Der Anweisungsempfänger – Eldenburg bei Waren – August 2005, 3.Teil, Kapitel II

Nach  und  nach  entwickelte  sich  dieses  Fax  für  Talik  zum  wichtigsten  Kommunikationsmedium  neben  dem  Telefon  zur  Außenwelt.   So  schickte  Isabella  ihm  regelmäßig  Fotos  aus  New  York.   Jedes  Foto  ging  über  eine  ganze  DIN  A4  Seite,  damit  Talik  auch  etwas  erkennen  konnte.   Es  war  ein  heißer  Sommertag.   Talik  hatte  fast  einen  Monat  von  seiner  Tochter  nichts  gehört.   Ob  es ihr  wohl  gut  ging?  Talik  wollte  seiner  Tochter  nicht  auf  die  Nerven  fallen,  deshalb  achtete  er  streng  darauf,  dass  er  ihr  nicht  mehr  R – Faxe  schickte,  als  sie  ihm. Sein  Häuschen  hielt  ihn  in  Trab.   So  hatte  er  nicht  zu  viel  Zeit  zum  Nachdenken.   Im  Sommer  wurde  das  kleine  Grundstück  zum  Urwald.   Er  musste  zumindest  den Weg  von  Disteln  und  Brennnesseln  sauber  halten.   Talik  war  froh,  dass  er  nicht  in  einer  dieser  Reihenhaussiedlungen  wohnte,  wo  jeder  Nachbar  akribisch  überprüfte,  ob  auch  der  Rasen  gemäht  war.   Einen  Vorgartenschönheitswettbewerb  brauchte  er  in  seinem  Alter  wirklich  nicht.  

Sein  Häuschen  lag  einsam  an  der Wasserverbindung  zwischen  Kölpingsee  und  Müritz.   Eingesehen  wurde  es  nur  gelegentlich  von  ankernden  Motorbooten.

Ab  und  zu  meinte  ein  Bootsbesitzer,  dass  sein  Haus  verlassen  sei  und  sich  hervorragend  als  Anlegeplatz  eignen  würde.   Inzwischen  hatte  sich  Talik  angewöhnt,  auf  der Terrasse  immer  einen  Liegestuhl  mit  einem  Handtuch  darauf  hinzustellen.   Seit  dem  hatte  er  auch  von  Seeseite  seine  Ruhe.   Sich  in  die Sonne  legen  konnte  er  schon  lange  nicht  mehr.   Seine  Augen  waren  so  empfindlich,  dass  er  selbst  an  grauen  Tagen  draußen  eine  Sonnenbrille  tragen  musste. Neben  der Terrasse  gab  es  einen  mageren  Boden,  der mit  Moosen  überwachsen  war.   Talik  hatte  vor  einigen  Jahren  eine  Wildblumenmischung  ausgestreut.   Dieses  Jahr  wurde  er  belohnt  durch  eine  wunderschöne  Wildwiese  mit  Margariten  und  Wiesensalbei.  

Heute  waren  wieder  die  Disteln  dran.   Zu  seiner  alten  Druckerschürze  hatte  er  sich  dicke  Lederhandschuhe  angezogen  und  seine  alten  Treter.   Schließlich  konnte  er  keine  Dornen  mehr  sehen. Die  normalen  Arbeitshandschuhe  waren  nicht  undurchlässig  genug  eben  wieder  etwas  nur  für  junge  Menschen,  wie  so  vieles  in  seiner  Umgebung.

