Als Maya morgens den Rolladen öffnete und frischen besonders starken Kaffee ans Bett brachte sah sie erst, wie ausgezehrt Max war. Die Morgensonne beleuchtete das Gesicht eines Mannes, der zehn Jahre älter wirkte. Mühsam setzte sich Max auf und zwang sich zu einem Lächeln.
„Du bist lieb. So lang habe ich schon ewig nicht mehr geschlafen. “
Maya unterdrückte Tränen:“ Max, wie konnte es nur so weit mit Dir kommen“.
„Was meinst Du“ tat er ungläubig. „Die Diplomarbeit stresst mich halt. “
Jetzt wurde Maya wütend: “Hör auf, mir was vorzumachen. Ich glaube nicht, dass Du die letzten Wochen an Deiner Diplomarbeit gesessen hast. Wann hast Du das letzte mal richtig gegessen? Wann hast Du das letzte Mal Freunde getroffen? Max hör endlich auf, mich für dumm zu verkaufen. “
Direkt bereute Maya ihre Heftigkeit. Max hatte dem nichts mehr entgegenzusetzen. Er sackte in sich zusammen, als ob ihm plötzlich der Halt seines Skeletts entzogen worden wäre und begann leise zu wimmern.
„Es ist wirklich die Diplomarbeit schuld, Maya. Ich habe alles geschafft, alle Scheine, weißt Du, in Regelstudienzeit.
Vor zwei Monaten habe ich dann das Thema beim Prof. durchgehabt. Der war ganz begeistert. Beherrschbarkeit von Komplexitäten in der globalen Marktwirtschaft heißt es.
„Ja aber das ist doch toll. Was ist denn passiert?“
„Ja zuerst lief es auch gut. Das war das erste Mal, dass es mir wichtig war, das Optimale hinzukriegen. Ich habe mich durch eine Vielzahl von Fachbüchern durchgearbeitet. Das Ganze habe ich dann mit aktuellen Untersuchungen zu den Auswirkungen des Internets verglichen. “
„Ja, und, wo ist das Problem?“
„Das Problem ist, dass es keine Regeln mehr gibt. Es gibt keine verlässlichen Vorhersagemuster. Die einzige Regel, die für mich noch gültig ist, große Einheiten haben ein größeres Beharrungsvermögen, kleinere sind innovativer, setzen sich aber oft nicht durch. Weißt Du, eigentlich hatte ich gehofft, irgend wo eine Antwort zu finden, wie man die in Zukunft noch komplexeren Zusammenhänge im Griff behält. Inzwischen bin ich sicher, entweder alles bricht irgendwann zusammen oder die großen Einheiten in Politik und Wirtschaft werden so groß und mächtig, dass sie alle Individualität und Kreativität der Einzelnen ersticken und es zum totalen Stillstand kommt. Weißt Du, ich bin damit einfach nicht klar gekommen. Alle taten so, als ob nichts wäre. Ich kam mir immer mehr wie jemand vor, der hinter Gittern alle anderen beobachtet, ohne zu wissen, wer vor und wer hinter den Gittern sitzt.
Na, ja bei der Recherche bin ich auch über die ein oder andere Wirtschaftssimulationsspielseite gestolpert. Die sind heute schon so weit, dass man mit einer beliebigen Anzahl von Spielern im Internet spielen kann. Der Vorteil ist, die Möglichkeiten müssen endlich sein, da ja die Programmierer die Möglichkeiten hinterlegt haben. Irgendwie konnte ich dann nicht mehr aufhören und habe alles um mich herum vergessen. “
Es wurde still. Maya dachte an ihr eigenes Studium. Solche Zweifel hatte sie nie gehabt. Sie hatte das gelernt, was zu lernen war. Probleme löste sie pragmatisch, wenn die Lösungen anstanden. Sie hätte Max gerne von den Plänen des FINDERS – Konsortiums erzählt, die ihr in ihrer Funktion als Controllerin immer wieder auf den Tisch kamen. Aber die waren geheim. „Max, nach meiner Erfahrung gibt es eine Möglichkeit, die Komplexitäten der Zukunft aufzulösen. Man muss die Komplexitäten eben wieder in kleine Einheiten auflösen. Weißt Du, genau das machen wir bei FINDERS mit unseren 40. 000 Kategorien. “ „Ach, jetzt fängst Du auch noch an, mich mit FINDERS zu bequatschen. Paps hat das schon immer gemacht. Ich kann das nicht mehr hören. “ „Max, gib endlich zu, dass Du es in den letzten Monaten übertrieben hast. Du bist spielsüchtig geworden. Mit FINDERS hätte das verhindert werden können. “
„Meinst Du etwa diesen Spielfilter. Ich mag keine Zensur. “
„Der Spielfilter ist keine Zensur, Max. FINDERS hat da viel Geld reingesteckt und er funktioniert. “
Mittags hatte Maya Max soweit, dass dieser seinem Provider eine Mail schickte mit der Bitte, den Spielfilter einzurichten.
2005 hatte FINDERS in Zusammenarbeit der Bildungs und Forschungskategorien – Agenturen wie z. B. Mathematik mit den Spielkategorien – Agenturen den Spielfilter entwickelt. Eine Registrierung war inzwischen bei jedem Provider möglich. Man hinterlegte seinen Schul– und Berufsabschluss. Hatte man 45 Minuten ein Spiel gespielt, musste man 15 Minuten in einem der Ausbildung adäquaten Bildungsbereich Aufgaben lösen. Erst dann wurden die Spiele wieder für weitere 45 Minuten freigeschaltet.
Da die Spielsucht sich in Deutschland immer mehr ausbreitete, gab es auch immer mehr Spielsüchtige, die sich den Filter freiwillig einrichteten, nachdem sie eingesehen hatten, dass es so nicht weiterging. Forschungen hatten ergeben, Süchtige verloren beim Spielen jegliches Zeitgefühl und jeglichen Bezug zu ihrer Umgebung. Wenn sie regelmäßig zu Unterbrechungen gezwungen wurden, kehrte bei den meisten mit der Zeit der Realitätsbezug zurück. Um ehrlich zu sein, FINDERS hatte nicht etwa eine soziale Ader entdeckt. Vielmehr standen hier hinter wirtschaftliche Interessen. Der Druck kam von den Kategorien – Agenturen aus dem Forschungsbereich, die wesentlich weniger verdienten, als Agenturen in anderen Bereichen. Durch den Filter wurde ein Viertel der Einnahmen von den Spielagenturen an die Bildungsagenturen weitergeleitet. Außerdem hatte FINDERS untersuchen lassen, dass der Konsum bei Spielsüchtigen dramatisch zurückging und damit auch die Einnahmen von FINDERS. Die Quersubvention rechnete sich.