70 Tageszeitungen in 35 Ländern habe ich den folgenden Gastbeitrag angeboten. Ausschlaggebend war der Demokratieindex (The Economist), in dem Deutschland 2022 auf Platz 14 liegt. Selbst Länder mit einem hohen Indexwert wagen es nicht, konkrete Handlungsempfehlungen für den Erhalt der Demokratie im digitalen Wandel zu veröffentlichen. Verärgerte Gatekeeper könnten die Reichweite der Zeitungen beeinträchtigen. Selbst die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland fürchten um ihre Reichweite und veröffentlichen nicht.
Ein Test in 900 Wörtern vom deutschen Policy Designer Olaf Berberich.
Gehen wir davon aus, dass sich ein Supercomputer in einigen Jahrzehnten in seiner Informationsverarbeitung nicht wesentlich von unserem Gehirn unterscheiden wird. Warum dann die aktuelle Aufregung? Wir haben doch einen Fachkräftemangel. Kommt eine AGI (Artificial General Intelligence) da nicht gerade recht?
Selbst wenn unser Gehirn wie ein Computer mit Nullen und Einsen funktioniert, gibt es doch erhebliche Unterschiede.
Genforscher sind sich einig, dass wir einen wesentlichen Teil unserer kognitiven Fähigkeiten von Geburt an in uns tragen. Obwohl alle Menschen 99,9 Prozent des Erbguts gemeinsam haben, unterscheiden sich zwei zufällig ausgewählte Menschen um etwa 4 Millionen Basenpaare (https://www.nature.com/articles/nrg2554 ). Man spricht auch von endogenen Einflussfaktoren. Die DNA ist zum Beispiel für eine mathematische Begabung verantwortlich. Sie entspricht beim Computer seiner Grundprogrammierung. Hier werden die Grundregeln von den AI-Entwicklern bestimmt. Schon heute gibt es viele Bereiche, in denen AI durch Spezialisierung auf ein Gebiet bessere Ergebnisse liefert, als es der Mensch könnte. Aber gerade der einseitige Blick auf den Effizienzgewinn schafft eine Welt, die wir Menschen in über 2500 Jahren demokratischer Entwicklung abzulehnen gelernt haben. Wir wollen nicht aussortieren und nur die Besten überleben lassen. Demokratie heißt „Alle Macht geht vom Volke aus!“ Man könnte auch sagen, dass die Forderung nach Demokratie eine Forderung nach genetischer Vielfalt ist, welche bisher bei der Entwicklung künstlicher Intelligenz nicht berücksichtigt
wurde.
Da Milliarden von Menschen in ihrem Leben sehr unterschiedliche Erfahrungen machen, werden sie auch sehr unterschiedlich geprägt. Man spricht von exogenen Einflussfaktoren. Der Mensch ist einzigartig, weil er gleichzeitig Einzelwesen und Gemeinschaftswesen ist. Das heißt, er kann sich mit anderen auf einen gemeinsamen Nenner einigen, obwohl er ganz unterschiedliche persönliche Erfahrungen gemacht hat. Dabei hilft ihm, dass er in einer Gesellschaft aufwächst und lernt. Er profitiert von einem Wissen, das über Jahrtausende immer wieder neu zusammengefasst und interpretiert wurde. Innerhalb der Gesellschaft wiederum prägen die einzelnen Familien sehr unterschiedlich.
Demokratie ist ein System, das optimal auf die Vielfalt der Erfahrungen und Talente abgestimmt ist. Bei den heutigen künstlichen Intelligenzen ist bereits eine Entwicklung zu beobachten, welche die Vielfalt und damit auch die Demokratie gefährdet. Nur wenige effiziente Algorithmen setzen sich durch. Problematisch für die Vielfalt sind Geschäftsmodelle, die bei maximaler Skalierbarkeit die höchsten Renditen versprechen. Die Kapitalisierung ermöglicht es, im Sinne der Vielfalt dringend benötigte Wettbewerber vom Markt zu kaufen.
Wenn ein Suchresultat durch die höchste Rendite bestimmt wird, dann werden schon heute Suchmaschinen nicht für die Anzeige des besten Ergebnisses programmiert, sondern für die optimale Vermarktung von Werbeplätzen.