Das  Handy  klingelte.   Umständlich  zog  er  sich  die  Handschuhe  aus  und  nahm  das  Handy  in  die  Hand.   „Ja?“

„Hallo,  Paps.   Ich  bin’s,  Isabella.   Kann  ich  mit  ein  paar  Freunden  vorbeikommen?“ Isabella  übertrieb  es  ein  wenig.   Sofort  fühlte  sich  Talik  an  alte  Zeiten  erinnert.   Halluzinierte  er jetzt,  begann  die  Demenz  ihn  in  die  Vergangenheit  zu  ziehen? Nachdem  das  Telefon  viel  zu lange  stumm  blieb,  fügte  Isabella  schnell  hinzu:

„Hab  ich  Dich  erschreckt?  Wir  wollten  Dich  überraschen.   Ich  war  auf  einem  Meeting  in  Deutschland  und  hab  Levis  und  Lena  Sorzorsky  mitgebracht.   Das  ist  doch  o. k.   für  Dich?“

Talik  seufzte  erleichtert  auf.   Gott  sei  Dank,  er wurde  nicht  senil.   Isabellas  amerikanische  Ausdruckweise  zeigte  ihm  eindeutig,  dass  er  sich  nicht  in  einem  Film  aus  der  Vergangenheit  befand.   “Natürlich  freue  ich  mich.   Bring  mit,  wen  immer  Du  willst.   Aber. .   Ach  Kind  ich  habe  überhaupt  nichts  zum  Anbieten  im  Haus“.

„Mach  Dir  darüber  keine  Sorgen.   In  einer  Stunde,  ja,  ist  Dir  das  recht?“

„Ich  freue  mich. “  

Schnell  versteckte  er  seine  Handschuhe  und  sein  Gartenwerkzeug  in  den  Büschen.   Keine  Zeit  zum  Aufräumen.   „Ich  muss  Kaffee  kochen.   Ach,  wie  das  bei  mir  aussieht. “ Endlich  würde er  Isabellas  Freund  Levis  kennen  lernen. Wo  sind  nur  meine  neuen  Schuhe?  Es  war  wirklich  wie  früher.   Nach  ca.   50  Minuten  hörte  er die Drei  lachend  den Weg  entlang  kommen.

Isabella  hatte  an  alles  gedacht,  an  einen  Kuchen  und  die  Getränke.   Nach  dem Kaffeetrinken  zog  Isabella  ein  kleines  Päckchen  aus  ihrer  Handtasche  und  Talik  überkam  eine  böse  Vorahnung.

Isabella  sah  den Blick  ihres  Vaters  und  kam  ihr  zuvor.   „Ja,  Paps,  wieder  neumodischer  Schnickschnack.   Aber  wenn’s  demnächst  was  Neues  gibt,  kommt  das  automatisch.   Das  Mobile  ist  updatefähig. “

Sie  zog  ein  Handy  mit  besonders  großen  Tasten  heraus.   Wusste  sie  denn  nicht,  welch  ungeheure  Anstrengung  es  für  Talik  bedeuten  würde,  sich  auf  ein  neues  Handy  einzustellen?  Wie  viele  Anrufe  würde er  wohl  abwürgen,  nur  weil  er  die  richtige  Taste  nicht  fand?

„Ich  habe  wirklich  lange  überlegt.   Ich  weiß,  auch  wenn  die  Tasten  größer  sind,  so musst  Du  Dich  erst  daran  gewöhnen.   Aber  das Handy  kann  WLAN  und  Festnetz“.

Als  sie  Taliks  unverständiges  Kopfschütteln  sah,  ergänzte  sie kurz:  „Well,  ich  meine,  du  kannst  damit  über  das  Festnetz  und  über  das  Fax  genauso  kommunizieren  wie  mobil. “ „Was  soll  ich  denn  davon  haben?“ „Paps,  sei  mir  nicht  böse.   Aber  die letzten  Briefe,  die  du  mir  per  Fax  geschickt  hast. . .   Ich  kann  einfach  Deine  Schrift  nicht  mehr  lesen.   Ich  hab  mich  nicht  mehr  gemeldet,  weil  Du  dann  gemerkt  hättest,  dass  ich  darauf  nicht  eingehe,  sorry. “  

