Beruf und Freundschaft – Rhône, Frankreich – Oktober 2006, 10. Teil, Kapitel II

Laut  stampfte  der alte  Diesel.   Das  Wetter  wurde  schlechter  und  wir  fuhren  jedes  Wochenende  die Rhône  ein  Stück  weiter  hinunter  zum  Mittelmeer.   Wenn  man mit  unter  10  Knoten  Geschwindigkeit  auf  einem  Fluss  fährt,  dann  hat  man das  Gefühl,  sich  in  einer  anderen  Zeit  zu  befinden.   Die  großen  Städte  waren  vom  Fluss  aus  meist  nicht  zu sehen.   Zum  Einkaufen  von  Brot  und  was  wir  sonst  an  frischen  Sachen  brauchten,  waren  wir  auf  die  Läden  am  Fluss  angewiesen.   Unser  Smart  war  gut  vertäut  auf  dem  Vorderdeck  untergebracht.   Über  eine  Stunde  dauerte  es,  ihn  an  Land  zu hieven.   Bei  kurzen  Aufenthalten  nahmen  wir  deshalb  immer  die Fahrräder.   Die  großen  Einkaufszentren  hatten  längst  fast  jede  dörfliche  Handelsinfrastruktur  zerstört.   Wir  lernten  die  Dörfer  aus  dem  Blickwinkel  der  alten  Menschen  kennen,  welche  auf  den  Einkauf  in  der  unmittelbaren  Umgebung  angewiesen  waren.   Meist  waren  die  Kinder  den  Arbeitsplätzen  in  die  Städte  gefolgt.   Die  Alten  blieben  trotzdem.   

Dieses  Wochenende  hatten  wir  Isabella  Talik,  unseren  Trendscout  aus  New  York,  ihren  Freund  Levis  und  Shaona  Magu  auf  unser  Boot  eingeladen.   Isabella  hatte  ich  auf  einer  Schuhmesse  kennen  gelernt.   Sie  war  sehr  intensiv  mit  einem  Designer  in  eine  Diskussion  verstrickt  gewesen.   Ihre  Argumente  und  ihre  offene  Art  hatten  mir  so  gut  gefallen,  dass  ich  sie  spontan  für die offene  Stelle  in  New  York  engagierte.   Ich  hatte  bereits  zahlreiche  Bewerbungsgespräche  hinter mir,  meist  mit  jener  Art  affektierter  Geschöpfe,  die  meinen,  Geschmack  hat  derjenige,  der  besonders  viele  sinnentleerte  Worte  benutzten  kann.   Gerade  für das verrückte  Pflaster  New  York,  da  brauchte  ich  jemand  mit  Bodenhaftung  und  genau  so  konnte  man Isabella  beschreiben. Ich  half  Brigitte  beim  Beziehen  der  Betten  und  ertappte  mich  mal  wieder  dabei,  wie  ich  heimlich  darüber  haderte,  dass  wir Fuhrleute  meist  ohne  Reinigungspersonal  auskommen  mussten. Das  Telefon  schellte.   Brigitte  reagierte  schneller  als  ich,  mit  dem  Ergebnis,  dass  ich  bei  der  unliebsamen  Arbeit  nun  auch  noch  alleine  blieb.  

Pünktlich  nachdem  ich  alle  Betten  fertig  bezogen  hatte,  kam  sie  zurück  und  strahlte  über  beide  Wangen.   „Max  war  das.   Er  scheint  gut  mit  seiner  Diplomarbeit  voranzukommen.   Er  hat  sich  wieder  frisch  angehört.   Und  Grüße  von  Maya.   Die  hat  ihn  wohl  in  letzter  Zeit  häufiger  besucht.   Schön,  dass  sich  die Kinder  so  gut  verstehen.

“ Ich  hatte  wahrgenommen,  dass  das  Muttertier,  welches  meine  Frau  nun  mal  war,  sich  in  letzter  Zeit  um  Max  Sorgen  gemacht  hatte.   Ich  fand  es  damals  ganz  normal,  dass  er  ein  etwas  ausschweifendes  Studentenleben  hatte  und  keine  Zeit  uns  anzurufen. Erst  Jahre  später  erfuhr  ich,  wie  schlimm  es  damals  um  Max  stand.  

Die  Gäste  kamen  überpünktlich.   Von  Anfang  an  schienen  sich  alle bestens  zu  verstehen. Beim  Abendessen  sprachen  wir  dann  zwangsläufig  über  die  Arbeit.   Isabella  hatte  mit  Shaona  schon  beruflich  mehrere  Male  telefoniert.   Sie  war  gespannt,  jemanden  aus  der  Semantikredaktion  kennen  zu  lernen.  

„Herr  Frederichs“  begann  sie,  als  wir  alle  in  der  Messe  unseres  Kohlefrachters  in  gemütlicher  Runde  saßen.   „Also,  wenn  ihr  einverstanden  seid,  duzen  wir  uns,  ich  heiße  Ole“.   „O. k. ,  also  Ole,  habt  ihr  noch  immer  so  viele  Probleme  mit  der Schuhfetisch  Community?“

„Ich  finde,  Marga  macht  ihren  Job  sehr  gut. “  Nun  Freizeit  hin  oder her,  aber  wenn  man auch  mit  seinem  Job  verheiratet  ist,  trennt  man nicht  so  genau.   Also  holte  ich  aus:  “Inzwischen  hat  die  Schuhcommunity  über  100  neue  Beiträge  am  Tag,  da  muss  man schon  sehr  aufpassen,  dass  einem  nicht  der  ein  oder andere  Beitrag  durchgeht.   Schließlich  gibt  es immer  Exhibitionisten,  welche  die  Foren  für ihre  Zwecke  missbrauchen  wollen.   In  den  offiziellen  Fetischforen  können  sie  halt  keinen  mehr  schockieren.   Außerdem  sind  die  erst  ab  16  Jahren  freigeschaltet.   Es  ist  ein  Seiltanz,  welche  Beiträge  schockieren  und  welche  nicht.   Aber  schließlich  heben  wir uns  immer  noch  deutlich  in  der Qualität  unserer  Communities  von  den  nicht  eingebundenen  Suchmaschinen  ab.  

