Im Veranstaltungsraum des Technologiezentrums hatte um 9. 00 Uhr eine Informationsveranstaltung für interessierte Firmen, welche sich ansiedeln sollten, begonnen. Der Wirschaftsförderer schaute entgeistert, als immer mehr nicht angemeldete Gesichter den für max. 50 Personen ausgelegten Raum stürmten – alle halbwegs kreativen Köpfe, welche Kaminski telefonisch mobilisieren konnte. Kaminski kam selbst erst, als der Raum hoffnungslos überfüllt war. „Alle, die ich nicht eingeladen habe bitte raus, dies ist eine Sache der nationalen Sicherheit. “
Der Wirtschaftsförderer kannte die Gerüchte, dass Kaminski neuerdings Beziehungen bis ganz nach oben hatte und begann sich ausführlich bei den Gästen zu entschuldigen, während er gleichzeitig alle alternativ zur Verfügung stehenden Räume im Kopf durchging. „Jetzt“ Kaminskis Tonfall war an Schärfe nicht mehr zu überbieten. Mit einem letzten Rest Würde drehte sich der Wirtschaftsförderer zu den Interessenten um: „Raum 104, folgen Sie mir bitte. “
Kaminski, sparte sich jede Begrüßung. „Wir wurden vom Bundeskanzler persönlich zum Think Tank in Sachen Mannesmann berufen, Ihre Chance oder Ihr Untergang. “ So viel hatte Kaminski nie geredet und wie erwartet sorgte er für das größt mögliche Chaos. Nach vier Stunden gingen sie auseinander, ohne auch nur eine einzige verwertbare Idee.
Mannesmann, das hatte was mit Informatik zu tun. Also rief Kaminski alle Informatik – Professoren von Rang an und bat sie um Hilfe. Er war klug genug nicht zu erwähnen, von wem er die Anweisung hatte. Bei keinem hatte er das Gefühl in der Kürze der Zeit etwas erwarten zu können. Meist wurde ihm erwidert, er solle eine Projektskizze zuschicken, man würde sehen, was sich machen ließe.
Nichts, gar nichts und zwei Tage waren schon vorbei. Aus lauter Verzweiflung wählte er die Nummer von Prof. Zahlenwerk in Gelsenkirchen. Dieser arrogante Fatzke hatte ihm jedes Mal, wenn sie sich begegneten, deutlich gezeigt, was er von dem nicht studierten Kaminski hielt.
„Prof. Zahlenwerk, Lehrstuhl für Informatik, wer stört?“
„Kaminski, es geht um eine Sache höchster Dringlichkeit: Ein mir anvertrauter Telekomprovider soll vor einer Übernahme geschützt werden. Nun suchen wir eine technologische Idee, die diesen für deutsche Anleger unersetzlich macht. “
„So, so, Kaminski. Man erzählt sich, Sie fühlen sich zu Höherem berufen“. Zahlenwerk war doch nicht verkalkt. Es konnte sich nur um Mannesmann handeln. So wie dieser entscheidungsscheue Kaminski sich ins Zeug legte, konnte es sich nur eine Anweisung von ganz oben handeln. Dies war eine einmalige Chance, gleich zwei Gegner aus dem Weg zu räumen. Diesen Emporkömmling, der den Platz einnahm, der ja wohl nur ihm zustand. Er hatte schließlich maßgeblich an den Grundlagen der Retrivel – Systeme mitgearbeitet und wenn man es genau nahm, war er der Urvater von Semantic Web. Fast noch mehr als Kaminski ärgerte ihn dieser Deutschlehrer, der sich Professor für Linguistik nannte und es tatsächlich gewagt hatte, ihm einen Etat von zwei Millionen streitig zu machen. Nicht etwa mit solider Grundlagenforschung, nein, mit linguistischem Firlefanz, der noch nicht mal auf Liebetreus Mist gewachsen war.
