Fast hätte Shaona eine böse Überraschung erlebt. Sicher, es war zwischen Frank und ihr nichts gelaufen. Aber als Ole seinen Namen aussprach, hatte es schon wehgetan, es würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei dem einen Abend bleiben . Natürlich war Shaona nicht mit ihrem Beruf verheiratet. Aber sie hatte einen eisernen Grundsatz. Nie Privates mit Geschäftlichem vermischen, Ole einmal ausgenommen. Das FINDERS – Konsortium unterhielt mit fast allen europäischen Suchmaschinenanbietern gute geschäftliche Kontakte. Aber wenn hier einer eigens aus den USA zu einer Podiumsdiskussion eingeflogen wurde, dann würde eine Konfrontation wohl unvermeidlich sein. Hier ging es nicht um einen Wettbewerb der besten Konzepte, sondern schlicht um wirtschaftliche Interessen und Machtansprüche.
Sie würde es als Vorteil nutzen, dass Sie Frank bereits kennengelernt hatte. Sie wusste, wie man ihn angehen musste. Hoffentlich hatte er seinerseits nicht zu ausgiebig die Teilnehmerliste studiert. Hatte sie ihm zu viel über sich erzählt?
Als sie das Podium betrat, erwies sich ihre Angst als unbegründet. Frank starrte sie mit offenem Mund an. Er sah anders aus als am Vortag. Seine Haare waren mit einem Zopf nach hinten gebunden. Mit dem schwarzen Maßanzug wirkte er zivilisiert. Den erfolgreichen Manager mit kreativem Touch nahm man ihm ab. Shaona merkte, Frank war voll damit beschäftigt, zu verarbeitet, dass die nette kleine Urlaubsbekanntschaft sich als Podiumsteilnehmerin auf der Seite der FINDERS –Technologie entpuppte. Lange hatte sie jedoch nicht Zeit, sich mit Frank zu beschäftigen. Sie nahm den für sie reservierten Platz ein. Neben ihr saß bereits ein blasser junger Mann. Dieser schob permanent seine Füße in seinen Schuhen hin und her. Es sah gerade so aus, als hätte ihn jemand in zu große Schuhe gesteckt und als würde er verzweifelt versuchen, hierin Halt zu finden. Als sie sich gesetzt hatte, was er hocherfreut und überreichte ihr einen Zettel:
ich bin leider auf Grund eines wichtigen Termins verhindert.
Zu Ihrer Unterstützung habe ich Ihnen unseren neuen PR – Referenten Herrn Dr. Jakob Perlemann geschickt.
Mit freundlichen Grüßen
Wiederum nickte ihr Nebenmann eifrig. Es bestand kein Zweifel, dass er selbst Dr. Perlemann war. Für eine Unterhaltung war keine Zeit mehr, da der Moderator bereits mit der Einführungsrede begonnen hatte. Shaona schossen mehrere Gedanken gleichzeitig durch den Kopf. „War Perlemann in der Lage, die Interessen des Finders – Konsortiums zu vertreten? Würde er ihr die Bälle zuspielen? Kannte er überhaupt ihre Funktion bei Finders und dass sie lediglich für die Semantik – Radaktion sprechen konnte? Sie fand die Formulierung „Zu Ihrer Unterstützung“ von Kaminski schon reichlich unverschämt. Schließlich klang das so, als würde sie hier federführend für die Interessen der Finders AG sprechen können. Sie wusste nicht einmal genau, welche Verhandlungen mit den Skandinavischen Ländern und Konzernen wie Nokia derzeit geführt wurden. Andererseits drückte dies möglicherweise aus, dass Kaminski mehr Vertrauen zu ihr hatte als zu seinem neuen Vertreter, von dem sie noch nie zuvor etwas gehört hatte.