Mal  was  anderes,  Isabella,  wir liegen  jetzt  bei  fast  3000  Schuhherstellerseiten  weltweit.   Ich  finde  unsere  Trendscouts  müssen  sich  noch  wesentlich  besser  absprechen,  welche  Hersteller  wir  aufnehmen.   Shuelook  hat  jetzt  zum  zweiten  Mal  Schuhe  im  italienischen  Stil  in  sein  Programm  mit  aufgenommen. “

 „Was  soll  ich  denn tun,  wir können die Hersteller  nicht  zu  sehr  gängeln,  sonst  kommen  die  noch  auf  die  Idee  und  machen  Suchmaschinenmarketing. “ 

„Also,  wir  sind  bei  über  50%  Marktanteil  weit  entfernt  davon,  dass  uns  die  Hersteller  zu  den  Suchmaschinen  abspringen.   Sicher,  seit  dem  wir  immer  intensiver  die  Qualität  der Shopergebnisse  und  die  Communitybewertungen  in  die  Reihenfolge  der  angezeigten  Produkte  mit  einbeziehen,  sind  die  Umsätze  erheblich  angestiegen.   Hersteller  mit  guten  Sites  müssen  für ihren  Einsatz  belohnt  werden.   Aber  unsere  Suchempfehlungen  müssen  sich  vom  breiten  Massenmarkt  unterscheiden.   Bei  Anfragen  nach  italienischen  Schuhen,  welche  auf  einer  amerikanischen  Herstellerseite  landen,  fühlt  sich  der  User  in  die  Irre  geführt.   Das  verstößt  gegen  Regel  1  zur  Kategorienbildung!“  

Brigitte  mischte  sich  ein:“  Das  darf  nicht  passieren.   Sonst  verlieren  wir  einen  wesentlichen  Vorteil  gegenüber  den  freien Suchmaschinen.   Wir  wissen  außerdem  nicht,  wann  Brüssel  aktiv  wird  und  eine  Expansion  in  andere  EU – Länder  nur  zulässt,  wenn  das  FINDERS – Konsortium  den TFax – Standard  auch  für andere  Anbieter  öffnet. “ 

Isabellas  Gesicht  war  leicht  gerötet.   Levis  drückte  beruhigend  ihren  Arm.   Beruflich  war  sie  sehr  ehrgeizig  und  fand  die  Kritik  ungerecht.   „Brigitte,  du  weißt,  das  Problem  kann  am  besten  der Semantikmanager  lösen.   Warum  hat  denn  das  FINDERS  – Konsortium  den Kategorienfilter  entwickelt?  Damit  „Schuhe  Italien“  genau  wie  „italienische  Schuhe“  zu  den  betreffenden  Herstellern  verlinkt  werden.   Was  kann  Shuelook  dafür,  wenn  Sucheingaben  wie  „italienische  Art“  oder „italienischer  Stil“  zu  Shuelook  führen?“  Shaona  mischte  sich  ein:  „Also,  uns  ist  es  strikt  verboten,  auf  Einzelbedürfnisse  von  der  Händlerseite  einzugehen.   Wenn  ich  solch  eine  Beeinflussung  vornehmen  würde,  würde ich  sofort  meinen  Job  verlieren.   Suchergebnisse  hinter  den  Kategorien  bekommen  wir  nie  zu  sehen.   Für  uns  gilt  nur  die  Regel  1,  wie  Ole  schon  sagte !“

Ich  konnte  nicht  zulassen,  dass  Brigitte  meine  Prügel  abbekam.   „Isabella,  mach  mal  halblang.   Du  weißt  genau,  dass  ich  den  Semantikmanagern  keine  Anweisungen  geben  darf.   Das  finde  ich  auch  gut  so.   Schließlich  orientieren  sich  die  Semantikmanager  alleine  an  der  eindeutigen  Unterscheidung  von Kategorien  aus  Kundensicht.   Die  Semantikmanager  führen  Schuhe  zum  Schuhgeschäft,  basta.   Damit  ist  sichergestellt,  dass  nicht  wie  bei  den  Suchmaschinen  die  Schuhsuche  beim  Parfüm  landet,  nur  weil  so  eine  Werbetussi  herausgefunden  hat,  dass  Frauen,  die  italienische  Schuhe  kaufen,  auch  Parfüm  mögen.   Ein  Vergleich  mit  den Suchmaschinen  ist  doch  Unsinn,  schließlich  sind  wir  vorgeschaltet  und  übergeben  die  Ergebnisse  ja  auch  –wenn  sinnvoll  an  Spezialsuchmaschinen. “

Plötzlich  fielen  Brigitte,  Shaona  und  Isabella  gemeinsam  über  mich  her.  

„Was  sollen solche  Chauvi  Sprüche,  Werbetussi,  ha?“  Alle  lachten  und  die  Stimmung  war  gerettet.  

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