit Seeblick. Wie zufällig bleibt sie an einer modernen Villa stehen. Sie überlegt einen Moment.

Zwei Jungs spielen Fußball auf der Wiese. Sie hebt eine Karte hoch, als ob sie nach dem Weg fragen will. Eine etwas altmodische Geste im Zeitalter der Navigationssysteme, aber die Jungs kommen neugierig zu der schönen Frau mit tiefschwarzen Haaren und einer großen Sonnenbrille herangetrottet.

„Do you know Mr. Frederichs?“, fragt sie.

Beide nicken und sind stolz in Englisch „Yes, this house“, sagen zu können und zeigen auf die 50 Meter entfernte Villa.

„Can you put this in the post box and this is for you?“ Lissi holt einen 50,-€ Schein heraus und hält ihn mit einem dicken Umschlag hin.

„No problem“ lachen beide über das leicht verdiente Geld und kommen sich ein wenig wie Geheimagenten vor, als sie den Umschlag in den Briefkasten werfen.

Lissi Bintang beobachtet, ob sie den Brief auch wirklich eingeworfen haben, dann fährt sie weiter.
Ihr Herz rast. Lissi hat Todesangst. Hoffentlich hat keiner sie bemerkt. Selbst wenn ihr Wagen per GPS überwacht werden sollte, sollte niemand Verdacht schöpfen.

Schließlich ist es ein wunderschöner Tag. Sie hat sich in eine Häuserlücke gestellt, die einen atemberaubenden Blick über den Müggelsee frei gibt. Heute sind viele Segler und Motorboote unterwegs, Grund genug, um anzuhalten und die Aussicht zu genießen.

Sie hat es nicht mehr weit, bis zum Seebad Friedrichshagen.

Hier ist Lissi mit Mike verabredet.
Mike kennt sie noch aus ihrer Zeit bei Gooday. 2009 hatten sie so etwas wie eine offene Beziehung. Aber irgendwie hat es nicht richtig funktioniert.

Nach 7/11 hatten sie sich aus den Augen verloren. Lissi hatte bei Gooday schnell Karriere gemacht und natürlich gab es immer wieder Berührungspunkte mit der NSA. Sie hatte es bei Gooday bis zur Entwicklungsleiterin der Bilanzsuchmaschine gebracht. Gemäß PATRIOT Act hatten sie bestimmte Analyseprogramme für die NSA eingebaut.

Als Lissi gerade davor stand, ein lukratives Angebot aus China anzunehmen, bekam sie Post direkt von Conor O´Briain. Der wusste damals schon, dass er als NSA Chef zurücktreten würde.

Er machte ihr ein Angebot, zu dem sie nicht nein sagen konnte. Er meinte, es sei noch vertraulich, aber er würde Berater eines internationalen Konzerns werden und bräuchte eine hervorragende Assistentin, welche ihm den Rücken frei hielte und sie hätte die entsprechenden Qualifikationen.

Zwar lief es Lissi einen Moment kalt den Rücken herunter, bei der Vorstellung, wieso er so viel von ihr wusste und keinerlei Bewerbungsunterlagen sehen wollte, aber nun ja, er war eben der Chef der NSA und hatte sicher auch mit Frankowitz, ihrem Chef bei Gooday gesprochen.
Was Lissi am meisten reizte, war, dass sie viel reisen würde, meist in einem Privatjet, um die ganze Welt.

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6/11 3. Akt – Nrheinstadt, Mit, 24. September 2014

Volker kommt am nächsten Morgen absolut unausgeschlafen ins Büro. Gestern war er noch ein erfolgreicher Freiberufler und heute weiß er absolut nicht, wie es weiter gehen soll.

Dies ist nicht mehr seine Firma. Er hat sie einem Rechtsanwalt überlassen, den er nicht kennt. Er hat den schnellsten Weg gewählt. Warum hat er sich nicht erst mit anderen beraten?
Er ruft seinen Steuerberater an und vereinbart einen Termin für 10.00 Uhr.

Es ist so seltsam still im Büro. Volker geht in den Serverraum. Alle vier Server sind heruntergefahren. Nur die Gebläse der Firewalls und des Rechnerschranks sind zu hören.

Die Server sind vollkommen redundant. Das heißt, es gibt 2 Netzteile, 2 Fest-platten, 2 Lüfter, 2 Prozessoren. Wenn ein System ausfällt, dann übernimmt das Ersatzsystem.
Zusätzlich wird jede Nacht von den Hauptservern ein Backup zu den Backupservern übertragen.

Volker versucht den ersten Server zu starten.
Der Rechner fährt nicht hoch.
Er geht zum zweiten Server.
Der Rechner startet nicht.
Genauso wenig die anderen beiden Server. Die Hotplug – Festplatten zeigen mit ihrer LED an, dass sie funktionsfähig sind. Auch hat Volker über die Überwachungssoftware keinerlei Fehlermeldenachricht erhalten.

Volker ruft den Hardwaresupport an. Der Techniker kommt innerhalb von zwei Stunden und bringt einer Ersatzrechner mit.
Schließlich stellt der Techniker fest, alle 4 Server sind aus Sicht der Hardware voll funktionsfähig. Aber die Betriebssysteme und die Daten sind vollständig gelöscht.

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