Ich folgte nun endlich – ein wenig beruhigt – meinem immer stärker knurrenden Magen und begab mich wieder in die Messe, um mir ein Brot zu schmieren. An der Wand über dem Küchenblock begann eine Lampe in Form einer Sonne hektisch zu blinken. Erst als ich das Blinken bemerkte, fiel mein Blick durch eines der sechs großen Fenster nach draußen. Tatsächlich, der Nebel hatte sich gelegt, die Sonne hatte ihre Arbeit aufgenommen, es schien ein schöner Tag zu werden. Die symbolische Sonne über dem Kückenblock signalisierte, dass der Wärmetauscher wieder arbeitete. Automatisch fiel mein Blick auf die Temperaturanzeige. 48 Grad. „Da müssen wir heute kein Warmwasser zuheizen. “ Nachdem ich zwei weitere Brote verspeist hatte, räumte ich ab und machte den Spül. Um Brigitte nicht zu stören, machte ich die Tür zum Büro zu. Dann legte ich eine klassische CD ein. Klassik wirkte in der Regel beruhigend auf mich. Nicht jedoch heute. Zwischen Büro und Messe hatten wir eine Hauseingangstür eingebaut, damit waren die beiden Räume schallisoliert getrennt. Unser Schiff musste sich wirklich hinter keinem Haus verstecken. Bis 12. 00 Uhr wollte ich noch das Buch „The Postman“ im Orginal lesen. Dann würde ich das Essen kochen. Heute war ich dran.
Um 12. 30 Uhr würden wir wie immer gemeinsam Mittag essen, danach würde auch ich mit der Arbeit beginnen. Ob Brigitte mir beim Mittagessen endlich ihre Entscheidung mitteilen würde?
Pünktlich um 12. 30 Uhr kam Brigitte aus den Büro und erwartete warmes Essen auf dem Tisch. Es bedurfte einiger Übung, um mit dem Rayburn 480K umzugehen. Optisch sah der Rayburn stilecht wie ein alter Kohleofen aus. Im Inneren barg er als Kombiofen jedoch modernste Technik. Mit Petroleum getrieben, reichte der 15K Brenner aus, um die Heizkörper des gesamten Schiffs im kältesten Winter mit bis zu 85 Grad warmem Wasser zu versorgen. Gleichzeitig konnte man Kochen und Backen. Für das wirklich leckere Essen war Brigitte zuständig. Meine Kunst reichte für sattmachende Hausmannskost. Heute gab es getoastete Brote belegt mit Schinken und in der neuen Teflonpfanne gebratene Spiegeleier. „Iß, sonst wird es kalt“.
Brigitte begann zu essen, während ich meine eigenen Eier fertig machte. Ich hätte mir für heute ein anderes Essen überlegen sollen. So hatte ich keine Gelegenheit, Brigitte zu beobachten und auf ihre Stimmung vorbereitet zu sein. Endlich waren auch meine Eier fertig und ich setzte mich dazu. Schon immer war ich in unserer Beziehung derjenige gewesen, der die Dinge ansprach. Aber solch eine wichtige Entscheidung würde sie doch wohl nicht ohne mich treffen?
Brigitte nahm schweigend ihr Essen zu sich. Die kleine Pause hatte sie sich nach einem anstrengenden Morgen verdient. Vor eins ging das Telefon und Communitymanagerin Marga rief an, warum ihre Community trotz der hohen Userzahl und den von „Community im Test“ vergebenen guten Noten nicht von uns hochgestuft wurde.
Meine Frau setze ihr schulmeisterliches Lächeln auf, welches sich auf ihre Tonlage übertrug und versprach die Rangfolge auf Fehler zu überprüfen. Natürlich war es unwahrscheinlich, dass es einen Fehler im System gab. Selbst die angestellten Trendscouts wollten einfach nicht verstehen, dass das von FINDERS entwickelte Kategorienfiltersystem nicht wie bei Suchmaschinen Suchtreffer abhängig von der Häufigkeit aufgerufener Keywordseiten honorierte, sondern alleine die Qualität der Kundenanfragen in den Shops entschied, welche Shops, Shopartikel und auch Communitybeiträge an erster Stelle angezeigt wurden. Schließlich war es der Kunde, von dem wir alle lebten.
Die Lizenz eines Kategorienmanagerbüros sicherte einem eine lebenslange Existenz.
Einen Fehler durfte man jedoch auf keinen Fall machen: zu viele Kundensuchanfragen zum Thema Schuhe ins Leere laufen lassen. Häuften sich die Kundenbeschwerden, so hatte das FINDERS Konsortium die Möglichkeit der Provisionsminderung bis in letzter Konsequenz gar zum Entzug der Lizenz. Hierfür war jedoch ein mit hohen bürokratischen Hürden versehenes Gerichtsverfahren nötig.