Die Vielfalt verschwindet zugunsten einiger weniger Optimierungsprozesse, deren Ziele von einigen Wenigen bestimmt werden, welche in den seltensten Fällen die Gemeinschaft über ihre individuellen Ziele stellen.
Der Mensch ist einzigartig, weil er sich mit seinem Willen von den Einflüssen seiner DNA und Prägung lösen kann. Wir Menschen sind vergesslich, eine AI nicht. Der Philosoph Gehlen sieht darin letztlich sogar einen Vorteil:
„Der Grundgedanke ist der, daß die sämtlichen ‚Mängel‘ der menschlichen Konstitution, welche unter natürlichen, sozusagen tierischen Bedingungen eine höchste Belastung seiner Lebensfähigkeit darstellen, vom Menschen selbsttätig und handelnd gerade zu Mitteln seiner Existenz gemacht werden, worin die Bestimmung des Menschen zu Handlung und seine unvergleichliche Sonderstellung zuletzt beruhen.“ (Gehlen: Der Mensch, 1986, S. 37).
Durch Vergessen spielen wir unbeeinflusst von Fehlversuchen alle Möglichkeiten immer wieder durch. Das menschliche Denken ist so ebenfalls ein von Vielfalt geprägter Prozess. Eine künstliche allgemeine Intelligenz (AGI) wird die Fähigkeit besitzen, jede intellektuelle Aufgabe zu verstehen. Diese AGI wird sich dadurch vom Menschen unterscheiden, dass ihr insbesondere der Mangel des Vergessens fehlen wird. Wir müssen uns schon jetzt mit einer AGI befassen, welche erst in Jahrzehnten zur Verfügung stehen wird. Denn sie wird auf den heutigen Daten und Grundregeln aufbauen. Über allem steht heute bei der Digitalisierung die Maxime der Effizienzsteigerung. Um überhaupt eine AGI zu erschaffen, bedarf es einer enormen Rechenleistung und Datenmenge. Beides wiederum können nur die heutigen Gatekeeper bereitstellen. Sie erwarten für ihre hohen Investitionen eine möglichst hohe Rendite. Diese hohen Renditen lassen sich nur durch skalierbare Geschäftsmodelle erzielen, die zu einer Monopolisierung der Angebote führen. Alles, was heute für die „DNA“ einer AGI gemacht wird, richtet sich gegen die Vielfalt und damit gegen die menschliche Natur. Durch die
uneingeschränkte Verfügbarkeit von Daten entsteht ein omnipotentes System, welches es als Mangel empfindet, wenn ihm nicht alle (personenbezogenen) Daten zur Verfügung stehen. Eine AI wird die Vorteile der Vielfalt nicht erkennen, wenn nicht schon heute demokratische Prozesse der Vielfalt konsequent in der „DNA“ aller künstlichen Intelligenzen verankert werden. Erst vor wenigen Monaten warnten Sam Altman, Chef des ChatGPT-Herstellers OpenAI, und Geoffrey Hinton: „Das Risiko einer Auslöschung durch KI zu entschärfen, sollte eine weltweite Priorität sein, neben anderen Risiken gesellschaftlichen Ausmaßes wie etwa Pandemien und einem Atomkrieg.“
Wenn die Menschen sich jetzt nicht um ihre zukünftige Legitimation kümmern, werden sie erst nicht mehr beachtet werden und dann überhaupt keine Rolle mehr spielen. Fehlentwicklungen, die in der analogen Welt durch vielfältige Gegenreaktionen der Individuen aufgefangen wurden, versucht heute der Gesetzgeber nachträglich in der Digitalisierung zu regulieren. Ohne ein proaktives Gesamtkonzept für eine digitale Gesellschaft werden Demokratien jedoch untergehen.
Derzeit ist es wahrscheinlich, dass eine AGI unsere Umweltprobleme lösen wird, indem sie alle verfügbaren Daten analysiert. Das Ergebnis wird sein, dass der Mensch als Verursacher eliminiert werden muss.
Muss sie hingegen die unberechenbare Kreativität des vergesslichen Menschen auf der Basis historischer Daten
einbeziehen, wird sich die AGI weiterhin als Hilfsprodukt für die menschliche Daseinsvorsorge verstehen. Ein
permanenter demokratischer Diskussionsprozess muss Teil der „AGI-DNA“ werden. Die Vielfalt wird schon dadurch erhöht, wenn nicht alle Daten permanent global zusammengeführt werden.