Talik  war  entsetzt.   Aber  ja,  erhatte  sich  schon  gewundert,  warum  sein  Brief  an  die  Rentenkasse  nicht  beantwortet  worden  war.   Altern  ist  der ständige  Verlust  von  Kompetenz,  hatte  er  mal  gehört.   Aber  bevor  er eine  Depression  bekommen  konnte,  sorgte  Isabella  dafür,  dass  er alle Hände  voll  mit  dem neuen  Handy  zu tun  hatte.   Erst  musste  er sie anrufen.   Dann  rief  sie ihn  an.   Es  dauerte  2  Stunden  und  wer  weiß  wie  viele  Telefonkosten,  bis  er  mit  dem  Telefon  einigermaßen  sicher  war.   Die  drei  gaben  sich  alle  Mühe,  seine  Langsamkeit  nicht  wahrzunehmen  und  machten  unbeschwert  weiter  Witze.   Auch  Levis  war  überaus  geduldig.   Er  schien  der Richtige  für  Isabella  zu sein.

„So,  nun  kommt  der zweite  Teil.   Fühl  mal  diese  Taste. “  Isabella  führte  Taliks  Finger  auf  eine  große  Sondertaste  oben  auf  dem  Handy.

Nach  einem  kurzen  Moment  hörte  Talik  eine  Stimme  am  Handy .

„Bitte  geben  Sie  Ihr  Textdiktat  auf“.

„Sag  doch  mal  was!“  forderte  Isabella  Talik  auf,  wohl  wissend,  dass  dieser  wieder  begann,  erhebliche  Widerstände  aufzubauen.

„Was  soll  ich  denn  sagen?“  murrte  Talik. „Irgend  was,  dann  sag  halt  guten  Tag  und  leg  auf“.

 Kurz  nachdem  Talik  aufgelegt  hatte,  gab  das  Fax  einen  Ton  von  sich,  den  er  noch  nicht  kannte.   Auf  dem  Fax  Bildschirm  erschien  „Guten  Tag“.   Unter  jedem  Wort  stand  ein  Rechteck  und  ein  Dreieck.   Isabella  drückte  den Abbrechen  – Button  und  der  Bildschirm  erlosch. „So  und  jetzt  sag  noch  was  anderes“.

Talik  drückte  die  Taste  auf  seinem  neuen  Handy:  “Liebe  Isabella,  ich  weiß  zwar  nicht  warum,  aber  ich  mache,  was  du  willst  „ Kurz  darauf  erschien  auf  dem  Faxdisplay  in  sehr  großer  Schrift:  „Liebe  Isabla,  ich  weiß  zwar  nicht  darum,  aber  ich  mache,  das  du  willst“.

Allmählich  verstand  Talik.   „Also  ich  kann  einfach  ins  Handy  sprechen  und  das  schreibt  Dir  dann  einen  Brief?“

„Na  ja,  ganz  so  einfach  ist  das  doch  nicht.   Selbst  wenn  sich  die  Sprachanalyse  an  deine  Stimme  gewöhnt  hat,  wird  sie immer  Fehler  machen.   Talik  las  noch  einmal  genau,  indem  er Wort  für  Wort  über  den  Bildschirm  scrollte.   „Oh,  das geht  aber  nicht. “

„Na  ja,  einen  Brief  musst  du auch  korrigieren.   Wenn  Du  ein  Wort  löschen  willst,  klickst  Du  auf  das  Rechteck  darunter.   Wenn  Du  ein  Wort  neu  sprechen  willst,  klickst  Du  auf  das  Dreieck  unter  dem  Wort“.   Talik  klickte  auf  die  Dreiecke  unter  „Isabla“,  „darum“  und  „das“.   Dann  betätigte  er  den  ihm  schon  bekannten  Abschickbutton.

Daraufhin  klingelte  sein  Handy  und  eine  Computerstimme  sprach:  “Bitte  korrigieren  Sie  Isabla“  wenn  Sie  fertig  sind,  betätigen  Sie  die  Abschicktaste.   Zum  Wiederholen  drücken  Sie  die  Zurücktaste.   Jetzt  war  Talik  ganz  durcheinander.   Während  Levis  und  Lena  in  die  USA  zurückflogen,  blieb  Isabella  noch  eine  Woche  bei  ihrem  Vater,  bis  sie sicher  war,  dass  er  das  Dialogsystem  richtig  bedienen  konnte.    

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