Diesem Liebetreu hatte er schon eine Laus in den Pelz gesetzt. Einem Studenten hatte er die leichte Promotion versprochen, wenn dieser sich im Lehrstuhl für Linguistik einschrieb und den anderen Studenten deutlich machte, dass hier Gelder falsch eingesetzt wurden. Falsch eingesetzt, was sagte er da. Für einen solchen Quatsch konnte sich Liebetreu seine zwei Millionen Subventionen nur ergaunert haben. Zu Kaminski sagte Zahlenwerk zuvorkommend: „Hört sich ja wirklich verzweifelt an. Wie es aussieht, kann ich helfen. Ich habe letztes Jahr auf meine Fördergelder verzichtet, um einem sehr motivierten Kollegen aus der Linguistik weiterzuhelfen. Soll ich ihn direkt anrufen?“
Bei soviel Entgegenkommen wäre Kaminski normalerweise misstrauisch geworden, aber wo es keine Wahl gab, da dachte Kaminski nie unnötig nach. „Nein ich nehme den nächsten Flieger. Heute Mittag bin ich da. “ Das musste ja wirklich dringend für Kaminskis Kariere sein. Zahlenwerk griff direkt zum Hörer.
„Hallo Liebetreu lassen sie uns Frieden schließen. Ich bin ein guter Verlierer. Ich habe hier Herrn Kaminski, ja den aus Friedrichshafen. Wie es aussieht hat der ein sehr interessantes Angebot für sie. Ja, er kommt heute Mittag gegen 15. 00 Uhr“.
Kaminski war auf die Minute pünktlich. Liebetreu entsprach in keiner Weise dem arroganten Zahlenwerk. Er war einfühlsam, hektisch und schusselig, alles auf einmal.
„Ja guten Tag Herr Kaminski. Sie interessieren sich für die digitale Monemanalyse? Das was wir hier machen, ist wirklich äußerst interessant“. Obwohl er die 50 schon seit einiger Zeit überschritten haben musste, strahlte er die Begeisterung eines jungen Mannes aus. „Ehrlich gesagt, ich verstehe mich hier nur als Coach für das Projekt. Die eigentliche Arbeit machen die Studenten und die Ideen liefert unser Christian Wolff. Was für ein Glück, dass wir den haben. “
„Kann ich Herrn Wolff mal kennen lernen?“
„Kein Problem, kommen Sie mit. „Herr Wolff , darf ich ihnen Herrn Kaminski vorstellen, den aus Friedrichshafen. “
Kaminski drehte Liebetreu den Rücken zu und wendete sich an Wolff. Er brauchte Fakten und keinen Smalltalk.
„Herr Wolff, stellen sie sich vor, ich sollte einen Telekomprovider vor der feindlichen Übernahme retten und ich hätte hierzu die politischen Möglichkeiten. “
„Guten Tag Herr Kaminski, ich bin äußerst erfreut, sie persönlich kennen zu lernen. “ Wolff gab sich alle Mühe, den Berliner Dialekt zu unterdrücken. Hier war ein wichtiger Mann, dem er unbedingt zu Diensten sein wollte. „Man hört ja von Friedrichshafen nur Gutes. Ja ich bin kein Politiker, aber wenn ich richtig verstehe, geht es darum, dass die involvierten Politiker wiedergewählt werden wollen. “
Kaminski schaltete innerlich schon ab, hier vergeudete er nur seine Zeit. Jetzt redete er schon mit Assistenten. Nur mit halbem Ohr hörte er noch hin.
„Was man bräuchte, wäre eine Killerapplikation, welche von diesem Provider entwickelt würde und für Deutschland unersetzlich wäre. “
„Ja genau das. “ Jetzt war Kaminski auf einmall hell wach.