Nachdem sich alle vorgestellt hatten, übergab der Moderator das Wort an Frank Reagan. Dieser hielt eine sehr emotionalisierende Rede, welche geschickt jeglichen Angriff auf andere Konzepte vermied, aber unmissverständlich klarstellte, dass neben der Rankingmethode der Suchmaschinen kein weiteres Konzept Bestand hätte. Für ihn repräsentierten Suchmaschinen den amerikanischen Traum von der unbegrenzten Freiheit, in dem jeder vom Tellerwäscher zum Millionär werden konnte.
Daraufhin war Dr. Perlemann an der Reihe. Dieser entschuldigte sich erst einmal für das Ausbleiben seines Chefs Willi Kaminski. Ausführlich schilderte er den Siegeszug des Finders – Konsortiums in Deutschland mit dem Wirtschaftswunder, welches durch die Spezialisierung des deutschen Mittelstands hinter einer von 40. 000 Kategorien ausgelöst wurde. Hierbei handelte es sich wohl um eine Rede, welche für Kaminski vorbereitet worden war.
Frank Reagan wurde um Stellung gebeten und erwiderte, ohne direkt auf Perlemann Bezug zu nehmen: „Wir in den USA lehnen jegliche Art von Beeinflussung der freien Marktwirtschaft ab. Eine Aufteilung in Kategorien käme für uns nicht in Frage“. „Genauso wenig wie das Teilen der Einnahmen mit allen am Onlineprozess beteiligten?“ konterte Perlemann viel zu hektisch.
„Was macht Perlemann denn?“ dachte Shaona entsetzt. Natürlich ging es in Wirklichkeit darum, ob einzelne globale Player immer größer wurden, oder ein eher mittelständische Spezialisten förderndes Konzept alle sinnvoller Weise am Onlineprozess Beteiligten einband. Aber es war doch äußerst ungeschickt, dieses Thema auf dem Podium anzusprechen. Finders war insbesondere im Ausland darauf angewiesen, alle vorhandenen Kräfte insbesondere die Suchmaschinen in das Kategorienkonzept mit einzubinden. Wenn man hier öffentlich polarisierte und Feindbilder aufbaute, konnte man nur verlieren.
Frank Reagan ging in keiner Weise auf den Angriff ein. Vielmehr fuhr er ausgerechnet am Beispiel China fort, wie Suchmaschinen dazu beitrugen, die Demokratisierung voranzutreiben, weil immer mehr Informationen für immer mehr Menschen erreichbar würden. Als Perlemann zu ihr herüber sah, signalisierte Shaona Perlemann, dass sie die Diskussion übernehmen wollte. Als habe er eine heftige Zurechtweisung erhalten, zuckte Perlemann zusammen und akzeptierte. Er hatte wohl diesbezüglich eindeutige Anweisungen von der Zentrale.
Der Moderator bekam den stummen Dialog mit und gab Shaona das Wort.
Shaona wies darauf hin, dass sie sicherlich auf Basis ihrer Tätigkeit nur eine beschränkte Sichtweise auf die Dinge hätte. Sie könnte sich deshalb zu großen Visionen nicht äußern. Auch hätte sie leider die USA noch nicht kennengelernt. Sicherlich wäre dies ein außergewöhnliches Land.
Für sie wäre heute interessant, wie schnell jemand zu einem Suchziel käme und dass Irreführung und Betrug im Internet weitgehend ausgeschlossen wären. Sie persönlich würden Stimmen aus dem Publikum interessieren, welche Prioritäten die hier Anwesenden setzen würden. Der Moderator griff dankbar ihren Vorschlag auf, das Publikum einzubinden.
Auch das Publikum war mehr an praktischen Lösungen als an großen Visionen interessiert. Die Situation war gerettet. Viele detaillierte Fragen aus dem Publikum erlaubten Shaona, ihrerseits viele Fachthemen anzusprechen und die Vorteile einer Aufteilung des Internets in Kategorien ausführlich zu erläutern. Frank warf ihr einen wütenden Blick zu. Shaona war sich sicher, dies würde das letzte Mal sein, dass der Egomane Frank Reagan sie bemerken würde.