Tony Randle hatte die Schicht mit seinem Stellvertreter getauscht.
Wenn er nachdenken musste, fand er die Nachtschicht ruhiger. Eigentlich gab es in seinem Büro keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht. Schließlich waren 50 Arbeitsplätze ständig besetzt, um Informationen aus aller Welt auszuwerten.
Er erinnerte sich noch gut daran, wie er 1999 als Frischling einer Analysegruppe zugeteilt war, die herausfinden sollte, in wie weit Suchmaschinen zur Terrorismusbekämpfung benutzt werden konnten.
Ein großes Problem bestand darin, dass die vorhandenen Suchdienste allzu arrogant waren, um der US-Regierung Informationen zu liefern. Sie pochten auf ihre demokratischen Rechte.
Also musste man ein neues Unternehmen finden, welches man langfristig für die eigenen Zwecke einsetzen konnte.
Da kamen ihm die Google Gründer gerade recht.
Natürlich hätte sich Google gerade in der Anfangszeit alle Einmischungen verboten. Aber es gab genügend Möglichkeiten, einerseits den Erfolg von Google zu forcieren, andererseits anderen Steine in den Weg zulegen.
Diese vielen kleinen Vorschläge hatten das Fundament seiner Karriere begründet. Da ein Kartellverfahren gegen Microsoft, hier eine Idee, wie man parallel zur Weiterentwicklung von Google eigene Analysetools entwickeln und auf Google abstimmen konnte.
Doch womit niemand gerechnet hatte, Google hatte sich außerhalb des US-Einflussbereiches viel schneller entwickelt, als erwartet und war bald nicht mehr steuerbar. Ohne Absprache mit der US-Regierung hatte Google sich 2006 mit der chinesischen Regierung auf Zensur geeinigt. Alle Daten wurden also zuerst der Chinesischen Regierung zur Verfügung gestellt, bevor der Index veröffentlicht wurde.
Man musste Google in seine Grenzen weisen. Die US-Regierung verklagte Google auf Herausgabe aller Daten. Natürlich wollte man in Zukunft mit China gleichgestellt werden und Daten vor der Veröffentlichung sehen.
Viele weiteren Länder trafen ähnliche Vereinbarungen mit Google.
2007 hatte sich das Verhältnis zu Google entspannt. Ein Grund war sicherlich, dass das Pentagon sehr gute Kontakte zu einigen Rentenfonds hatte, die sich an Google erheblich beteiligt hatten. Das Pentagon bekam von Google sogar auf youtube einen eigenen Sendekanal, damit keine Negativvideos über den Irak- Krieg veröffentlicht wurden .
Tony Randle betrat sein Büro und betrachtete die ständig auf einem Monitor durchlaufende Liste von verdächtigen E-Mails und aufgerufenen Domains.
Über den Internetseiten erschien in rot jeweils eine große Zahl. Dies war der Kriminalitätsrank, den Gooday auf Wunsch des Pentagon eingeführt hatte. Manchmal ertappte sich Randle dabei, dass er immer noch Google sagte. Jede Internetseite, jede Person und jedes Unternehmen erhielt im Laufe der Zeit durch die Auswertung, wer auf welche Seite geklickt hatte, einen solchen Wert.
Obwohl im Pentagon inzwischen über 3000 Agenten mit der Auswertung solcher Seiten für verschiedene Abteilungen beschäftigt waren, war es unmöglich, Terroranschläge zu verhindern, da man nicht einmal alle Seiten mit hohem Kriminalitätsrank sichten konnte.
Gerade wurde die Firmenhomepage von Human International Ltd. auf dem Display von Randle angezeigt. Der Kriminalitätsrank 0/6 wurde nicht rot sondern orange dargestellt.
Tony Randle wurde neugierig. Während rot für „Achtung hohe Kriminalitätswahrscheinlichkeit“ stand, tauchte orange nur selten auf, wenn die Plausibilitätsprüfung Widersprüche ergab, aber kriminelle Gefahr weitgehend ausgeschlossen war.
Die erste Zahl bewertete die Wahrscheinlichkeit krimineller Handlungen durch den Verantwortlichen der betreffenden Homepage.
0 konnte nur bedeuten, dass es sich um eine angesehene und wohltätige Organisation handelte.
Umso mehr Geld verdient wurde, desto höher bewertete die Formel die Wahrscheinlichkeit für kriminelle Handlungen. Dies war die persönliche Erkenntnis vom Beamten Tony Randle, der sicherlich nicht ganz ohne Neid auf die in der Privatwirtschaft gezahlten Gehälter sah.
Gooday weigerte sich jedoch konstant, zu bestätigen, dass dieser Parameter maßgebliche Grundlage für den Kriminalitätsrank war. Schließlich hätte Gooday sich selbst auf Basis eigener Gewinne mit dem höchsten Kriminalitätsranks versehen müssen.
Randle überprüfte stichprobenartig, welche Personen auf die Seite von Human International Ltd. zugriffen.
Er fand hier keine besorgniserregende Anzahl von Personen mit hohem Kriminalitätswert.
Der zweite Wert war mit 6 relativ hoch und bewertete, wie interessant es für Dritte war, Human International Ltd. für kriminelle Handlungen zu missbrauchen.
Weil diese Werte so unterschiedlich waren, hatte das System durch „orange“ auf mögliche Unregelmäßigkeiten aufmerksam gemacht.
Tony Randle schrieb eine Anweisung für seine Mitarbeiter:
„Index für Human International Ltd. durchlassen. Wiedervorlage, wenn gehäuft Personenkreis mit hohem Kriminalitätsindex auf Seiten zugreift.“
Schon hatte er die Firma wieder vergessen. Schließlich hatte man Wichtigeres zu tun.
Randle hatte die präventive Kriminalitätsbekämpfung eingeführt. Seine Vorgesetzten mussten nicht im Detail wissen, warum er eine so hohe Auflösungsquote bei der Terrorismusbekämpfung hatte.
Seine Abteilung platzierte inzwischen selbst Seiten im Internet, auf denen Bauanleitungen für Bomben angeboten wurden. Natürlich funktionierten diese Bomben nicht.
So häuften sich in letzter Zeit die Erfolgsmeldungen seiner Abteilung über die Vereitelung von Bombenanschlägen.
Die Täter wurden meist schnell gefunden. In den Gerichtsverhandlungen wurde von Sachverständigen dann später festgestellt, dass die Bomben zu keiner Zeit eine Bedrohung dargestellt hatten. Gott sei Dank wollte hier niemand von der Presse Zusammenhänge sehen.
In den Verdacht zu kommen, sich möglicherweise vor Terroristen zu stellen, wollte keiner riskieren.
Nie stellte sich Randle die Frage, wie viele Anschläge es ohne seine Abteilung gar nicht gegeben hätte.
Allerdings aus irgend einem Grund schlief er nachts immer schlechter.