„Nun, einfach ist das nicht, aber ich habe hier gerade verschiedene Patente recherchiert und Applikationen aufgelistet, welche in Kombination mit der digitalen Monemanalyse wesentliche Vorteile für den Telekommunikationsmarkt bieten würden. “
Kaminski diskutierte mit Christian Wolff eine ganze Nacht und er begann die Welt in einer sprachlichen Ordnungsstruktur zu sehen. Wolff überzeugte ihn. Wenn man nur einmal für alle Bereiche des Lebens eine Ordnung einführte, konnten die digitalen Prozesse für alle Beteiligten wesentlich vereinfacht werden. Was ihn störte war der sperrige Name „Digitale Monemanalyse“. Das konnte man nicht verkaufen. Bevor er ging, hatte er sich mit Wolff auf Finder – Technologie geeinigt.
Auf dem Rückflug überlegte Kaminski verzweifelt, wie er aus dem eindeutig umfangreichstem Konzept, welches man in so kurzer Zeit finden konnte, einen Rettungsplan schmieden sollte. Man müsste die Firmenkunden von Mannesmann gewinnen. Geht nicht, viel zu langwierig. Man könnte eine eigene Portaloberfläche für Mannesmannkunden basierend auf der Finder –Technologie entwickeln. Schon besser, aber der Bundeskanzler wollte ja gerade das Image loswerden, sich in die Privatwirtschaft zu sehr einzumischen. Die Behörden, das war es. Hier war ohne Frage das größte Rationalisierungspotenzial und die größte Unordnung. Er war als Provider in den einen oder anderen Lenkungsausschuss eingeladen worden. Selbst wenn sich kleine Städte zu einem Landkreis zusammenschlossen, gab es nicht enden wollende Diskussionen , ob das Amt nun „Amt für Müllentsorgung“ oder „Amt für Abfallangelegenheiten“ heißen sollte. Nicht einmal die Anzahl oder Grundaufgaben der einzelnen Ämter innerhalb der einzelnen Städte waren gleich. Für die große anstehende Strukturreform, da bedurfte es eines roten Fadens, der durch alle Bereiche der Behörden führen sollte. Hatten es die Behörden erst einmal vorgemacht, würde die Privatwirtschaft von alleine nachziehen, schon um mit der öffentlichen Hand, welche ja immerhin 40% aller Binnenmarktaufträge im IT – Bereich vergab, kompatibel zu bleiben. Das war mehr als ein Mannesmannrettungsplan, dass war ein 5 Jahresplan für ganz Deutschland.
Innerhalb von nur 12 Stunden wurde im Kanzleramt eine neue Sondersitzung angesetzt.
Der Kanzler ging kein Risiko ein. Er überzeugte den Mannesmann – Vorstand, dieses Konzept als Mannesmann – Vision zu veröffentlichen. Nachdem eine Kurzumfrage unter der Bevölkerung keine wesentlichen Widerstände identifizierte, ging alles schnell. Die Lobbyisten hatten – wie beabsichtigt – keine Zeit gehabt, sich eine eigene Meinung zu bilden. Da laut ebenfalls schnell erstelltem Gutachten nur Mannesmann die technischen Voraussetzungen für ein solch komplexes Projekt hatte, gab der Bundeskanzler Mannesmann ein Pilotprojekt ohne weitere Ausschreibung in Auftrag. Gleichzeitig kaufte der Bund Aktien und übertrug das Konzept des VW – Gesetzes auf Mannesmann. Mannesmann wurde später der zweit größte Partner im FINDERS – Konsortium. Esser brach die Verhandlungen mit Vodafone ab. Die Aktienpreise von Mannesmann explodierten nach der ersten Pressemeldung aus dem Kanzleramt, dass die Agenda 2005 auf das finder – Konzept abgestimmt würde. Vodafone hatte keine ausreichende eigene Kapitalisierung, um den Aktionären ein akzeptables Angebot zu machen. Die feindliche Übernahme hatte sich erledigt, ohne dass auch nur ein Cent öffentlicher Mittel geflossen waren.