Shaona Magu saß an ihrem modernen Arbeitsplatz mit Blick über den Bodensee.
Der Nebel hing heute tief und ließ alles um sie herum irreal erscheinen.
Sie machte einen guten Job und wurde von allen bei FINDERS sehr geschätzt.
Trotzdem war sie nie richtig hier angekommen.
An solchen Tagen sehnte sie sich nach dem immer schönen Wetter, der endlosen Weite der See und dem klaren Wasser mit freiem Blick auf die Korallenriffe und farbigen Fische zum Greifen nah.
In welchem Luxus man hier lebte und wie wenig man diesen zu schätzen wusste. Sicherlich Luxus hatte sie auf Dhunikolhu gesehen. Aber da waren alle guter Laune. Shaona hatte Urlaubsstimmung mit Dankbarkeit für den eigenen Wohlstand verwechselt.
Im Alltagstrott war alles anders. Shaona wusste, dass FINDERS ein Arbeitgeber mit sehr gutem Arbeitsklima war.
Aber hinter der oberflächlichen Freundlichkeit ihrer Kollegen entdeckte sie oft Desinteresse für die Mitmenschen. Neid auf ihre eigene schnelle Kariere war das einzige echte Gefühl, welches sie manchmal eindeutig identifizieren konnte.
Sie tat wirklich viel, um eine echte Deutsche zu werden.
In der Altstadt hatte sie sich ein Apartment mit schöner großer Terrasse gemietet.
Die Einrichtung war hell und schlicht. Zwei Zimmerpalmen erinnerten an die Malediven.
Sie hatte lange mit sich gekämpft. Schließlich hatte sie sich ein großes Aquarium mit Fischen ihrer Heimat angeschafft.
Aus der jungen Shaona war inzwischen eine attraktive Frau geworden. Männer waren nicht ihr Problem.
Allerdings merkte sie schnell, dass viele sich damit schmücken wollten, sie als Exotin erobert zu haben. Einen echten Freund hatte sie bisher nicht gefunden.
Als Shaona nach der Arbeit nach Hause ging, war der Nebel von der Dunkelheit abgelöst worden. Nun fing es auch noch an zu schneien.
Shaona zog sich die Kapuze ihrer warmen Winterjacke so weit übers Gesicht, wie es ging. Hatte sie sich wirklich früher nach Schnee gesehnt?
Schon oft war sie bei ihrem Heimweg am Internetcafe E-Contacts vorbeigekommen. Sie wusste von ihren Kollegen, dass dies ein Singletreff der besonderen Art war.
Nie hatte sie so etwas gemacht, hier würde sie sicher nicht ihre große Liebe finden. Aber sie wollte heute nicht alleine vor dem Fernseher sitzen, der schon längst aufgehört hatte, für sie das Tor zur Welt zu sein.
Das Lokal war nicht so schummrig, wie sie es sich vorgestellt hatte. Der große Raum war mit Stufen in verschiedene Ebenen aufgeteilt. Jede Ebene war in ein anderes Licht getaucht. So gab es hell erleuchtete Bereiche und die dunklen Bereiche für die Schüchternen.
Shaona hatte über Onlinekontaktbörsen schon die eine oder andere Kurzzeitbeziehung gefunden. Sie hatte sich Mühe gegeben, eine möglichst genaue Beschreibung ihrer Person und ihrer Wünsche dem Profil der Kategorie „Freundschaften“ zu hinterlegen.
Aber irgendwie führte die Möglichkeit, online aus Hunderten von anderen Frauen zu selektieren, immer dazu, Männer zu ihr zu führen, die Malediven in die Profilsuche eingegeben hatten. Etwas machte sie wohl falsch.
Sie setzte sich in eine der dunkelsten Ecken, welche mit einem dunklen Blau beleuchtet war. Shaona steckte die Profilseite ihrer Karte in den Achtcard-Leser ihres Sitzes.
Darauf leuchtete an ihrem Sitz die Nummer 88 in Grün auf.
Ihr Blick viel auf die dunkelgrüne Zone ca. 5 Tische weiter.
Ein Computer hatte einen zu ihrem Profil passenden Partner gefunden.
An einem Tisch in der dunkelgrünen Zone saß ein Mann mit einem kleinen Bauch. Er mochte 165 groß sein, also etwas größer als Sie selbst. Sein Lächeln fand sie nett.
Er schien schüchtern zu sein. Erst als sie ihn zu sich winkte kam er zu ihr.
„Ich bin Joan Ramon aus Andalusien. Darf ich mich zu Ihnen setzen?“
Ihr gefiel alles an ihm. Seine Unbeholfenheit, sein altmodischer Charme und seine großen starken Hände.
Sie hatten vieles gemeinsam. Genau wie sie, kam er aus einer einfachen Welt. Er hatte hart gearbeitet, um studieren zu können und war nun als Diplom Ingenieur im Friedrichshafener Wasserwerk angestellt.
Sie konnten gar nicht aufhören sich ihr Leben zu erzählen und auch ein bisschen über die Deutschen zu lästern. Um drei Uhr morgens wurden sie vom Wirt, der endlich nach Hause wollte, rausgeschmissen.
„Willst Du noch auf einen Tee zu mir hoch?“ Shaona war über die eigene Forschheit überraschte. Online vereinbarte Dates hatte sie nie am ersten Abend so weit kommen lassen.
„Heute noch nicht. Darf ich Dich morgen Abend zum Essen abholen?“, sagte er und gab ihr einen dicken Kuss.
„Um neun?“, fragte sie mit einem Schmollmund. So einen Korb hatte sie noch nie bekommen.
„Bis neun dann“, Joan wandte sich zum Gehen, drehte sich wieder um und küsste Shaona noch einmal leidenschaftlich. Dann schob er sie sanft von sich und ging schnell ohne sich noch einmal umzusehen.
Am nächsten Abend gab es kein Halten mehr.
Direkt nach dem Essen beschlossen beide wortlos, sich direkt in Shaonas Wohnung zu begeben.
Hier liebten sie sich ausgiebig. Anschließend lag Shaona noch viele Stunden wach und betrachtete die maledivischen Fische im schwach erleuchteten Aquarium.
Joan schlief tief und träumte von den andalusischen Weiten.