- Die Patentanmeldung zur Achtcard finden Sie in http://www.dpma.de unter der Anmeldenummer PCT WO 00/077690 A3.
Die Pause war vorbei und auch ich musste meine R – Faxe abrufen, meine E – Mails überfliegen, ob sich zwischen dem Spam etwas Relevantes verbarg. Alle E – Mails waren bereits von Assistentin Dagmar vorsortiert worden. Doch die Techniken der Werbetreibenden wurden immer ausgefeilter, um an Dagmar , z. B. als angeblicher wichtiger Auslandspartner vorbeizukommen.
Immerhin 50% des gesamten deutschen Onlinehandels aus dem Bereich Schuhe wurde inzwischen von uns begleitet. Ca. 15. 000 freie Regionalhändler, 300 Communitys und 3000 Herstellerseiten waren in die Kategorie Schuhe integriert und mussten gemanagt werden. Niemand hatte damit gerechnet, dass die Entwicklung derart rasch voranschreiten würde. Dabei war es nur die konsequente Entscheidung, auf Basis der bereits 2000 vorliegenden Zahlen. Damals war schnell klar, dass nur ein kleiner Teil der über 40jährigen als begeisterter Computeruser zu gewinnen wäre. Wenn auch viele politische Entscheidungen von Kanzler M heute sehr kritisch als Alleingänge gesehen werden, so ist unstrittig, dass es seiner mutigen Entscheidung, allen Bürgern einen Achtfachcardzugang zur Verfügung zu stellen, zu verdanken ist, dass heute der Haupthandelsumsatz online abgewickelt wird. Dabei nutzen bis heute viele keinen Computer für den Onlineeinkauf.
Die Zeit bis 17. 00 Uhr verging wie im Fluge. Kurze Telefonate, Beantwortung von E – Mails und R – Faxen und weitergeleiteten Userbeiträgen, welche möglicherweise für die Weiterentwicklung der Konzepte interessant waren, strittige Beiträge in Communities u. s. w. . Um 22. 00 Uhr würde ich den zweiten Teil meiner Arbeit bis 2. 00 Uhr erledigen. Zwischen 2. 00 Uhr und 7. 00 Uhr bearbeitete nur ein kleines Team von Mitarbeitern die Anfragen der finder – Redaktion, Community – und Servicemanager.
„Denkst Du daran, dass wir noch im Leclerc einkaufen wollten?“
Nun riss mir doch der Geduldsfaden. Natürlich konnte Brigitte das R – Fax an den Schulrat noch bis 1 Minute vor 24. 00 Uhr absenden. Behörden hatten das Recht, den Empfang eines R – Faxes unter Vorbehalt automatisch zu bestätigen, doch wollte sie wirklich bis zur letzten Minute warten, um mich mit den unveränderbaren Konsequenzen zu konfrontieren? Das konnte nur bedeuten, dass sie sich bereits für den Schuldienst entschieden hatte und gegen mich! Karlsruhe hatte schließlich nicht den passenden Liegeplatz für ein 33m langes Frachtschiff.
Jetzt wurde ich wütend. Als Brigitte mich nach dem Schlüssel für den Smart fragte, müffelte ich sie nur an.
„Ist was?“ fragte sie offensichtlich erstaunt.
„Tu nicht so, du weißt genau was ist. “
„Weiß ich nicht, warum bis Du sauer? Ist mit Dagmar was schief gelaufen? Die war heute wirklich sehr gestresst. “ Sie merkte wohl, dass ich immer wütender wurde. „Ich weiß es wirklich nicht, was ist los?“
„Heute ist der Tag“.
„Welcher Tag?“
„Der Tag der Entscheidung wegen dem Schuldienst“.
Einen Moment lang schaute sie mich ungläubig an, dann prustete sie plötzlich los. „Ich hab denen doch schon vor Wochen geschrieben, dass ich nicht wiederkomme. Hast du wirklich geglaubt, ich lass dich einfach so im Stich mit dem Kahn und allem?“
Normalerweise hätte ich ihr den Kahn sehr übelgenommen. So aber war ich nur noch glücklich. Wir gaben uns einen sehr langen Kuss, bevor wir endlich in den Smart stiegen.
Unser Vorschlag zu Ihrem Handlungsstrang: Hatten Sie selbst schon vor 2001 eine Idee, deren Umsetzung alles verändert hätte? Schreiben Sie doch eine kleine Geschichte. Der Zusammenstoß anderer Akteure mit dem Einkaufswaren der Frederichs im Leclerc reicht, um die Handlungstränge zu verbinden!