Kanzler M wirkte nervös.
Damals wurde er noch mit seinem bürgerlichen Namen angesprochen. Später undenkbar. M stand in gleicher Weise für Medienpräsenz wie Medienkompetenz. Als ein Journalist im Spaß diesen Namen einführte, fand der Bundeskanzler den Namen ausgezeichnet. Später sorgte sein Pressesprecher dafür, dass alle nur noch von Kanzler M sprachen. Kaminski war neu in der Runde. Warum hatte man ihn nur zu dieser höchst vertraulichen Sitzung hinzugebeten? Was erwartete Kanzler M ausgerechnet von ihm? Bloß nicht auffallen, sicher sollte nur ein möglichst umfangreiches Beratergremium dabei sein. Verantwortung lies sich so trefflich verteilen. Schließlich waren im nachhinein einzelne Entscheidungen nicht mehr eindeutig auf einzelne Personen zurückzuführen. Einmal, nur einmal hatte Kaminski eine Meinung vertreten. Es hatte ihn fast seinen Hals gekostet, wäre da nicht Christian Wolff gewesen.
Auf der Cebit 1999 war er wie alle Geschäftsführer der Ausstellerfirmen von der Messegesellschaft zum Galadinner mit Bundeskanzler eingeladen worden. Als „Kreativer Manager der Jahres“ wurde ihm die besondere Ehre zuteil, mit 12 weiteren Gästen am Tisch des Bundeskanzlers zu sitzen. Damals hatte er es genossen, mitten unter den mächtigsten Wirtschaftskapitänen zu sitzen, umringt von Bodyguards selbst wohl jetzt wichtig. Als er einen Sekt mehr als sonst getrunken hatte, war er in einer unglaublichen Hochstimmung. Da sprach Kanzler M ihn an: „ Herr Kaminski, wir brauchen mehr kreative Leute wie sie in Deutschland. Uns geht es gut. Meinen Sie in einer Krise sollte ich Sie zu einem meiner Berater machen?“ „Herr Kanzler, ich baue gerade in Friedrichshafen ein Technologiecluster mit den besten Leuten weltweit auf. Wir bekommen alles hin, was man mit Informationstechnologie hinbekommen kann. “
Mitten in der Nacht schreckte Kaminski aus einem unruhigen Traum hoch. Er hatte eine Meinung vertreten. Er hatte seine Prinzipien gebrochen und mindestens 25 Worte zuviel gesagt. Nicht etwa in seinem Stammcafe in Friedrichshafen, nein als von Bodyguards umringter Mann, dessen Aussage Konsequenzen haben kann, gegenüber dem Bundeskanzler, der selbst permanent Entscheidungen mit ungeheurer Reichweite treffen musste. Er war ruiniert. Da kam er nie mehr raus. „Kaminski,“ sagte er laut zu sich selbst, „erst einmal einen Schritt nach dem anderen. Du hast Nachdurst. Der nächste Schritt, das ist Wasser aus dem Kühlschrank holen und dann sehen wir weiter“. Wenn Kaminski sich selbst mit Nachnamen ansprach, dann war es wirklich schlimm.
Nun also forderte Kanzlei M seine Zusage ein.
„Herr Kaminski, gibt es eine Möglichkeit, die Übernahme zu verhindern, ohne dass ich wie gerade erst bei Phillip Holzmann wieder wegen der Einmischung der Politik in die Marktwirtschaft in die Schlagzeilen komme?“
„Herr Bundeskanzler, ich lasse mir etwas einfallen“.
„Gut, Sie haben eine Woche. Damit ist die Sitzung wohl beendet. “
Das konnte er doch nicht machen. Seine Staatssekretäre, die Wirtschaftsbosse, all die wichtigen Menschen in der Runde freuten sich, dass einer die Verantwortung übernahm, dass einer Lösungen bot. Er, Kaminski war nun wirklich zu einem sehr wichtigen Mann geworden – für eine Woche. Der anschließende Fall würde sehr tief sein, denn in Wirklichkeit hatte Kaminski nichts anzubieten, hatte keinen Plan und konnte nur hoffen, dass das Glück, welches ihn bis hier hingebracht hatte, ihn nicht gerade jetzt verließ.