Es musste weniger werden. Zwar beschwerte sich Brigitte nicht laut, aber mir war klar, dass es ihr nicht gefiel, wenn ich zu oft unterwegs war, während sie mir in den Kategorienagentur den Rücken frei hielt. Es war weniger der größere Arbeitsanfall als die zusätzliche Isolation, in der sich Brigitte dann auf unserem Schiff befand. Akzeptabel waren meine Reisen für sie dann, wenn sie passend eine Freundin einladen konnte. Doch diesmal hatte es nicht geklappt. Ich leitete auf dem Scandinavian Search Event ein Forum zum Thema „Aufbau einer erfolgreichen Kategorienagentur“. Vor der heutigen abschließenden Podiumsveranstaltung im Esbjerg Musikhuset hatte sich Shaona Magu mit mir verabredet. Sie hatte schnell Karriere gemacht. Immer öfter setzte das FINDERS – Konsortium sie ein, um auf Veranstaltungen wie diesen als Expertin Fragen zu beantworten. Sicher erleichterte es Shaona ihr exotisches und äußerst attraktives Aussehen, positiv wahrgenommen zu werden. Hauptsächlich jedoch überraschte sie insbesondere die männlichen Gesprächspartner immer wieder durch ihren wachen Verstand. Immer freundlich kam sie direkt auf den Punkt und hatte die seltene Gabe, so zu kritisieren, dass man ihr das nicht übel nahm. Ich mochte Shaona und inzwischen war es schon so etwas wie Tradition, dass wir uns bei gemeinsamen Veranstaltungen zu einem Kaffee trafen oder wenn sich die Gelegenheit bot, abends bei einem guten Wein einen intensiven fachlichen Austausch vornahmen. Immer mehr tauschten wir uns auch privat aus. Ich spürte, das Shaona sehr einsam war und eigentlich nie richtig in Europa angekommen war. Ich hatte mich bereits ins Café des alten Hotels Britannia gesetzt und zwei Kaffee bestellt, für Shaona schwarz, das hatte ich mir gemerkt.
Shaona kam herein, geschäftlich gekleidet mit einem schwarzen Kostüm und einer weißen Bluse. „Hallo Ole, schön Dich zu sehen“. Der Kellner kam und brachte den Kaffee, während wir uns umarmten. Sie lächelte.
„Hallo Shaona, na wie geht es Dir?“ „Wie soll es schon gehen? Viel Arbeit, wenig Privatleben!“
„Ich habe eigentlich immer das Gefühl, dass Dir Deine Arbeit viel Spaß macht!“ „Ja schon, aber Du weißt ja wie das ist. Man hat immer das Gefühl, dass das Leben an einem vorbeizieht und man später feststellt, für das Wesentliche hatte man keine Zeit“.
„Shaona, das hört sich aber ganz nach Midlifecrisis an“. „Nein, aber wieder einmal nach einer Nacht mit einem Fremden, der es wohl nicht ist“.
Shaona wusste, dass ich glücklich verheiratet war. Sie fühle sich offensichtlich bei mir wohl, weil sie merkte, mir lag an ihrer Freundschaft etwas. Sie erzählte mir von ihrer Begegnung mit Frank.
„Wie sieht er denn aus?“ „Ach, eigentlich nicht gut. Irgendwie hat er etwas Archaisches an sich. Er ist groß, hat lange Haare, die das Wesentliche seines Gesichts verdecken und eine alles überragende Nase. Er hinkt ein wenig. “ „Aber das hört sich doch ganz nach Deinem Typ an“ neckte ich sie.
„Weißt Du, ich glaube er ist auch ein Egomane“ seufzte sie. „Einer, wie ich ihn auf Dhunikolhu viel zu oft kennen gelernt habe. Solange so jemand etwas von meinen Eltern wollte, z. B. einen besseren Tisch, war er die Freundlichkeit in Person. Wenn das Maß an möglichen Gefälligkeiten überschritten war, nahm man sie nicht einmal mehr wahr. “
„Shaona, Du musst uns unbedingt mal auf unserem Boot besuchen. Ich glaube, Du würdest Dich richtig gut mit Brigitte verstehen.
“ Shaona wurde geschäftsmäßig. Es schien ihr doch ein wenig zu privat zu werden. „Ole, jetzt aber mal zum Podium. Es wird ja wohl auf eine Diskussion Suchmaschinen versus FINDERS System herauslaufen. Ich kann eigentlich nur zu den Regeln der Kategorienbildung was sagen. Bei zehn Podiumsteilnehmern werde ich wohl kaum zu Wort kommen. Wie ist denn Dein Forum gelaufen? Sind die hier sehr kritisch?“
„Die Skandinavier sind einerseits Individualisten und andererseits Technikfreaks. Hier musst Du aufpassen. Wenn die sich durch standardisierte Kategorien bevormundet sehen, hast Du verloren. Wenn Du aber erklären kannst, welchen Vorteile ein gewisses Maß an Ordnung im Internet hat und welche technischen Möglichkeiten sich erst erschließen, wenn man das technische Potential voll ausschöpft, kannst Du sie begeistern. “
„Das hört sich wie ein Seiltanz an. Ole, also beruhigt hast Du mich nicht. Du weißt, wie wichtig die Skandinavier sind. Wenn wir uns hier auf der Konferenz gut verkaufen, wird Nokia weltweit auf seinen Handys standardmäßig die Achtcard einführen und die Finders – Suche als Sucheinstieg im Handy pushen. “
Ich wollte Shaona nicht noch mehr beunruhigen. Tatsächlich war es ja nicht ihr Job, hier Firmenpolitik zu machen. Kaminski selbst war als Podiumsteilnehmer aufgeführt. Er würde ihr nur die Bälle für fachliche Antworten zuspielen.
„Am besten bleibst Du in Deckung, Kaminski macht das schon. Was hältst Du eigentlich von dem Amerikaner?“
„Von welchem Amerikaner?“
„Na, den die Suchmaschinenanbieter als Vertreter aus Amerika eingeflogen haben, Frank Reagan heißt der, glaub ich“.
Shaona antwortete nicht. Sie saß da und starrte nur noch ins Leere.
“Shaona, hallo, hier bin ich!“
Shaona sah mich geistesabwesend an:“ Du, mir ist eingefallen, ich muss für das Podium noch was vorbereiten. Sei mir nicht böse“.
Sie war schon aufgestanden und umarmte mich kurz. Nachdem sie einige Schritte gegangen war, drehte sie sich noch mal um:“ Du, wir machen das!“
„Was“ fragte ich entgeistert. „
„Na, das mit Euch besuchen und Brigitte kennenlernen“ lächelte sie entschuldigend und verschwand.